Die Politik traut sich nicht mehr, Entscheidungen zu treffen. Regierungspolitiker wollen vor lauter politischer Korrektheit niemandem zu nahe und nur ja in kein Fettnäpfchen treten. Deswegen vermeiden sie (und das ist am schlimmsten!) klare Haltungen. Appeasemant, Ausweichmanöver und Phrasendrescherei scheinen heute demzufolge die Hauptaufgabe der Regierung zu sein. Das führt unmittelbar zu jenem Verdruss am Politischen, der den öffentlichen Raum beherrscht.
Die Politik verhält sich solange zögerlich, bis irgendjemand aus dem Volk aktiv wird und seine vermeintlichen oder echten, zumindest aber gefühlten Rechte einklagt. Sobald ein Gericht darüber entschieden hat, ist die Politik die Verantwortung (die sei eigentlich zu tragen hätte!) los und kann erleichtert auf das Urteil verweisen.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist das neue Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG). Zur Fertigstellung der Novelle wurde zuerst ein Spruch des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte abgewartet: die Klage eines lesbischen Paares führte dazu, dass Österreich auch lesbischen Frauen die Nutzung der Samenspende erlauben muss. Dieser Entscheid wurde gleich dafür benützt, andere heikle Dinge in das Gesetz hinein zu reklamieren: die Präimplantationsdiagnostik (PID) und die Eizellspende.
Mit dem Vehikel des Gerichtsurteils ausgestattet bekam die Regierung plötzlich "Schneid" und belud dieses Vehikel mit allen möglichen anstehenden Themen - ohne Not, aber dafür umso unausgereifter und noch halbherziger, als wir das gewohnt sind. Offenbar ist im Untergrund nach dem richterlichen Spruch doch wieder jene Mutlosigkeit virulent geworden, die zur Grundausstattung von Regierungsmitgleidern gehört.
Wir bekommen daher mit dem neuen FMedG jetzt eine "hatscherte" Novelle, die neuerlich Diskriminierungen schafft: alleinstehende Frauen sind von der Eizellespende ausgeschlossen. Überdies wird durch die PID der Eugenik das Tor geöffnet, denn es stehen klare Auswahlkriterien für oder gegen das Überleben von Embryonen im Gesetz. Was früher noch undenkbar war, wird so zum Alltag: Unwertes Leben wird ausgemerzt. Wir können ab 1.1.15 im Reagenzglas nachschauen, ob uns der Embryo passt oder nicht. Wer nicht konveniert, weil er/sie möglicherweise eine Erbkrankheit in sich trägt, wird getötet. Es gibt zwar Einschränkungen für die PID, grundsätzlich ist aber hier ein Schritt getan worden, der uns in neue ethische Dimensionen führt und viel zu wenig diskutiert wurde.
Gerade das FMedG ist ein negatives und de facto abschreckendes Beispiel, wie Politik NICHT funktionieren darf: es kann nicht sein, dass auf Basis von Gerichtsurteilen weitestreichende Entscheidungen getroffen werden, die erstens mit dem Urteil an sich nichts zu tun haben und zweitens in der Öffentlichkeit kaum diskutiert worden sind.
So schafft man nur noch mehr Verdruss und noch mehr Distanz zum Souverän, dem Volk. Das öffentliche Unverständnis über solche Vorgangsweisen schlägt sich dann in Petitionen und Aufrufen nieder und der Wunsch nach dirketer Demokratie wird dramatisch gestärkt (was der einzige positive Effekt der insuffizienten Regierungspolitik ist).
Ganz besonders in der Frage der Fortpflanzungsmedizin wurden hier ethische Fronten eröffnet, die aus heutiger Sicht noch völlig unklare Verläufe haben und reichloch Anlass zu Debatten geben werden.
Schade. Das alles haben wir der Feigheit der Politik zu verdanken und es steht zu fürchten, dass es in Zukunft nicht besser wird. Richter werden in heiklen Fragen weiterhin die Politik bestimmen und damit der Demokratie eine fragwürdige Facette verleihen.