Wir alle sind Komplizen

In Österreich leben die jüngsten Pensionisten Europas und der Trend zur frühen Rente ist weiterhin nahezu ungebrochen. Dass deswegen die Finanzierung der Pensionen immer schwieriger wird, weiß mittlerweile fast schon jedes Kind. In den Medien ist die Demografie längst ein Dauerthema und pessimistische Kommentatoren der demografischen Entwicklungen prophezeien finanzielle Schreckensszenarien, gegen die sich das aktuelle Griechenland-Desaster noch harmlos ausnimmt. Unangenehmerweise können diese Schwarzseher ihre Vorhersagen auch noch mit fundierten Zahlen belegen.

Soweit, so klar: Es gibt riesigen Reformbedarf und auch Optimisten geben zu, dass im Pensionssystem zu wenig geschieht, um die herandräuenden Nöte abzuwenden. Rätselhaft bleibt hingegen, warum diese bedrohliche Faktenlage kaum jemanden wirklich aufregt. Oder haben Sie jemals von einer Demo oder gar von einem Flashmob gegen den „Frühpensionismus“ gehört? Eben. Der gelernte Österreicher zuckt beim Thema Pensionen die Schultern und murmelt etwas von Ungerechtigkeit und gefährdeter Altersversorgung. Insgeheim spekuliert er darauf, eines Tages bei den Frühpensionisten mit dabei zu sein. Das Arbeitsleben ist hart genug! Und die zeitgerechte (also möglichst frühe) Pension wird sich schon noch irgendwie ausgehen. Zahlen tun eh die anderen, Beiträge geleistet hat man auch genug und überhaupt: Wozu länger arbeiten? Soweit kommts noch!

Im Ernst: In Österreich ist der grassierende „Frühpensionismus“ längst Teil der sozialen (Un-)Kulturlandschaft geworden. Der Trend zur möglichst frühen Rente entspringt einer weitverbreiteten und schon gefestigten Grundhaltung, welche durch das Beharren auf den sogenannten wohlerworbenen Rechten und von einer merkwürdigen „Das steht uns zu!“ – Mentalität ermöglicht wird. Sehr viele Leute im Lande sind daher augenzwinkernde Komplizen, wenn es um die Pension geht. Erstaunlich, dass gerade die genuin protestfreudigste Bevölkerungsgruppe, nämlich die Jugend, zur ungünstigen Demografie und zu der daraus entstehenden pekuniären Notlage nichts zu sagen und schon gar nichts zu demonstrieren hat - obwohl es genau diese Gruppe in etlichen Jahren finanziell am ärgsten treffen wird.

Die Thematik müsste den Jungen daher zumindest einen harten politischen Diskurs wert sein. Doch wohin man auch schaut, es herrscht Ruhe. Sind also die Jungen ebenfalls schon zu Komplizen im täglichen Überfall auf unseren Selbstbedienungsladen namens Sozialstaat geworden? Oder denken sich die alle, wenn einmal die echte Krise zwischen Jung und Alt ausbricht, zahlen wir sowieso keinen Cent? Beide Erklärungsvarianten sind eher unerfreulich.

Lohnt sich dieses Komplizen-Dasein aber überhaupt? Unterm Strich wohl kaum. Die Pension ist weder aus ökonomischen Gründen erstrebenswert noch aus gesundheitlichen oder sozialen. Der Ruhestand ist grundsätzlich und definitionsgemäß für jene Mitmenschen gedacht, die ihre Leistung für die Gesellschaft aus Alters- oder Krankheitsgründen nicht mehr erbringen können und die daher Unterstützung von anderen brauchen. Darauf fußt der Generationenvertrag und die vielzitierte Solidarität. Es kann daher sicherlich nicht das Hauptziel einer solidarischen Gesellschaft sein, 57-Jährigen Rentnern das regelmäßige Überwintern in Thailand zu ermöglichen.

Auch sprechen handfeste medizinische und soziokulturelle Gründe gegen die frühe Pension: Wer früher als notwendig aus dem Arbeitsprozess austritt, verliert berufliche und intellektuelle Kompetenzen. Die kognitiven Leistungen werden nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben bei vielen Pensionisten kontinuierlich schlechter und es gibt sogar Hinweise darauf, dass Altersdemenzen bei intellektueller bzw. beruflicher Unterforderung vorzeitig auftreten. Soziale Isolationen können sich durch das Verschwinden des Arbeitsumfeldes verstärken und Pflegebedürftigkeit kann sich durch den Verlust von Selbstverantwortung früher entwickeln. Nicht zuletzt verlieren Firmen, Ämter und Betriebe ihre oft wertvollsten Mitarbeiter durch die Pensionierung.

Anders gesagt: Wir erleben einen Brain-Drain aus der Arbeitswelt in die Pensionswelt und dort verkümmern die Gehirne. Alles keine schönen Aussichten! Aus ärztlicher Sicht könnte man daher sogar behaupten: Eine zu frühe Pensionierung kann Sie und Ihr Umfeld gefährden! Trotzdem wollen zahllose Österreicher ins vermeintliche (Früh-)-Pensions-Paradies. Und unsere landesweite, quer durch Generationen und soziale Schichten sich erstreckende Komplizenschaft macht den kontraproduktiven „Frühpensionismus“ weiterhin und unverdrossen möglich.

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Silvia Jelincic

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r.schoaf

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