Diese Woche habe ich wieder einmal mit meiner Freundin Julia telefoniert, die selbst seit Jahren bloggtund ein Online-Genie ist. Ich denke mal, dass ich mich ganz gut auskenne, doch sie ist immer einen Schritt weiter. Und so haben wir uns diesmal über Vlogger unterhalten und plötzlich fragte sie mich: "Kennst du eigentlich YOUNOW?!" Ich verneinte. Und dann bekam ich einen Screenshot von ihr zugeschickt, der mich an meine ersten Chat-Erfahrungen erinnert hat - nur eine Stufe härter.
Dass sich die Pädophilenszene in Chatrooms seit anbeginn des Internets herumtreibt, um junge Opfer abzufangen, zu treffen oder sie dazu zu bringen ihnen Fotos zu schicken, ist keine Erfindung einer schrulligen RTL-Sendung in der die Schockstarre per Bildschirm-Freeze eintritt und die Moderationstante "Was machen Sie hier?" dem potentiellen Kinderschänder entgegenzischt, den sie gerade mit einem Köder in eine Altbauwohnung in Köln gelockt hat. Nein, außerhalb des Fernsehkastels gibt es diese Szene und sie ist in der Anonymität des Internets am Leben und ernährt sich dort sehr gut.
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Ein wahres Buffet ist allerdings das besagte YOUNOW. YOUNOW ist eine Livestreaming Plattform mit angeschlossenem Chat. Und man darf sie bereits ab 13 Jahren verwenden. Jackpot! Die meisten ihrer UserInnen scheinen noch jünger zu sein, denn wenn man sich zu verschiedenen Uhrzeiten durchklickt, scheint sogar Justin Bieber schon im Altersheim zu sitzen. Perfekt, um die Unschuld vor der Webcam mal zu fragen, was sie so alles "kann".
Die Mehrheit der UserInnen ist an diesem Vormittag in ihrem Kinderzimmer. Sie sitzen auf vor ihren floralen Tapeten und haben die Webcam an, während sie in die Tastatur klopfen. Und dann kommt das, was einem die Haare mehr als aufstellt. User wie "Michi W." schreiben einem Mädchen, das aussieht wie 10: "haast (sic!) voll den schönen kussmund". Weiter drunter bekundet "AngelusDomini": "Bist schon lecker".
All diese Anspielungen rattern im Sekundentakt bei YOUNOW über die Chats Minderjähriger. Die weniger harmlosen verlangen, dass sich junge Mädchen nach vorne beugen, damit sie ihre Brüste sehen.
YOUNOW gibt eine Regel aus, die Nacktheit Minderjähriger betrifft: "Männer sowohl als auch Frauen unter 18 Jahren während der Sendezeit ständig voll bekleidet sein müssen. Teilnehmer unter 18 Jahren die sich in irgendeiner Weise unbekleidet zeigen können suspendiert oder permanent von der Site verbannt werden. [...] Teilnehmer dürfen keine nackte Haut unter den Kleidern zeigen. Andere Teilnehmer in irgendeiner Form zur Nacktheit anzustiften kann ebenfalls mit Suspendierung oder permanentem Zugangsverbot bestraft werden. Weibliche Teilnehmerinnen müssen darauf achten dass der Busen jederzeit vollkommen bedeckt ist." Das klingt ja alles schön und gut. Doch wer beschäftigt sich mit den Anbahnungen, die hier stattfinden? Vor allem wenn die Plattform einmal hunderttausende UserInnen gleichzeitig live sendet?
Weiter im Text.
Der Missbrauch findet spätestens dann doppelt statt, wenn es einer schafft sein Opfer zu einem Strip zu überreden. Das kann dann auch zu einem späteren Zeitpunkt zum Beispiel in einem Video Chat auf Skype passieren. Es ist bekannt, dass die Strips von Opfern gescreenshottet und diese Fotos wie Trophäen in einschlägigen Foren gepostet werden.
In den USA hat 2012 der Suizid von Amanda Todd traurige Schlagzeilen gemacht. Sie wurde von einem Mann in einem Chatroom überredet vor einer Webcam ihre Brüste zu zeigen. Was sie nicht wusste: er machte davon Screenshots. Damit war sie in der Falle. Er drohte ihr die Fotos an ihre Freunde zu schicken, wenn sie nicht seinem Willen folge. Sie tat es. Die Fotos wurde trotzdem veröffentlicht und ihre Familie musste umziehen, ihrer Tochter eine neue Schule suchen. Wenig später legte der Täter unter ihrem Namen ein Facebook Profil an und verwendete die Fotos als Profilbild. Den Link verschickte er wiederum in der neuen Schule. Todd, die gerade einmal 15 Jahre alt war, kämpfte zu dieser Zeit bereits mit psychischen Folgen wie Panikattacken und Depressionen, begann zu trinken, Drogen zu nehmen und zerschnitt sich regelmäßig die Arme. Vor ihrem Suizid nahm sie noch ein YouTube Video auf in dem sie wortlos ihre Geschichte auf Zettel geschrieben in die Webcam hält. Die Schrift ist kindlich und der Zuseher mit dem Gewissen, dass in dieser Teenie-Welt kein Stein mehr auf dem anderen ist. Die grenzenlose Herabwürdigung war aber nicht nur Amanda Todd vorbehalten. Auch andere Opfer - weiblich wie männlich - wurden später dem Täter zugeschrieben.
Vielleicht klingt es ein wenig reißerisch, aber ihr Schicksal hätte auch auf YOUNOW beginnen können. Betreiber von Videplattformen, die offen mit einem Zugang für Minderjährige werben, sollten sich mal überlegen, was und wen sie hier begünstigen. Dass sich YOUNOW allerdings durchsetzen wird, ist mehr als gewiss denn wie sie selber auf ihrer Website schreiben: "We’re backed by Oren’s Capital, and VCs like Union Square Ventures and Venrock - the same firms that first helped Twitter, Apple, Tumblr and others become tech heavy-hitters."