"Die WienerInnen leisten Unglaubliches!"

Fünf Jahre Rot-Grün haben deutliche Spuren in der Hauptstadt hinterlassen, die zum Teil die Handschrift der umtriebigen und nicht immer bequemen Vizebürgermeisterin Vassilakou tragen. Und sie hat für mögliche weitere fünf Jahre viel vor!

Frau Vassilakou, gerade das Thema Sprachförderung ist in Wien beherrschend, wenn es um Schule und Bildung geht. Ihre Lösungen für die Misere?

Maria Vassilakou: Österreich hat wichtige Reformen im Schulbereich verschlafen und Wien bezahlt die Rechnung dafür bitter. Mindestens ein Viertel aller Jugendlichen und mehr als die Hälfte aller Taferlklassler hat eine andere Muttersprache als Deutsch. Gerade Wien braucht dringend ein modernes Schulsystem und eintausend zusätzliche Lehrerinnern und Lehrer. Ich will, dass die Schulen selbst über Unterrichtsmethoden entscheiden können, denn sie wissen am besten, was sie brauchen. Wir Grüne wollen eine Kindergartengarantie ab dem zweiten Lebensjahr. Nur so haben alle Wiener Kinder die Möglichkeit, für den Schuleintritt bestmöglich vorbereitet zu werden. So können alle Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache schon im Kleinkindalter spielerisch Deutsch lernen.

Immer, wenn es um Sie geht, werden Sie vor allem in sozialen Netzwerken, aber auch in Medien verunglimpft, persönlich beschimpft und unsachlich angegriffen. Wie gehen Sie damit um?

Maria Vassilakou: Natürlich krieg‘ ich nicht sehr viel davon mit, weil ich einfach keine Zeit habe, Postings zu lesen und im Internet herumzuklicken. Dann und wann muss ich natürlich schlucken, weil Grenzen überschritten werden. Weil jede Grenze überschritten wird. Ich habe viel angepackt und Dinge verändert, die sehr, sehr viele Menschen in ihrem Alltag betreffen. Jeder, der viel verändert, muss damit rechnen, dass es Anfeindungen gibt. Das gehört dazu. Damit muss jeder Politiker, der regiert, fertig werden. Ich habe immer wieder gesagt, dass Politik nichts für Mimosen ist und dazu stehe ich. Ich denke, meine Einstellung hat mit meinem Lebensmotto zu tun. Ich glaube an Mut, ich glaube an Zuversicht, und ich glaube an Initiative. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um zu reden, sondern um Dinge anzupacken und Konkretes zu tun. Und wer tut und nicht nur ein Grüßaugust ist, muss mit einem Tsunami an Reaktionen fertig werden.

Gibt es einen Lösungsansatz, um die sich immer rascher drehende Spirale an verbaler Gewalt zu stoppen?

Maria Vassilakou: Das ist Demokratie. Was wir erleben, ist ein Paradigmenwechsel, der weitreichende Folgen haben wird. Sowohl für die Demokratie, als auch für unsere Alltagskultur. Das sind gesamtgesellschaftliche Prozesse, die kann man nicht mit Gesetzen oder gouvernantenhaftem „Du, du, du“-Zeigefinger lösen. So weh es uns allen tut und noch tun wird… mit diesen Schmerzen müssen wir lernen, umzugehen. Das ist ein Lernprozess, der noch Jahre dauern wird. Was jeder tun kann ist, sich dagegen zu stemmen. Und jedes Mal darauf hinzuweisen, wenn Grenzen überschritten werden – und Zivilcourage beweisen!

Auch nach fünf Jahren Regierungsbeteiligung in Wien spricht eine große Mehrheit den Grünen jede Kompetenz abseits von Umweltthemen ab.

Maria Vassilakou: Die Parteien werden stark mit bestimmten Themen in Verbindung gebracht und das hat zumeist historische Hintergründe. Dass ausgerechnet die Grünen mit der Umweltkompetenz in Verbindung gebracht werden, ist naheliegend. Ich bin überzeugt, dass die kommenden Jahre einen Sinneswandel mit sich bringen, weil die Grünen erst jetzt beginnen, in anderen Bereichen zu gestalten. In mittlerweile sechs Landesregierungen. Wenn die Grünen etwa für die Bildungspolitik in Wien zuständig sind, was ich anstrebe, wird man sehen, was wir hier zu Wege bringen.

Wie haben Sie Michael Häupl in den vergangenen fünf Jahren erlebt?

Maria Vassilakou: Vorwiegend unterstützend.

Manfred Juraczka (ÖVP) hat in unserem Interview nicht kategorisch ausgeschlossen, als Vize unter einem Bürgermeister Strache zur Verfügung zu stehen.

Maria Vassilakou: Naja, das überrascht mich nicht, gar nicht. Zum einen ist er ideologisch nicht weit von Herrn Strache entfernt, zum anderen glaube ich, dass er insgeheim schon Visitenkarten als Vizebürgermeister gedruckt hat. Ich glaube, er würde alles tun. Er würde es so billig geben. Hauptsache, er schafft es.

Ist Ihr Szenario für Wien ohne Regierungsbeteiligung der Grünen ein düsteres?

Maria Vassilakou: Nein. Ich arbeite nicht mit der Angst der Menschen. Ich bin die einzige in diesem Wahlkampf, die das nicht tut. Wien bekommt genug Angst und Mieselsucht von der Politik serviert, und ich möchte Wien nicht den Stänkerern und Mieselsüchtlern überlassen. Als Wähler muss einem klar sein, dass der weltoffene Weg der richtige ist: der Ausbau der sozialen Leistungen der letzten Jahre, was alles im Umweltbereich erreicht wurde… die Garantie, dass das fortgesetzt wird, sind die Grünen. Gibt es die Grünen nicht, kann man zu dem allen Baba sagen!

Juraczka fordert den Ausbau der U-Bahn ins Umland, nach Auhof und Klosterneuburg. D’accord?

Maria Vassilakou: U-Bahn-Ausbau ja, aber auf eine pragmatische und vernünftige Weise, sodass wir das alle noch erleben. Ich bin dafür, dass man zunächst den Investitionsschwerpunkt in die S-Bahn legt. Hier haben wir bereits die Schienen. Hier müssen wir in Intervallverkürzungen investieren und eine Metro daraus machen. Meine Vision ist nur zehn Wartezeit für die S-Bahn. Damit haben in den nächsten Jahren alle Wiener Randlagen und das Umland eine brauchbare Alternative zum Auto. Dazu soll die Ausweitung der 365-Euro-Jahreskarte auf das Wiener Umland kommt. Ich schätze Verkehrsmaßnahmen, die ich noch erleben werde.

Was sagen Sie Autofahrern, die durch Verkehrsberuhigungsmaßnahmen im Stau stehen oder elendslang Parkplatz suchen und Sie dabei verfluchen?

Maria Vassilakou: Ich verstehe das wirklich absolut, dass man sich, wenn man im Stau steckt, ärgert. Oder wenn man im Kreis herumfährt und keinen Parkplatz findet. So geht’s mir auch. Aber ich schimpfe dann nicht über mich selbst. Aber ja, ich denke daran und muss schmunzeln. Staus sind das Ergebnis von Überlastung und immer wieder notwendigen Baustellen, die wir nicht aus Spaß machen. Genau deshalb versuche ich den Schwerpunkt auf den Ausbau und die Leistbarkeit der Öffis zu legen. Damit viele Autofahrer, die heute auf das Auto angewiesen sind, die freie Wahl haben. Da geht es um Freiheit!

Im Vergleich zur Jahreskarte sind Einzelfahrscheine teuer. Gibt es eine Bestrebung, auch Einzelfahrten zu verbilligen?

Maria Vassilakou: Die Preisanhebungen bei Einzelfahrscheinen erfolgen dann, wenn die Wiener Linien ihre Preise valorisieren müssen, um halbwegs kostendeckend zu sein. Mir geht es darum, die richtigen Prioritäten in der Preispolitik zu setzen. Die muss auf der Masse jener liegen, die die Öffis jeden Tag brauchen um zur Arbeit oder in der Stadt herum zu kommen und nicht auf Gelegenheitsfahrten. Es fährt beinahe jeder zweite Wiener mit der Jahreskarte, mit der Studentenkarte oder dem Top-Jugendticket. Über eine Weiterentwicklung des Angebots kann man aber immer nachdenken. Bei der S-Bahn ist nicht nur auf die Intervallverdichtung Wert zu legen. Vor allem jenseits der Donau müssen wir aufgelassene Stationen wieder in Betrieb nehmen. Dort wohnen tausende Menschen und es werden immer mehr. Es ist extrem frustrierend, wenn man die Station Lobau vor der Haustür hat und der Zug bleibt nicht stehen. Da hast du nur den Lärm und keinen Vorteil.

Sowohl bei den Themen Asyl als auch Bildung herrscht Stillstand aufgrund des Föderalismusproblems. Ist ein Komplettumbau des Staates nicht überfällig?

Maria Vassilakou: Wir haben hier insgesamt einen Reformstau in Österreich der sich gewaschen hat. Ein Umbau ist längst überfällig. Deshalb braucht es eine Befreiung aus der Rot-Schwarzen Umklammerung. Rot-Schwarz bedeutet Stillstand, treibt die Politikverdrossenheit voran und ist der beste Wegbereiter der blauen Wahlerfolge. Die größte Reform, die Österreich braucht, ist ein Aus für Rot-Schwarz.

Wie sieht beim Thema Flüchtlinge Ihr Rezept aus?

Maria Vassilakou: Zunächst bin ich einmal unglaublich stolz auf die unzähligen WienerInnen, die freiwillig schier Unglaubliches leisten, um Menschen auf der Flucht zu versorgen. Sie machen Wien tatsächlich zu einer Stadt der goldenen Herzen. Die Stadt Wien selbst bekennt sich zu ihrer Verantwortung gegenüber Menschen auf der Flucht. Wien ist eine Menschenrechtsstadt. Das heißt, Wien will Menschen auf der Flucht ein sicherer Hafen sein. Und wir schaffen das.  Sofern es in diesem Bereich überhaupt zulässig ist von Quoten zu sprechen, übererfüllt Wien diese. Jetzt geht es darum, eine rasche und gute Integration in Wien zu gewährleisten. Bestes Beispiel: Jene Kinderflüchtlinge, die allein und ohne Eltern in Wien ankommen. Kinder sind in erste Linie Kinder! Sie sind entsprechend der Standards der Wiener Jugendwohlfahrt unterzubringen und zu versorgen. Alles andere ist indiskutabel!

Strache hat im Gespräch mit uns den Unterschied zwischen politischen und wirtschaftlichen Flüchtlingen betont...

Ich persönlich lehne die Unterscheidung zwischen Kriegsflüchtlingen, politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen ab. Sie sind alle Menschen in einer Notlage, ob politisch oder wirtschaftlich!

Wien wächst. Demnächst sind wir zwei Millionen Einwohner. Wie sollen genügend neue Jobs geschaffen werden?

Maria Vassilakou: Wien hat so viele Beschäftigte, aber auch so viele Arbeitslose wie nie zuvor. Das ist eine Herausforderung und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir sie bewältigen werden. Ich glaube, Arbeitsplätze können nur durch ein „neues Wachstum“ entstehen. Ich meine die Transformation unserer Energieversorgung. Ich meine das städtische Wachstum, das bereits jetzt mehr als 25.000 Jobs jährlich sichert. Ich meine Investitionen in Schulen, in Bildung, in Forschung und Entwicklung. Ich meine auch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und alle Maßnahmen die unsere Städte lebenswerter machen. Und natürlich Wohnungsneubau, die Erneuerung bestehenden Wohnraums und die thermische Sanierung.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst in unserem Land stark an. Dann gibt es Aussagen, unter anderem von Finanzminister Schelling, die Arbeitslose und Mindestsicherungsbezieher pauschal in die soziale Hängematte legen...

Maria Vassilakou: Das finde ich besonders abgeschmackt, besonders von einem Menschen, der Millionen auf der hohen Kante hat, der die größte Steuerreform angekündigt hat und die Registrierkassenpflicht für kleine Unternehmer einführt. In manchen Branchen werden Gehälter gezahlt, die auf gleicher Höhe mit der Mindestsicherung auf gleicher Höhe oder sogar geringer sind. Das bedeutet nicht, dass die Mindestsicherung zu hoch ist, sondern dass die Gehälter zu niedrig sind.

Stichwort bedingungsloses Mindesteinkommen.

Maria Vassilakou: Es braucht einen vernünftigen Mindestlohn. Es ist arbeitslosen Menschen gegenüber zynisch und gemein, sich auf den einen oder anderen zu fokussieren, der vielleicht keine Lust hat zu arbeiten. Und das vor dem Hintergrund einer Rekordarbeitslosigkeit und Menschen, die verzweifelt Arbeit suchen und keine finden. Man soll sie nicht schikanieren, man soll sie nicht beleidigen, man soll sie in Ruhe lassen und dafür sorgen, dass es Perspektiven gibt.

Was halten Sie von einem Experiment, Politiker eine Zeit lang mit einem Mindesteinkommen auskommen zu lassen?

Maria Vassilakou: Es wäre ein interessantes Experiment, dass ein Politiker ein Monat lang von 700 Euro leben muss. Ja, eindeutig, das würde vielen etliches verdeutlichen.

Würden Sie mitmachen?

Maria Vassilakou: Ja! Wobei ich sagen muss, dass ich nur zu lebhaft in Erinnerung habe, als ich von weit weniger gelebt habe. Ich habe viele Jahre buchstäblich von der Hand in den Mund gelebt, als ich studierte. Diejenigen von uns, die Armut erlebt haben, wurden von dieser Erfahrung sehr geprägt. Ich habe nicht vergessen wie das ist, wenn du in den Supermarkt einkaufen gehst und Minutenlang nach den billigsten Eiern suchst. Ich hab‘ Jahre lang blind im Supermarkt gewusst, wo das Billigste steht. Das vergisst man nicht.

Ihre Meinung zur Straffreiheit und Liberalisierung von Cannabis? Und: Did you ever inhale?

Maria Vassilakou: Also gut (lacht)! Ich bin dafür, dass der Konsum nicht kriminalisiert wird. Ich halte nichts davon, wenn man durch einen Joint dann eine Vorstrafe hat. Das ist der falsche Weg. Ansonsten: Oh, yes, indeed, I did inhale!

Rückblickend betrachtet: Was würden Sie heute anders machen? Welche Fehler sind Ihnen passiert?

Maria Vassilakou: Ich würde die Mariahilfer Straße wieder umbauen und auch die Radwege grün einfärben. Ich würde zwar alles in meinem Leben anders machen, wenn ich es ein zweites Mal könnte. Das sagt alles. Was immer wir tun im Leben, wir werden beim ersten Mal nicht alles perfekt machen. Und beim zweiten Mal werden wir andere Fehler machen. Es gibt keine Fehlerfreiheit.

Aber Sie bereuen nichts?

Maria Vassilakou: Es gibt etliche Fehler in meinem Leben, die ich bereue. Aber das ist egal. Das Wesentliche ist, dass man daraus lernt. Ja, nach fünf Jahren Regierungserfahrung weiß ich viel mehr als zuvor. Das ist auch der tiefere Sinn des Wortes Erfahrung. Aus dem, was einem gelungen ist und was man falsch gemacht hat, zu lernen, und in neuen Situationen anzuwenden. So gesehen bin ich bereit fürs nächste Level!

INTERVIEW: Alex Haide

Fotos: Rudi Fröse

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