Wie jeden Tag läutet der Wecker zu früh, der Zug kommt zu pünktlich und wie immer bin ich morgens im Stress. Endlich einen Sitzplatz im Zugabteil Richtung Büro gefunden, endlich entspannen nach der Hektik am Morgen. Von Montag bis Freitag treffe ich am Bahngleis wie im Zug dieselben Personen, die dasselbe Ziel wie ich verfolgen - entspannt am Arbeitsplatz ankommen. Viele meiner Mitfahrer kennen sich gegenseitig nicht und trotzdem reden sie wie wenn sie bereits gemeinsam die Schulbank gedrückt hätten. Alles Schlawiner, denk ich mir. Tun so als wären sie gut bekannt, als würden sie sich für das Leben des anderen interessieren. Für mich beginnen hier wunderbare Stunden in denen ich Sachverhalte erfahre - die ich mir gar nicht so gut ausdenken könnte.
Plötzlich sitzt eine ältere Damen neben mir, auch wenn ich das Alter nicht gut schätzen kann - bin ich mir ziemlich sicher, dass sie bereits ihre Pension genießt und nur eine Eintagsfliege im Leben der Öffis ist. Es dauert keine fünf Sekunden spricht sie mich an, will wissen wohin meine Reise geht, welches Buch ich lese und wo ich eingestiegen bin. Pflichtbewusst antworte ich der Dame ihre vielen Fragen und bin sogar so freundlich und stelle ihr ebenfalls Fragen. Der Herr mir gegenüber bringt sich in unser Gespräch ein und nach einem kurzen smalltalk sprechen wir über aktelle Themen die anscheinend die Menschen bewegen. Über die Finanzkrise, die Sparmaßnahmen und die steigenden Preise landen wir bei einer Grundsatzdiskussion über das Älterwerden. Grundsätzlich hab ich null Bock mich mit den Gedanken und Ansichten dieser alten Damen auseinanderzusetzen, doch ich bin schon mittendrin. Früher war alles besser, schöner, toller, gewaltiger und viel günstiger. Hart arbeiten habe sie müssen, nicht viel Freizeit hätte sie gehabt und die jungen Menschen hätten keine Ahnung was es heißt Verantwortung zu übernehmen. Ich schlucke. Klar, ich weiß nicht wie es früher war, ich weiß nur, dass bei den jungen Menschen auch nicht immer alles nach Plan läuft. Würde man eine Umfrage machen, wäre sichtbar, dass jede Generation sich als am allerärmsten fühlt. Ich bemitleide mich selbst, warum ich mir eigentlich diesen Stress in meinem Leben an tue - Matura, Führerschein, Studium, Karriere. 1.000 Sachen muss ich gleichzeitig erleben, machen und erzählen können. 1.000 Sachen muss ich vorzeigen und aufweisen können. 1.000 Fähigkeiten und 1.000 Erfahrungen soll ich haben.
Der Zug fährt in die Endstation ein, alle steigen aus. Der Herr, die Dame und ich verabschieden uns voneinander. Ich weiß gar nicht mehr über was die beiden zuletzt gesprochen haben. Ich war in meinen Gedanken bei mir selbst, daher steige ich völlig enstpannt aus dem Zug aus. Gehe in das Firmengebäude und kann mich die nächsten zehn Stunden mit anderen Dingen beschäftigen - weil ich selbst bin bereits im Fokus gestanden. Außerdem wird von mir volle Konzentration und voller Einsatz erwartet, ich bin schließlich jung, dynamisch und ehrgeizig [...] !!