Ich hab heute zufällig eine Freundin am Bahnsteig getroffen. Freundin ist fast etwas übertrieben, "bessere Bekannte" trifft es eher. Wir haben gemeinsam die Grundschule besucht, uns immer gut verstanden und irgendwann aus den Augen verloren. Unterschiedliche Wege eingeschlagen. Gut, heute sehen wir uns zufällig und beginnen zu quatschen. Ich habe ihr lautes Organ vergessen, verdrängt, keine Ahnung. An diese Lautstärke muss ich mich erst gewöhnen. Auf jeden Fall stehen wir am Bahnsteig und alle Menschen rund herum und auch ein bisschen weg können ihre Stimme hören. Verstehen genau was sie sagt. Mich nicht. Dh die Umgebung könnte davon ausgehen, dass Mara einen Monolog führt. Stimmt eigentlich auch quasi. Meine Antworten auf ihre 1.000 Fragen halte ich so kurz wie möglich.
Sie fragt mich über meine Vergangenheit aus, was ich studiert , welchen Abschluss ich habe. Wo ich jetzt arbeite. Wieso ich das jetzt mache und nicht was anderes. Mara will alles über meine Gegenwart wissen, Beziehung, keine Beziehung? Wohnsituation? Und zum Schluss will sie auch echt noch wissen wie ich mir meine Zukunft vorstelle. Ich stell ein paar Gegenfragen, aber keine Chance ich bin schon in einem Interview gefangen. Ich mache mir Gedanken darüber, was sich eigentlich die anderen Personen denken. Jedenfalls weiß jeder von denen dann wie zurzeit mein Leben läuft, was ich die letzten 6 Jahre gemacht habe und wie es mit der Zukunftsplanung aussieht.
Während mich Mara ausfragt, wird mir klar, dass ich mir eigentlich schon lange keine Gedanken mehr darüber gemacht habe. Wie der IST-Zustand aussieht und wie es sein soll. Mara hat nach der Matura in einer kleinen Firma in ihrem Heimatort zu arbeiten begonnen, dort ihren Mann kennengelernt und ist bereits Mutter von einem süßen Baby. Und willst du immer noch die Welt retten?, fragt mich Mara ganz unerwartet und mit einem frechen Unterton, der verrät dass sie diese Idee als absurd einstuft. Klar will ich immer noch die Welt retten. Ich bin immer noch mehr Idealistin als Realistin und habe die Hoffnung bis heute nicht aufgegeben, dass alles besser wird. Alles ins Lot kommt. Wir reden über die Flüchtlingskatatrophen im Meer, über die vielen armen Menschen in den unzählichen Krisengebieten, über die Gefahren des Terrors und die Instabilität der Weltpolitik. Von Gleichgewicht keine Spur.
Wir dürfen nicht aufhören, daran zu glauben, dass alles gut wird. Sag ich so. Weil wie hätten die Menschen vor 70 Jahren in Österreich sonst reagieren sollen, sie haben die Chance genutzt die 2. Republik zu gründen, aufzubauen und dem zerstörten Land den Wiederaufbau ermöglicht. Es muss auch heute noch Idealisten geben, die für Ideale kämpfen, sich auf keine Seite schlagen, mutig und ohne Voruteile für Gerechtigkeit und Solidarität stehen. Sicher schwierig, das geb ich gegenüber Mara schon zu, manchmal sogar unmöglich. Weil die unterschiedlichsten Argumente als dumm + naiv abgetan werden.
Eigentlich müssten wir heute Geburtstagfeiern - Happy Birthday 2. Republik, schreit Mara. Ja sie schreit tatsächlich, ich muss lachen. Wir müssen echt froh sein, wenn es Menschen gibt die für die Allgemeinheit ihr Bestes geben. Noch immer im Sinne des Gemeinwohl handeln. Auch wenn es schwer fällt, nicht immer angenehm ist. Mara ist plötzlich ganz meiner Meinung. Vielleicht war sie das eh schon immer und ich habe es einfach nie bemerkt [...] !!!