Heute bin ich tatsächlich zu früh am Bahnhof, der Zug hat auf Grund des Schnees auf den Schienen Verspätung. Es ist relativ viel los hier, ich hab das Gefühl es stehen tausend Menschen am Bahnsteig. Tausend Menschen, die super gut gelaunt sind und lächeln. Wie sie lächeln, so richtig glücklich. Furchtbar, denk ich mir, wie kann man nur schon um halb sieben Uhr in der Früh so fröhlich aussehen. Das kann nicht vom gesunden Frühstück oder vom tollen Wetter kommen. Mir egal, ich bin grantig, weil die Chancen auf einen Sitzplatz gleich null sind. Und ich hasse wirklich (fast) nichts mehr, als am Weg in die Arbeit im Zug stehen zu müssen.
Natürlich stehe ich, sicher auch noch. Zwischen dem wunderbaren WC und der geduldigen Automatiktür des Abteils. Noch immer habe ich das Gefühl, dass tausend Menschen in meiner Nähe sind. Was die alle machen, will ich wissen, wohin die alle fahren. Neben mir stehen zwei Burschen, ich glaube noch keine 20 Jahre alt. Fesche Kerle, attraktiv. Die werden schon das eine oder andere Mädchen am Start haben. Einer der beiden holt sein Handy aus der Hosentasche und erzählt dem anderen von einem super tollen Lied, das die Menge zum Beben bringt und auch bei den Girls wahnsinnig gut ankommt. Ich wollte es zu erst gar nicht glauben, aber die haben sich - wenn ich richtig mitgezählt habe 5 Videos - lautstark im überfüllten Zug angesehen. Meine schlechte Laune wird größer, wie soll man da Kopfweh vermeiden?
Soll ich die beiden Fragen, ob sie sich meine Kopfhörer ausleihen wollen? Die anderen Fahrgäste bestrafen die beiden Jugendlichen bereits mit ihren Blicken. Niemand macht nur ein Anzeichen, etwas zu sagen - sich auf zu regen. Ich ärgere mich, über mich selber, über die anderen. Wen diese lautstarke Unterhaltung in den Öffis nicht stört, der lügt. Die Musik wird immer lauter, immer abgefahrener. Mir kommt mein Herzschlag hat sich schon dem Bass angepasst. Das Lied kann ich keiner Musikrichtung zuordnen. Man muss doch was asgen, wenn man sich gestört fühlt. Umsitzen bzw. den Wagon zu wechseln ist keine Option, der Zug ist zu voll, keine Freiräume. Nach 20 Minuten Dauerlärm, reicht es mir.
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Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und frage die beiden ob ich Ihnen meine Kopfhörer leihen darf. Die Burschen schauen mich verwundert an. Ich bin mir sicher: jetzt kommt gleich ein blöder Spruch, ein abwertendes Kommentar. Röte steigt mir ins Gesicht, mir wird heiß. Was ist jetzt, sag ich, es wäre echt für uns Mitfahrer angenehmer. Klar, sagt der eine, kein Problem. Beiden holen sich aus ihren Rucksäcken super schöne neue Kopfhörer und setzen sie auf. Die hat sicher das Christkind gebracht, denke ich mir, die Eltern wissen was die Kinder brauchen. Der eine Bursche steckt das Handy an, der andere verbindet seine Kopfhörer mit dem des anderen. Ich staune über die Technik und bedanke mich für diese Großzügigkeit.
Die restliche Zugfahrt verläuft angenehmer, zwar im Stehen, aber ohne Musik. Die anderen Zuggäste schauen mich an, ich weiß nicht was ich in ihren Gesichtern ablesen soll - Erleichterung oder Unverständnis? Ist mir egal, Hauptsache die Jugendlichen sind meiner Aufforderung nachgekommen. Ohne jeglichen Widerstand. Der Zug fährt in den Bahnhof ein. Aus der Jugend von heute kann also doch noch was werden, sind meine letzten Gedanken bevor ich mich der Arbeit hingebe, man sich nur was sagen trauen [...]