Die ständige islamisch-extremistische Gewalt in Nigeria, Afghanistan, Syrien oder im Irak lässt die Frage nach dem Gewaltpotential im Islam erneut aufflammen. Wenn islamische Extremisten sich auf den tradierten Islam berufen, um in seinen Namen Anschläge zu rechtfertigen, muss die Frage nach dem Gewaltpotential im Islam offen diskutiert werden. Diese Debatte kann die Weichen für einen modernen Islam stellen, der jegliche tradierte und latent vorhandene Gewalt zurückweist.
Die Anfänge der Gewalt
Im tradierten Islam lassen sich etliche gewaltbejahende Suren und Hadithe finden. Mohammed soll seine Landsleute bereits früh offen mit Gewalt bedroht haben, noch bevor er als Kriegsherr weite Teile der arabischen Halbinsel eroberte. Der Überlieferung zufolge drohte eine Spaltung der mekkanischen Gesellschaft durch die Predigten Mohammeds; und als dieser eines Tages den Stein der Kaaba umrundete, stieß er auf eine Gruppe, ihm kritisch gegenüberstehenden Personen. Nach der dritten Umrundung des heiligen Steins ergriff Mohammed das Wort: Hört mir einmal gut zu, o Männer der Quaraisch ! Bei dem, der mein Leben in seiner Hand hält, ich bringe euch Gemetzel! . Dies sollte keine leere Drohung bleiben, denn nur kurze Zeit später überzog der Prophet mit seinen Anhängern die arabische Halbinsel mit Eroberungsfeldzügen, auch Mekka fiel in seine Hände. Es war das Jahr 622, als eine neue Zeit des Islams anbrach; hier fand die Gewalt endgültig Eingang und die politische Dimension verselbstständigte sich bis heute. In den Koran flossen neben vielen ethischen Ansichten eben auch kriegerische Elemente mit ein, die von den Extremisten heute reaktiviert werden. Beispielsweise die Sure 2,191:
Und erschlagt sie, wo immer ihr auf sie stoßt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben; denn Verführung ist schlimmer als Totschlag. Bekämpft sie jedoch nicht bei der heiligen Moschee, es sei denn, sie bekämpften euch in ihr. Greifen sie euch jedoch an, dann schlag sie tot. Also ist der Lohn der Ungläubigen.
Auch in der Sure 2,193 wird zum Kampf gegen die Ungläubigen aufgerufen, nämlich gegen jene Ungläubige, welche versuchen, die Muslime von ihrem Glauben abzubringen: Und bekämpfet sie, bis die Verführung aufgehört hat, und der Glauben an Allah da ist. Und so sie ablassen, so sei keine Feindschaft, außer wider die Ungerechten. Diese Sure wird auch als Begründung herangezogen, wenn es um Islamkritik geht. Verführung wird in diesem Kontext auch als Versuch gesehen, die Muslime von ihrem Glauben durch unberechtigte Islamkritik abzubringen.
Die kriegerischen Stellen im tradierten Islam legitimieren und rechtfertigen für die Extremisten den religiös motivierten Krieg und deren Weltherrschaftsanspruch: Er ist es, Der Seinen Gesandten geschickt hat mit der Führung und der Religion der Wahrheit, dass Er sie siegreich mache über jede andere Religion. Und Allah genügt als Bezeuger. Mohammed hat mit seinen strengen Regeln dieses kriegerische Potential in den Islam systematisch eingeführt, das bis heute immer wieder zu schockierende Handlungen führt und Basis der modernen jihadistischen Ideologie ist.
Die Steigerung der Gewalt
Die „Theologie des Todes“ der modernen jihadistischen Ideologen entwickelt eine auf Massenvernichtung ausgerichtete Wirkungskraft. Der religiöse Terrorismus bleibt nicht beschränkt auf die Sakralisierung des Hasses auf die andere Gruppe und gelegentliche Angriffe, sondern der Hass erfährt eine kollektive Steigerung, der zum eigentlichen Selbstzweck dieser Gruppe geworden ist. Der Jihadismus ist die willentliche Neutralisierung von Tötungshemmungen und die bewusste Verweigerung, Ungläubigen ein Recht auf Leben und Ausgestaltung der Bedürfnisse zuzusprechen, wie Jürgen Manemann es auf den Punkt bringt. Dabei argumentieren die Extremisten mit den tradierten Quellen des Islams, hier finden sie Bestätigung ihres Weltbildes. So beispielsweise auch in der Sure 9,123: O ihr, die ihr glaubt, kämpft gegen diejenigen von den Ungläubigen, die in eurer Nähe sind. Sie sollen von eurer Seite Härte spüren. Und wißt, daß Gott mit den Gottesfürchtigen ist.
Es ist den Ideologen des islamischen Extremismus gelungen, durch solche kriegerischen Suren, das hermeneutische Vakuum der Exegese des Islams in der beginnenden Moderne der arabischen Welt, als eine Widerstandsideologie zu füllen. Die eindeutig gewaltbejahende und „faschistische“ Ideologie nährt sich aus dem Ideal der Zeit Mohammeds und konnte viele Menschen für den Kampf um eine vermeintliche Freiheit und Frömmigkeit gewinnen. Die Siegeszüge der ersten muslimischen Herrscher werden dabei idealisiert und in die Moderne übertragen.
Die extremistischen Ideologen bedienen sich dabei islamischen tradierten Überlieferungen, die sich fest in das kollektive Bewusstsein der Muslime eingebrannt haben. Eine solche mythische Denkfigur wird beispielsweise aus der Schlacht von 633 entlehnt. Damals soll der Heerführer der Sunniten Khaled Ibn al-Walid (584-642) Allah in einem Gefecht gegen die Perser nahe der Stadt Ullais in einem verzweifelten Ausruf versprochen haben, wenn Allah ihm bei dem Sieg helfen werde, dass er alle Ungläubigen töten wird, bis sich der Fluss blutrot färbt. Nach seinem Sieg ließ er alle Feinde köpfen und erfüllte sein blutiges Versprechen. Solche historischen Überlieferungen greifen die Extremisten auf. In der Theologie des Todes „beten“ Jihadisten um göttlichen Beistand bei ihren „Schlachtzügen“ gemäß dem Vorbild von al-Walid und färben ebenfalls ganze Landstriche mit Blut. Solche historischen Gegebenheiten sind fester Bestandteil des extremistischen Narrativen. Kaum ein religiöser Gelehrter würde es wagen, die historischen Figuren zu kritisieren und die moralische Fragwürdigkeit deren Handlungen offen anzuprangern. Durch dieses Unterlassen gelingt es radikalen Gruppen solche Verhaltensweisen unkritisch als islamische Traditionen darzustellen und damit ihre brutalen Handlungen zu rechtfertigen. Mit solchen theologischen Argumenten wird die Theologie des Todes legitimiert und gegen Kritik abgeschirmt. Der „IS“, Boko Haram, die Taliban und andere Terrorgruppen machen nichts anderes, als sich an die kriegerischen Regeln Mohammeds zu halten.
Für Jihadisten wird die enthemmte und allgegenwärtige Gewalt zu einer neuen Religion. Es gibt keine andere Deutungsform der Quellen des Islams als die Theologie des Todes. Sämtliche Auslegungen und Deutungen liegen dem Schema der Gewalt, der Eroberung und der Tötung Ungläubiger zugrunde. Solange es zu keiner breiten Reform im Islam kommt, der den akademischen Rahmen verlässt und sich auch in den Moscheen ausbreitet, solange bleiben etliche Suren, Hadithe und Denkfiguren als eine Sprache der Gewalt zurück. Hieraus kann sich ein gesellschaftlicher Sprengsatz bilden, der nur durch eine offene Kritik, kritische Rationalität und Zurückweisung sozial gefährlicher Elemente relativiert werden kann. Ein rationaler Zugang zur Thematik Religion hat bereits in der Aufklärung funktioniert. Auch wenn dies ein langwieriger Prozess war. Dabei müssen die Muslime, in Anlehnung an Immanuel Kant, sich ihres Verstanden bedienen und sich aus der selbstverschuldeten Misere befreien. Sie müssen sich von Denkverboten und Immunisierungsstrategien lösen und den individuellen Glauben ohne dogmatische Einschränkungen und gewaltbejahenden Elementen entwickeln.
Verweise
Hans Jansen, Mohammed – Eine Biografie, Seite 116.
Abdel-Hakim Ourghi, Reform des Islams, Seite 208.
Sure 2,191.
Sure 2,193.
Sure 48,28.
Jürgen Manemann, Der Dschihad und der Nihilismus des Westens, Seite 38.
Sure 9,123. https://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4692290/ISIdeologie_Die-moerderische-Coolness-des-Jihad.
Jürgen Manemann, Der Dschihad und der Nihilismus des Westens, Seite 60.
Immanuel Kant, Was ist Aufklärung?, Seite 5-6.