Der moralische Narzissmus vieler Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft in Sachen Asylpolitik zeigt sich vor allem daran, dass sie glauben, Migranten, die z.B. aus Afghanistan zu uns kommen, würden ihre patriarchalisch-archaischen Einstellungen und Sozialisationen mit dem Übertreten der deutschen Grenze ablegen und plötzlich zu Demokraten, Frauenverstehern und liberalen Geistern mutieren. Diese moralischen Narzissten versuchen sich nicht nur gegenüber asylkritischen Landsleuten zu erheben, sondern auch über die Migranten selbst, indem sie diese wie „Kuscheltiere“ (Ahmad Mansour) behandeln, anstatt ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.
In Pakistan gibt es täglich durchschnittlich drei so genannte „Ehrenmorde“. Frauen, die keinen Hijab tragen, vorehelichen Sex haben oder Männern die Hand geben, gelten als „Huren“. Dieses Frauenbild hat natürlich dort nicht jeder, es ist dort aber sehr weit verbreitet, entsprechend gesellschaftlich legitimiert und internalisiert. Es ist einfach vollkommen naiv zu glauben, junge Männer würden diese Einstellungen nach ein paar Integrationskursen, in denen eher die Mülltrennung behandelt wird als Werte wie Gleichberechtigung oder Aufklärung, ablegen. Ebenso weltfremd ist es anzunehmen, die meisten dieser jungen Männer kämen aufgrund unserer liberalen Lebensweise, der Demokratie und der Gleichberechtigung nach Europa. Das mag für eine Minderheit gelten - z.B. für Apostaten, Säkulare, religiöse Minderheiten, Homosexuelle, Freigeister -, aber ganz sicher nicht für die Mehrheit, die den Koran und religiöse Gebote über alle weltlichen Gesetze stellen.
Denn das Ändern eigener Einstellungen erfordert Reflektionsvermögen und Selbstkritik - beides sind Errungenschaften der Aufklärung, die es in ultrakonservativen bis radikalen islamischen Gesellschaften so nicht gibt. Deshalb, so befürchte ich, wird eine Integration auf breiter Basis, die es bräuchte, damit „wir das schaffen“, scheitern. Dazu kommen Faktoren auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft wie falsche Toleranz, eine Laissez-faire-Politik, Gleichgültigkeit, Unwissenheit sowie die Tatsache, dass die Migranten hier auf ein bereits bestehendes Netzwerk aus islamistischen Moscheen und zweifelhaften Kulturvereinen treffen, die einer Integration im Wege stehen.
Probleme zu tabusieren, zu relativieren und unter den Teppich zu kehren ist genauso falsch wie die pauschale Ablehnung der Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen zu uns kommen. Die Probleme müssen ohne Schaum vor dem Mund differenziert benannt werden. Der moralische Narzissmus, der Neuankömmlinge wie „edle Wilde“ behandelt und dessen Vertreter sich als moralische Instanz aufspielen, steht einer Problemlösung allerdings genauso massiv im Weg wie Panikmache auf der anderen Seite. Was Deutschland so dringend bräuchte, wäre eine offene Debatte in der gesellschaftlichen Mitte.