Seit einiger Zeit zögere ich, mich öffentlich zu #Corona zu äußern. Weil ich mir nicht sicher bin. Weil ich Angst habe, missverstanden zu werden. Weil die Debatte mittlerweile sehr toxisch und unsachlich geführt wird. Und last but not least, weil ich seit einiger Zeit zweifele, ob die sozialen Netzwerke mit ihren Blasen überhaupt noch der richtige Ort für politischen Austausch sind.

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Corona zieht jedenfalls einen großen Graben durch unsere Gesellschaft. Das ist offensichtlich, sobald man den News-Feed öffnet. Eine sachliche und differenzierte Debatte findet praktisch nicht statt. Wie in der Asylkrise oder bei der Klimadebatte scheint es nur noch Schwarz und Weiß zu geben: eine „richtige“ und eine „falsche“ Meinung. Entfreundungen sind mal wieder an der Tagesordnung, die Echokammern und Blasen der sozialen Netzwerke füllen sich und heizen sich an. Zwischen „Covidioten“ und „Systemlingen“ - so die Kampfbegriffe beider Seiten - scheint ein unüberwindbarer Graben zu existieren. Verständnis für den jeweils Anderen fehlt leider an allen Ecken und Enden, dabei bräuchte es aktuell genau das.

Vorherrschend ist die Angst: während die einen Angst vor dem Virus haben, haben die Anderen Angst, ihre Grundrechte oder ihren Job zu verlieren. Beide Sichtweisen sind zunächst völlig legitim und von der Meinungsfreiheit gedeckt. Journalisten zu beleidigen und zu bedrohen, ist allerdings genauso daneben, wie sämtliche Demo-Teilnehmer pauschal als „Nazis“ zu diffamieren. Der Begriff „Nazi“ ist eh ausgelutscht: sein inflationärer Gebrauch für gefühlt jede vom vorgebenen Mainstram abweichende Meinung verharmlost die wahren Rechtsextremen, die allerdings - auch das gehört zur Wahrheit - ebenfalls auf der Demo vertreten waren. Der rechtsextreme und antisemitische „Volkslehrer“ Nehrling war bspw. genauso dabei wie Erdogon-Fanboy Lejeune, um nur einige zu nennen.

Ich habe bis heute keine klare Meinung zum neuartigen Corona-Virus und mehr Fragen als Antworten, obwohl ich in doppelter Hinsicht betroffen bin: als Fotograf habe ich aufgrund der Maßnahmen Aufträge im fünfstelligen Bereich verloren, da Events, Sportveranstaltungen und Konzerte binnen weniger Tage abgesagt wurden. Zudem liege ich aktuell wegen eines überstandenen Herzstillstandes im Krankenhaus, mein Immunsystem ist durch die Antibiotika platt, und ich gehöre aktuell zur Risikogruppe. Hier im Krankenhaus sind viele Intensivbetten leer, allerdings gab es hier drei COVID-19-Fälle (alle unter 50), wobei zwei davon schwere Verläufe aufwiesen. Ein 36-Jähriger wird vermutlich nie wieder komplett gesund, seine Lungenleistung wird vermutlich nie wieder normal werden. Dass ich keine eindeutige Meinung habe, liegt vor allem daran, dass das Thema sehr komplex und facettenreich ist und zudem aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und bewertet werden kann: ein Partner einer Risikopatientin wird die Lage anders beurteilen als ein Selbständiger, der gerade vor dem Scherbenhaufen seiner mühsam aufgebauten Existenz steht.

Auch ich hatte vor allem zu Beginn des weltweiten Ausbruchs Angst vor dem Virus und habe mich mit Einweghandschuhen, Desinfektionsmitteln und Masken eingedeckt. Massenweise Klopapier haben uns meine besorgten Eltern vorbeigebracht. Ich habe sogar Bekannte, die sich vermutlich noch Jahrzehnte von ihrem Vorrat an Nudeln und Reis ernähren können, den sie im Frühjahr gehamstert haben. Freunde in Spanien und Norditalien traf es noch härter: dort herrschte über Wochen eine strikte Ausgangssperre, die den Menschen dort ungleich mehr abverlangte als uns. Vorbereitet auf das Schlimmste, trat in den Wochen und Monaten nach März ein Gefühl ein, das ich als Kind von Silvesterraketen kannte, die man an der Zündschnur anzündete, die dann aber einfach nicht in die Luft fliegen wollten: der große „Knall“, den ich erwartet hatte, blieb - zum Glück - aus. Zumindest in Deutschland. Lag das jetzt an den Maßnahmen oder daran, dass SARS-CoV-2 doch nicht so schlimm ist? Ich weiß es nicht.

Ich hinterfrage alles stets kritisch und werde erst recht skeptisch, wenn mir Dinge als einzige und absolute Wahrheit verkauft werden. So bleiben auch bei Corona viele Fragen, auf die ich eine Antwort suche: warum werden die Menschen in Berlin als verantwortungslose Idioten hingestellt, die uns alle ins Verderben stürzen, während die Black Lives Matter-Demos diesbezüglich scheinbar kein Problem waren? Wie sieht es mit den Corona-Infizierten bei Tönnies aus? Wie viele davon hatten wirklich schwere Verläufe? Warum erfährt man jetzt, wo die nächsten Säue medial durchs Dorf getrieben werden, davon gar nichts mehr? Wenn es eine Pandemie gibt, die diese massiven Einschnitte rechtfertigt, warum liegt dann die Sterberate immer noch im normalen Bereich? Viele Medien begründen das gern mit der angeblich vorbildlichen Handlungsweise der Regierung. Doch ging der R-Wert nicht bereits vor dem Lockdown zurück? Die drastischen Maßnahmen wurden anfangs mit dem Ziel begründet, die Kurve abflachen zu wollen („flat the curve“), um keinen Engpass bei den Intensivbetten zu bekommen. Für mich war dies absolut nachvollziehbar, auch weil uns damals die Horrorbilder aus Italien und Spanien erreichten. Doch ist es nicht aktuell so, dass Tausende Intensivbetten in Deutschland leer stehen? Warum gab es keine Horrorbilder aus Schweden, wo auf die Krise wesentlich liberaler reagiert wurde? Sind die Toten wirklich an oder mit Corona gestorben? Was ist mit den Schäden, die durch die Maßnahmen entstehen: verschobene OPs und Untersuchungen, Depressionen, Suizide, persönliche Existenzen, Ehekrisen? Was macht all das mit den Kindern? Gibt es ein Gremium, das diese Schäden zusammenträgt und in ein Verhältnis setzt? Wenn nein, warum nicht? Warum hat man nicht anfangs eine Art Task-Force gegründet, in der Experten aus allen Fachbereichen sitzen und nach einem gemeinsamen Weg suchen? Warum hat man immer nur die gleichen Virologen gehört und gesehen? Wie lange wird man all die Maßnahmen noch durchziehen? Bis es einen Impfstoff gibt, was noch Jahre dauern kann? Viele Kulturschaffende, Selbständige, Kleinunternehmer und die Gastro-Branche stehen doch schon jetzt vor den Scherben ihrer Existenzen. Altmaiers Satz aus dem März, kein Arbeitsplatz ginge aufgrund von Corona verloren, wirkt mittlerweile wie Hohn. Ich finde es einerseits gut, dass unser Staat Betrieben und Unternehmern finanziell hilft. Andererseits ist ein Staat nichts Anderes als eine Umverteilungs-Maschinerie: er wird sich das Geld langfristig in Form von Steuern zurückholen. Außerdem kann man künftig jede Steuererhöhung, jede Misswirtschaft und jedes geschlossene städtische Schwimmbad auf die teuren Corona-Maßnahmen schieben und entsprechend rechtfertigen. Von dem Brüsseler Corona-Hilfspaket, das uns Milliarden kosten wird und eine Schulden-Union nach sich zieht, die es eigentlich nie geben sollte, ganz zu schweigen.

All diese Fragen und Benennungen von Problemen müssen erlaubt sein, sie drängen sich geradezu auf. Und ja, auch ich bin mir unsicher und hänge an den Lippen der Virologen. Das Problem ist jedoch: der eine sagt dies, der andere das. Man hat den Eindruck, es gehe um einen Wettkampf der Eitelkeiten von Leuten, die finanziell gar nicht von den Maßnahmen betroffen sind. Die Regierung hört dabei vor allem auf die Experten des Robert-Koch-Instituts und der Berliner Charite. Diese Meinung ist mir aber zu alternativlos. Wer hat diese Experten bestimmt? Warum gerade sie? De facto legen sie ohne politisches Mandat und Wähleraufttrag massive Grundrechtsbeschränkungen fest.

Ich habe Sorge um unsere freiheitliche und offene Gesellschaft. Kinos, Theater, Bars, Wellness-Oasen, Feste und Konzerte mögen nicht überlebensnotwendig sein, machen aber einen beträchtlichen Teil unserer Kultur und Lebensqualität aus. Wie viel davon wird es in der „Nach-Corona-Ära“ noch geben? Ich habe Angst, dass wir für ein bisschen mehr Sicherheit unseren Lebensstil und unsere Gesellschaftsordnung zerstören. Die Zahl der „Verweigerer“ und damit der Spaltung dürfte zudem von Woche zu Woche zunehmen - besonders dann, wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen nicht mehr zu übersehen sind und es an den eigenen Geldbeutel geht. Ich ärgere mich daher, wenn sich Politiker in ihrem Maßnahmen-Wettkampf versuchen, gegenseitig zu überbieten, nur weil dies scheinbar bessere Umfrageergebnisse bringt. Das Ergebnis sind dann Maßnahmen, die auch aus virologischer Sicht vollkommen sinnlos sind, wie bspw. das Verbot in Bayern vom April, ein Buch auf einer Parkbank zu lesen oder den Platzverweis, den eine Mutter in Berlin bekam, weil sie mit ihrem Kind im Park auf einer Decke saß, oder den verweigerten Besuch der sterbenden Oma im Pflegeheim. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die Beerdigung des kriminellen Clan-Mitglieds mit hunderten Teilnehmern darf selbstverständlich trotzdem stattfinden, da traut sich die Polizei nicht ran, man muss schließlich kultursensibel bleiben. Für einige muss sogar China als Vorbild in Sachen Virus-Bekämpfug herhalten. Dass das Land eine kommunistische Diktatur ist, in der Andersdenkende weggesperrt werden, scheint dabei nicht zu stören.

Die Krise zeigt allerdings auch, was wir der Natur und Tierwelt in den letzten Jahrzehnten durch rücksichtslose Profitgier und Spaß um jeden Preis angetan haben. Die Natur hat sich stellenweise ein bisschen erholt, weil die Menschen einen Gang runter geschaltet haben. Wir müssen uns die Frage stellen, ob höher, schneller, besser und weiter nicht irgendwann unseren Planeten komplett zerstört. Die Zeit zum Innehalten und um diesbezüglich Dinge zu verändern wäre genau jetzt.

Was die aktuelle Debatte angeht, so habe nicht so viel Angst vor ein paar Idioten mit der Reichskriegsflagge wie vor der Abwesenheit einer gesunden Streitkultur, in der jeder Mensch seine Meinung im Rahmen der Gesetze sagen kann. Die vermeintlich „Guten“, die auf jede berechtigte Kritik mit Moralisieren und Keulen reagieren, schaden der Demokratie dabei genauso wie Demagogen und Verschwörungstheoretiker. Hat das Moralisieren während der Flüchtlingskrise das rechte Lager geschwächt? Das Gegenteil war der Fall.

Ich wünsche mir, wir würden mehr miteinander reden und uns gegenseitig zuhören. Ich wünsche mir, es gäbe mehr sachliche Auseinandersetzung statt Ideologie, Schreierei und Rechthaberei. Und ja, ich wünsche mir auch eine nachhaltigere Lebensweise und mehr Rücksicht auf die Natur. Die Zeit, all das umzusetzen, wäre genau jetzt. Dann hätte selbst diese Krise, die hoffentlich bald vorbei ist, etwas Positives gebracht.

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