Heute habe ich meinen neuen BMW beim Händler abgeholt. Nachdem ich ein Foto davon auf meinem Facebook-Profil gepostet habe, kamen neben zahlreichen positiven Kommentaren auch Kommentare, warum ich mir denn kein E-Auto gekauft habe. Schon entbrannte unter dem Beitrag eine Diskussion zum Thema Elektromobilität und Energiewende. Interessant ist, dass es diese Diskussion noch vor etwa zehn, 15 Jahren so nicht gegeben hat - jedenfalls nicht nach dem Kauf eines Autos.
Dabei ist es ein Beispiel von vielen, denn mittlerweile ist fast alles politisiert: das Impfen (ja oder nein), das Essen (Veggie ja oder nein), die Wahl des Autos (E-Auto oder Diesel), die Wahl des Getränkes (was? Du trinkst jetzt schon Wein?), das Rauchen sowieso, die Witze von Thomas Gottschalk, der Name des Weihnachtsmarktes, die Werbung, der Wetterbericht, die Sprache des Lieblings-Podcasts, das Sitzen als Mann im Zugabteil ("Das ist doch Manspreading!"), und selbst der Gang aufs Klo ist spätestens politisch, seit es Gendertoiletten gibt. Man muss eine Haltung haben: zu sämtlichen internationalen Konflikten, zum Klima, zur Asylpolitik usw. Grautöne, Differenzierungen oder ein schlichtes "Weiß nicht" sind out. Hast du ausnahmsweise mal keine Meinung zu irgendeinem Thema, machst du dich verdächtig. Politisch Andersdenkende sind Feinde.
Damit nehmen sich übrigens beide politische Lager nichts, denn die Welt retten wollen eh alle. Mindestens. Die Mechanismen des Ausgrenzens Anderer sind überall dieselben, lediglich die Vorzeichen unterscheiden sich. So bilden sich Echokammern, während sich z.B. auf X oder in den Kommentarspalten von Facebook beide Lager bekriegen. Postete man früher das Foto der Fernreise oder das leckere Abendessen, wird jetzt gestritten, dass der Entfreundungs-Button qualmt. Die sozialen Medien sind spätestens seit der Flüchtlingskrise von 2015 das, was die Billig-Talkshows der Privatsender Ende der 90er-Jahre waren - nur mit dem Unterschied, dass Hans Meiser und Ilona Christen tot sind und jetzt jeder der Protagonist sein kann. Es ist ermüdend, nervt und ist ein Grund, warum ich phasenweise gar nichts mehr Politisches poste.
Wir haben leider in unserem Land kein gesamtdeutsches Lagerfeuer mehr, keine integrativen Figuren. "Wetten, dass..?" und Helmut Schmidt sind ebenfalls tot. Viele der heutigen Politiker holen die Menschen nicht mehr ab und leben in ihrer eigenen Parallelgesellschaft. Die politische Aufladung sämtlicher Lebensbereiche polarisiert die Gesellschaft ungemein und führt zu einem Vertrauensverlust. Das ist insofern fatal, als dass Vertrauen das Bindemittel einer Gesellschaft ist.
Um diesen Kommentar positiv abzuschließen: Hoffnung macht, dass es mittlerweile vielen Menschen so geht wie mir und viele einfach das Normale wollen. Ich mach bei alldem jedenfalls nicht mit, trinke ein Glas Wein vor dem Kaminofen und freue mich derweil über das neue Auto und andere banale Dinge des Lebens - ganz ohne Politik.