Mittwochabend, 23.42 Uhr bei Markus Lanz im ZDF: Sabatina James erzählt von ihrem Leben in einer muslimischen Familie, wie sie Morddrohungen bekam, nachdem sie von ihren Eltern geflüchtet ist, die sie mit ihrem Cousin verheiraten wollten. Sie konvertierte zum Christentum, lebt seitdem an einem geheimen Ort, Bodyguards schützen sie rund um die Uhr.
Neben ihr saß ein älterer Herr, fiel ihr ständig ins Wort und sagte, das habe alles nichts mit dem Islam zu tun. Sabatina solle gefälligst differenzieren. Der Mann mit dem grauen Schnurrbart müsste es eigentlich besser wissen: Es ist Ulrich Kienzle, langjähriger ARD-Korrespondent für die Arabische Welt. Sabatina James ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und erzählte von Frauen, von denen einerseits Integration gefordert wird, die dann aber von unserer Gesellschaft im Stich gelassen werden, wenn sie sich von der Parallelgesellschaft unter Androhung von Gewalt emanzipieren wollten. Die meisten schafften es eh nicht. So auch Hatun Sürücü, die vor genau elf Jahren von ihrem Bruder ermordert wurde. Kein Kuschelthema, weshalb auch Weichspül-Moderator Lanz sichtlich um Relativierung bemüht war. Er schien fast dankbar, als er irgendwann einen Schnitt machen und sich dem Sänger Max Mutzke widmen konnte.
Wenn es um das Thema Islam geht, scheint es stets wichtiger zu sein, einen Generalverdacht zu vermeiden als sich denen zu widmen, um die es eigentlich geht: um die Opfer. Na klar, darf es niemals einen Generalverdacht oder eine Pauschalisierung geben. Würden wir aber soviel über den Islam reden, wenn er eine friedliche, tolerante und weltoffene Religion wäre? Eher wird den Kritikern mangelnde Toleranz und Weltoffenheit vorgeworfen statt den konservativen Muslimen, die ihren Töchtern ab der vierten Klasse ein Kopftuch aufziehen und sie nicht zum Schwimmunterricht oder auf Klassenfahrt lassen.
Deutschland tut sich mit Islamkritik nach wie vor schwer. Es darf nicht sein, was nicht sein darf. Ähnliches konnte man nach den Verbrechen der Silvesternacht beobachten, wo die Vertreter der politischen Korrektheit erst versuchten, die Vorfälle zu vertuschen, dann die Herkunft der Täter zu verschleiern und dann unsägliche Vergleiche mit dem Münchner Oktoberfest anstellten, auf dem ja – Achtung, Ironie – bekanntlich jedes Jahr im Herbst Heerscharen von Männern Frauen begrabschen und vergewaltigen. Das wahre Problem – das patriarchale Weltbild, das in der Kultur und im Islam seinen Ursprung hat – wird bewusst übersehen.
Bleiben wir beim Beispiel Lanz: Ulrich Kienzle zeigte ein fast anmaßendes, kolonialistisches Denken, als er Sabatina James zurechtwies. Er, ein Deutscher, will einer Ex-Muslima, die jahrelang in einer streng religiösen Familie gelebt hat, erzählen, wie die Welt funktioniert. Menschen wie Kienzle (man könnte jetzt auch Jürgen Todenhöfer nennen) sind ein Schlag ins Gesicht aller unterdrückten Frauen und Frauenbewegungen in der islamischen Welt. Es ist ihnen wichtiger, dass ihr eigenes Weltbild nicht ins Wanken gerät. Dafür sind sie sich für keine Lüge, Relativierung und Tatsachenverdrehung zu schade. Sabatina James spielte Islamverharmloser Kienzle mit dem Argument an die Wand, dass 56 islamische Staaten in ihrer „Menschenrechtserklärung“ proklamieren, dass Nicht-Muslime und Frauen rechtlich nicht gleich gestellt werden dürften. Lanz versuchte darauf, in alter Wohlfühl-„Wetten, dass..?“-Manier abzulenken: Es sei ja so schwer mit der Wahrheit im Moment, und jeder könne sich ja seine eigene Wahrheit so leicht zusammenbasteln. „Die Menschenrechtserklärung kann jeder googeln“, entgegnete Sabatina.
„Die, von denen Sie reden, sind keine Religiösen. Das sind Fehlgeleitete, Wahnsinnige und Fanatiker. Wir haben mit der Integration in der Regel gute Erfahrungen gemacht. Mit Religion hat das alles nichts zu tun“, sagte Lanz. Aha, entscheidet jetzt also Markus Lanz, wer rechtgeleitet ist und wer nicht, und wer religiös ist und wer nicht? Und war er überhaupt schon mal in einer deutschen Parallelgesellschaft? Die Islamkritikerin widersprach dem Moderator: Die Begründer der großen islamischen Rechtsschulen, viele Islamgelehrte und nicht zuletzt der Koran selber legitimierten Gewalt. „Ich kritisere nur, dass diese Dinge heute noch gelebt, geglaubt und nicht bekämpft werden“, sagte Sabatina.
Jetzt kam eine Stelle in der Sendung, welche die ganze Verlogenheit der Debatte offenbarte: Kienzle schaltete sich noch einmal ein und bat darum, auch in Bezug auf die Rechtsschulen zu differenzieren: „Die vier Rechtsschulen verurteilen Leute wie Sie (Sabatine James) zum Tode. Es gibt aber eine Ausnahme: Nach der hanbalitischen Rechtsschule kommen Frauen wie Sie nur lebenslang ins Gefängnis.“ Das sei aber eine wunderbare Nachricht, sagte Sabatina ironisch. „Ja, das ist schön“, sagte Kienzle. Moderator Lanz sah das scheinbar genauso: "Lasst uns über die schönen Dinge reden." Alles wird gut. Nächstes Thema.
Markus Hibbeler www.markusphoto.de