Rechtsbrüche sind zu sanktionieren. Hierzu definiert das deutsche Strafrecht je nach Delikt ein Strafmaß. Strafrechtlich relevantes Verhalten wird mit einer konkreten Strafe belegt. Das ist korrekt und im Sinne einer funktionierenden Gesellschaft angemessen. Recht und Ordnung wird so hergestellt. Die „gesellschaftlichen Spielregeln“ sind definiert, konstituiert und für jeden Bürger in Deutschland verlässlich anwendbar.
Dennoch gibt es eine Ausnahme: Fehlverhalten im Straßenverkehr. Des Deutschen liebstes Kind ist das Auto. Es garantiert Mobilität und Freiheit. Wer regelmäßig mit überhöhter Geschwindigkeit auffällig wird oder wegen Trunkenheit oder Drogenkonsum polizeilich erfasst wird, für den gelten andere Maßstäbe!
Es droht nicht nur der Entzug der Fahrerlaubnis. Hinzu kommt eine Fahrsperre, ein Strafbefehl oder gar ein strafrechtliches Urteil. Gesundheitliche und psychologische Untersuchungen mit entsprechend vorgesehenen Kursen folgen. Darüber hinaus werden Abstinenzprogramme (in Bezug auf Alkohol und/oder Drogen) gefordert.
Betroffene schilden die Durchführung dieser Programme als demütigend und schikanös. Am Ende schließt das Verfahren häufig mit einer „Medizinisch-Psychologischen Untersuchung“ (MPU) ab. Diese wird im Volksmund auch als „Idiotentest“ bezeichnet. Ein solches Verfahren lässt sich in der Regel nicht unter einem Zeitaufwand von 10 Monaten beenden. Hinzu kommen Kosten, die 5.000 Euro locker übersteigen. Die davon Betroffenen werden resümierend mehrfach bestraft.
Klar ist, wer sich strafrechtlich relevant im Straßenverkehr verhält, ist zu bestrafen. Es handelt sich um kein Kavaliersdelikt. Solche im Verkehr auffällige Personen stellen eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Die Frage, ob ein solches Verfahren, das höchst subjektiven Beurteilungen unterliegt (z. B. die Durchführung der MPU), demokratisch und rechtsstaatlich legitimiert ist, sollte gesellschaftlich aufgeworfen werden.
Ferner wirft das Verfahren zur „Wiedererlangung der Fahrerlaubnis“ einen faden Beigeschmack auf. Für die mit der Beurteilung der Fahrtauglichkeit beauftragten Einrichtung bedeutet das Verfahren ein finanzielles Geschäftsmodell, mit dem sich tatsächlich Geld verdienen lässt. So bieten diese an:
Vorbereitungskurse zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis
Abstinenzprogramme (Alkohol und Drogen)
Vorbereitungskurse auf die MPU
Kurse nach einer nur teilweise erfolgreich abgeschlossenen MPU
psychologische Betreuung
Durchführung der MPU selbst
Betriebswirtschaftlich argumentiert, könnten die Beurteilungseinrichtungen kein großes Interesse daran haben, Delinquenten im „ersten Anlauf“ bestehen zu lassen. Ökonomisch sinnvoller wäre es mutmaßlich u. a. aus Sicht des TÜV oder der DEKRA, Betroffene möglichst viele Angebote nutzen zu lassen. Kaum jemand besteht zudem den „Idiotentest“ beim ersten Mal, so schildern es MPU-Teilnehmer.
Dieses Verfahren stellt nunmehr ein Politikum dar. Diesem hat sich die Wählervereinigung „Bürger in Wut“ (BIW) in Bremen angenommen und hat im Rahmen einer Fragestunde der dortigen Stadtbürgerschaft detaillierte Informationen in Hinblick auf das Verfahren zur Wiedererlangung des Führerscheins erfragt.
Die Bremer Ergebnisse können eine politische Initialzündung darstellen, auch in anderen Kommunen, Städten und Bundesländern derartige Informationen einzuholen, um folglich Konsequenzen für das Verfahren selbst politisch zu fordern.
Die Anfrage des Bremer Bürgerschaftsabgeordneten der „BIW“, Peter Beck, richtete sich zunächst nach der Anzahl der MPUs im Zeitraum zwischen dem 01. Januar 2020 und dem 15. Februar 2022. In Bremen konnte die zuständige Behörde für das Jahr 2020 nachstehende Fallzahlen ermitteln:
410 MPUs bzgl. Alkoholauffälligkeiten
304 MPUs bzgl. Drogenauffälligkeiten
208 MPUs bzgl. Verkehrsrechtlicher Auffälligkeiten (z. B. Geschwindigkeitsübertretungen)
86 MPUs bzgl. strafrechtlicher Verfehlungen
70 MPUs aus sonstigen Gründen.
Insgesamt wurden im zu betrachtenden Zeitraum bis zum Februar 2022 in der Stadt Bremen 2.312 Medizinisch-Psychologische Untersuchungen behördlich angeordnet.
Über die in der Stadt Bremen vorhandenen drei Begutachtungsstellen konnte die Bremer Fahrerlaubnisbehörde prozentual darstellen, welche Verkehrssünder die MPU beim ersten Mal bestanden haben:
Grund der MPU prima-mpu GmbH TÜV Nord Mobilität GmbH & Co. KG DEKRA e. V. Dresden
Alkohol ca. 40 ca. 52 ca. 44
Drogen ca. 34 ca. 62 ca. 58
Verkehrsrechtliche Auffälligkeiten ca. 29 ca. 71 ca. 54
Strafrechtliche Verfehlungen ca. 22 ca. 63 ca. 63
sonstige Gründe ca. 75 ca. 79 ca. 73
(Quelle: eigene - bitte zahlen selbst zuordnen bzw. Text im Blog öffnen)
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass es für von einer MPU Betroffene mit einem alkoholbedingten Führerscheinentzug in etwa 60 Prozent der Fälle nicht möglich ist, die erste MPU zu bestehen. Bei drogenauffälligen Verkehrsteilnehmern sind es sogar noch mehr MPU-Teilnehmer, die ein zweites Mal antreten müssen.
Aus der Datenerhebung ergeben sich die Fragen, weshalb dieser hohe Prozentwert sich so in der Praxis herausstellt? Welche Motivation besteht möglicherweise, die Fahrtauglichkeit bei der ersten MPU zu versagen?
Liegt es an den Verkehrssündern selbst, der Vorbereitung auf den Kurs oder an der Durchführung der MPU mit lediglich einem für die Begutachtung der Fahrtauglichkeit zuständigen Verkehrspsychologen?
Die Ergebnisse der Bremer parlamentarischen Initiative zeigen, dass sich noch weitergehende Fragestellungen ergeben. Das MPU-Verfahren selbst gehört grundlegend auf den Prüfstand.
Allein die Tatsache, dass bei der Begutachtung kein Rechtsbeistand zugelassen ist, der das wichtige verkehrspsychologische Gespräch bezeugen kann, um ggf. bisher nicht vorgesehene Rechtsmittel einlegen zu können, lässt das MPU-Verfahren demokratisch und damit rechtsstaatlich überaus fragwürdig erscheinen.
Der „Idiotentest“ ist in seiner Beurteilung und mit Blick auf die Beantwortung der Frage, ob die Fahrtauglichkeit attestiert werden kann, über alle Maßen subjektiv. Ein solches Verfahren ist in Deutschland einmalig und gehört politisch auf die Tagesordnung.
Spannend bleibt, ob sich aus diesen Ergebnissen eine weitergehende politische Diskussion ergibt. Strafe muss sein, aber in einem rechtsstaatlich geordneten und mit der Möglichkeit von Rechtsmittel ausgestatteten Verfahren.
Die Diskussion über die Modifizierung des „Idiotentests“ ist mit der Anfrage der Bremer „Bürger in Wut“ politisch eröffnet.
Zuerst erschienen im Blaulichtblog.de