Das Friedensbüro Salzburg hat von 28.-30. November 2016 zu einer Tagung über Extremismus eingeladen. Zwar ist der Event bereits seit 2 Jahren in Vorbereitung, doch haben die jüngsten Entwicklungen in der Welt den Fokus auf die Thematik verstärkt. Kein Wunder also, dass etwa 500 Personen an der Konferenz teilnahmen. Zwar gab es auch einige Vorträge, doch der Schwerpunkt der Tagung lag auf Workshops und Diskussionsrunden in kleineren Gruppen. Sehr beeindruckt hat mich, wie viele Menschen in Österreich und Deutschland engagiert sind, um dem Extremismus den Nährboden zu nehmen und um Zuwanderer und Flüchtlinge zu integrieren. Das ist eine sehr wohltuende Alternative zum Geschrei nach Polizeigewalt, Kontrolle, Überwachung, schärferen Gesetzen und strengeren Strafen. Beispiel Reichsbürger: das neue Gesetz soll zwar mit guter Intention diese rechtsradikale Gefahr bannen, doch ist es in einer Art formuliert, die es wieder einmal auf zivilgesellschaftliche Protestgruppen anwendbar macht. Da liegt eine tiefe Botschaft verborgen, nämlich, dass ein autoritäreres System nicht nur nicht mehr Sicherheit bietet, sondern, im Gegenteil, uns unsere Freiheit nimmt.
Extremismus, ein Fall von pathologischer Psyche?
Zahlreiche Vorträge und Workshops behandelten die Frage, unter welchen Bedingungen vor allem junge Menschen anfällig für extremistische Ideologien sind. Da wurde z.B. davon berichtet, dass 5 Säulen die Persönlichkeit eines Menschen aufrecht erhalten: Das subjektive Befinden bzw. die Leiblichkeit, das soziale Beziehungsgeflecht, der Erfolg durch Leistung, die Perspektive für die Zukunft und Werte bzw. Ideale und das Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Wenn einige dieser Säulen wegbrechen, so die These, bricht die ganze Welt dieses Menschen zusammen und er sucht sein Heil in der Geborgenheit von Sekten, fanatischen Religionsinterpretationen oder extremistischen Weltanschauungen. Es reicht jedenfalls nicht, meinten die Vortragenden, die extremistische Ideologie zu dekonstruieren, weil das Problem woanders liegt.
In Berlin gibt es z.B. die Möglichkeit für junge Männer, die in einer sogenannten „Ehrkultur“ aufwachsen, mit gespielten Konfliktszenen ihre althergebrachte, autoritär-patriarchale Sicht auf ihre Beziehungen aufzuweichen. Eine autoritäre Erziehung, wurde gesagt, fördert Gewalt und Lieblosigkeit, und führt zu einem Selbstwertgefühl, das nur im Wiederkäuen der Meinungen der Autoritäten Halt findet. Junge Männer aus einer „Ehrkultur“ können ihr Leben nicht selbst gestalten, können ihre Situation nicht hinterfragen und brechen aus dieser Zwangssituation oft nur aus, indem sie zu einer extremistischen Ideologie Zuflucht nehmen. Und die scharfe Geschlechtertrennung würde nur dazu führen, dass jeder Kontakt sexualisiert ist und dadurch eine zwischenmenschliche Normalität behindert.
Beeindruckend war die Diskussion mit einem Ehepaar, das aus der rechtsradikalen Neonaziszene in Deutschland ausgestiegen ist. Sie war in der „volkstreuen deutschen Jugend“, die 2009 wegen Wiederbetätigung verboten wurde, er nahm 9 Jahre lang an Gewaltaktionen der extremen Rechten Teil und verbrachte deshalb auch einige Zeit im Gefängnis. Beide versuchen seit 6 Jahren nun mit ihrer Organisation „Exit“ anderen Rechtsradikalen den Ausstieg zu erleichtern.
Ebenso beeindruckend der Film „Der rechte Rand“ von Ed Moschitz, der für seine Dreharbeiten von H.C. Strache angezeigt und der Anstiftung zur Wiederbetätigung bezichtigt wurde. Der Film porträtiert einen jungen Mann, der keine Arbeit findet, sich von dieser Gesellschaft abgelehnt fühlt und den Ausweg in rechtsradikalen Parolen und einem grenzenlosen „Ausländerhass“ sucht. Dabei ist er mit Attila, einem türkischstämmigen Nachbarburschen, gut befreundet, sieht diesen aber als die Ausnahme. Besonders absurd wird es, wenn er betont, dass es ohne Rechtsradikalismus in 20 Jahren keinen „reinrassigen Österreicher“ mehr geben würde, sich aber herausstellt, dass er selbst einen Serben zum Vater hat.
Widersprüchlichkeiten dieser Art seien typisch für extreme Ideologien, so die Schlussfolgerung. Die RechtspopulistInnen würden einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten und die schon vorhandene Emotionalisierung durch ihre Wutbotschaften anheizen, sodass die Menschen letztlich irrational reagieren.
Politische Ursachen
Dieser These der psychischen Pathologie als Ursache des Extremismus wurde von anderen Vortragenden eine politische Ursache gegenüber gestellt. Bisher sei man davon ausgegangen, dass Extremismus ein gesellschaftliches Randphänomen darstelle, das nur etwa 5 % der Bevölkerung erfasse. Doch in den letzten Jahren würde zunehmend die Mitte der Gesellschaft in den Extremismus abrutschen. Es komme zu einer Abgrenzung nach oben gegen das Establishment, die politische Elite, die konventionellen Medien, aber auch gleichzeitig zu einer Abgrenzung nach unten, gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft, den Geflüchteten, den Zuwanderern, den Minderheiten.
Dafür seien einmal sozio-ökonomische Ursachen verantwortlich zu machen. Privatisierung, Sozialabbau und Finanzkrise haben dazu geführt, dass immer breitere Kreise verarmen und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht. Mittlerweile gebe es eine Klasse der „working poor“, also Menschen, die zwar in einem Arbeitsverhältnis stehen, aber dennoch nicht genug Geld zum Leben haben. In Glasgow würden die Ärmsten bereits verhungern.
Dazu kommen politische Ursachen, ein Vertrauensverlust gegenüber der repräsentativen Demokratie. Das staatliche Handeln wird zunehmend auf Kosten der Profitsucht der multinationalen Konzerne, die dazu führt, die Welt und ihre Bevölkerung auszuquetschen, eingeschränkt. TTIP als Beispiel, wie die Wünsche der Konzerne direkt über die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Tiere gestellt werden. Zusätzlich seien die klassisch linken Parteien in die Mitte gerückt und hätten ihre Sozialforderungen vergessen, wie z.B. „New Labour“ unter Tony Blair in Großbritannien oder die Kommunistische Partei in Frankreich. Das entstehende Vakuum würden die rechtspopulistischen Parteien auffüllen.
Schließlich wurden noch sozio-kulturelle Ursachen genannt, die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung, insbesondere für die WirtschaftsverliererInnen aus der Mittelschicht. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung würde von der momentanen Wirtschaft profitieren, ein Großteil fühle sich marginalisiert, an den Rand gedrängt und ohnmächtig.
Der drohende Rechtsruck
Einer der OrganisatiorInnen der Konferenz, Hans Peter Graß, Geschäftsführer vom Friedensbüro Salzburg, zog einen Vergleich von heute zu den 1930er Jahren, dem Aufstieg des Nationalsozialismus. Zwar müsse man diese Vergleiche vorsichtig ziehen, doch ist es unsere Aufgabe, aus der Vergangenheit zu lernen. Der Salzburger Bürgermeister schloss seine Eröffnungsrede der Tagung mit den Worten, er habe eine echte Angst vor dem anstehenden Rechtsruck. Diese Angst überschattete den gesamten Event. Es wurde dazu aufgerufen, die Ideale der bürgerlichen Freiheiten und des demokratischen Rechtsstaates zu verteidigen, sei es auf der persönlichen Ebene, sei es politisch.
Ja, es gibt tatsächlich dramatische Krisen unseren Systems. Die Reichen werden reicher und immer mächtiger, die Armen ärmer und hilfloser, das Ungleichgewicht wächst. Es wird zunehmend schwerer, von unten Einfluss auf die Politik zu nehmen. „Die da oben“ entscheiden einfach über die Köpfe der Menschen hinweg, so z.B. indem sie die Tierindustrie fördern, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung – und nicht zuletzt auch die Vernunft – eine ganz andere Weichenstellung nahelegt. Die technischen Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle aller BürgerInnen steigen von Jahr zu Jahr, und es ist kein Mechanismus ersichtlich, der sich der Anwendung dieser Technologien in den Weg stellen könnte. Die Flüchtlingsströme und die mangelnde Integration lösen Spannungen aus, die einer Lösung harren. Dazu kommen Klimawandel, zunehmende Ressourcenverknappung und eine steigende Überbevölkerung auf der Erde, die die Wildtiere und die intakte Natur zunehmend verschwinden lässt.
Das ist ein komplexes Problem, das keine einfachen Lösungen hat. „Weiterwurschteln“ wie bisher, ist keine Option. Aber PopulistInnen zu folgen, die einfache Lösungen bieten, nach dem starken Mann zu rufen und den Klimawandel einfach zu leugnen, ist der falsche Weg. Was wir wirklich bräuchten wäre eine gestärkte Zivilgesellschaft, mehr Rechte für Bürgerpartizipation, mehr Möglichkeiten „von unten“ die Gesellschaft mitzugestalten, vielleicht auch eine Stärkung der Regierungen gegenüber der Großindustrie. Also sowohl das Gegenteil von TTIP, das die Regierungen den Konzernen ausliefert, als auch von einem autoritären Staat, der die Zivilgesellschaft zertrümmert, wie jetzt gerade in der Türkei. Wenn wir diese Hürde nicht überwinden, stehen uns schwere Zeiten bevor.