Martin Balluch
Letzte Woche noch saß ich um 22:30 Uhr bei Vollmond am Lagerfeuer vor unserem Zelt mitten in den Südkarpaten in Rumänien. Plötzlich schlägt mein Hundefreund Kuksi an. Immer wieder einmal hat er mit einem kurzen Gebell vor einer für mich unsichtbaren Gefahr gewarnt, doch diesmal ist es anders. Er ist sich ganz sicher. Es ist todernst. Er stampft mit seinen beiden Vorderbeinen auf und bellt und bellt. Ich richte den Strahl meiner Stirnlampe – auf Scheinwerfer verstärkt – in die Richtung seines Gebells und mache dunkle Schatten am 70 m entfernten Waldrand aus. Zwei Augenpaare leuchten gespenstisch in unsere Richtung. Wölfe!
Allein in dieser Woche in den Südkarpaten habe ich 4 Mal ihre Spuren gesehen. Ich bin jetzt schon insgesamt mehr als 3 Monate mit dem Zelt dort unterwegs gewesen, und da habe ich sie auch heulen gehört, einmal gleich 3 Rudel auf einmal. Und im Februar vor einigen Jahren sind wir 5 Tage lang den Spuren eines 13 köpfigen Rudels gefolgt. Wir konnten sehen wo sie geruht, wo sie gespielt und wo sie gegessen haben. Einmal des Nachts kamen sie auf 50 m an unser Zelt heran. Wir haben die Pfotenabdrücke am nächsten Tag im Schnee gesehen. Aber noch nie standen sie leibhaftig vor mir – bis letzte Woche!
Etwa zur selben Zeit, wie ich die Wölfe sah, hielt ein Bezirksjägermeister in Oberösterreich nach langjähriger Dienstzeit seine Abschiedsrede. Die Oberösterreichischen Nachrichten berichteten. Er meinte, man müsse das einzige momentan in ganz Österreich nachgewiesene Wolfspärchen möglichst bald abschießen, weil sonst eines Tages noch ein Kind gefressen werde. Ja, und den Luchs solle man ebenfalls wieder ausrotten, schließlich wäre Österreich ein Kulturland und man könne es nicht mehr zur Urlandschaft machen. Die Zuhörerschaft reagierte mit Standing Ovations, auch die Zeitung äußerte sich in ihrem Bericht nicht kritisch. Offensichtlich finden derlei Gedanken also Anklang in unserer Jägerschaft.
Und tatsächlich. Als 1978 der Ötscherbär ins Land wanderte und sich im niederösterreichisch-steirischen Grenzgebiet niederließ, wurden ihm einige weibliche Bären zugesellt. Bald war eine ansehnliche Population von 30 Bären bei uns entstanden. Und dann wurden sie abgeschossen. Einer nach dem anderen. Definitiv von den ansässigen JägerInnen. Zwei der Bären fand man später ausgestopft im Nachlass verstorbener Grünröcke. Wozu im Ausland tausende Euro für den Bärenabschuss zahlen, wenn man ihn gleich vor der Haustür kostenlos haben kann? Gesetze waren für die Jägerschaft noch nie ein Hindernis. So wurden die Luchse im Nationalpark Kalkalpen genauso abgeknallt, wie die geschützten Rohrweihen in Niederösterreich. Aber die Medien halten den JägerInnen noch immer die Stange und lauschen andächtig, wenn ein Bezirksjägermeister die Legalisierung dieser Ausrottungen fordert.
Keine Urlandschaft möglich in Österreich? Wölfe fressen Kinder? Warum lacht man nicht so völlig offensichtlich unsinnige Aussagen aus dem Saal? In den Südkarpaten gibt es etwa 1500 Wölfe. Ohne historische Unterbrechung, d.h. sie sind nie ausgerottet worden. Es gibt keinen einzigen verbürgten Fall eines Angriffs auf einen Menschen. Dabei haben die Südkarpaten in Rumänien etwa die Fläche der Alpen zwischen Wien und Osttirol. Die Bevölkerungsdichte dort ist gleich wie in Österreich. Sowohl die Forstwirtschaft mit ihren Kahlschlägen, als auch die Almwirtschaft mit ihren Schaf-, Kuh- und Pferdeweiden sind völlig mit Österreich vergleichbar. Die Südkarpaten sind keine Wildnis, sie sind Kulturland. Mit 1500 Wölfen auf einer Fläche von weniger als der Hälfte von Österreich.
Martin Balluch
Es gibt nur einen sehr großen Unterschied zwischen den österreichischen Alpen und den rumänischen Südkarpaten: die Jagd. Ich habe nach insgesamt 3 Monaten Wanderung in den Südkarpaten noch nie auch nur eine einzige Fütterung gesehen. Die Paarhuferdichte ist ökologisch verträglich, es gibt keine Waldschäden. Die Jagd auf Großraubtiere ist verboten. JägerInnen können dort keine Reviere pachten, sondern nur Lizenzen für den Abschuss einzelner Tiere erwerben. Ganz anders in Österreich. Hier wird das gesamte Land in Jagdreviere aufgeteilt und zwangsverpachtet, d.h. GrundbesitzerInnen sind gesetzlich gezwungen, RevierjägerInnen auf ihrem Land zu dulden. Überall wird gefüttert auf Teufel komm raus. Die Paarhuferpopulationsdichte ist die höchste Europas, der Waldschaden durch Wildverbiss ebenfalls, im Burgenland z.B. liegt er bei 88 % des Waldes. Und Österreich ist das einzige Land Mitteleuropas ohne eigene Wolfspopulation. Und solange das so bleibt, werde ich weiterhin Jahr für Jahr die 700 km in die Südkarpaten pilgern müssen. Weil, ohne Wolf fühlt sich ein Wald nur wie Staffage an.
Martin Balluch