Mitgefühl mit Tieren ist nicht unmittelbar mit einer parteipolitischen Ideologie verbunden. Im EU-Parlament, aber auch z.B. im Parlament in Großbritannien, gibt es eine überparteiliche Intergroup von Abgeordneten, die sich zum Tierschutz bekennen. Sie umfasst 110 Personen, die sich, untereinander abgesprochen, jeweils in ihren Parteien für Fortschritte im Tierschutz einsetzen. In Österreich gilt diese Feststellung der Überparteilichkeit von Tierschutzüberzeugungen nur in kleinerem Rahmen. So ist die ÖVP in Geiselhaft der Agrarlobby und deshalb grundsätzlich als Partei nicht in der Lage, tierschutzfreundlich zu agieren, wenn auch einzelne FunktionärInnen der ÖVP durchaus tierschutzaffin wären. So wurde ich von einigen IdealistInnen auf die ÖVP-Akademie eingeladen, um dort über Tierschutz zu referieren, woraufhin diese OrganisatorInnen mit größten Schwierigkeiten innerhalb der Partei konfrontiert wurden. Ähnlich bei einer Veranstaltung über Tierschutz zusammen mit der Jungen ÖVP in der Steiermark. Parteilinie ist offenbar, am Tierschutz nicht anzustreifen.
Die Grünen dagegen sind von ihrer ideologischen Herkunft her dem Tierschutz gegenüber positiv eingestellt, wenn sich das auch offenbar nicht zu allen Abgeordneten und FunktionärInnen durchgesprochen hat. Doch es ist leicht, in der Opposition dies und das zu fordern, Farbe bekennen muss man erst, wenn man Regierungsverantwortung übernimmt. Und die Grünen in den Landesregierungen waren kein Ruhmesblatt in Sachen Tierschutz, muss ich leider sagen. Da gibt es offenbar sehr viel Einfluss der Wirtschaft, der die Politik bestimmt, ganz unabhängig von der politischen Farbe der Regierung.
Nach 3 Jahrzehnten politischer Tierschutzarbeit für eine Verbesserung der Gesetzgebung, muss ich leider konstatieren, dass von einer Regierung jedweder Richtung von sich aus keine Verbesserung im Tierschutz zu erwarten ist. Jeder der großen Fortschritte im Tierschutz in den letzten Jahrzehnten, ob das Bundestierschutzgesetz, Tierschutz in die Verfassung, die Einführung von Tierschutzombudsschaften, das Pelzfarmverbot, das Wildtierverbot im Zirkus, das Menschenaffenversuchsverbot, das Legebatterieverbot, das Kaninchenkäfighaltungsverbot usw., wurden „von unten“ erkämpft, d.h. durch massiven öffentlichen Druck gegen den Willen der Mächtigen durchgesetzt. Im Gegenteil, lässt der Druck von unten nach, dann wird das Tierschutzgesetz sukzessive verschlechtert und auseinander genommen. So wurde eine Klausel eingeführt, die es allen LandwirtInnen erlaubt, die Vorschriften zum Tierschutz um 10 % zu unterbieten, also z.B. 10 % kürzere Anbindung oder 10 % weniger Platz. Das Tierschutzministerium versuchte noch einen Schritt weiter zu gehen, und um 50 % mehr Puten und um 30 % mehr Masthühner in denselben Tierfabrikshallen zu erlauben. Letzteres konnten wir, wieder nur durch öffentlichen Druck, zum Glück verhindern. Aber weder vom Tierschutzministerium, noch von irgendeiner Landesregierung, gibt es im Tierschutz von sich aus auch nur irgendeinen relevanten Fortschritt.
Beim Tierschutz ist diese Erkenntnis also zentral: vorwärts kommen wir nur durch Aktivismus, und nicht durch „richtiges“ Wahlverhalten. Aber da kommt eine weitere Erkenntnis dazu: Aktivismus ist nur in einem echten Rechtsstaat möglich, der unsere Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit schützt, der die Pressefreiheit in vollem Umfang gewährt, der keine Überwachung seiner BürgerInnen durchführt und insbesondere der nicht repressive Schritte setzt, wenn NGOs mit zivilem Ungehorsam agieren und das Gesetz übertreten. In meinem Buch „Widerstand in der Demokratie“ führe ich aus, dass es völlig unmöglich ist, öffentlichen Druck aufzubauen, ohne Gesetze zu übertreten. Das beginnt schon mit der Tatsache, dass Filmdokumentationen von Tierfabriken oder Tierversuchen niemals freiwillig von den Verantwortlichen zur Verfügung gestellt werden. Aber ohne solche Filme gibt es weder eine Faktenbasis für eine öffentliche Diskussion, noch ist es ausreichend möglich, das Mitgefühl der Menschen zu wecken, sodass sie sich für die Tiere einzusetzen bereit sind. Zusätzlich haben die Lobbygruppen der Tierindustrie einen direkten Zugang zur Politik und ein wesentlich höheres Werbebudget, die NGOs bleiben außen vor. Diese Waffenungleichheit auszugleichen ist nur mit Aktionismus im Rahmen des zivilen Ungehorsams möglich.
PolitikerInnen mit Regierungsverantwortung haben in den allermeisten Fällen keine ethische Motivation. Sie haben sich mit Ellbogentechnik nach oben durchgeboxt und tendieren dazu, Machtmenschen zu sein. Sie wollen einfach wiedergewählt werden. Dafür hören sie auf die Einflüsterungen der Wirtschaft. Die einzige Möglichkeit, einen Fortschritt im Tierschutz – oder allen anderen sozialen Fragen, wie Umweltschutz oder Minderheitenschutz – zu erreichen, ist also, der verantwortlichen Politik klar zu machen, dass sie mehr Gegenwind durch den Druck der Öffentlichkeit zu erwarten hat, wenn sie gegen den Tierschutz oder das soziale Anliegen entscheidet, als wenn sie dafür entscheidet. Wir müssen ein größeres Störpotential entwickeln, als die Tierindustrie. Mit fachlich brillanten Eingaben oder freundlichem Flugblattverteilen ist es da nicht getan, das hat kein Störpotential. Ich habe es sehr oft erlebt: die Fachargumente landen sofort im Mistkübel. Erst die laute, unangenehme Demonstration, das Aufdecken von Missständen, die Konfrontation bei öffentlichen Auftritten, bis zu Blockaden und Besetzungen führen dazu, dass die politisch Verantwortlichen zuzuhören bereit sind und sich an den Verhandlungstisch setzen.
Und dafür kommt wieder das Wahlverhalten ins Spiel. Wem der Fortschritt im Tierschutz wichtig ist, der oder die muss eine Regierung wählen, die uns diesen Freiraum für Aktivismus lässt. Eine Entwicklung zu Überwachungsstaat, Polizeistaat oder gar autoritärem Staat verhindert jede Verbesserung im Tierschutz auf absehbare Zeit. Der Rechtsruck ist also die allergrößte Gefahr für den Tierschutz, weniger weil rechte Parteien tendenziell weniger tierfreundlich sind, obwohl das so ist, sondern weil sie den einzigen Weg zu besseren Tierschutzstandards versperren, den es gibt: den politischen Aktivismus! Die kommende Bundespräsidentschaftswahl könnte eine Weichenstellung in dieser Richtung werden.