Sind TierschützerInnen Freiwild für die Jägerschaft?

Am 28. 11. 2015 ging ich den Zaun des Jagdgatters bei Hausbrunn in Niederösterreich entlang. Drinnen fand gerade eine Gatterjagd statt, man hörte Schüsse, bellende Hunde und grölende TreiberInnen. Eine Waldschneise ins Gatter hinein sah ich zwei Jäger auf einem Hochstand stehen. Einer hob plötzlich das Gewehr und schoss in meine Richtung, direkt auf mich zu. Ich habe davon ein Foto gemacht. Und dann Anzeige erstattet. War das ein Mordversuch? Oder zumindest eine gefährliche Drohung, ich solle dort nicht fotografieren? Nichts dergleichen, ist die Ansicht der Staatsanwaltschaft Korneuburg. Sie hat das Verfahren mir nichts Dir nichts eingestellt. Gerade eben.

So ist das also. Wenn ein Jäger mit dem Gewehr auf einen Tierschützer schießt, dann ist das kein Problem. Das kann er straffrei tun. Auch stoßen und drohen? Am 15. 12. 2015 näherten wir uns zu dritt dem Zaun des Jagdgatters von Mayr-Melnhof. Wieder lief drinnen eine Gatterjagd ab, wieder wollten wir von außen filmen. Am Zaun stand ein älterer, cholerischer Mann, der sofort in Rage geriet, eine Tierschützerin wegstieß und einem anderen drohte, er solle sofort verschwinden, sonst werde er ihm die Kamera zerschlagen. Dabei ging er bedrohlich auf den jungen Mann zu und hielt ihm den Finger direkt vor die Augen, bis dieser sich zurück zog. Ich rief damals unseren Rechtsanwalt an. Da steht so ein alter Mann vor dem Gatterzaun und bedroht uns mit Gewalt, sollten wir völlig legal von außerhalb des Zauns fotografieren, erzählte ich, was sollen wir tun? Keine Gewalt, war die Antwort, ausweichen, dokumentieren und anzeigen. Wir sollen dem Rechtsstaat vertrauen.

Jaja, der Rechtsstaat. Schmecks. Die Anzeige wurde von der Staatsanwaltschaft niedergelegt. Begründung: es habe sich lediglich um eine Unmutsäußerung und nicht um eine Drohung gehandelt. Ach so, eine Unmutsäußerung! Wie würde die Staatsanwaltschaft reagieren, wenn ich eine derartige „Unmutsäußerung“ gegenüber einem Jäger auf der Treibjagd äußern würde? Wenn ich ihn stoße und ihm drohe, wenn er nicht sofort abhaue und zu schießen aufhöre, dann werde ich sein Gewehr zerschlagen?

Dann, so können wir uns sicher sein, würde ich sofort verurteilt. Ohne mit der Wimper zu zucken. Von derselben Staatsanwaltschaft. Der Rechtsstaat wurde nicht entwickelt, um die Machtlosen vor den Mächtigen zu schützen. Der hat die umgekehrte Funktion. Der Rechtsstaat soll jene entfernen und aburteilen, die den üblichen Ablauf in der bürgerlichen Gesellschaft unterbrechen, die sogenannten „Störer“. Den alteingesessenen Mächtigen gegenüber dient der Rechtsstaat nur zum Erhalt der Macht, nicht für deren Einschränkung. Dazu müsste man ihn erst umfunktionieren, sozusagen anders anwenden, als er intendiert war.

Am 12. 12. 2015 ging ein Jagdhelfer bei Mensdorff-Pouilly in Luising im Südburgenland maskiert auf eine filmende Tierschützerin zu und goss ihr eine brennbare, ätzende Flüssigkeit über den Körper. Die Polizei nahm die Frau fest, nicht den Angreifer. Dem ist nichts geschehen, obwohl wir sogar seinen Namen und seine Adresse kennen. Am 13. 2. 2016 schlägt ein wildgewordener Jäger auf den Spiegel des Autos eines Anrainers vor dem Jagdgatter Mailberg in Niederösterreich und setzt sich auf die

Motorhaube. Der Mann fühlt sich bedroht, schließt sich im Auto ein und ruft die Polizei. Was passiert? Gar nichts. Er hat ja das Gatter fotografieren wollen, sich also wie ein Tierschützer benommen und die etablierte Elite herausgefordert. Aus und vorbei mit dem Rechtsschutz, dann wird man zum Freiwild.

Und schließlich nennt der Generalsekretär der Landesjagdverbände den VGT einen Lügner. Wir würden die Öffentlichkeit vorsätzlich in die Irre führen. Normalerweise, wenn das ein Tierschützer gegenüber einem Landesjagdverband sagt, eine verlorene Sache. Man müsste demjenigen, den man der Lüge bezichtigt, ja den Vorsatz, absichtlich die Unwahrheit zu sagen, nachweisen, also einen inneren Zustand. Nicht aber umgekehrt, wenn die etablierte Elite den Underdog, den Störer, als Lügner bezeichnet. Dann ist plötzlich alles erlaubt, dann brauchts keine Beweise mehr. Dann dürfe man so etwas laut Urteil des Gerichts nicht auf die Goldwaage legen, schließlich herrsche ja ein rauer Umgangston. Der herrscht nur in eine Richtung.

Nein, wenn Du den Status Quo in der Gesellschaft herausforderst, dann schützt Dich kein Rechtsstaat mehr. Das haben wir ja auch beim Tierschutzprozess gesehen. Wenn man Kritik am Establishment übt, dann ist man ein Störer, wenn das Establishment Dich daraufhin zerquetscht, dann ist das (für die bürgerlichen RichterInnen, die ja Teil des Establishments sind) nur eine zu verständliche „Unmutsäußerung“. Das ist regelmäßig die Erfahrung, die wir im Tierschutz machen.

Fotolia/© fritzmax

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