Im Mai 2016 übernahm Christian Kern eine marode SPÖ und hielt eine vielbeachtete Antrittsrede. Er geißelte darin nicht nur das »Schauspiel der Pflichtvergessenheit und Machtversessenheit«, das die Politik bietet, sondern sprach auch von der Einhaltung der Menschenrechte, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Wahrung von Menschenwürde für jeden einzelnen Österreicher.
Schnell stellte sich heraus, dass es für Trennungskinder, Trennungseltern und ganz besonders Trennungsväter aus der Sicht der SPÖ und des Herrn Kern mit dem Anspruch auf Menschenrechte, auf Menschenwürde und auf Gleichberechtigung nicht weit her ist. Ganz im Gegenteil! Das Recht von Kindern auf beide Eltern nach Trennung der Eltern ist zwar laut UN-Kinderrechtscharta ein internationales Menschenrecht, laut SPÖ (in Beantwortung eines Schreibens an Herrn Kern) aber eine »chauvinistische Forderung«.
Eine Reform des in seinem Wesen in den 60er-Jahren stecken gebliebenen Familienrechts kommt daher für die SPÖ auch nicht in frage.
Das Dogma: »Mama betreut, Papa bezahlt und darf die Kinder an zwei Wochenenden im Monat besuchen – wenn Mama es erlaubt« muss aufrecht erhalten bleiben! Es ist zwar menschenrechtswidrig, widerspricht dem Gedanken der Gleichberechtigung und steht im Widerspruch zu Europäischen Werten, aber das scheint in der SPÖ niemanden zu kümmern.
Auch dass dieses Modell teilweise tragische Folgen für alle Beteiligten nach sich zieht:
Die Kinder leiden am meisten, denn sie verlieren einen Elternteil – meist den Vater. Entwicklungsstörungen und psychische Erkrankungen treten bei Trennungskindern, die mit nur einem Elternteil aufwachsen wesentlich häufiger auf, als bei jenen, die gleichwertigen Kontakt zu beiden Eltern beibehalten.
Die kontaktberechtigten und geldunterhaltspflichtigen Elternteile – meist die Väter – leiden ebenfalls. Sie sind vom Recht auf Betreuung der gemeinsamen Kinder und vom Familienleben ausgeschlossen. Viele müssen um das Recht, die gemeinsamen Kinder überhaupt sehen zu dürfen, jahrelang vor Gericht kämpfen und etliche verlieren überhaupt jeden Kontakt.
Aber auch die hauptsächlich betreuenden Elternteile – meist Mütter – kommen zum Handkuss. Da sie über weit weniger Zeit verfügen, sind sie oft nicht in der Lage Vollzeitjobs anzunehmen, sind weniger flexibel und daher generell im Beruf benachteiligt. Die Folge: Dieses Betreuungsmodell ist nicht nur eine der Ursachen für den Gender-Pay-Gap, es ist auch mitverantwortlich für die erhöhte Gefahr von Altersarmut bei Frauen.
"Aber was solls", scheinen sich die Herrschaften an den verantwortlichen Stellen zu denken. "Gewählt wird in vier Jahren, die Folgen dieses Wahnsinns werden erst schlagend, wenn ich längst in Pension bin". Aber zu versuchen Rahmenbedingungen zu schaffen um die Erwerbs- und Betreuungsarbeit fairer zwischen Frauen und Männern aufzuteilen, Betreuungsmodelle zu forcieren, die nachweislich vorteilhaft für alle Beteiligten sind und damit den eigenen Ansprüchen folge zu leisten, kommt für die SPÖ offenbar nicht in frage.
Herr Kern vergaß auch in keinem Interview, in keinem Auftritt zu betonen, was er doch für ein glühender Europäer ist und sparte nie an harscher Kritik gegenüber europaskeptischen Politikern. Dass der Europarat jedoch bereits im Jahr 2015 einstimmig in seiner Resolution 2079 die gleichteilige und gleichberechtigte Elternschaft als anzustrebenden Standard für alle Mitgliedsstaaten beschloss, konnten Herr Kern und mit ihm die gesamte SPÖ geflissentlich ignorieren, sich aber weiterhin ungeniert als die heroischen Verteidiger der Europäischen Idee inszenieren …
Viele Österreicher – nicht nur Trennungseltern, sondern auch Menschen mit einem ausgeprägten Gefühl für Gleichberechtigung und Fairness – tun sich aufgrund dieser Doppelmoral, dieses Messens mit zweierlei Maß, mehr als schwer, die SPÖ zu wählen. Auch wenn sie sich eine Alternative links der Mitte wünschen, der sie ihre Stimme geben könnten.
Und heute, nach der ebenso kurzen wie pannenreichen Karriere des Herrn Kern habe ich ganz ein starkes Déjá-vu: Ein neues, frisches Gesicht an der Spitze der maroden SPÖ. Pamela Rendi-Wagner. Sie spricht in ihrer Antrittsrede von der Einhaltung der Menschenrechte und der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau …
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