Würde ich jetzt sagen Berlin sei eine schöne Stadt, würde ich lügen, denn Berlin ist nicht schön. Manche Teile Berlins sind sogar nahezu hässlich. Ich habe das Wochenende bei einem Freund in Schöneberg verbracht und hätte ich mich nicht schon im Vorhinein ein bisschen über Berlin informiert, hätte ich ein richtig altes Stadtzentrum, kleine Gassen in denen sich die Touristen am Wochenende gegenseitig auf die Füße treten, ja einfach diese friedliche Atmosphäre, die in so vielen anderen Städten herrscht, vermisst. Geht man am Potsdamer Platz spazieren, wird man nahezu überwältig vom Bahntower, dem Kallhofftower und dem Sony-Center, die allesamt ein wenig an ein kleines Bankenviertel erinnern.

Manche Orte in Berlin sehen sehr jung aus, fast so als hätten sie nichts “erlebt”, keine Geschichten zu erzählen – obwohl Berlin wahrscheinlich eine der interessantesten Geschichten ganz Europas erzählt. Ein sehr komisches, bedrängendes Gefühl, wenn man die Straße überquert, und einem plötzlich bewusst wird, dass das vor nicht allzu langer Zeit genau an diesem Ort den Menschen nicht möglich war. Ich habe schon über vieles nachgedacht, weil ich glaube, dass Nachdenken sehr wichtig ist um sich an bestimmten Dingen im Leben erfreuen zu können. Ich habe darüber nachgedacht, wie es wäre in einem Kriegsgebiet zu leben, wie es wäre, wenn bei uns in Österreich plötzlich Krieg herrschen würde und wir eine totalitäre Regierung hätten und viele politisch verfolgt werden würden. Ich habe darüber nachgedacht, wie es wäre, in einem Land zu leben, in dem Hungersnot herrscht und habe mich gefragt, ob ich da noch am Leben wäre.

Aber um ehrlich zu sein hatte ich zuvor noch nie darüber nachgedacht, was es bedeutet, nicht die Straße überqueren zu dürfen, mich in meiner Heimatstadt nicht frei von einem Ort zum anderen bewegen zu dürfen. Wenn man an Krieg und Diktaturen denkt, kommt vielen möglicherweise zuerst das Verbot der freien Meinungsäußerung in den Sinn. Was es bedeutet auch der anderen Komponente von Freiheit, sich von A nach B zu bewegen, beraubt zu werden, wusste ich erst, als ich am Ort des Geschehens stand. Wissen ist vielleicht das falsche Wort – ich begann darüber nachzudenken und konnte mir einige Dinge annähernd vorstellen.

Man könnte jetzt glauben, dass ich vielleicht noch nie etwas über die DDR oder die Berliner Mauer gehört habe, aber ich bin geschichtlich sehr interessiert. Deshalb habe ich mich auch so sehr über mich selber geärgert, dass ich trotz den unzähligen Geschichten die ich gehört, und der Dokumentationen die ich gesehen habe, nie so richtig begriffen habe, was es wirklich bedeutet “weggesperrt” zu sein. Es klingt absurd, dass es möglich war, nicht lange nach dem zweiten Weltkrieg eine Stadt in der Mitte zu teilen, eine Mauer zu errichten, Häuser an der östlichen Grenzzone einfach abzureißen oder Fenster zuzumauern, um die Menschen zum Ausziehen zu zwingen und Familien auseinander zu reißen. Aber es ist die Wahrheit. Das alles scheint noch tief in den Knochen Berlins zu stecken und es sollte auch auf keinen Fall vergessen werden.

Ich höre oft Dinge wie “Das ist doch arg, dass das erst 25 Jahre her ist, das kann ich mir gar nicht vorstellen.” Berlin ist frei. Seit 25 Jahren – zum Glück.  Doch genau heute werden in Russland Menschen verfolgt, weil sie homo- oder transsexuell sind. Heute werden in Syrien und im Irak Menschen brutal ermordet,weil sie sich der Terrormiliz Islamischer Staat nicht anschließen wollen und heute bekämpfen sich Israeli und Palästinenser. Heute werden Menschen getötet in Nordkorea, Russland, China, Algerien, Simbabwe und vielen anderen Ländern, weil sie für das selbe kämpfen, wie Deutschland vor 25 Jahren: Freiheit. 47 Länder dieser Welt gelten heute nicht als frei, es gibt keinen Anspruch auf politische Rechte und bürgerliche Freiheiten (vgl. Freedom House 2014: o. S.).

Der einzige Grund warum ich jetzt zu Hause vor meinem Laptop sitze, versuche, irgendwie die passenden Schlussworte für diesen Beitrag zu finden und mir eigentlich keine Sorgen ums tägliche Überleben machen muss (was ich übrigens sehr zu schätzen weiß), ist Glück. Ich hatte das Glück, in einem Land geboren worden zu sein, in dem kein Krieg herrscht, und das Glück in einer Familie zu leben, in der keine Gewalt existiert. Ich weiß, dass viele Millionen Menschen dieses Glück einfach nicht hatten. Zwar weiß ich, dass dieser Beitrag keinen Krieg beenden wird und ich keinem direkt Betroffenen damit helfen kann. Ich möchte damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass die Freiheit, derer wir uns jeden Tag erfreuen oder auch nicht (weil wir sie für selbstverständlich halten), für viele Menschen dieser Welt ein Verbot und kein Grundrecht darstellt und Ignoranz, Gleichgültigkeit, und Unverständnis die falschen Geisteshaltungen sind, die Probleme in der Welt zu betrachten.

Darkness cannot drive out darkness; only light can do that. Hate cannot drive out hate; only love can do that. – Martin Luther King, Jr.

Quelle: http://www.freedomhouse.org/report-types/freedom-world#.VFj7g7uhF2E

Bild: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Thefalloftheberlinwall1989.JPG

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Silvia Jelincic

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