Bis vor einigen Monaten habe ich in Moskau in der Ulitca „Ostozhenka“ gewohnt – der zehntteuersten Straße der Welt. Interessanter Weise kam es dazu, nachdem ich meinem Makler als Obergrenze für eine 2-Zimmer-Wohnung zunächst 50,000 russische Rubel genannt hatte, die wohl im Sinne einer strengen Gewerbeethik als Untergrenze interpretiert wurden.
Jene 90,000 Rubel die meine damalige Vermieterin ihrer Immobilienvermittlerin im Vorfeld genannt hatte, wurden ganz offensichtlich als Obergrenze interpretiert. Nachdem alle Preise bei der Wohnungsbesichtigung ausgesprochen waren, alle notwendigen Regungen und Blicke zwischen unseren beiden überraschten Gesichter und den beiden sich keiner Schuld bewussten Maklern ausgetauscht waren, einigten wir uns auf 60,000 Rüben pro Monat, also damals immerhin stolze 1400€ für 53m2...
Stalin hatte im Universitätsgebäude nebenan studiert, einige Häuser weiter hatte Bulgakov sein von vielen Russen geheiligtes Buch „Master uns Margarita“ verfasst und ganz unten, unweit der imposanten Erlöserkathedrale hatte ein Architekt vor über hundert Jahren einem damals unter seiner Ägide erbauten Wohnhaus ein Türmchen mit der Form eines umgedrehten Wodkagläschens erdacht - aus Dank „trocken“ geworden zu sein, so behauptet es zumindest die Legende. Das eher Contraintuitive am Immo-Topranking der „Ostozhenka“ blieb für mich aber stets das vielfach abgerockte bis abgefuckte Erscheinungsbild der Straße. Zwar huschen täglich hunderte junge Studentinnen zu und von den Universitätgebäuden, aber Augenweiden rechtfertigen doch noch keine Immobilienpreise. Scheinbar gab es im Falle der „Ostozhenka“ bislang noch keinen Befehl von ganz oben, wie er etwa ganz offensichtlich im Falle der „Myasnickaya“-Strasse erfolgt sein muss, denn dort glänzt seit kurzem alles in Marmor und Granit und man hat sich zu allem Überfluss sogar zu einem markierten Radweg entschlossen. Gras wächst in Russland vorwiegend wo der Präsident hinsieht.
Gestern war ich bei einem Meeting in einer Parallelstraße, zwischen „Ostozhenka“ und dem Ufer des Moskwa-Flusses, das mein Verständnis für das Ranking des Bezirks ein wenig schärfte. Mit edelsten Materialien saniert sind hier vor allem prestigeträchtige Firmen angesiedelt, die Quadratmeterpreise erreichen phantastische $50,000/m2.
Dem Blick des kleinen Mannes auf Bilder der royalen Empfindsamkeiten in Hochglanzmagazine gleich, fand ich Gefallen daran Menschliches Verhalten mit all seinen Wünschen, Hoffnungen und kleinen Gaunereien in einer superreichen Färbung zu beobachten: Eine 40plus-Joggerin mit aufgespritzten Lippen drehte im Versace-Trainingsanzug ihre Runden um den Block, während eine Altersgenossin versuchte ein Lexus-570-SUV im Gehörparkverfahren in die Parklücke einzupassen. Während ich es hinter mir vier Mal krachen hörte fiel mir auf, dass die Kennzeichen aller fünf geparkter Autos durch Flyer, CDs, und ähnliches, teilverdeckt waren. Das Ziel der Fahrzeugbesitzer, war es ganz offensichtlich den elektronischen Parksherif in die Irre zu führen. Kennzeichen werden in Moskau mittlerweile digital abfotografiert und wer nach 20 Minuten noch immer (ohne den Parktarif entrichtet zu haben) am selben Platz steht bekommt automatisch seine Strafe zugesendet, außer natürlich die Nummer ist nicht erkennbar.
Nach zwei Jahren tauschte ich übrigens die eher trockene Wohnung auf der „Ostozhenka“ gegen eine Wohnung mit Ausblick auf das grüne Anwesen von Leo Tolstoi – selber Preis, dafür 3.Stock ohne Aufzug und ohne Blattgold-WC, von dem mir dann noch beim Meeting in dem Moskauer Edelbezirk berichtet wurde.