Eine Studie über Frankreichs/GBs ärmere Bevölkerungsschichten.

Sozialgeographie, ein Thema, das in Deutschland sehr reduziert betrachtet wird. Frankreich ist ein Zentralstaat mit langer Kolonialgeschichte, Großbritannien hat diese auch. Dies prägt beide Länder und gibt ihnen einen anderen Blick auf verschiedene Themen, wie eben auch auf Sozialgeographie.

Christoph Guilluy ist in diesem Fach sehr anerkannt, wie sein Buch: La France périphérique: comment on a sacrifié les classes populaires (2014). Guilluy interessiert mich, weil er sich noch mit den sozialen Themen auseinandersetzt, einen Ausblick auf die Zukunft gibt und nicht etwa in Afrika sondern in EU Ländern in unserer Nachbarschaft.

Warum wird dieses Thema in Deutschland nur reduziert diskutiert, selbst die sozialpolitischen Aspekte? Weil es in Deutschland noch einen weitgehend funktionierenden Sozialstaat gibt, wo jede Gesellschaftsschicht die Möglichkeit hat Fuß zu fassen, in Deutschland geht es fast nur um die Verteilung und Besteuerung, da aber sehr erbittert, weil einige Parteien sich mehr Umverteilung auf die Fahnen geschrieben haben. In Frankreich, Großbritannien haben dagegen große Gruppen kaum mehr diese Möglichkeit, sei es weil sie in der Peripherie(wirtschaftlich schwache Regionen) leben oder weil das Bildungssystem derartig mangelhaft ist, dass der Aufstieg nahezu nur Kindern aus Eliteschulen/-unis gelingen kann.

Ich las das Buch von Christoph Guilluy nicht, da es derzeit nur auf Französisch zu kaufen ist, empfehle es dennoch, ich las mehrere Empfehlungen dazu, fand nur die angehängte wieder.

Seine Bestandsaufnahme: Vielen war der Wohnraum in den boomenden Großstädten zu teuer, die Preise steigen weiter, sie konnten oder wollten dies selbst bei Einkommen nicht mehr bezahlen. Also fand ein schleichender Exodus des vormaligen ärmeren Mittelstandes aus den Metropolen statt, d. h. in den wirtschaftlich schwächeren Regionen steigt die Bevölkerung. In London nennt Guilluy eine Zahl von 600.000 Personen aus dieser Gruppe, die in den letzten Jahren in die ländlichen Regionen zogen, wo sie zwar erheblich weniger verdienten, aber erheblich weniger Kosten hätten. Die Menschen an den Randviertel der Großstädte wertet Guilluy dazu. Ich sah die Randviertel von London live und war entsetzt. In den Randvierteln, die auch riesig sind, leben Menschen in Wellblechhütten, man geht dort weg, weil selbst dafür noch eine Miete zu zahlen ist.

Man geht bewusst auf das Land(ohne Idylle) oder man richtet sich in den Randvierteln ein, nahezu ohne Chance auf Rückkehr in die großstädtische Mittelschicht.

Die Folge, es bildeten sich auf dem Land und in Städten immer mehr ethnisch oder kulturell klar abgegrenzten Gruppen, die sich damit weitgehend von anderen Gruppen, wie Migranten oder Linken Kulturschaffenden u. a. isolieren. Sie bilden dazu eigene Milieus mit eigenen Strukturen, die ihnen als Ersatz für die von den Eliten scheinbar gewünschte Auflösung der Staatsgebilde dienen, sprich Globalisierung oder EU.

Guilluy vergleicht dies mit den Gruppen von entlaufen Sklaven, die sich in den Zentren der Kolonien sammelten, auch diese bildeten völlig eigene Strukturen und Netze.

Konsequenzen aus den Abgrenzungen sind, stärkere Eskalation ethnischer Konflikte, siehe nun schon in den Randbezirken von Paris, dessen Bewohner kaum eine Chance haben, an erklägliche Jobs zu kommen. Und die Wahl von Parteien, wie FN oder in GB das Abstimmen für den Brexit, der aus Sicht dieser Studie wenig überrascht.

Guilluy wertet dies nicht als Rassismus, sondern als „durchaus zweckrationale Strategien der sozialen Selbstbehauptung, denn Identität ist hier ein kulturelles und soziales Kapital, das einem den Zugang zu wertvollen Netzwerken der Solidarität sichert.“

In den USA ist so etwas schon seit längerem zu beobachten. Die USA setzen dem aber einen entsprechenden Patriotismus entgegen, der jeden als US Amerikaner stolz auf sein Land sein lässt, in Frankreich und GB praktiziert man diesen nicht annähernd so aggressiv. Überrascht war man beispielsweise in den USA darüber, dass sich die die Schwarzen trotz Obamas Initiativen mehr in ihren Vierteln abgrenzten als vor Obama.

Durchdacht kann man diese Studie auch für Teile Spaniens und Italiens, wie Sizilien o. Katalonien bezeichnen. Auch in Deutschland gibt es ähnliche Szenarien, wobei in Deutschland jeder die Möglichkeit hat, seinen Rucksack zu packen und in boomende Regionen zu ziehen. Die Frage, wollen die Menschen dies? Nur wenn es sich lohnt, die vertraute Umgebung gibt man nicht einfach so auf. Auch Proteste gibt es in Deutschland.

Doch wie reagiert unsere Elite auf Proteste, wie Pegida oder WsD? Sie beschimpft, treiben Ceta, TTIP voran, holen noch mehr Muslime ins Land berufen sich geradezu missionarisch auf Multi-Kulti-Gesellschaften und Globalisierung, also tut unsere Elite genau dies was dem ärmeren Mittelstand Sorgen macht und ignorieren komplett deren Probleme. So überheblich ging man auch vor Jahrzehnten in GB und Frankreich mit den Problemen um.

Er zeigt auch entsprechende Zahlen, die auch entsprechend gegliedert sind. Denn ein integrierter Syrer, der als Arzt/Ingenieur arbeitet ist nicht zu vergleichen mit einem Libanesen in Marxloh.

Wie das wohl ausgeht? Dies fragen sich sehr viele, wenn auch nicht konkret ins Detail. Seine Studien werden auch nach Deutschland kommen.

Merkel antwortet auf diese Thematik, mehr in die Kirche zu gehen. Die Briten haben klar reagiert, etwas spät, T. May, legt bei der Globalisierung einen Rückwärtsgang ein, forciert den EU Austritt. Über Le Pens Verhalten sollte man sich keine Illusionen machen. Ich denke, dass wir eine zerbröselnde EU sehen werden, mitsamt dem Euro. Dazu wird es einige neue Staaten auf dem Gebiet der EU geben. Und die von Guilluy erwähnten Bürgerkriege sind nicht so unrealistisch, wie viele denken, wenn auch nicht auf größeren Gebieten.

Schuldig an der Misere sind aber nicht die beschimpften "Hetzer", diese reagieren nur mit Unmut auf die gesellschaftlichen Probleme, die von der hochmütigen Politik nicht angegangen werden. Schuldig ist die derzeitige Politik und Elite aus Wirtschaft, Religion und großen Verbänden, die kein realistisches Maß zwischen Globalisierung und Erhalt der gesellschaftlichen Strukturen gefunden haben, aber die Kritiker weitgehend ignorieren. Es gilt auch die Peripherie der Länder zu stärken, nicht nur die glänzenden Metropolen, ein starkes London oder Paris reichen nicht. Nur Wachstum ist auch kein guter Ratgeber. Zwei Kinder in Indien statt eines Arbeitnehmers in Frankreich arbeiten zu lassen, ist nicht akzeptabel, d. h. wenn Freihandel, dann unter klaren sozialen Bedingungen. Immer größere Konzerne sind es schon gar nicht, BP machte 2014 ca. 350 Mrd. Umsatz, dass ist m. E. schon zu groß. Wenn ich an den Einfluss von Facebook oder Google denke, dann gilt das Gleiche. Der Mittelstand muss gestärkt werden, wie ich schrieb, die Kartellgesetze haben außnahmslos zu gelten.

Dies schreibe ich, der oft als "neoliberal" beschimpft wird. Wir müssen weltoffen sein, unsere Märkte müssen frei sein auf Basis von Marktwirtschaft, aber nicht um jeden Preis. Christoph Guilluy Analysen sind wertvoll, ich wünschte ich könnte französisch.

http://www.tichyseinblick.de/feuilleton/buecher/ein-geograph-analysiert-die-spaltung-der-gesellschaft-in-frankreich/

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Matt Elger

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Die Tempeltänzerin

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