© by Matze Lentzsch

(unter Verwendung von Auszügen, aus Originalbriefen der Feldpost)

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Tagebucheintrag vom 04.02.1916 - Richard

Letzter Heimaturlaub, bevor es in einer Woche, genau an meinem neunzehnten Geburtstag an die Front nach Frankreich geht.

Endlich, seit vollen sechs Monaten harter Wehrausbildung.

Heute aber steht mir noch eine viel härtere Prüfung ins Haus, die über mein weiteres Leben entscheiden wird.

Ich kann es kaum erwarten, dass der Zug den Heimatbahnhof erreicht. Der aber bummelt ungerührt dahin und mit jeder Station, der das schnaufende und dampfende, schwarz glänzende Ungetüm mich meiner Heimatstadt näher bringt, werde ich ungeduldiger. Ich drehe und wende das kleine, in hellbraunes Stanniolpapier gefaltete Päckchen, auf dem eine kleine, rote Schleife thront, nervös, in meinen Händen hin und her. Edgar, mein Kamerad und bester Freund, sitzt mir gegenüber und beobachtet das Ganze schmunzelnd. Neben ihm, Arno und zu meiner Rechten Otto. Edgar und ich kennen uns seit der Schulzeit.

Arno und Otto haben wir im Jugendverein "Wandervögel" kennen gelernt, dem wir, wie viele andere unserer Jugendfreunde, vor drei Jahren beigetreten sind. Wir haben immer viel gemeinsam unternommen, sind Gewandert und haben Fahrradtouren ins Grüne gemacht und haben vor allem viel Gesungen. Arno kann Gitarre spielen. Die hatte er auch überall dabei. Edgar und ich sind zwar nicht unbedingt die besten Sänger. Um ehrlich zu sein, gesanglich eher Spatzen, als Nachtigallen aber wir genossen jede Minute bei den Wandervögeln. Die Wanderungen durch die Natur, abends Lagerfeuer und schlafen unter freiem Himmel, wenn es das Wetter zu ließ. Außerdem waren auch viele Mädchen im Verein. Das war vor allem für Edgar der Grund mit mir in diesen Verein einzutreten. Als vor zwei Jahren der Krieg ausgerufen wurde, meldeten wir uns alle vier gemeinsam freiwillig. Für Kaiser, Volk und Vaterland. Aber wegen unseres jungen Alters wurden wir leider erst vor drei Monaten einberufen.

"Keine Sorge, mein Freund", will Edgar mich beruhigen,

"sie wird sicher nicht nein sagen." Das aber beruhigt mich nicht im Geringsten. In Wahrheit wühlt mich das noch mehr auf. Mathilda. Meine Mathilda. Das schönste Geschöpf auf Erden. Ich lernte sie kennen, nur einen Tag bevor ich in die Armee eingezogen wurde. In einem kleinen Café. Sie half dort als Bedienung für ihre Freundin Lucie aus. Ich war sofort Feuer und Flamme. Dunkelbraunes, schulterlanges Haar und wunderschöne, rehbraune Augen.

Ich glaube das war Schicksal. Denn sie war in dem Café nur an diesem einen Tag und ich, ich begleitete eigentlich nur meinen Freund Edgar, der dort ihre Freundin, für die sie hier aushalf treffen wollte. Edgar war ein kleiner Schürzenjäger, wie man so schön sagt, wenn jemand kaum eine Gelegenheit für einen Flirt auslässt. Luzie war nur eine kleine Schwärmerei für ihn und so fand er es nicht weiter tragisch, dass sie an diesem Tag nicht da war.

Statt dessen traf ich mein Schicksal. Mathilda.

Ein Zufall? Kein Zufall. Es gibt keine Zufälle, nur Schicksalswendungen.

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Tagebucheintrag vom 21.04.1916 - Richard

5.30 Uhr, ich schrecke aus einem tiefen, traumlosen Schlaf auf und ich bin immer noch hier, in diesem dreckigen Schützengraben.

"Achtung Männer...", ruft eine schrille Stimme. " Masken auf..."

Ein Gasangriff mit den größten Kalibern folgt sogleich darauf. Jeder von uns reißt seine Maske vom Gürtel und zieht sie, so schnell es geht über den Kopf. Hoffend, dass sie auch noch dicht ist.

Kurz darauf schlagen die ersten Gasgranaten bei uns auf. Überall in unserem und den benachbarten Gräben.

Die Gasgranaten töten nicht durch ihre Detonation und sie machen auch keinen Lärm. Die platzen wie ein verdorbenes Ei, das auf den Boden fällt. Der Sprengkopf trennt sich von der Granate und die Gase lösen sich auf. Die machen keinen Lärm, überhaupt keinen. Aber die sind tückisch und gefährlicher, als alle anderen Waffen.

Gasangriffe gibt es ja fast täglich, obgleich ich bisher noch keinen selbst erleben musste. Gott sei es gedankt. Aber seit kurzem sollen die Gasangriffe eine andere Dimension angenommen haben, wie man hört. Der Gegner nennt es Buntschiessen.

Es werden verschiedene Kampfstoffe eingesetzt. Die Franzosen kennzeichnen die Gasgranaten mit farbigen Kreuzen darauf.

Ein grünes Kreuz steht für das gefürchtete Phosgengas. Ein blaues Kreuz steht für Chlorgas oder Arsen. Das Blaukreuz wird dabei als Maskenbrecher eingesetzt. Es kann die Maskenfilter durchdringen und löst starke Hustennfälle aus. So schwer, dass man die Maske abnimmt, um atmen zu können. Dann greift das Teufelszeug Phosgengas die Lungen sofort an und führt in wenigen Augenblicken zum qualvollen Erstickungstod. Grausam, was wir Menschen einander antun.

Bisher weiß ich das nur von unserer Ausbildung und selbst dort hörte es sich grausam an. Heute aber muss ich es selbst durchleben, wie mir in diesem Augenblick schlagartig klar wird.

Überfall regnen diese Dinger herunter. Auch dicht neben mir. Direkt vor meine Füße. Durch die mit Dreck verschmierten Bullaugengläsern meiner Maske, sehe ich nur noch eine blaue Kennzeichnung, auf diesem Teufelsding. Ich halte die Luft schlagartig an und kneif die Augen zusammen, halte mein Gewehr fest umklammert. Dumpf höre ich etwas weiter weg schweres Husten und wie Männer nach Luft schnappen. Ich halte immer noch meine Luft an, doch lange geht das nicht mehr. Ich komme nicht umhin, nach rechts zu blinzeln. Zwei meiner Kameraden sind aufgesprungen. Sie haben sich die Masken vom Gesicht gerissen. Zwei andere Kameraden und unser Leutnant, reißen sie wieder zu Boden und ziehen sie aus der Gaswolke. Sie schlagen um sich und ringen hart nach Luft. Ich kann meine Luft nicht mehr lange anhalten. Doch ich wage es nicht zu atmen. Das Gas aus einer der neben mir eingeschlagenen Granaten verteilt sich schnell im Graben, doch eine Windböe reißt die Wolke wieder etwas auf. Ich kann nicht mehr an mich halten und schnappe nach Luft. Ein Reflex den ich nicht mehr kontrollieren kann. Im gleichen Augenblick schießt mir blankes Entsetzten in die Glieder. Ich erwarte gleich ein Brennen und einen nicht enden wollenden Hustenanfall. "Jetzt passiert es", schießt es mir durch den Kopf. Doch auch nach dem zweiten Atemzug geschieht das Gefürchtete nicht. Da stößt mich einer meiner Kameraden an und deutet auf die Granate mit dem blauen Kreuz darauf. Sie ist unversehrt, kein Gas strömt heraus. Auch nicht aus den anderen, die in unserer Nähe nieder gegangen sind. Alle Blaukreuze scheinen Fehlproduktionen zu sein. Gott sei dank. Die Gaswolken im Graben stammen nicht von Maskenbrecher. Es sind die Grün kreuz Granaten, mit dem Phosgengas. Die Masken halten das ab. Nur die beiden armen Kerl, die ihre Masken abgesetzt haben. Denen geht es dreckig. Arme Kerls. Man hat ihnen die Masken wieder aufgesetzt, doch es war schon zu spät. Sie winden sich in Erstickungsdämpfen. Es ist kaum mit an zu sehen. Da aber beginnt die zweite Angriffswelle. In benachbarten Gräben versuchten einige, wohl in Panik vor dem Gas zu fliehen. Das ist es, worauf der Feind gewartet hat, denn plötzlich donnert die feindliche Artillerie wieder los. Massiver Beschuss von allen Seiten.

38,5-, bis 42-Zentimeter-Granaten. Erde bis zum Himmel. Um unsere Stellung herum scheint die Welt unterzugehen. Schon setzt das Gegenfeuer unserer Artillerie ein und dämmt deren Angriff etwas ein. "Raus aus den Gräben! ", kommt da der Befehl, trotzdem die Granaten nur so herunterregnen. Kein Quadratmeter der nicht zerwühlt ist. Die Maschinengewehre rasseln das Infanteriefeuer rollt. Ein Höllenlärm. Da stürzt einer dort wieder einer. Leutnant Kramer steht auf ..., doch da, im selben Augenblick spritzen Fetzen seiner Generalstabskarte umher. Er krampft die Hände vor die Brust und fällt dann, mit Schmerz verzerrtem Gesicht vorne über. Nach wenigen Minuten ist er tot.

Plötzlich der Ruf: "Leuchpatronen und Handgranaten

nach links, Feind ist links eingebrochen".

Was das bedeutet, glaubt Ihr gar nicht. Auf deutsch: Die Front mal wieder, wie schon so oft zuvor, vom Feind durchbrochen.

Ein feindlicher Durchbruch im Graben vor uns. Trotzdem unser Leutnant gefallen ist, sind wir angehalten zu stürmen. Das Gewehr im Anschlag Feuers ich Salven nach links. Mehr ins Blaue, denn es ist kaum etwas zu erkennen. Ich hoffe nur, ich treffe noch einen der unsrigen. Fünf Kameraden sind dicht bei mir. Wir erreichen den Graben unter massivem Beschuss des Feindes. Wir springen alle samt hinein, ohne zu wissen, ob Freund oder Feind dort wartet. Ich pralle hart gegen die gegenüber liegende Grabenwand. Der Stahlhelm fängt nicht wirklich viel ab. Ganz im Gegenteil, der Aufprall ohne Helm, wäre wahrscheinlich weniger schmerzhaft gewesen. Der Schmerz des Aufpralls nimmt mir für einen Sekundenbruchteil mein Bewusstsein. Nur durch das Rütteln eines Kameraden an mir werde ich wieder wach. Als ich aufschaue, sehe ich vor mir, in den Wolken aus Rauch und Dreck, die den Himmel verfinstern, einen einzigen Sonnenstrahl durch einen aufgerissenen Wolkenfetzen herabfallenden. Auf den Rand des Grabens, einige Schritte rechts von mir. Ich bin benommen und traue meiner Wahrnehmung nicht recht. Zudem ist es plötzlich auch still geworden, um mich herum. Da sehe ich, genau auf dem Rand des Grabens, wo der dünne, phahle Lichtstrahl hin fällt, etwas kleines Unscheinbares. Es flattert hin und her. Wie im Traum, denn nichts anderes kann es nur sein, stehe ich auf und gehe hinüber, näher heran. "Was ist das?“, Frage ich mich.

Als ich direkt davor stehe, erkenne ich es, ohne es tatsächlich glauben zu können.

Es ist ein Schmetterling. Ein bunter noch dazu.

Im gleichen Moment schreit der Kamerad, der mich wach gerüttelt hatte, von der selben Stelle, an der ich eben noch lag, nach mir. Ich erwache, abrupt, wie aus einem Traum. Ich sehe ihn an. Er steht dort mit den anderen Vier, die mit mir und ihm in diesen Graben gestürmt waren. Er winkt mich in seine Richtung und zeigt nach links, wo der Feind eingebrochen war. Was sicher bedeuten sollte, dass wir in diese Richtung feuern sollten. Während er das tut sehe ich, wie sich zwei Granaten auf den Grabenrand neben ihnen pflanzen, genau über der Stelle, wo ich eben noch lag. Noch bevor ich sie warnen kann, gibt es einen mörderischen Knall. Keine zehn Meter von mir entfernt.

Ich spüre schlagartig ein Brennen im Gesicht. Als würde mir jemand siedendes Wasser in's Gesicht schütten. Zeitgleich eine Druckwelle, so stark, dass mir ist, als würde mich etwas auseinander reißen. "Das Ende", schießt es mir durchs Hirn, bevor es gänzlich schwarz wird um mich herum...

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Margaretha G

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