Ich bin immer noch ganz aufgewühlt. Heute hätte ich beinahe in aller Öffentlichkeit zu weinen begonnen und meiner Frau ging es nicht anders. Nachdem wir über die Wiener Tafel vor zwei Wochen Gewand, Schreibsachen und eine kleine Unmenge an Hula-Hup-Reifen für die Flüchtlinge in Traiskirchen gespendet haben, waren wir heute persönlich vor Ort. Diesmal wollten wir die gekauften Spenden - Windeln, Zahnpasta und Bürsten, Duschgel, Rasierer und Rasierschaum sowie die anscheinend überaus beliebten Schokokekse – an den „Flüchtling von Welt“ bringen. Es war schockierend.

Bilder die sich einprägenSchon im Auto fiel unser Blick auf die Menschenmenge vor dem Metallzaun des inzwischen weltweit berühmt-berüchtigten Flüchtlings-Auffanglagers in Niederösterreich. Diesen Bekanntheitsgrad in kurzer Zeit zu erreichen, ist eine Marketingleistung der besonderen Art, die unseren Politikern gelungen ist. Hut ab! Vor dem Lager eingeparkt, rief ich sofort eine Mutter zu uns, die ein kleines Baby am Arm hatte und versorgte sie mit Windeln. Sie zeigte sich unglaublich dankbar und ich spürte auch bei mir Emotionen hochkommen, die ich zum letzten Mal beim Ansehen des Films „Hatchiko“ hatte (ein Filmtipp für alle die unnötig viel Taschentücher daheim haben). Nach und nach kamen immer mehr Menschen und nahmen sich etwas von den mitgebrachten Dingen für den täglichen Bedarf, ...die Kekse und Schokoschnitten waren überhaupt ein Hit. Durch Bank waren sie sehr dankbar und freundlich!

Lügenmärchen verkaufen sich gutImmer wieder höre ich von bestimmten Mitmenschen, seien es Familienmitglieder, Arbeitskollegen oder Facebook-Bekanntschaften, welche Probleme UNS die Flüchtlingskrise macht. Bei näherem Nachfragen erfährt man meist, dass diejenigen, die am lautesten brüllen, in einem Ort ohne Flüchtlinge wohnen, eine gut gesicherte Existenz haben und nie und nimmer einen Fuß nach Traiskirchen setzen würden. Sie kennen die üblen Flüchtlingsgeschichten von jemandem der jemanden kennt, der einen Polizisten kennt, der einen Flüchtling gesehen hat, der unfreundlich war (oder so ähnlich). Sie kennen diese Geschichten vom Hörensagen oder aus den hirnverbrannten Boulevardmedien, die Berichte über „reiche“ Flüchtlinge mit I-Phones bringen. DAS IST ABSURD. Meine Erfahrung vor Ort ist eine gänzlich andere.

Der Schock sitzt tiefAuch heute hat mir wieder wer erzählt, dass WIR kein Männerlager brauchen. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich auf solche Argumente sagen soll – gegen diese Art des Denkens gibt es kein Gegenmittel. Selbst wenn es in Traiskirchen nur Männer gäbe, frei nach „Fränk“, wären auch das sicher nur Menschen wie wir. Das inzwischen zum Zeltlager umfunktionierte Auffanglager ist viel – es ist überfüllt, es ist unmenschlich, es ist eine Schande für Österreich, es ist ein Zeichen für die Unfähigkeit unserer PolitikerInnen, aber es ist kein Männerlager. Meine Frau und ich waren überrascht von den vielen Kindern und jungen Müttern, die unter unwürdigen Bedingungen hausen müssen. Väter und Mütter bitten bei den Caritasmitarbeitern und anderen freiwilligen HelferInnen zu aller erst um Babynahrung. Wir haben es gesehen und wir hatten kein gutes Gefühl dabei.

Die gefährlichen „Asylanten“Wer Angst vor Spinnen hat, kann sich in einer Schocktherapie den kleinen und größeren Krabblern stellen. Wer Angst vor Fremden hat, vor Flüchtlingen, vor Asylsuchenden, sollte nach Traiskirchen fahren. Giftige Flüchtlinge gibt es im Gegensatz zu Spinnen übrigens nicht. Ich selbst wollte immer schon für einige Monate nach Afrika fahren, um dort zu helfen, aber das ist jetzt nicht mehr notwendig. Das menschliche Elend ist bei uns angekommen und wird von vielen ignoriert. Mir stellt sich die Frage, welch einen Charakter man haben muss, um beim Anblick dieser geplagten und zum Teil traumatisierten Menschen, selbst nur Hass und Neid zu entwickeln. Meine Gefühle haben sich dort verselbstständigt und eine ganz andere Sprache gesprochen. Ich hoffe, dass das neue Asyldurchgriffsrecht der Bundesregierung auch etwas Positives bewirkt. Ein Lager in dieser Größe in einem Ort wie Traiskirchen kann nicht funktionieren. Die Menschen müssen von einer zentralen Stelle verteilt werden um sich integrieren zu können so gut es geht und bis zu ihrem Bescheid ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Jene Länder und Gemeinden die sich jetzt darüber beschweren, haben bis jetzt tatsächlich nur gebremst und bremsen weiter, auch wenn sie das immer abstreiten. Ich wäre gespannt wie ein Strache, der jetzt undemokratische Mitteln anprangert, im gegenteiligen Fall agieren würde. Ist H.C. der mustergültige Demokrat, der er immer vorgibt zu sein. Die Frage ist interessant, die Antwort will ich aber eigentlich gar nicht wissen.

Es war auch schönViel lieber denke ich an die vielen Menschen die aus eigener Motivation nach Traiskirchen fahren um zu helfen. Egal ob jung oder alt, es macht Hoffnung zu sehen, dass es auch ohne Hetze und Vorurteile geht. Die Flüchtlinge vor Ort habe ich übrigens als sehr nett empfunden. „Hello, my friend“, „Hi wie geht´s“, „How are you“ - es ist eigentlich unglaublich wie resilient, wie widerstandsfähig Menschen gegenüber Tragödien sein können. Die Freundlichkeit hat sogar die lebensgefährliche Flucht überstanden.

Wer selbst nach Traiskirchen fahren will, wer helfen möchte: Der Caritas Bus verteilt gerne ihre Spenden, ...Gewand ist allerdings momentan genug da. Hygieneartikel aber auch Süßes, Obst, Spielsachen, Tabak und natürlich Schlafsäcke sowie Zelte sind beliebe Waren (auch Tauschwaren im Lager!) Danke für mehr Menschlichkeit. Ich fahre sicher wieder hin!

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