Max Neumeyer
Raus mit 40
Teil 4
Anfang September 2015 stand der Entschluss für meine wunderbare Frau und mich fest: Wir wollen wieder zurück zur Natur. Jawohl. Back to the roots? Nicht wirklich. Dann müssten wir uns wohl eine Höhle suchen und mit Speeren und Steinen auf Mammutjagd gehen, Wurzeln und Beeren sammeln und uns im Fell-Outfit vor hungrigen Säbelzahntigern verstecken. Nein, diese Zeit ist vorbei. Ist es nicht doch eher der Wunsch es wie früher zu machen: Die Frau geht zurück an den Herd und der Mann sorgt für die finanzielle Sicherheit und überlässt Haushalt und Kinder der Frau? Mh, nein danke – Altbackenes finde ich auch in den Angebotskörben der Supermärkte. Wir möchten unseren geplanten „Ausstieg“ auch nicht zur einzigen, zur besten Alternative hochstilisieren und andere Menschen dazu bekehren. Wir wollen keine Sekte gründen, wir wollen einfach nachhaltiger leben. Glücklich sein, ja das wollen wir. Leben und leben lassen!
Aber wohin soll es gehen. In die Karibik vielleicht? Eine kleine Holzhütte unter Palmen am Strand. Klingt gut. Die einzigen Mankos wären bösartige Kokosnüsse die auf unsere sonnengegerbten Köpfe donnern und die Ungewissheit sich in einer komplett neuen Kultur heimisch fühlen zu müssen. Was ist mit der medizinischen Versorgung? Wären wir dort willkommen?
Wie wäre es mit Südafrika? Wir waren schon zweimal dort. Ein tolles Land. Die Apartheid ist vorbei. Das Meer wäre ums Eck, es gibt gut Schulen für unseren Buben und das Essen ist gewichtssteigernd. Aber was, wenn man beim Übersiedeln etwas im alten Domizil vergisst?
Gespräche übers Auswandern haben wir schon oft geführt – meistens während oder nach unseren zahlreichen Reisen. Aber wenn ich das mal so sagen darf: In Österreich lebt es gar nicht mal so übel und Idioten, über die man sich ärgert, gibt es überall. Wetten! Sie werden es nicht für möglich halten, aber jeder von uns war selbst schon oft der Depp dem andere nichts Gutes wünschen. Auch ich habe Übung darin, der Ungustl zu sein, wenn auch nur ab und zu beabsichtigt. Sympathie hat mit der Herkunft nichts zu tun.
Nach dem Durchforsten mehrerer Immobilienwebseiten und der intensiven Beschäftigung mit Österreichs Klimazonen stand die Entscheidung recht schnell fest: Ab ins Südburgenland. Auch dort wären wir mit einer neuen Kultur konfrontiert – ja selbst die Sprache klingt für einen gebürtigen Wiener wie Klingonisch mit bayrischem Akzent. Auch hier wären wir nicht sicher, ob wir willkommen wären. Aber das Südburgenland hat die meisten Sonnenstunden des Landes, viel Natur, leistbare Immopreise und keine mordlüsternen Kokospalmen. Perfekt.
Erste Aufgabe: Wir müssen unser Haus im Bezirk Baden verkaufen. Hier ist ein Haus mehr wert als eine Stadt in Bangladesch. Viele Stadtflüchtlinge zieht es in den Speckgürtel Wiens. Man hat es nicht weit in die Hauptstadt und weiß wofür man arbeiten geht. Nach dreißig Jahren kann man das kürzlich ausbezahlte Einfamilienhaus gerade noch rechtzeitig an die Kinder überschreiben, bevor man ins Altersheim zieht und Brei aus Plastikbechern in den Mund geschaufelt kriegt. Auch eine Variante. Viele Pflegeheime liegen ja sogar im Grünen.
Da uns diese Art der Lebensplanung allerdings zu zeitaufwendig erschien, haben wir die Kamera geschnappt, unser Haus von der Schokoladenseite fotografiert und ins Internet gestellt. Schon kurze Zeit später begann mein Handy fast ohne Pause zu klingeln. Die ersten Besichtigungstermine waren schnell ausgemacht. Es wäre doch gelacht, wenn wir unser liebevoll gepflegtes Häuschen, pardon „unsere luxuriöse Villa mit guter Verkehrsanbindung in einer aufstrebenden Gemeinde“, nicht an den Mann bzw. die Frau bringen würden. Hundert Anrufe - 90 über-motivierte Immobilienmakler. Die restlichen zehn wurden in kurzen Abständen zu uns nach Hause eingeladen. Vor jedem Besuch noch schnell einmal das komplette Haus putzen (Zeitaufwand ca. 8 Sunden/zwei Personen) und es konnte losgehen. Leider sind nicht alle Haussuchenden die einfachsten Zeitgenossinnen und -genossen.
„Das Haus ist uns zu orange.“ - „Ja uns hat das so gefallen, kann man aber umstreichen.“
„Diese Bodenfliese hat einen Sprung.“ - „Ja, Reservefliesen liegen bereit.“
„Der Kasten gefällt uns nicht.“ - „Uns auch nicht!“
„Das Wasser im Pool wirkt ungepflegt.“ - „Liegt daran, dass Herbst ist, kann gewechselt werden.“
„Ist uns zu abgelegen.“ - „Uns nicht.“
„Der Preis ist zu hoch.“ - „Mit dem könnten wir leben.“
„Was ist hinter dieser Wand?“ - „Unser privates SM-Studio, Lust auf mehr?“
„Hier blüht ja nix.“ - „Heeeeerbst!“
Nach zwei Wochen mit häufig auftretenden Gewaltfantasien, habe ich begonnen die Immobilienmakler zurück zu rufen. Kostet was, aber nicht unsere Nerven. Das Casting konnte beginnen, siehe Teil 5. Baba, wir lesen uns.