Max Neumeyer

Von einem, der die Schauze voll hat

Teil 6

Alleine schon das Wort „Stress“ lässt mir die Nacken- und andere Haare zu Berge stehen. Ich hasse ihn. Doch bevor unser Wunsch vom Ausstieg Realität wurde, hat es meine wunderbare Frau und mich ganz schön durch gebeutelt. Wer einen Neubeginn plant muss sich deshalb bewusst machen, dass es gar nicht so einfach ist, weniger zu wollen. Wir leben in einer Welt, in der alles nach strikten Vorschriften geregelt ist. Unser Sicherheitsbedürfnis hat uns einen riesigen bürokratischen Komplex erschaffen lassen, der uns den Stress einerseits nehmen soll, ihn in vielerlei Hinsicht aber noch größer macht.

Wir sind rundum versichert. Unsere Häuser und Wohnungen, unsere Autos, unsere Gesundheit, unsere Altersversorgung, unsere Rechtssicherheit und noch vieles mehr wird von den in glänzenden Glastürmen sitzenden Versicherungen gegen großzügiges Entgelt geschützt. Wir zahlen Steuern wenn wir einkaufen, wenn wir arbeiten, wenn wir tanken, wenn wir Geld sparen. Ja selbst wenn wir erben und uns ein geliebter Mensch Teile seines mühsam erwirtschafteten Hab und Guts hinterlässt, müssen wir zahlen. Im Sinne eines funktionierenden solidarischen Systems ist das auch durchaus in Ordnung. Ich zahle gern, wenn ich weiß, dass es Sinn macht. Wer allerdings auch nur ein wenig außerhalb dieses Systems leben möchte hat es in unserer überregulierten Gesellschaft nicht leicht.

Nach der zweiten Besichtigung des ehemaligen Bauernhauses im Südburgenland, inklusive Papa, Schwiegereltern und Bausachverständigen, im Oktober letzten Jahres, hatte ich meine wunderbare Frau restlos überzeugt. Dieses Haus mit Fernblick und 12.500 Quadratmeter großem Grund musste es werden und noch vor dem Verkauf unseres Hauses im Bezirk Baden, bekamen wir von unserer Bank die Zusage für eine Zwischenfinanzierung. Ich hoffe inbrünstig, dass unsere Namen jetzt nicht in den Panama-Papers aufscheinen.

Während unser Makler, der einzigartige Mister X, Scharen von Interessenten in unsere „Villa im Speckgürtel mit Pool und ganz viel dolce vita“ lockte, unterschrieben wir bereits den Kaufvertrag bei einem Notar in unserer neuen Bezirkshauptstadt in Jennersdorf. Anstatt lächerlichen 210.000 Euro, hatte wir von einem Tag auf den anderen plötzlich 400.000 Euro Schulden. Da kommt Freude auf – bei unserer Bank!

Mit diesem finanziellen Damokles-Schwert über unseren Köpfen stürzten wir uns kopfüber ins „Abenteuer Ausstieg“. Ende November war ein Meilenstein auf dem Weg in die selbst erwählte Freiheit: Wir bekamen den Schlüssel zu unserer eigenen kleinen Farm, unserer „Ponderosa Ranch“.

Obwohl mein wunderbare Frau und ich sowohl privat als auch beruflich noch in Niederösterreich verankert waren – beide mit Job in näherer Umgebung und einem Sohn im vegetarischen Waldorf-Kindergarten ums Eck – begannen wir bereits mit dem Umzug und öffneten dem Stress Tür und Tor. Unser alter Mazda-Kombi wurde mit einer Anhängervorrichtung ausgestattet, ich besorgte einen günstigen PKW-Anhänger und am letzten November-Wochenende des Jahres 2015 fuhren wir zum ersten Mal voll bepackt in unsere neue Heimat. Bettwäsche, Kleidung, Küchenutensilien, Werkzeug, Bücher, unseren wohlerzogenen Knaben und unsere beiden unerzogenen Hunde wurden in Kisten gesteckt und in die „Toskana Österreichs“ verfrachtet. Bis zum Verkauf unseres Hauses wollten wir unserem kompletten Haushalt ca. 180 Kilometer weiter südlich wiederfinden. Wobei mit das „Finden“ bei einem Umzug zum großen Problem wird. Das Leben aus dem Koffer ist einfach, verglichen mit der komplizierten Koexistenz mit rund 50 Waschmaschinen-großen Übersiedlungskartons. Hier kommt die Chaostheorie voll zur Entfaltung

„Maus, wo sind meine Unterhosen?“ - „In dem Karton mit der Aufschrift KÜCHE!“

„Maus, ich brauche dringend Klopapier!“ - „Das ist noch nicht hier, nimm die kleinformatige Zeitung.“

Während „unsere Sachen“ im neuen Haus von Wochenende zu Wochenende immer vollständiger wurden, wurden sie im alten Haus immer weniger. Während wir unser altes Domizil für potenzielle Käufer unter der Woche nach und nach herrichteten, haben wir an den Wochenenden begonnen unsere kleine Farm zu renovieren. Wir standen früh auf, und gingen meist spät und todmüde ins Bett. „Gute Nacht John Boy, und baba, wir lesen uns!“

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zeit im blick

zeit im blick bewertete diesen Eintrag 13.04.2016 13:03:54

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