Max Neumeyer
Von einem, der die Schnauze voll hat
Teil 7
Der Spruch „Die Zeit vergeht wie im Flug“ trifft bei mir nicht zu. Je älter man wird, umso schneller verrinnt sie, das stimmt. Da ich allerdings nicht gerne fliege, sind die Stunden in der Luft für mich unerträglich lange. Ich habe einfach gerne festen Boden unter den Füßen – inzwischen bevorzugt erdigen Wiesengrund mit Blumen und einem Gemüsebeet gleich ums Eck. Dennoch holt mich die Zeit langsam ein. In meinen letzten Erzählungen habe ich versucht die vergangenen Monate meines Lebens Revue passieren zu lassen – den Weg meiner kleinen Familie zu einem nachhaltigeren besseren Leben. Aber seit Mitte Dezember ging es Schlag auf Schlag.
Mit Beginn der Adventzeit haben wir bereits jedes Wochenende im neuen „alten“ Haus verbracht und damit begonnen das 70 Jahre alte Gebäude nach unseren Vorstellungen anzupassen. Zuallererst galt es alte Möbel nach und nach zu entsorgen und die gewaltige Nippes-Ansammlung loszuwerden. Unsere Vorbesitzer, ein älteres Ehepaar, hatten 7 Jahrzehnte lang Zeit allerhand Kitsch anzusammeln und haben das auch voll ausgekostet. An jeder Ecke, in jedem Schrank und auf jeder Anrichte standen kleine Engerln, Vasen und selbstgemachte Kunstblumen-Arrangements. Das freut den Flohmarktstandler – der ich nicht bin! Das absolute Highlight aber waren die im ganzen Haus angebrachten Fensterbilder. Ich lüge nicht, wenn ich behaupte: Auf jeder glatten Oberfläche klebten selbstgemalte Hexen, Blumen, Gemüsebilder und Tiere aller Art – teilweise bereits ausgestorben.
Mit Spachtel, Fön und Feuerzeug bewaffnet arbeiteten wir uns durch 180 Quadratmeter Wohnfläche und kratzten die hartnäckigen kleinen Monster von den Fenstern und Fliesen. Wir haben Blut geschwitzt. Auch der Abbau der 60er-Jahre Möbel mit unvergleichbarem Resopalcharakter war eine echte Schraubenzieher Odyssee, die sich nach und nach zu einer Vorschlaghammerattacke gewandelt hat. Diese Kleinode tischlerischen Ehrgeizes waren anscheinend für die Ewigkeit gebaut worden. Die Übungsstunden mit „Thors Hammer“ kam uns allerdings ganz gelegen, denn an unserem zweiten Wochenende gab es eine Wand umzureißen um das Wohnzimmer zu vergrößern. Mein langjähriger Freund Mäx stand mir bei dieser und anderen Arbeiten tapfer zur Seite, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Solche Freunde braucht der Mensch!
Bis zum ersten Weihnachtsfest im neuen Heim, sollte das Gröbste erledigt sein, denn für die Weihnachtsfeiertage hatte sich Familienbesuch angekündigt. Der jährliche Tsunami im Wasser- bzw. Bierglas. Das Weihnachtsfest mit unserer traditionellen Raclette und Kekse-Völlerei konnte nicht besinnlicher verlaufen. Die Familie meiner Frau ist eine doch eher ruhige zivilisierte Gemeinschaft. Bei meinen Verwandten kann es allerdings doch etwas lauter werden – das hat uns Mutter Natur anscheinend in die Wiege gelegt. Lustig ist es jedes mal. Ich meine: Wer in seinem Heim noch kein Familienfest überstanden hat, ist noch nicht richtig angekommen. Insofern war die Weihnachtszeit unser Initiationsritual in der neuen grünen Heimat inmitten des Südburgenlandes. Wir haben nicht nur überlebt, sondern sind gestärkt daraus hervorgegangen und harrten den Dingen die noch kommen sollten. Gute Dinge, denn Ende Jänner kam der lang erhoffte Anruf unseres Immobilienmaklers, dem unglaublichen Mister X: „Das Haus hat soeben Käufer gefunden!“ Und das zu einem Preis mit dem beide Parteien zufrieden sind.
Das Jahr 2016 konnte nicht besser beginnen und unser Plan vom gelungenen Ausstiegs schien tatsächlich wie geplant aufzugehen. Nach einer bereits länger organisierten dreiwöchigen Reise durch Südafrika, karrten wir unser restliches Hab und Gut in unsere kleine Ranch. Unglaublich, was sich in ein paar Jahren so alles ansammelt. Man findet Dinge die man längst abgeschrieben hatte und die sowieso niemand mehr braucht. Der Umzug war eine tolle Gelegenheit sich von unbrauchbarem Ballast zu verabschieden. So etwas befreit ungemein. Der Umzug war dennoch anstrengender als erwartet und wir freuten uns schon auf den 18. März: Die Schlüsselübergabe war die letzte Gelegenheit sich von unserem Haus im Bezirk Baden zu verabschieden. Dieser Tag war der erste unseres neuen Lebens. Unglaublich, wie die Zeit vergeht. Baba, wir lesen uns!