Um zu verstehen, muss man zuhören.
Um eine Beziehung zu verstehen, muss man sie selbst erlebt haben, selbst Teil davon gewesen sein. Zumindest ist das meine Meinung.
Wenn man von seiner Beziehung erzählt, malen sich die Menschen ein Bild. Aber aus den Erzählungen bekommt man nur Bruchstücke, kleine Geschehnisse mit. Dinge, über die man sich ärgert. Und die Menschen um dich herum bewerten das. Auch ich bin so, kann mich da nicht ausnehmen.
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Trotzdem möchte ich versuchen, meine Beziehung ein wenig zu charakterisieren, mit allen positiven und negativen Aspekten, denn das ist für die Geschichte nicht unerheblich. Und ich bin gespannt, welches Bild ihr euch malt.
Schneckchen und ich haben uns das erste Mal auf einer Party kennen gelernt. Damals war ich noch mit meinem ersten Freund zusammen und wir hatten gerade Probleme, doch insgesamt haben wir es auf erstaunliche vier Jahre gebracht. Schneckchen hatte sich gerade von seiner Freundin getrennt. Oder wurde verlassen, denn sie ist mit seinem damals besten Freund durchgebrannt. Hat ihn mit einer Wohnung alleine gelassen, die er sich mit einem Gehalt nicht leisten konnte.
Der damalige Freund meiner Schwester hatte also eine Party für sie organisiert- ihr Freund ist der Cousin von Schneckchens Vater- und wir waren beide eingeladen. Und sind uns ziemlich in die Haare geraten, auch wenn ich heute nicht mehr weiß warum genau. Wir waren beide ziemlich geladen und haben das am jeweils anderen ausgelassen. Von meiner Schwester habe ich erfahren, dass er danach ziemlich fertig war und mich als riesige Zicke eingestuft hat. Danach haben wir uns lange nicht gesehen, erst 1,5Jahre später.
Es war Sommer, ich hatte 3Wochen Urlaub und gerade meinen Bachelor geschafft, die Aufnahme für den Masterstudiengang war durch. Daher lud ich meine Schwester und ihren neuen Freund- bester Freund von Schneckchen und langjähriger Kumpel ihres Ex- Freundes- ein, mit mir anzustoßen. Meine Schwester brachte gleich mehrere Leute mit, darunter auch Schneckchen. Ende des Abends war er schon ziemlich betrunken, aber wir unterhielten uns gut und sein Fuß suchte meinen unter dem Tisch. Davon war ich mäßig angetan, denn eigentlich hatte ich mich in einen Studienkollegen verliebt.
Am nächsten Tag bekam ich eine Nachricht auf einer beliebten Social Media Seite. Ob ich nicht auf ein Fest mitgehen wolle, Schneckchen würde die Karten organisieren. Ich sagte zu, immerhin gingen meine Schwester und ihr Freund auch mit. Außerdem durfte ich erfahren, dass mein Schwarm aus dem Studium leider schon vergeben war. Da fiel ich aus allen Wolken, denn ich muss sagen, ich hatte mir erwartet, dass daraus etwas werden könnte.
Schneckchen meldete sich noch mehrmals bei mir, ob wir nicht mal nur zu zweit was unternehmen wollen. Ich sagte immer ab. Immerhin gehörte er zum Freundeskreis meiner Schwester und das wäre ihr so gar nicht recht gewesen. Außerdem kannte ich die Geschichten. Wie er betrunken Auto fuhr und den Führerschein verloren hatte. Seine Wohnung, die vielleicht 2 Mal im Jahr geputzt wurde. All diese Dinge.
Doch irgendwann gab ich nach. Wir waren etwas trinken, dann spazieren. Wir legten uns auf die Wiese und beobachteten die Sterne, und er kannte sich verdammt gut aus. Irgendwann küsste er mich. Ich wollte das nicht, aber ich gab nach. Ein kleiner Flirt, was solls denn. Solange es meine Schwester nicht erfuhr.
Wir einigten uns darauf, uns öfter zu treffen, aber niemandem etwas zu sagen. Und das taten wir auch. Jeden Tag nach der Arbeit habe ich ihn abgeholt oder er mich. Wir gingen Billard spielen, ins Kino, zu ihm DVD schauen. Wir schliefen nicht miteinander. Ich habe ihn im Laufe dieser Zeit gefragt, ob wir ein Paar wären, doch er erzählte mir von seiner vorigen Beziehung und meinte, für sowas brauche er Zeit. Ich hatte Verständnis. Ich hatte Zeit. Und vor allem- ich war bereits verliebt. Aber ich hatte ein schlechtes Gefühl wegen meiner Schwester.
Irgendwann kam dann die Sache doch raus und wir standen nicht nur dazu, dass wir uns treffen, nein, wir waren doch tatsächlich in einer Beziehung. Ich war glücklich. Schlief ständig bei ihm. Stellte ihn meinen Eltern- die mäßig begeistert waren- vor. Er schlief bei mir. Seine Wohnung: ein Chaos. Schimmliges Essen, Pizzakartons bis an die Decke, Glasflaschen von Silvester vor zwei Jahren. Ich helfe ihm aufräumen. Irgendwer muss es ja tun, erschafft es nicht.
Im August ging die Uni wieder los. Er holte mich jeden Tag ab. Nach drei Monaten sagte ich ihm „Ich liebe dich“. Er sagte nichts. Die Antwort musste bis in den Winter warten. Und da ging es los.
Kurz vor Weihnachten: Schneckchen möchte mit Freunden ausgehen. Es stellt sich heraus: er trifft sich in Wirklichkeit mit Frau P. Frau P. war schon seit Unterstufenzeiten sein Schwarm. Sie will aber nichts von ihm, steht eher auf die großen, trainierten Typen. Aber sie hat ihn gerne bei sich beim Ausgehen, ist sie doch arbeitslos und er zahlt brav ihre Rechnung. Ich bin traurig, verletzt. Warum kannst du mir nicht die Wahrheit sagen? Er wollte nicht, dass ich mir Sorgen mache, daher hat er mich nicht die Wahrheit gesagt. Ich verzeihe ihm.
Silvester bei Schneckchen in der Wohnung. Sein Freund erzählt, wie glücklich Schneckchen wirkt, seit er mich hat. Fragt, wie es damals war als wir uns kennen gelernt haben. Als er hört, ab wann das mit uns losging, wird er schweigsam. Ich hacke nach. Es stellt sich heraus, den einzigen Abend, den wir nicht miteinander verbracht haben, hat er im Bett einer anderen verbracht. Klar, wir waren noch nicht „offiziell zusammen“. Aber ich bin verletzt. Warum hat er das gemacht? Nur weil ich nicht mit ihm geschlafen habe? Er wollte doch noch keine Beziehung, wollte sich gegenseitig erst richtig kennen lernen. Und einfach nur Sex ohne Sicherheit, das kann ich nicht.
Ich rede nicht mit ihm darüber, behalte es für mich.
Und er trifft sich wieder mit Frau P. Ich beschließe, sie selbst kennen zu lernen. Sie ist ein nettes Mädchen, nicht sonderlich schlau, aber sie weiß wie man die Männer um den Finger wickelt. Sie schart eine Horde Männer um sich, alle nicht ihr Typ, aber alle himmeln sie an. Und zahlen brav ihre Rechnung.
Wir beide leben so dahin, mal bei mir, mal bei ihm. Ich besichtige nebenbei Häuser und Wohnungen. Bald nur mehr Häuser, denn eigentlich ist das ja mein großer Wunsch und Schneckchen unterstützt mich. Er hätte so gerne ein Haus mit Garten. Vor allem einen Garten. Er will Gemüse pflanzen, für den Weltuntergang.
Der Weltuntergang…oder der Zusammenbruch des Systems. Vorrangig des Geldsystems. Das begann schleichend. Zuerst ein paar Informationen über das Zinssystem und Kredite eingeholt, und schon wurde mir 2 Mal im Monat prophezeit „Der Euro kracht nächste Woche“. Ich schiebe die Gedanken weg. Das ist nur eine Phase, er wird sich bald für was anderes interessieren.
Nach einem Jahr Beziehung finde ich ein Haus, das ich mir leisten kann. Mein Vater hilft bei der Renovierung. Der Garten ist ein Chaos, die Vorbesitzer haben sich nicht darum gekümmert. Aber ich arbeite daran. Er hilft brav mit. Wir fahren noch 3 Tage nach Italien, unser erster gemeinsamer Urlaub. Doch ich bin dort viel alleine unterwegs, denn Schneckchen muss schlafen. Auch den ganzen Tag, kein Problem.
Aber ich nehme Rücksicht. Manchmal fühle ich mich sehr einsam und im Stich gelassen, wenn er so viel schläft, auch wenn wir auf Urlaub sind oder im Haus arbeiten müssten. Doch ich bin verliebt. Er ist fürsorglich, lobt mich, fragt mich wie es mir geht, schickt mir in der Arbeit immer süße Nachrichten. Und über die kleinen Fehler kann man doch hinwegsehen- oder?
Im Herbst will er sich mit einem alten Lehrlingskollegen treffen und ich bin auf der Uni bis 21:30. Ich werde stutzig, sage aber nichts. Am nächsten Tag kontrolliere ich sein Handy- er hat sich wieder mit Frau P. getroffen. Ich gehe, lasse ihn alleine in seiner Wohnung zurück. Treffe mich 2 Wochen nicht mit ihm und überlege was ich tun soll. Aber ich kann nicht ohne ihn leben. Wir versuchen es noch einmal miteinander und ziehen einen Monat später in das Haus ein. Natürlich nehmen wir uns eine Woche frei, denn seine Wohnung u entrümpeln ist eine riesen Aufgabe. Wir finden Kisten mit Lebensmitteln, die er vor drei Jahren achtlos in die Ecke gestellt hat. Larven in den Kästen. Große Teile seiner Klamotten sind mottenzerfressen. Ich bekomme die Krise, er wird genervt. Er läd ein paar Sachen im Haus ab und fährt noch ein paar Sachen holen. Kommt erst 4 Stunden später wieder, während ich die Sachen auspacke, wasche, sortiere. Aber wir haben den Umzug überlebt. Verbringen unser erstes gemeinsames Weihnachten dort. Wir sind glücklich, auch wenn ich das Gefühl von Einsamkeit nicht unterdrücken kann. Und in meinem Kopf immer die Frage: Wars das schon?
Seine Schwester heiratet ihren ersten Freund, mit dem sie 8Jahre zusammen ist- mit Unterbrechung, denn sie hatte sich einmal in jemand anderen verliebt, aber der wollte seine Frau nicht für sie verlassen. Nun hat sie sich „damit abgefunden“, dass sie niemand anderen findet. Also ist die Hochzeit der nächste Schritt. Die Feier ist schön und ich fange den Brautstrauß. Meine Schwiegereltern sind glücklich, freuen sich, dass wir vielleicht die nächsten sind, die heiraten. Ich denke darüber nach und finde- warum nicht?
Der Sex wird weniger, Schneckchen putzt sich nur mehr 2 Mal die Woche die Zähne, und da auch nur wenn ich ihn daran erinnere. Die Arbeit im Garten, die er machen wollte, bleibt liegen. Ich schreibe meine Masterarbeit, mache meinen Abschluss, suche einen neuen Job. Meine Mutter muss auf eine Rehabilitation, die nicht zu ihrer Krankheit passt, es geht ihr nicht gut dort, ich besuche sie oft, versuche ihr beizustehen. Nebenbei der Haushalt. Schneckchen sollte einmal die Woche das Bad putzen. Alle zwei Wochen schafft er es. Seine Klamotten liegen zusammengeknüllt auf der Bank. Oder am Boden.
Wir haben uns Hühner genommen, er wollte sie unbedingt. Zusätzlich zu meinen Hasen und den Meerschweinchen. Einmal die Woche muss ich ausmisten. Mehrmals die Woche gehe ich Futter kaufen, schleppe die Einkäufe nach Hause. Der Kühlschrank ist leer. Ich schreibe Einkaufslisten, denn er arbeitet ja im Einkaufszentrum. Er lässt die Liste liegen, ich gehe selbst einkaufen. Die Gartenarbeit bleibt liegen. Endlich ist der Sommer fast vorbei, da haben wir eine Ausrede, warum nichts weitergeht. Und Schneckchen kommt wie jeden Abend Heim, legt sich hin und sitzt bis 3Uhr nachts vorm Tablet- Weltuntergang, bald kommt er.
Seine Schwester ist schwanger.
Ich komme ins Krankenhaus, muss ein paar Tage dort bleiben. Schneckchen kommt mich besuchen, fragt, ob er über das Wochenende mit Freunden nach Italien fahren kann. Aber wer kümmert sich um die Tiere? Ich liege doch im Krankenhaus. Er fährt dann doch nicht.
Der neue Job macht Spaß, ich habe nette Kollegen. Ich verdiene mehr als er, plötzlich ist er mit seinem Job nicht mehr zufrieden. Er bleibt „krank“ zu Hause. Macht trotzdem nichts im Haushalt. Worauf kann ich mich noch verlassen? Ich rede mit ihm, sage ihm, dass mir das zu viel wird. Der Haushalt bleibt mir, die Tiere bleiben mir, der Garten, die Einkäufe…er mistet den Hühnerstall einmal aus.
Ich werde immer trauriger, unzufriedener. Wir nehmen uns einen Hund, den wünsche ich mir doch schon so lange. Unser Hund hat so etwas wie Autismus, da sie Fruchtwasser in die Lunge bekommen hat bei der Geburt und lange ohne Sauerstoff war. Sie ist sehr schwierig. Wir bekommen sie auf Probe. Er geht mit ihr in der Früh spazieren, ich nach der Arbeit. Füttere sie, pflege sie. Aber- ich bin allergisch. Kippe regelmäßig um. Muss mich trennen. Weine tagelang. Meine Mutter meint: besser ist es. Noch mehr Arbeit für dich, das hättest du auf Dauer nicht geschafft. Aber ich liebe Tiere doch so. Ich gehe auf die Firmenfeier und lerne Liebestoll kennen.
Bald ist Weihnachten, er gibt sich sehr viel Mühe mit meinem Geschenk. Merkt, dass ich mich immer mehr zurück ziehe, nicht mehr viel lache. Ich habe Weihnachtsmärkte immer sehr geliebt, war ein richtiger Weihnachtself. Doch dieses Jahr macht mich das nicht glücklich. Ich bin schweigsam, kann mich nicht begeistern. Er wird ungeduldig. Liegt wie jeden Abend vorm Tablet.
Ich gehe mit Liebestoll 2 Mal einen Kaffee trinken und unterhalte mich gut. Schneckchen weiß Bescheid, wenn ich Heim komme, sage ich ihm, wo ich war.
Ich bitte ihn wieder um Hilfe, sage ihm, dass ich nicht alles alleine machen kann. Ich putze das Haus, wenn ich Heim komme, sieht es aus wie vorher. Schneckchen kocht, aber wäscht das Geschirr nicht, die Küche wird nicht geputzt. Lässt alles liegen. Kauft nichts ein. Organisiert nichts. Hört auch auf sich regelmäßig zu duschen. Aber er weiß wie man das Tablet bedient.
Seine Umarmungen sind mir unangenehm, ich will nicht mehr, dass er mich küsst, er hat Mundgeruch. Er geht kaum noch duschen. Wir schlafen nicht mehr miteinander. Ich weiß nicht, ob ich noch in dieser Beziehung sein kann. Werde ich so glücklich? Habe ich so eine Zukunft? Wir wollten doch heiraten- aber kann ich ihn heiraten? Will ich das noch? Ich sehe eine Einbahnstraße…eine, die nicht gerade nach Rosen duftet.
Fortsetzung folgt…