Die digitale Kunstinitiative „Memory Gaps ::: Erinnerungslücken“ von Konstanze Sailer gedenkt NS-Opfern mit Ausstellungen an einem Platz in Wien, den es längst geben sollte.
Elsa Bienenfeld (* 23. August 1877 in Wien; † 26. Mai 1942 im Konzentrationslager Maly Trostinez) war eine österreichische Musikhistorikerin und Musikkritikerin. Als ältestes von vier Kindern einer aus Krakau stammenden jüdischen Familie wuchs Elsa Bienenfeld in Wien auf. Im Alter von siebzehn Jahren schloss sie eine Ausbildung am Conservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde ab und promovierte 1903 als erste Frau am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Sie war Privatschülerin von Alexander von Zemlinsky und Arnold Schönberg und mehr als zwei Jahrzehnte hindurch Kulturkritikerin beim Neuen Wiener Journal und bei der Frankfurter Zeitung. Nach dem Anschluss Österreichs im Jahr 1938 wurde sie wegen eines angeblichen Devisenvergehens angeklagt. Elsa Bienenfeld wurde verhaftet, teilentmündigt und am 20. Mai 1942 in das Vernichtungslager Maly Trostinez bei Minsk deportiert, wo sie am 26. Mai ermordet wurde.
Bis zum heutigen Tag existiert keine Straße, die ihren Namen trägt. Hingegen ist nach Leopold Kunschak nach wie vor ein Platz in Wien-Hernals benannt. In politischen Reden und Schriften trat der christlichsoziale Nationalratsabgeordnete der Ersten Republik und Nationalratspräsident von 1945-1953 – der zudem an der Gründung von ÖVP und ÖAAB beteiligt war – über Jahrzehnte nicht nur als Demokrat sondern auch als Rassenantisemit hervor. Anstelle von Leopold Kunschak sollte in Wien Hernals an Elsa Bienenfeld erinnert werden.
Christlichsozialer Nationalratsabgeordneter und Antisemit
Hier einige Auszüge aus einer Rede, die Leopold Kunschak wenige Tage nach antisemitischen Studentenprotesten in Wien, im Nationalrat, am 29. April 1920, hielt. Angesichts der gegenwärtigen europaweiten und der aktuellen österreichischen Flüchtlingsdebatten, klingt die Polemik Kunschaks gegen die jüdischen Flüchtlinge des Ersten Weltkriegs doppelt bestürzend (Quelle: Stenographisches Protokoll der 78. Sitzung der konstituierenden Nationalversammlung der Republik Österreich):
„Die Studentenkrawalle ... sind zu vergleichen mit den Wirkungen, die sich ergeben, wenn eine Eiterbeule zum Aufbrechen kommt, und diese Eiterbeule am Körper unseres Volkslebens wie unseres Staatslebens besteht in der Tatsache, daß seit dem Kriegsbeginn bis zum heutigen Tage noch immer von den Flüchtlingen der damaligen Zeit sich eine bestimmte Sorte – es sind das die Ostjuden – in Wien aufhält und anscheinend durch nichts aus Wien hinauszubringen ist.“
Und Kunschak weiter: „Es wurde heute auch von dem Zukunftsstaat der Juden, von dem neuen Zion gesprochen, das entstehen soll. Wie alles, was von dieser Seite kommt, der Tragikomik nicht entbehrt, so auch dieser zionistische Plan.“
An anderer Stelle derselben Rede meinte Kunschak: „Der Heuschreck läßt das Land, das er überfallen hat, nicht eher los, als bis er es kahl gefressen hat. Das sieht unser Volk, das empfindet unser Volk. … Wo ein Jude sich einmal niedersetzt, dort ist die ganze Mischpoche in sehr kurzer Zeit hinter ihm.“
Kunschak in seiner zusammenfassenden Polemik: „So haben wir eine Verjudung des ganzen Standes der freien intellektuellen Gewerbe. Aber auch in der Beamtenschaft drängt sich das Judentum unerhört vor und namentlich, seitdem die Republik glaubt, im Namen der Demokratie und der staatsbürgerlichen Freiheit vor jedem Juden dreimal sich verneigen zu müssen, damit er sich nicht über Zurücksetzung beklage, finden sie auch in allen Staatsämtern wie in allen öffentlichen Ämtern ungehinderten Eintritt.“
Zwischen 1942 und 1944 wurden im Konzentrationslager Maly Trostinec an die 60.000 Menschen, unter ihnen Elsa Bienenfeld, zumeist durch Erschießung im nahe gelegenen Kiefernwald, ermordet.
Trotz des Wissens um den Holocaust ist im Falle von Leopold Kunschak selbst nach 1945 keine Distanzierung von dessen Antisemitismus zu finden. Kunschak blieb bis zu seinem Tod 1953 Präsident des Nationalrates.
Dominik Schmidt, Konstanze Sailer
Bildausschnitt: "Schrei 18:29 Uhr", 2016, Tusche auf Papier, ©: Konstanze Sailer
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