Wien. Der Kulturminister schlägt eine Umbenennung des Platzes vor der Wiener Hofburg vor. Dies sei nicht nötig, meint die Kunstinitiative „Memory Gaps“ in einem offenen Brief.
Sehr geehrter Herr Bundesminister,
erlauben Sie uns bitte, aus gegebenem Anlass eine Lösung für die Umbenennung des Wiener Heldenplatzes vorzuschlagen.
Der Heldenplatz enthält in seinem Namen bereits die Möglichkeit zur inhaltlichen Richtigstellung. Er braucht formal überhaupt nicht umbenannt zu werden, alles kann äußerlich bleiben, wie es ist. Der Heldenplatz muss nur „innerlich“ umbenannt werden. Nach jenen Menschen aus allen politischen Lagern Österreichs, die sich zwischen 1938 und 1945 exponierten, die für Freiheit, Demokratie und gegen die NS-Diktatur aufgestanden sind. Auch in allen religiösen Gemeinschaften gab es Heldinnen und Helden. Mit einer derartigen Umbenennung des Wiener Heldenplatzes, bei welcher der Name unverändert bestehen bliebe, könnten vermutlich alle politischen Parteien gut leben.
Künftig sollte der Heldenplatz zum Beispiel für das Gedenken an folgende Menschen stehen: Franziska Appel (Sozialdemokratin, Widerstandskämpferin, enthauptet 1943 in Wien), Jacob Kastelic (Christlichsozialer, Widerstandskämpfer, enthauptet 1944 in Wien), Heinrich Maier (römisch-katholischer Priester, Widerstandskämpfer, enthauptet 1945 in Wien), Josef Jellinek (jüdischer Journalist, Widerstandskämpfer, ermordet 1942 im KZ-Sachsenhausen), Anna Gräf (Kommunistin, Widerstandskämpferin, enthauptet 1944 in Wien), Maria Restituta Kafka (katholische Ordensfrau, Widerstandskämpferin, enthauptet 1943 in Wien), Elfriede Hartmann (Studentin, Widerstandskämpferin, enthauptet 1943 in Wien).
An die Haltung dieser Menschen sollten alle, die den Heldenplatz betreten, seien es Schulklassen, Touristen oder einfach nur Spaziergänger jeglicher Herkunft, erinnert werden.
Indem am Heldenplatz zukünftig auch einiger Frauen gedacht wäre, hätten Sie als Kulturminister diese dem Vergessen entrissen. Denn nur wenig erinnert an die vielen Heldinnen jener Zeit, viele von diesen bleiben sogar dreifach vergessen: als NS-Opfer, als Widerstandskämpferinnen und als Frauen. Dieses Narrativ könnten Sie heute, im Zeitalter des aufkeimenden Populismus korrigieren.
Ein Best Practice-Beispiel für eine solche Umbenennung fand übrigens vor einigen Jahren in der Wiener Josefstadt statt, als aus dem „falschen“ Schlesingerplatz (benannt nach einem antisemitischen Reichsratsabgeordneten) der „richtige“ Schlesingerplatz (benannt nach einer jüdischen Frauenrechtlerin) wurde.
Als (nicht geförderte) Kunstinitiative Memory Gaps ::: Erinnerungslücken befassen wir uns seit nunmehr zwei Jahren mit Umbenennungsvorschlägen für Straßen und Plätze im gesamten deutschsprachigen Raum: von Wien bis Salzburg und von München bis Hamburg, um nur einige der Städte zu nennen. Jener Straßen und Plätze, die heute, im Jahr 2017, immer noch nach Menschen benannt sind, die in einem Naheverhältnis zum Nationalsozialismus standen. Monat für Monat wird so das kollektive Gedächtnis erweitert, um Erinnerungslücken zu schließen.
Im Sinne und mit den Worten des New Yorker Rabbi Marshall Meyer gesprochen, müssen wir heute entscheiden, welches andere Gestern wir morgen wollen!
Mit besten Grüßen
Konstanze Sailer, Dominik Schmidt
Wien, 20. Februar 2017
Memory Gaps ::: Erinnerungslücken
Die Malerin Konstanze Sailer gründete 2015 die digitale Kunstinitiative Memory Gaps ::: Erinnerungslücken, die in monatlichen Ausstellungen sämtlicher NS-Opfergruppen, insbesondere ermordeter jüdischer Künstlerinnen, gedenkt.
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