Ideologen und Pragmatiker werden gerne als Kontrahenten betrachtet: Die einen gelten entweder als Weitsichtige oder als Phantasten, die anderen als Anpacker oder als Opportunisten. Dabei wird gerne übersehen, dass beide Arten auf die Welt einzuwirken so wie Yin und Yang ohne einander nicht auskommen. Wer eine pragmatische Entscheidung trifft, tut dies automatisch und (dieser Tage) zumeist unwillkürlich aus einem ideologischen Hintergrund heraus. Kinder des Neoliberalismus sehen so etwa keinen Grund, warum man Griechenland nicht mit Hilfspaketen und/oder einem Schuldenschnitt aushelfen soll. Dass dies das eigentliche Problem nicht löst, nämlich, dass Griechenlands Wirtschaft nie und nimmer stark genug wird um dem Staat den BIP zu ermöglichen, den er zum Erhalt des Lebensstandards seiner Bürger benötigt (ohne dabei zwangsläufig Schulden machen zu müssen!), das scheint nebensächlich. Im Neoliberalismus sind Verlierer eine naturgegebene Selbstverständlichkeit. Sollen sie doch arbeiten, die faulen Griechen. Wenn Medien -Bild lässt grüßen- in dieselbe Schneise schlagen ist das nicht unbedingt aus hetzerischem Kalkül, sondern mitunter aus dem neoliberalen Verständnis mit dem die Redaktion aufgewachsen ist. Wer arbeitet bringe es schließlich zu etwas, und wenn Griechenland im Sand ist, sei es ein eindeutiges Zeichen dafür, dass dort nicht gearbeitet werde.

Bei all dem wird gerne übersehen, dass es uns im industrialisierten Teil der Welt auch ohne der griechischen Wirtschaft an nichts mangelt. Außer Feta und andere, kaum gewinnbringende Lebensmittel -wie viel Käse muss man verkaufen um den Wert von z.B. einem exportierten BMW herinnen zu haben? Wie ist das Arbeitsaufwandsverhältnis?- hat das Land nicht viel zu bieten. Muss es auch nicht. Wenn die griechische Wirtschaft brach liegt, fällt uns das nur auf wenn wir die Zeitung aufschlagen, so wenig beeinflussen griechische Produkte unsere Lebensrealität. Das ist der Grund warum die Wirtschaft Griechenlands niemals mächtig werden wird: Wir haben danach keinen Bedarf. Niemand braucht einen griechischen Flachbildfernseher oder ein griechisches Auto oder Handy oder, oder, oder. Der Ideologe in mir sagt also folgendes: Nun ging all das für lange Zeit gut, und selbst wenn ein -klarerweise zu bekämpfender- korrupter Beamtenfilz sich ein privilegiertes Leben herausnahm, ist es kein Grund, dem griechischen Volk einen künstlich erzeugten Mangel aufzubürden - bloß weil ein paar Zahlen verrückt spielen, die sich ohnehin zwangsläufig exponentiell verhalten und früher oder später untragbare Entwicklungen einschlagen (siehe Das Ende des Kapitalismus). Wer Geld in Griechenland investiert, hat schlechte Karten es wieder zurück zu erhalten - denn rein aus dem Erhalt des Lebensstandards, für das es zunächst logischerweise verwendet würde, kommt kein Gewinn heraus. Die einzige Lösung ist es also, Griechenland wie einen kranken Alten ungefragt mitzuziehen, also nichts, was wir nicht ohnehin schon tun. Bloß könnte man dafür in Zukunft ein paar zumutbare Konditionen herausschlagen: Billigster Griechenland-Urlaub für alle erwerbstätigen EU-Bürger etwa - ist aber lediglich ein gedanklicher Anreiz.

Was ich mit obigem Beispiel ausdrücken wollte ist, dass man ideologisch (um)denken MUSS, sobald innerhalb der bestehenden Ideologie erfolgende pragmatische Handlungen wirkungslos bleiben. Die zahlreichen Rettungspakete -müsste, streng genommen, nicht ein Einziges, ernst gemeintes genügen?- sind beispielhaft für diese Wirkungslosigkeit. Wiewohl die Befreiung Griechenlands vom bei uns gängigen Geldsystem einer Lösung entspricht, handelt es sich dabei bereits um das Verfolgen einer neuen Ideologie - wer Neoliberalismus im Blut hat, dem kräuseln sich die Fingernägel bei so einem Vorschlag, sofern er nicht längst zu lesen aufgehört hat. Besonders leichtfertige Vertreter dieser Denkrichtung meinen sogar, dass es eben zu einem Crash kommen müsse, alle Beträge wieder auf Null gestellt würden und damit wieder Ruhe und Harmonie eintreten würden. Mag sein, dass es infolge dieses surrealen Ereignisses wieder für ein paar Jährchen gut gehen könnte, doch dem wahren Ideologen geht es nicht um den Ist-Zustand -die Symptome-, sondern um die Trends. Diese wiederum sind eindeutig: In der Realität hat ein armes Land durch keinen Schuldenschnitt der Welt auch nur ein einziges wirtschaftliches Zugpferd -sprich: ein Unternehmen- mehr, das dem Trend des negativen Staatshaushaltes im Entfernten entgegenwirken könnte. Im Falle der EU gibt es also mit Portugal, Irland, Malta, Zypern, Rumänien und Bulgarien gleich die nächsten Sorgenkinder ohne erwähnenswerte wirtschaftliche Leistungsträger. Die durchwegs negativen Bilanzen von großen Ländern wie Spanien, Frankreich und Italien lassen ebenfalls nicht viel Hoffnung auf eine Lösung innerhalb des Neoliberalismus aufkommen. Sie alle werden dank der exponentiellen Entwicklung von zinsbelegten Geldsummen immer wieder in Schuldenkrisen stürzen, die die Bevölkerung kollektiv an den Abgrund drängen, ganz ohne einem realwirtschaftlichen Grund (z.B. Ressourcenmangel). Schaffen wir es also nicht, all diese Länder langfristig mitzuziehen oder überhaupt aus dem Geldsystem auszunehmen, müssen wir in Zukunft getrennte wirtschaftliche Wege gehen - ansonsten wäre das Ergebnis ein für beide Seiten fataler Grabenkampf wie wir ihn derzeit zwischen Deutschland und Griechenland erleben. Die BRICS und USA lachen sich derweil ins Fäustchen.

Was bleibt dann noch übrig? Ein Großbritannien, das hauptsächlich wegen seines mächtigen Finanzapparates ernstzunehmen ist (man spricht nicht von irgendwoher vom ANGLO-amerikanischen Kapitalismus) - und ein Kerneuropa, bestehend aus den Beneluxstaaten -Belgien ist ein Ausreißer nach unten, aber mit großem Potenzial-, Deutschland, Dänemark, Österreich, einem zuletzt aufstrebenden Polen, stabil bilanzierenden baltischen Staaten, Finnland und Schweden; wobei die Länder der ehemaligen Donaumonarchie (Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien und Kroatien) dank einiger Lichtblicke als Resultat gut angekommener Investitionen seitens Deutschlands und Österreichs zum erweiterten Kreis hinzuzuzählen sind. Ein solches Kerneuropa wäre nicht nur eine umwerfende Größe in der Wirtschaft, sondern es wäre auch freier in seinen Handlungen als es die jeweiligen einzelnen Länder momentan sind, speziell im Hinblick auf destruktive Verpflichtungen die innerhalb der Eurozone gelten. [Dass eine gemeinsame Währung unter völlig unterschiedlich wirtschaftenden Staaten zum Scheitern verdammt ist, ist nicht nur augenscheinlich, sondern wurde schon von vielen Experten oft genug durchgekaut.] Dieses Kerneuropa wäre (von dieser Bürde befreit) sogar so attraktiv, dass ich mich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen gedenke, wenn ich meine, dass ein Beitritt für die kleinen Riesen Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz erstmals zu einer erwägenswerten Option werden würde. Auch für Österreich wäre ein Mitwirken in diesem Cluster eine vorteilhafte Möglichkeit - ein Verbleib in der EU wird uns mittelfristig in den Abwärtssog daherkommender Staatsbankrotte oben angeführter Länder bringen, macht also keinen Sinn; ein Alleingang hingegen würde zur Isolation führen. Davor aber müsste Deutschland sich von den USA emanzipieren (siehe Eine gehörige Portion Antiamerikanismus) und international im eigenen Interesse auftreten - was wiederum eine Annäherung an das seit dem Fall des eisernen Vorhangs gewillte Russland nach sich ziehen würde.

Das waren eben viele Konjunktive - das schöne am Idealisieren ist es, Idealzustände herbeiphantastieren zu dürfen. Ein Gedanke der einmal ausgesprochen ist, ist wie ein Keim in den Köpfen, der bewässert mit eigenen Gedanken und Vorstellungen zu reifen beginnt, bis er irgendwann stark genug ist um zu einer Bewegung zu werden. Warum ich (und nicht >nur ich) diesen Zustand für ideal halte? Weil er positive Trends nach sich ziehen würde. Die Menschen Europas begreifen sich längst als Europäer und sehen ihre angestammte Kultur nicht mehr im Widerspruch mit anderen Kulturen dieses Subkontinents, sondern begreifen all die Ausformungen als erhaltenswerten Ausdruck der Vielfalt. Indien, mit seinen unzähigen Sprachen, Kulturen und Religionen macht uns ansatzweise vor, wie man diesen Weg sinnstiftend gehen kann. Die EU hat diesen Geist nie richtig zu vermitteln vermocht und wird noch lange nichts weiter als eine Wirtschafts- und Finanzunion mit legislativem Arm sein. Als solche ist sie aber im Begriff zu scheitern - von daher mein Vorschlag zur Konzentration auf ein Kerneuropa, von dem aus der Rest, sobald er sich stabilisiert hat, hinzugezogen werden kann. Der ursprüngliche Sinn der EGKS (aus der sich bekanntermaßen die EU entwickelte), das Schaffen eines als selbstverständlich geltenden Friedenszustandes zwischen Frankreich und Deutschland durch Kooperation im Bezug auf die damals Rüstungsrelevanten Güter Kohle und Stahl wurde inzwischen ohnehin längst erfüllt.

Abschließend komme ich auf die Wirtschaftsbilanz zurück: In den Kernländern gibt es genug Konzerne die "too big to fail" sind und für so konstante Handelsbilanzüberschüsse sorgen, dass man in dem damit sehr sicheren Umfeld das eine oder andere überfällige soziale Modell starten könnte, das ansonsten als finanziell zu riskant betrachtet würde. Anreize zu eigenverantwortlichem Handeln (das bis zuletzt fortwährend per Gesetz eingeschränkt wird), hochqualitative Bildung nach neuen Erkenntnissen und ein direktdemokratisches Mitspracherecht per Online-Identität (natürlich erst, nachdem man den USA das Monopol auf Internetüberwachung erfolgreich streitig gemacht hat; irgendeinen Weg dafür MUSS es einfach geben) können potenziell eine neue, aufgeklärte Gesellschaft nach sich ziehen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen rückt damit in greifbare Nähe und damit eine neue Rolle für das Vereinswesen, das Miteinander, sowie für die Arbeitswelt als Gesamtes. Auch bei langem Nachdenken wüsste ich nicht, was erstrebenswerter als dieser noch nie dagewesene Zustand wäre, von dem aus man Europa zu neuem Glanz und Harmonie verhelfen könnte. Die nächsten Jahre werden weisen, wohin uns der jetzige Scheideweg zwischen Himmel und Hölle führen wird.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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