Wehret den Anfängen

Eine nicht ungefährliche ideologisch vorbelastete Bewegung macht sich langsam aber sicher breit: die Gruppe der Tugendwächter, die für sich in Anspruch nimmt zu bestimmen, was veröffentlicht werden darf und was nicht. Was den Lesern gut tut und was nicht. Festzumachen ist das beeindruckend an der jetzt laufenden Diskussion über sogenannte "Impfgegner", die es sogar in die ORF-Show "Im Zentrum" geschafft hat. Das wäre eigentlich eines der üblichen Ereignisse, die aufgrund eines Anlassfalles und dem davon ausgelösten journalistischen Erregungs-Tsunami, kurzzeitige Prominenz genießen und schon bald wieder in Vergessenheit geraten. Kurz: Nicht der Rede wert. Wenn die mediale Behandlung der Ereignisse nicht einen decouvrierenden Einbilck in die meinungsautoritäre Denkweise bestimmter etablierter und - möglicherweise kommender (so genau kann man das noch nicht sagen) -  journalistischer Eliten zulassen würde.

Wenn im 21. Jahrhundert ernsthaft diskutiert wird, was ein Medium im Rahmen der bestehenden Gesetze veröffentlichen darf und was nicht, dann muss man sich zwingend die Fragen stellen, ob die Väter der Aufklärung nicht in ihren Gräbern im Pariser Pantheon zu rotieren begännen, wüssten sie, wie ihre Grundsätze pervertiert werden. Ausgerechnet von journalistischen Eliten. Gelassenheit und - man muss es leider sagen - Logik spielen im Kampf darum, was comme-il-faut ist, sprich was dem offenkundig vollständig unmündigen Leser zugemutet werden darf und was vor ihm zu seinem eigenen Besten verborgen gehalten werden muss, nur eine relativ untergeordnete Rolle.

Dabei wird auch der Grundsatz des audeatur et altera pars - eigentlich eine Selbstverständlichkeit jeglicher journalistischer Tätigkeit - nicht einmal erst zur Kenntnis genommen. Wie sonst ist es zu erklären, dass eine prominente Journalistin via "Branchendienst" Twitter die verwunderte Frage stellt "..aber kapier ich das richtig, dass bei Im Zentrum gerade auch Impfgegner auftreten?". Die Idee, dass man nicht jemandes Meinung sein muss, ja sie sogar erbittert ablehnen kann und trotzdem dafür eintreten muss, dass sie auch geäussert werden kann, kommt offenkundig niemandem. Eines der wesentlichen Ideale der Aufklärung für das Menschen gekämpft - und nicht selten dafür auch die physische Vernichtung in Kauf genommen haben, wird bereitwillig geopfert auf dem Altar der Selbstgerechtigkeit. "Was als Meinung veröffentlicht werden darf und wer das darf, dass bestimm´ich" ist, dieser Gedanke drängt sich auf, das Credo derer, die sich vor allem auch gerne Sorgen um die Meinungsfreiheit in anderen Staaten machen.

Wenn sich dann ein Medienbetreiber auf die Meinungsfreiheit im Rahmen der Gesetze beruft, trifft ihn der Bannstrahl aus den lichten Höhen des publizistischen Wohlfahrtsausschusses unmittelbar. Eine solche "Argumentation", so eine Fach-Journalistin in einem bedeutenden Nachrichtenmagazin, "ist verlogen". Sich auf die Meinungs - und damit auch auf die Veröffentlichungsfreiheit zu berufen sei "pampig". Ausgerechnet! Denn, so die Argumentationskette weiter, "Meinungsfreiheit ist keine Narrenfreiheit". Das ist zumindest ein historischer Nonsense. Gerade an autoritären Höfen waren es die Narren, die Meinungsfreiheit genossen. Man fühlt sich an Kreiskys Auslassungen zum geschichtlichen Wissen so Mancher erinnert.

Es geht noch weiter, denn "Meinungsfreiheit garantiert aber nicht, dass einem die anderen immer und überall Gehör schenken müssen". Ja, eh nicht, Frau Reporter - aber seit wann gibt es einen Medien-Kontrahierungs - und Konsumationszwang. "Man muss ja nicht", antwortete schon Arthur Schnitzlers Anatol einem Freund. Wenn dann als Untermauerung für die eigenen, zensurgeschwängerten Ideen noch die Frage gestellt wird, ob "Chemtrails-Gläubige im Standard einen Kommentar der anderen schreiben" dürfen, beweist die Autorin nicht eben Trittsicherheit im eigenen Metier. Natürlich kann jedes Medium seine Inhalte bestimmen. Das eines etwas nicht bringen würde, kann keinesfalls eine Norm dafür sein, was andere Medien publiziern dürfen, so sie dies wollen. Oder anders ausgedrückt: Vielleicht bringt die Tageszeitung HEUTE keinen tiefgründigen Kommentar zum Interview, das der französische Politiker Nicolas Sarkozy in der aktuellen Ausgabe des Figaro gegeben hat. Darf es der Standard, dürfen die Presse, der Kurier oder das profil das deshalb auch nicht?

Das könnte man natürlich als Einzelmeinungen einordnen – wenn sich hier nicht eine Elite offenbaren würde, die davon überzeugt ist, erstens zu wissen, was für andere gut ist und daher sich zweitens berufen fühlt, darüber zu bestimmen, wie andere Medien, sich deshalb zu verhalten haben. Eine publizistische Compliance-Abteilung sozusagen. Was sie nicht bedenken, ist die Frage, wer denn nun eigentlich bestimmt, was man schreiben, lesen, hören und sehen darf. Was sich quasi innerhalb der Grenzen der Moral befindet und was draussen zu bleiben hat. Aus gutem Grund hat Recht mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Weil es eben eine absolute Gerechtigkeit, die als Messlatte dienen könnte, nicht gibt. Genauswenig gibt es eine absolute Moral. Wenn man die etablieren möchte, kann es gefährlich enden. Wie schon das Comite de Salut Public, der Wohlfahrtsausschuss der französischen Revolution, bewiesen hat: an die 17.000 Tote im Namen der Tugend, also der Moral. Wie schnell diese von anderen anders interpretiert werden kann, mussten nicht zuletzt die Herren St. Just, Danton und Robespierre selber erleben.

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Herbert Erregger

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Silvia Jelincic

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