Vladyslav Musiyenko Michael Khachidze
Seit 2019 ist Viola von Cramon als Abgeordnete der Grünen/EFA Mitglied des Europäischen Parlaments. Sie sitze als Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (AFET) und ist stellvertretende Vorsitzende in der Delegation im Parlamentarischen Assoziationsausschuss EU-Ukraine.
Zudem ist sie Teil der Delegation in der Parlamentarischen Versammlung „EURONEST“ sowie Stellvertreterin im Haushaltskontrollausschuss (CONT), dem Ausschuss für Industrie, Technologie, Forschung und Energie (ITRE) und der Delegation im Ausschuss für Parlamentarische Kooperation EU-Russland. Von 2009-2013 war sie Mitglied des 17. Bundestags. Dort war sie Sprecherin für EU-Außenbeziehungen und sportpolitische Sachen.
Die Abgeordnete zeichnet sich durch seine scharfe Kritik an Putins Regime aus. Sie ist bekannt für ihre Unterstützung der osteuropäischen Länder und nimmt eine aktive Position ein. Das Interview wurde von Michael Khachidze für Flensburger Tageblatt aufgenommen und durchgeführt.
Zunächst frage ich Sie zur Ukraine, wie beurteilen Sie die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine?
Die derzeitige Lage in der Ukraine hat zwei Aspekte. An der militärischen Front ist die Lage relativ hoffnungsvoll. Nach der Befreiung von Charkiw und kürzlich von Cherson hat die ukrainische Armee einmal mehr bewiesen, dass sie motiviert und entschlossen ist und ihr Land von den Besatzern zurückerobern kann, wenn sie die richtigen Mittel erhält. Deshalb müssen wir den Ukrainern weiterhin die von ihnen gewünschten Waffen zur Verfügung stellen, damit sie ihre Bevölkerung und ihren Staat schützen können.
Auf der anderen Seite terrorisiert Russland weiterhin die Zivilbevölkerung und zerstört weiter die kritische Infrastruktur der Ukraine. Vor einigen Tagen war ich in Kiew. Die Lage dort ist kritisch. Die Menschen haben keinen Strom, kein Wasser und keine Heizung. Trotzdem ist der Geist der Gemeinschaft und der Einheit stärker als je zuvor. Putin wird es nicht gelingen, die Ukraine von innen heraus zu spalten.
Was die Ukraine in dieser Phase dringend braucht, sind hochmoderne Luftabwehrsysteme, um ihre kritische Infrastruktur zu verteidigen und relativ unbeschadet durch den Winter zu kommen. Außerdem wollen wir in der Nähe der ukrainischen Grenze in der EU ein Zentrum für kritische Infrastrukturen und Ersatzteile einrichten, ähnlich wie die bestehenden Waffenverteilungszentren. Auf diese Weise kann die Ukraine, wenn russische Raketen und Drohnen Zerstörungen verursachen, die Schäden in kürzester Zeit beheben.
Und vor diesem Hintergrund interessiert mich den Zustand (Position) Georgiens. Wie sehr unterstützt die georgische Regierung aus Ihrer Sicht als westlicher Abgeordneter die Ukraine?
Ich fürchte, die georgische Regierung hat es versäumt, sich in diesem Krieg auf die moralisch und politisch richtige Seite zu stellen. Dies steht in völligem Gegensatz zur absoluten Mehrheit der Georgier, die Spenden organisiert, Flüchtlinge aufgenommen und ununterbrochen zur Unterstützung der Ukraine protestiert haben. Ich war im September in Tbilissi und konnte überall Zeichen der Unterstützung sehen: von den Graffiti in der Stadt bis zu den Fenstern der Bürger, in denen ukrainische Flaggen hängen.
Vor ein Paar Tagen habe ich in Berlin den berühmten russischen Schriftsteller Wladimir Kaminer interviewt, er sagte, wenn Georgien nicht aus seinem Tiefschlaf erwacht, wird es seine Chancen verlieren. Was denken Sie, ist die Regierung von Georgia in einem Tiefschlaf?
Ich fürchte, Herr Kaminer hat Recht. Wir sehen, wie die georgische Regierung offen Anti-EU-, Anti-NATO- und Anti-US-Narrative verbreitet. Sie verbirgt es nicht einmal. Glücklicherweise verstehen über 80 % der Georgier die Situation und bleiben dem europäischen Weg treu.
Andererseits haben die Republik Moldau und die Ukraine den Status von Beitrittskandidaten erhalten, während Georgien deutlich ins Hintertreffen geraten ist. In Anbetracht des Kurses, den die georgische Regierung eingeschlagen hat, rechne ich nicht mit einer baldigen Verbesserung.
In der Zwischenzeit schließt sich das Möglichkeits-Fenster, und Georgien läuft Gefahr, in den kommenden Jahrzehnten vergessen und ausgegrenzt zu werden. In der gegenwärtigen geopolitischen Lage kommt dies meines Erachtens einem Verrat gleich und stellt einen klaren Verstoß gegen die georgische Verfassung dar.
Ich werde Sie auch nach Saakaschwili fragen. Wie Sie wissen, befindet sich der ehemalige Präsident Georgiens, der als prowestlich galt und viele Reformen in Georgien durchgesetzt und das Land näher an Europa gebracht hat, derzeit im Gefängnis, oder besser gesagt im Krankenhaus, und sein Zustand ist kritisch. Was denken Sie über diese Prozesse?
Es ist Aufgabe der Geschichte und der Menschen in Georgien, das Erbe von Saakaschwilis Präsidentschaft zu bewerten. Ich weiß, dass die Dinge nicht schwarz-weiß sind. Ich war einer seiner größten Kritiker, als ich noch Mitglied des Deutschen Bundestages war. Allerdings sehe ich auch viele seiner positiven Reformen, die die Staatlichkeit Georgiens begründet haben.
Die aktuelle Situation von Herrn Saakaschwili ist für mich in erster Linie eine humanitäre Frage. Es ist klar, dass sich sein Zustand rapide verschlechtert und die Regierung ihn dringend in eine Klinik im Ausland verlegen muss, die ihm die nötige medizinische Unterstützung bieten kann. Dies könnte in Polen, Deutschland oder anderswo geschehen.
Als letztes, möchte ich Sie ganz gerne fragen, ob die Georgier Hoffnung für den Westen haben sollen, oder besser gesagt, wie sehr wir darauf vertrauen können, dass der Westen uns unterstützt, wir erinnern uns noch immer an den Gipfel von Bukarest 2008, wo Sarkozy und Merkel gegen Georgien vorgingen, der den Weg für Russland freiließ und Putin im August 2008 in Georgien den Krieg angefangen hat.
Die Situation hat sich seit 2008 drastisch verändert. Die Welt hat das wahre Gesicht Russlands gesehen. Besser spät als nie.
Außerdem ist es falsch, Sarkozy und Merkel mit dem gesamten Westen gleichzusetzen. Georgien hatte und hat viele Freunde und Unterstützer im Westen. Es ist wichtig, diese Unterstützung zu intensivieren, und eine Möglichkeit, dies zu tun, besteht darin, zu zeigen, dass Georgien der EU-Integration und den europäischen Werten verpflichtet ist.
Je näher Georgien der EU institutionell und in Bezug auf die Werte kommt, desto schwieriger wird es für den Westen sein, die Bedürfnisse Georgiens zu vernachlässigen.