Auf dem Datenfriedhof im Land der „Zauberflöte für Kinder“

Über eine türkise Initiative zur Inferiorisierung des Fachzusammenhangs Kulturelle Bildung

„Ich halte die heutige Diskussion für einen wichtigen und sehr positiven inhaltlichen Beitrag einer neu belebten Kultur-Offensive für die nächsten Generationen. Nun machen wir Nägel mit Köpfen, um die musische Bildung unserer Kinder und Jugendlichen mit Fahrplan, klaren Inhalten und Zielen voranzutreiben“ (Maria Großbauer anlässlich des ersten Fachdialogs zu musikalischer Bildung 2018).

Kulturpolitik hat ja nicht zu den großen Themen der letzten Bundesregierung gezählt. Eine der wenigen Ausnahmen stellte das Vorhaben dar, “Impulse im Bereich der musischen Bildung und des Musikunterrichts“ (https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/A/A_00221/index.shtml) zu setzen. In diesen Tagen veröffentlichte das Parlament einen „Bericht zur Vermittlung musikalischer Bildung“ (https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHHG/XXVI/III/III_00304/imfname_758623.pdf). Dieser begründet sich auf eine Initiative der ÖVP-Kultursprecherin Maria Großbauer im Zusammenwirken mit ihrem freiheitlichen Kollegen Walter Rosenkranz.

Bereits zu Beginn der letzten Legislaturperiode hatte sie sich für die Durchführung einer parlamentarischen Enquete zur musikalischen Bildung stark gemacht; nachdem diese nicht zustande kam, verständigte sich die Organisatorin des Wiener Opernballs zusammen mit Kulturminister Gernot Blümel auf einen Fahrplan, um „neue Impulse zugunsten einer musischen und musikalischen Bildung als einem bislang vernachlässigten und unterschätzten Potential zu setzen“. Dem offiziellen Begleittext folgend wurde im Sinne einer engeren Vernetzung vor allem von Schulen, Musikschulen, regionalen Initiativen und Institutionen wie dem Österreichischen Blasmusikverband, der Blasmusikjugend oder dem Chorverband Österreich eine interministerielle Expert*innen-Gruppe gebildet, deren Auftrag darin bestand, „konkrete Maßnahmen für die musische Aus- und Weiterbildung von Kindern und Jugendlichen“ zu entwickeln. Dazu wurden „Fachdialoge“ mit einer Handvoll handverlesener Mitwirkenden organisiert, deren inhaltliche Ausrichtung nicht weiter kommuniziert wurde. Dafür liegt jetzt ein mehr als 300 seitiger Bericht an den Nationalrat zur Vermittlung der musikalischen Bildung vor, dessen besondere Qualität vor allem darin liegt, das tiefgreifende Dilemma das Sektors zu repräsentieren. Dieses besteht darin, in Ermangelung jeglicher konzeptioneller Grundlagen alles Mögliche zu wollen und dabei alles Wirkliche auszublenden.

Die lange und ergebnislose Geschichte interministerieller Arbeitsgruppen

Diese, im wahrsten Sinn welt-fremde Haltung hat im Bereich der kulturellen Bildung eine lange Tradition. Als langjähriger Leiter des Österreichischen Kultur-Service erinnere ich mich, dass bereits in den frühen 1990er Jahren Vertreter*innen des staatlichen Musikbetriebs zusammen mit den Standesvertretungen der Musikpädagog*innen beim damaligen Unterrichts- und Kunstminister Rudolf Scholten vorstellig wurden, um Verbesserungen im Bereich der musikalischen Bildung einzumahnen. Ansonsten würde Österreich ernste Gefahr drohen. Nun kann man Rudolf Scholten wohl kaum mangelnde Kunstaffinität vorwerfen; ihm ist es als einem der letzten Kultur- und Bildungspolitiker gelungen, noch einmal das Kunstbudget gegen die aufkommenden Sparzwänge signifikant zu erhöhen und darüber hinaus im wertschätzenden Einvernehmen mit vielen Künstler*innen deren Standing nachhaltig zu verbessern. Und doch vermochte er mit den damaligen doch recht allgemeinen Appellen der überwiegend kulturkonservativen Standesvertreter*innen nur sehr wenig anzufangen. Also schlug er die Einrichtung einer Arbeitsgruppe vor, deren Mitglieder sich über Jahre in regelmäßigen Abständen trafen, ohne es zu schaffen, ihre Anliegen in plausible Maßnahmen zu übersetzen. Aufmerksam verfolgte der zuständige Ministersekretär die Diskussionen, um danach dem Ministerium melden zu können, dass „eh nix passiert“.

Als nicht viel anders geartet erwiesen sich die Versuche der Politikbeeinflussung in der Regierungszeit von Elisabeth Gehrer, die sich – vor allem als Mitglied der ersten schwarz-blauen Koalitionsregierung - durchaus offen zeigte für die Erörterung kulturpessimistischer Szenarien. Damals nahm sich ihr Kabinettchef Peter Mahringer der Notwendigkeit einer besseren Abstimmung der für Bildung, Kunst und Kultur zuständigen Beamt*innen (samt Vertreter*innen der ministeriellen Vorfeldorganisationen) persönlich an, um bald zu erkennen, dass sich die unterschiedlichen bürokratischen Logiken nicht so einfach unter einen Hut bringen lassen. Sein politisches Zugeständnis bestand dann darin, als „zu links“ punzierte ministerielle Vorfeldorganisationen wie den Österreichischen Kultur-Service - denen vorgeworfen wurde, sich zu wenig um das kulturelle Erbe und zu viel um Gegenwartskunst zu kümmern – zu zerschlagen und die Restbestände unter dem Dach von KulturKontakt Austria an die politische Kandare zu nehmen.

Die Tragik des hohen Personalisierungsgrads kulturpolitischer Entscheidungen

Eine gewisse Ausnahme bildete die Ära Claudia Schmied 2007 – 2013. Sie vereinte in ihrem Ressort sowohl die Zuständigkeiten für Unterricht als auch die für Kunst und für Kultur. In ihrem politischen Handeln war sie der Idee einer „Evidence Based Policy“, die der fundierten Analyse von Daten einen höheren Stellenwert einräumt als Meinungen, zumindest nicht völlig abgeneigt. Darüber hinaus war ihr kulturelle Bildung und Vermittlung ein persönliches Anliegen; entsprechend versuchte sie, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit für die Implementierung von konkreten Maßnahmen vor allem von Kunst- und Kulturvermittlung dafür stark zu machen. Und sie fand durchaus Resonanz in Teilen der Szene, die in ihren strategischen Zielsetzungen bislang vernachlässigten Nutzer*innen und ihren Bildungsansprüchen einen größeren Stellenwert einräumte. Doch schon kurz nach ihrem Ausscheiden war es mit diesbezüglichen Schwerpunktsetzungen vorbei; ihre Nachfolgerin Ministerin Gabriele Heinisch-Hosek ließ in ihrer Funktion als Bildungs- und Frauenministerin zugunsten Genderaspekten künstlerische und musikalische Bildung als Movens der Schulentwicklung bald wieder in den Status der relativen Bedeutungslosigkeit zurückfallen. Die für kulturelle Bildung zuständige Beamtin ging daweil unter dem Mantel dieses neuen politischen Desinteressens ihrem persönlichen Faible für das Schachspiel in der Schule nach.

Diese Tradition der Personalisierung lässt für die aktuelle Situation wenig Gutes erwarten. Weder der für Kunst und Kulturzuständige Kanzleramtsminister Gernot Blümel noch der Bildungs- und Wissenschaftsminister Heinz Fassmann haben in Sachen kultureller Bildung bislang nicht wirklich aufhorchen lassen (das gilt auch für die zuständigen Fachabteilungen in beiden Ressorts, die unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen keinerlei Initiative mehr erkennen lassen).

Von welcher Kultur reden wir da eigentlich?

Mit der aktuellen Initiative von Maria Großbauer kehren wir wieder in die guten alten Zeiten zurück, in der Kultur die vorrangige Aufgabe zukam, von den brennenden gesellschaftlichen Widersprüchen abzulenken. Bei der Lektüre des Berichtes fällt zu aller erst die hohe ideologische Aufladung dessen auf, was hier verhandelt werden will. Als befänden wir uns im nationalen Identitätsfindungsprozess der 1950er Jahre wird Österreich gleich zu Beginn des Berichts noch einmal als eine Kulturnation hypostasiert, die insbesondere der Musik einen außergewöhnlich hohen Stellenwert bei der „Stärkung der Identität und des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Österreich“ zumessen würde (Thomas Diesenreiter von der Kulturplattform Oberösterreich hat sich zuletzt nicht nur mit den exorbitanten Kulturförderungen an den Motorradhersteller KTM (und damit an den Hauptsponsor der Kurz-ÖVP Stefan Pierer) sondern auch mit personalen Leere der „Kulturnation“ kritisch auseinandergesetzt: https://diesenreiter.at/warum-die-kulturnation-oesterreich-eine-luege-ist).

Die Frage, ob eine Mehrheit der Österreicher*innen welcher Musik auch immer eine entscheidende Funktion bei der politischen Identitätsbildung zuschreiben würde, sei einmal dahin gestellt. Und doch gewinnt angesichts der aktuellen kulturpolitischen Vorstöße der Freiheitlichen, neue kulturelle Hierarchien einzuziehen die Frage an Dringlichkeit, von welcher Kultur denn da die Rede ist. Immerhin steht mit dem zunehmend aggressiv vorgetragenen rechtsradikalen Anspruch auf kultureller Hegemonie nicht mehr oder weniger als die Zukunft in einer modernen, auf Gleichwertigkeit und Pluralität unterschiedlicher kultureller Ausdrucksformen basierenden Gesellschaft auf dem Spiel.

Wollen wir – zumal im Zusammenhang mit Musikpädagogik – wirklich noch einmal in- und außerhalb Österreichs nationale Zugehörigkeiten mit musikalischen Mittel trennscharf voneinander zu unterscheiden (darauf beziehbare „Fortschritte“ in illiberalen Demokratien können zurzeit in Ungarn hautnah nachvollzogen werden. Wie man hört wird dort mehr denn je gesungen, halt ausschließlich auf Ungarisch).

Als wär‘s ein Schlag ins Gesicht derer, die sich um eine engere Verknüpfung von kultureller und politischer Bildung bemühen

Noch schwerwiegender wiegt bei der unreflektierten Verwendung des Begriffs die besondere Geschichtsvergessenheit, die sich darin spiegelt. Immerhin stand die Kulturnation als politischer Machtanspruch im Gegensatz zur Staatsnation die längste Zeit für Antimodernität und damit für illiberale Tendenzen im Kampf gegen Liberalität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Als solche stand die österreichische Kulturnation der 1950er und 1960er Jahre für eine „austriakische Restauration“ (Gerhard Fritsch), deren führende Kräfte unmittelbar an rückwärtsgewandte austrofaschistische Traditionen anzuknüpfen versuchten, um so ein übergroßes kulturelles Erbe gegen fast jede Form der künstlerischen Zeitgenossenschaft zu stellen.

Soweit wollen Großbauer und Co heute freilich nicht mehr gehen; ihre Begründungsrhetorik umfasst auch die „Investitionsbereitschaft in eine gesellschaftliche Zukunft voller Kreativität und Innovation“ und bedient damit – im Einklang mit ihrer Parteilinie neoliberale Positionen (Der Passus im Entschließungsantrag, „Musik verbinde die Menschen, Generation und Kulturen und stelle das Miteinander über den Wettbewerb“ erscheint im Zusammenhang mit der neoliberalen Agenda der letzten Bundesregierung entweder naiv oder zynisch).

Die Zweifel an eine mögliche Zukunftstauglichkeit der Initiative zeigen sich auch da, wo musikalische Bildung nahezu synonym mit musischer Bildung verhandelt wird, ohne auch nur einen Halbsatz über den Gebrauch des Begriffs „musische Bildung“ in autoritären Herrschaftsformen zur Übertünchung gesellschaftlicher Konfliktlinien zu verschwenden. Der politisch hellsichtige Absolvent der Anton-Bruckner-Privatuniversität Paul Schuberth meinte in diesem Zusammenhang sinngemäß, bei musischer Bildung handle es sich um ein Stück „Gebrauchshumanismus“, dessen Hauptaufgabe darin bestehe, von den realen (politischen) Verhältnissen abzulenken.

Eine begründete Analyse des Status quo tut not

Auf diese Weise muss man den Eindruck gewinnen, auch bei dieser Initiative geht es vorrangig um einen weiteren Versuch der Behübschung eines potemkinschen Dorfes namens „Kulturland Österreich“, in dessen Namen die Gesellschaft verbessert werden könnte, ohne sich freilich nochmals die Mühe zu machen, überzeugende Argumente zu bieten, auf welcher Grundlage (Strukturen, Personal, Ressourcen,….) dies geschehen könnte.

Gerade im Fehlen jeglicher Analyse dessen, wovon da die Rede ist, zeigt sich der affirmative Charakter des eigenen Anspruchs. Mit keinem Satz wird auf den Stand des heutigen Musikbetriebs und damit auf Art und Ausmaß der Rezeption und Mitwirkung Bezug genommen. Und doch spricht vieles dafür, dass sich nicht erst in den letzten Jahren die Gewohnheiten im Umgang mit der ganzen Bandbreite von Musik nachhaltig verändert haben. Befunde aus der Jugendkulturforschung berichten etwa, dass sich noch nie so viele (vor allem junge) Menschen unterschiedlichste Formen von Musik auf unterschiedlichsten, zum Teil interaktiven Kanälen in ihre Lebenswelten integriert haben. Sie werden damit musikalisch in einer Weise sozialisiert, die von der traditionellen Musikpädagogik kaum erfasst wird und als ästhetische Form der Welterfahrung doch von existentieller Bedeutung ist. Wollte man angesichts des Umstands, dass noch nie so viel Musik verfügbar war noch einmal einen musikalischen Bildungsanspruch geltend machen, dann kann sich der nicht mehr darauf beschränken, musikalische Bildung einzufordern sondern Aussagen darüber zu treffen, welche konkreten Ziele sie verfolgt und damit wie sie – angesichts der Vielfalt konkurrierender Anbieter - inhaltlich und methodisch ausgestaltet sein sollte.

Es passiert so wunderbar viel und – es ist alles ganz furchtbar

Genau darüber aber finden sich im Bericht keinerlei Aussagen. Stattdessen beschränken sich die Berichterstatter darauf, ohne jeden Beleg zu konstatieren, dass sich „gerade in den Volksschulen die Situation des Musikunterrichts in der letzten Dekade verschlechtert“ habe. Offenbar um diesen Befund zu begegnen, werden in der Folge alle öffentlich geförderten Aktivitäten, die sich in einem noch so weiten Zusammenhang mit musikalischer Bildung bringen lassen, unkommentiert aufzulisten. Überwältigt von der schieren Menge kann einen da schon das Staunen überkommen, was die öffentliche Hand nicht eh alles fördert. Etwas irritierend ist es allenfalls, dass sich die Initiative „Zauberflöte für Kinder“, die einmal im Jahr ein paar tausend Wiener Kindern die Gelegenheit bietet, just am Wirkungsort von Frau Großbauer, direkt im Anschluss an den Opernball eine Kurzfassung der Mozart-Oper zu besuchen, gleich neben den Programmen „Schulkulturbudgets für Bundesschulen“ oder „Dialogveranstaltungen“ findet. Aber damit ist noch lange nicht Schluss. In immer neuen Listen findet sich ein mit 1.000.— gefördertes Musikprojekt einer regionalen Kulturinitiative unvermittelt neben dem Profil eines Musikers, der bereit ist, in die Schule zu gehen, dem Jugendprogramm der Salzburger Festspiele oder einem europäischen Kooperationsprojekt. Von Interpretation all dessen, was da zusammengetragen wurde hingegen keine Spur.

Und was lernen wir daraus? Gar nichts, ist die eizig mögliche Antwort. Nur das Scheitern eines dilettantischen Bestätigungsversuchs, der davon kündet, dass allerhand stattfindet, mehr oder weniger musikalisch inspiriert und öffentlich gefördert. Was wir aber unschwer erkennen können, das ist der Umstand, dass den Bildungs- und Kulturverwaltungen jegliche Kompetenz fehlt, wenn es darum geht, Daten nicht nur zu sammeln und in Listen zusammen zu führen sondern diese auch (und gerade) in einer Weise zu interpretieren, dass sich daraus kultur- und/oder bildungspolitische Entscheidungsgrundlagen ableiten ließen.

Aufgelistet sind u.a. alle österreichischen Musikschulen, fein säuberlich nach Bundesländern geordnet, alle geförderten Musikprojekte oder alle 160 Kooperationsprojekte des Programms von KulturKontakt Austria cuture connected (https://www.culture-connected.at/projekte/?no_cache=1). Auch hier beschränkt sich der Eindruck, der damit vermittelt werden will, auf die schiere Menge: Geht es nach der Anzahl der Berichtseiten, dann passiert viel. Aber was ist schon „viel“? Aber kein Wort über allfällige Qualitätsansprüche, Reichweitenerfordernisse (immerhin gibt es 6 000 Schulen mit über einer Million Schüler*innen in Österreich), Ressourceneinsatz (es gibt pro Projekt max. 1.500.— an Fördermittel) oder gar über nachvollziehbare Wirkungen. Angesichts dieses Datenfriedhofs kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es gar nicht um Erkenntnisgewinn geht sondern um einen Beweis, dass „eh alles ganz wunderbar ist“, auch weil (oder gerade weil?) die letzte Bundesregierung weder im für Kunst und Kultur zuständigen Bundeskanzleramt noch im Bildungsministerium mit einem zumindest basalen Interesse an Fragen der kulturellen oder musikalischen Bildung aufgefallen wäre.

Na endlich: Die Lehrer*innen sind schuld – Curriculumreform an der PH, noch nie gehört

Wie aus den Begleitmaterialien zu entnehmen ist, lag eine der Begründungen für die Initiative in der Konstatierung einer Verschlechterung der musikalischen Bildung vor allem im Primarschulbereich – und das ausgerechnet im „Musikland Österreich“. Evidenzen, Ausmaß, Gründe oder gar allfällige Konsequenzen werden nicht genannt. Immerhin werden Schuldige festgemacht: Die musikalische Ausbildung der Pädagog*innen an Volksschulen sei zurückgefahren worden. Deshalb können sie es halt einfach nicht. Um dem zu begegnen, formuliert der Bericht einige sporadische Empfehlungen wie Ausweitung des Lehrer*innen-Angebotes auf sogenannte „Quereinsteiger*innen, die Erleichterung von Studieneingangsprüfungen oder eine Ausweitung der Weiterbildung.

Völlig unberücksichtigt aber bleibt der Umstand, dass die für die Ausbildung von Primarlehrer*innen nach wie vor (allein) zuständigen Pädagogischen Hochschulen im Zuge der Lehrer*innen-Bildung neu ihr Angebot zugunsten von kreativer, kultureller oder künstlerischer Bildung nachhaltig verändert und zum Teil beträchtlich ausgeweitet haben (siehe dazu PH Wien (https://www.phwien.ac.at/files/Bachelorstudien/primarstufe/Infoblatt_Schwerpunkt_Kreativitaet.pdf), PH Niederösterreich (https://www.ph-noe.ac.at/fileadmin/root_phnoe/Ausbildung/Schwerpunkte/schwerpkt-kulturpaed.pdf ) oder PH Oberösterreich (https://ph-ooe.at/fileadmin/Daten_PHOOE/Web_App/SP_Infos/SP_KS_2019.pdf ). Wie naheliegend wäre es da gewesen, zuerst einmal nachzufragen, ob und in welchem Ausmaß das neue Angebot angenommen wird, ob sich dieses bereits im Unterrichtsalltag niederschlägt bzw. ob dazu begleitende Beobachtungen zugunsten allfälliger Adaptionen vorgesehen sind.

Die Nägel und die Köpfe werden wohl andere machen müssen

Sollte wider Erwarten der eine oder andere

Parlamentarier/Parlamentarierin (oder gar jemand aus dem Fachzusammenhang) das Dokument zur Hand nehmen, dann werden sie darin zwar keinen „Fahrplan, keine klaren Inhalte und Ziele für die musische Bildung unserer Kinder und Jugendlichen“ (Gott sei Dank, wäre man fast geneigt zu sagen) sondern eine Doppelbotschaft finden. Einerseits werden sie die Fähigkeit von Mitarbeiter*innen des öffentlichen Dienstes bestätigt finden, unter dem Prätext musische und musikalische Bildung eine Vielfalt von Institutionen, Initiativen, Programmen, Projekten und Aktivitäten zusammen tragen und auf hunderten Seiten sorgfältig auflisten zu können (die Wut über diese wochenlang, völlige sinnlose Auftragsarbeit möchte ich mir gar nicht vorstellen).

Was sie darin nicht finden werden, das ist ein Interpretations- und Analyseangebot, was diese Daten bedeuten bzw. welche Entwicklungsszenarien sich daraus ergeben könnten. So sehr sie sich auch durch das weitgehend beliebige Datendickicht durchgraben, sie werden keine Einschätzungen zum Stand des Fachzusammenhanges finden, noch weniger Hinweise darauf, welche Handlungsoptionen sich daraus ableiten lassen und wer allenfalls tätig werden könnte bzw. müsste. Solche Analysehinweise aber wären die notwendige Voraussetzung für eine breitere, da oder dort durchaus fruchtbar kontroverse Diskussion um Relevanz dieses Fachzusammenhanges. Also erhalten sie einmal mehr die Versicherung, dass sich vorerst nichts ändern wird.

In der Hand halten sie einen Beweis für das Wiederauferstehen einer kulturkonservativen Lobby, die in manisch-depressiver Weise noch einmal die Wunderbarkeit „ihrer“ Kultur (und damit ihrer selbst) beschwört und zugleich beklagt, nicht genügend Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren, ohne selbst noch einmal mit überzeugenden Entwicklungsszenarien für all diejenigen, die sich außerhalb ihrer engen Wahrnehmungsgrenzen bewegen, aufwarten zu können. Also brauchen sie auch nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die Welt inzwischen weiter gedreht hat, damit, dass immer mehr Menschen mittlerweile ganz andere Sorgen haben und doch Musik und ihre (mediale) Vermittlung mittlerweile die letzten Ritzen des Alltagslebens von uns allen erreicht hat und nicht darauf wartet, bis überkommene Konzepte der musischen Bildung sie dorthin trägt.

Ja und noch was. Der Bericht macht deutlich, dass die dahinter stehende Lobby nicht und nicht zur Kenntnis nehmen will, dass Musik per se sich jeder außermusikalischen Bewertung entzieht.

Ganz offensichtlich kommt ihrer inhaltlichen Ausrichtung ebenso wie dem Kontext, in dem sie verhandelt wird, die entscheidende Bedeutung bei der Generierung und Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Wertvorstellungen mit und durch Musik zu.

Wäre dem nicht so, dann müssten wir uns zur Behauptung versteigen, auch das gemeinschaftliche Singen der Nazi-Lieder einer Wr. Neustädter Burschenschaft trage positiv zu Musiknation bei. Und das wollen wir ja nun doch nicht.

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