Ein Beitrag zur kulturpolitischen Erbauungsliteratur (Link zum Buch)
Warum sind Texte zur Kulturpolitik oft so mühsam zu lesen? Vielleicht weil wir genug haben von idealistischen Appellen, die uns in ihrer ewigen Wiederholung doch nur davon ablenken, genauer hinzuschauen, was da kulturpolitisch seit vielen Jahren schiefläuft und mittlerweile dabei ist, die Existenzgrundlagen des gesamten Kulturbetriebs zu unterminieren? Schon beim Lesen spüren wir, die Worte sind gut gemeint und verfehlen doch den Anspruch der (kultur-)politischen Veränderung. Und sind froh und dankbar: Auch wenn sich nichts ändert, mit Brosda stehen wir auf der richtigen Nicht umsonst gilt der Autor als Senator für Kultur und Medien in Hamburg sowie Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie in weiten Teilen der Szene mittlerweile als eine Lichtgestalt, jedenfalls als einer der wenigen führenden Kulturpolitiker*innen, die sich um die Wiederaufnahme des kulturpolitischen Diskurses bemühen.
Dafür, dass sein Buch nur wenige Wochen vor dem Ausbruch der Pandemie erschienen ist, der den Kulturbetrieb in seinen Grundfesten erschüttert hat, kann Brosda nichts. Und doch liest sich der Text mit den Erfahrungen vieler Akteur*innen, sich im Gerangel auf der Anspruchsleiter der Hilfsbedürftigen am unteren Ende wieder zu finden, noch einmal ganz anders. Sein ungetrübtes Plädoyer für internationalen Austausch von Künstler*innen, Klimakrise hin oder her – ist dafür nur ein kleines Indiz. Die Realitäten haben Brosdas Überbau-Konstrukte mittlerweile bei Weitem überholt.
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Brosdas Hauptthese, die er in unzähligen Schleifen wiederholt, ist klar: Wir alle sind gefordert, uns als Mitglieder einer offenen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft für den Fortbestand einer auf Vielfalt gerichteten liberalen Ordnung einzusetzen; die „unbedingte politische, rechtliche und gesellschaftliche Gewährleitung der Freiheit der Kunst und der Kultur (sic!)“ würde dafür den entscheidenden Lackmustest bilden. Immer wieder spannt er dabei den Bogen zwischen individuellen Freiheitsansprüchen und der Verantwortung für das Gemeinwesen. Leitschnur ist ihm eine uns alle innewohnende Vernunft, die sich nicht im persönlichen Gebrauch erschöpft, sondern erst im Gespräch „zwischen“ den Menschen zu sich kommen würde. Die Kunst wäre dafür die bestmögliche, weil umfassend sinnlich erfahrbare Ausdrucksform.
Diese Zuschreibung von Kunst an einen Ort, an dem die zentralen Widersprüche zwischen Mensch und Gesellschaft zu sich kommen, hindert Brosda nicht, sie als eine Möglichkeit, „Realität hinter sich zu lassen“ und „ ideale Zustände zu kreieren“ zu hypostasieren. Auch wenn er „KunstundKultur“ gern in eins setzt, findet er dann doch eine eigene, nicht ausschließlich auf das Kunstsystem bezogene Definition, wonach „Kultur“ das entscheidende Substrat darstellen würde, um auf immer neue Weise kollektive Sinnstiftung zu ermöglichen und Wertvorstellungen in einem nicht näher bezeichneten Gemeinwesen (Dabei bleibt das europäische Projekt samt dem aktuellen Streit um seine demokratischen Standards unerwähnt) verbindlich zu machen.
Brosda nähert sich diesem zentralen Spannungsfeld zwischen den Freiheitsansprüchen jedes Einzelnen und dem, was die Gesellschaft zusammenhält, aus verschiedenen Blickwinkeln: Dabei dekliniert er eine Reihe, weitgehend disparat verhandelter Themenstellungen wie „Gesellschaft im Wandel“, die Aktualität einer „Kultur für alle“, den Heimatbegriff, Kulturelles Erbe, Kulturwirtschaft und Folgen der Digitalisierung durch, ohne dabei auch nur in Ansätzen so etwas wie eine neue kulturpolitische Konzeption durchscheinen zu lassen. Am weitaus überzeugendsten ist Brosda in seinem Anspruch der Verteidigung der Freiheit einer Kunst, deren besondere gesellschaftliche Wirkkraft darin liege, sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Dabei bezieht er sich explizit auf die sozialen Kontexte, in denen Kunst entsteht, um sie unbeeinflusst von politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Vorgaben als „Spekulationsort alternativer sozialer, politischer und kultureller Strategien“ zu propagieren
Das alles mag man gerne unterschreiben – und hinzufügen: „So what?“. Wenn aber Worthülsen über den Gebrauch einer „leidenschaftlichen Vernunft“ oder über „Solidarität als Mehrheitsstrategie in der Gesellschaft über Milieugrenzen hinweg, die es gälte, neu zu konzipieren und erfahrbar zu machen“ dann wird bei mir als Leser irgendwann die Frage überlaut: „Auf was will dieser Mann hinaus?“ Und komme zum Schluss: Da sollen offenbar noch einmal die Konturen einer idealen, von Kultur als entscheidender positiver Kraft getriebenen Gesellschaft skizziert werden, auf dass sich deren heller Schein auf den Autor und allenfalls ein wenig auch auf seine Leser*innen ergieße, ohne dass dies nochmals Auswirkungen auf das, was gesellschaftlich gerade der Fall ist, haben würde. Was bleibt, sind die Ausführungen eines Mächtigen, der versucht, sich in seiner Funktion als kulturpolitischer Entscheider von seinem Denkvermögen zu überzeugen und uns dabei vorzeigt, wie elaboriert er in der Lage ist, seine Grundsätze zu reflektieren und dabei doch nicht auf die vorgestanzten Beiträger seiner Sonntagsreden-Schreiber*innen verzichten mag.
Es ist kein Zufall, dass Brosda für ein Wiedererstarken des Idealismus plädiert. Folgerichtig geht es in Brosdas Sicht auf die Welt in erster Linie darum, nicht, wie es ist und was daran kritisier- und veränderbar ist sondern wie es – abseits der Niederungen der kultrubetrieblichen Gegebenheiten – sein könnte, wie es ein sollte, wie es sein müsste. Um mit der Anwendung eines gut gefüllten appellatorischen Rhetorikkoffers nochmals für eine „Kunst der Demokratie“ zu werben, die in der Realität gerade zu Grabe getragen wird.
Obwohl von der Ausbildung her Politikwissenschafter, klammert Brosda die realen Machtverhältnisse aus, denen der Kulturbetrieb auch seitens seiner Partei immer wieder ausgeliefert war und ist weitgehend aus. Stattdessen lässt er Willy Brandt und Helmut Schmidt als Zentralgestirne des gelingenden Zusammenwirkens von Kunst und Politik auftreten, um sich ihnen scheinbar absichtslos zuzugesellen (Achtung: An den politischen Bezügen zu Beethovens Neunter Sinfonie kommt auch Brosda nicht vorbei).
Kritikfähigkeit der herrschenden Verhältnisse gehört also nicht zu den Stärken des Autors. Und selbst dort, wie Brosda die anti-liberalen kulturpolitischen Ansprüche der Rechtspopulist*innen zur Sprache bringt, bleibt er die Antwort schuldig, welche konkreten politischen Strategien zu ihrer Bekämpfung er bereithält. Stattdessen beschränkt er sich auf die Propagierung von Gesprächsformaten, um auch mit diesen Kräften im Dialog zu bleiben, wenn diese nur darauf gerichtet sind, „sich wechselseitig unterstellen zu können, überzeugbar zu sein.“ (Immerhin könnte Brosda stutzig machen, dass der Ausbruch der Pandemie der Widerstand eines existentiell bedrohten Kulturbetriebs gegenüber den antidemokratischen Tendenzen weitgehend zum Erliegen gekommen ist).
Seine abschließenden Antworten, wenn es darum geht „neue Gesellschaftlichkeit zu entwickeln“, „die Freiheit der Kunst zu verteidigen“, „Kulturpolitik wieder stärker als Politik ernst zu nehmen“ oder „zu lernen, das öffentliche Gespräch zu führen“ sind allesamt ehrenwert. Ja, dafür bin ich auch! Aber in ihrer Allgemeinheit bilden sie allenfalls eine gute Grundlage für mehr oder weniger gedeihliche Mußestunden knapp vor dem Einschlafen. Praktisch gehen sie an fast allem vorbei, was den Kulturbetrieb in einer Gesellschaft, der gerade die Demokratie abhandenkommt, heute konkret umtreibt.
Mit „Die Kunst der Demokratie“ legt Bosda einen ungewollten Grund dafür vor, warum Kulturpolitik als Politikfeld nicht ernst genommen wird. Es verhandelt Gott und die Welt und kann doch nicht sagen, was Sache ist. Eine auch nur halbwegs handlungsleitende Konzeption für eine Kulturpolitik, die in der Lage wäre, dem Kulturbetrieb in seiner aktuellen Existenzkrise einen möglichen Weg, wie es weiter gehen könnte zu zeigen, sieht anders aus.
Immerhin: Meine Lust, mir nach dieser Lektüre einen substantiellen Text zu aktuellen Fehlentwicklungen der Demokratie – mit und ohne Kunst – vorzunehmen, war selten größer.