Rezension Ljiljana Radonić /Heidemarie Uhl (Hg.) (2020): Das umkämpfte Museum – Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung, transcript
Teaser
Der Sammelband umfasst eine Reihe von fachspezifischen Beiträgen, die im Rahmen einer Konferenz rund um die Eröffnung des Hauses der Geschichte Österreichs (hdgoe) im Oktober 2018 präsentiert und diskutiert worden sind. Herausgegeben von der Politikwissenschafterin Ljiljana Radonić und der Historikerin Heidemarie Uhl widmen sich Texte den großen zeitgeschichtlichen Themen rund um Nationalsozialismus, Holocaust und der Repräsentation jüdischen Lebens. Darüber hinaus finden sich aktuelle Auseinandersetzungen rund um den Aspekt der Migration und die politische Transformation postsozialistischer Länder, der sich in einer wachsenden Renationalisierung zeigt und ihre Wirkung auch auf zeithistorische Einrichtungen nicht verfehlt. Der Leser/die Leserin ist eingeladen, sich auf eine Erkundungsreise zur gesellschaftlichen Wirksamkeit zeithistorisch ausgerichteter Museen und Gedenkstätten in einer, in vielfältiger Weise aus den Fugen geratenen Zeit zu machen.
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Die Eröffnung des Hauses der Geschichte Österreichs als Anlass einer grundlegenden Auseinandersetzung mit historischen Museen und Gedenkstätten
In den Räumen der kaiserlichen Hofburg in Wien hat 2018 auf 750 m² ein Haus der Geschichte Österreichs seinen Betrieb aufgenommen. Seit 2000, als sich die erste rechtskonservativ – rechtspopulistische Regierung auf die Errichtung dieses Museums einigte, findet sich eine diesbezügliche Absichtserklärung in jedem weiteren Koalitionsübereinkommen, freilich mit jeweils anderer inhaltlicher Schwerpunktsetzung. Nach langjährigen und quälenden Verhandlungen einigte man sich schließlich auf eine temporäre Minimalvariante, deren Zukunft weitgehend in den Sternen steht.
Nach all den Schwierigkeiten bei der Implementierung und dem rein quantitativ bescheidenen Ergebnis könnte man schon zum Schluss kommen, beim hdgoe handelt es sich um den Ausdruck eines fast schon demonstrativen staatlichen Desinteresses. Die Gründe mögen einerseits darin liegen, dass zu bestimmten Phasen der österreichischen Geschichte, insbesondere dem Austrofaschismus, bislang kein Konsens innerhalb der traditionellen politischen Kräfte hergestellt werden konnte. Andererseits mag der politische Unwille schlicht auf eine beeindruckende Erfolgsgeschichte bei der Herstellung eines nationalstaatlichen Selbstverständnisses im Zuge eines rasanten wirtschaftlichen Wiederaufschwungs in der Bevölkerung nach 1945 herrühren. Spätestens nach dem Schwenk der Freiheitlichen Partei zur Österreich-Partei (Jörg Haider kokettierte in den späten 1980er Jahren noch mit der Behauptung einer österreichischen National als einer „ideologischen Missgeburt“) unterliegt die Existenz der österreichischen Nation keinem namhaften politischen Zweifel. Das, so die Motivation der politischen Entscheidungsträger*innen sollte – ohne viel Diskussion – auch so bleiben.
In diesem Kontext haben die die Politikwissenschafterin Ljiljana Radonić und die Historikerin Heidemarie Uhl die Ergebnisse einer Konferenz „Das umkämpfte Museum – Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung“ zusammen geführt, wohl in der Hoffnung, damit die herausragende Bedeutung von Einrichtungen zur Beschäftigung mit zeitgeschichtlichen Fragestellungen noch einmal deutlich machen zu können. Herausgekommen ist einerseits eine Bestätigung traditioneller zeitgeschichtlicher Prioritätensetzung, wenn der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust bzw. die Diskussion um die Wirksamkeit von jüdischen Museen breiter Raum gegeben wird. Dazu aber werden auch Fragen wie die überfällige Berücksichtigung der wachsenden Migrationsbewegungen bei der Neuausrichtung von Museen aber auch der wieder erstarkte politische Einfluss auf Organisation und die Inhalte zeitgeschichtlicher Einrichtungen im Zuge der Renationalisierungsstrategien rechtspopulistischer und rechtsradikaler Parteien verhandelt.
Ist das Museum wirklich noch der Schlüsselort für Kultur- und Geschichtspolitik?
Es bedarf herausgeberischen Mutes, wenn angesichts der Charakters des hdgoe als einer herumgereichten lauwarmen Kartoffel in der österreichischen politischen Arena dem Leser/der Leserin schon in der Einleitung noch einmal die herausragende Stellung von zeithistorischen Museen als „key cultural loci of our times“ suggeriert will. Solchen normativen Zuschreibungen mag man folgen oder auch nicht. Wenn aber nach einer Phase, in der historische Museen als zunehmend verstaubt und anachronistisch gesehen wurden, von den Herausgeberinnen heute ein neuer, museal geleiteter Selbstvergewisserungsbedarf konstatiert wird, dann leuchtet hinter den Worten ein allzu greller Selbstbestätigungsbedarf derer, die vom Betrieb dieser Einrichtungen leben. (Eine kleine Umfrage des Rezensenten unter Bekannten hat jedenfalls ergeben, dass keine/r der Befragten einem Museumsbesuch noch einen signifikanten Stellenwert bei der eigenen gesellschaftlichen Verortung geben würde.)
Nun besteht kein Zweifel, dass es in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von Neugründungen zeithistorische relevanter Institutionen gekommen ist. Zumeist bleiben diese einer liberalen gebildeten Schicht vorbehalten, die den Besuch dieser Einrichtungen als Freizeitangebot nutzen, umso mehr also sie dabei eine Bestätigung ihrer bereits festgelegten gesellschaftspolitischen Sichtweisen erfahren. Immerhin erwähnt die Direktorin des NS-Dokumentationszentrums in München Mirjam Zadoff in ihrem Beitrag „Is it history that hast he capacity to save us“ unter dem Titel „Holocaust is fading from memory“ Studienergebnisse, wonach für einen Großteil der Amerikaner*innen die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs keinerlei Relevanz mehr hätten. Mit ihnen ist wohl auch vielen Europäer*innen für zentrale zeitgeschichtliche Themen wie Nationalsozialismus und Holocaust das Bewusstsein abhandengekommen, hier handle es sich noch um „ereignis- oder rezeptionsgeschichtlich noch offene Epochen, denen die ordnende Kraft des Rückblicks auf eine abgeschlossene Zeit“ fehlen würde.
Das mag man nicht nur aus der Sicht der zeitgeschichtlichen Zunft bedauerlich finden, wer aber einmal die Reaktionen von Gymnasiast*innen auf noch so gutgemeinte zeitgeschichtliche Unterrichtsangebote „Nein, bitte nicht schon wieder Holocaust!“ mitbekommen hat, der mag schon einmal als einen sehr konkreten Beleg für die amnestische Grundstruktur der aktuellen gesellschaftlichen Verfasstheit nehmen. Wohl einer der Gründe, warum rechtspopulistische und rechtsradikale Kräfte zunehmend unverblümt in die historische Versatzkiste zu greifen vermögen, ohne dass zeitgeschichtliche Institutionen mit ihrem Bemühen, „ kritische und reflexive Distanz“ zu schaffen, noch einmal signifikante Wirksamkeit dagegen zu entfalten vermögen. Umso mehr fehlt in diesem Band die Auseinandersetzung mit neuen Formen der Nutzer*innen-Kommunikation bzw. mit neuen Methoden der Vermittlung.
Die Sehnsucht der renationalistischer Politik nach einer besseren Vergangenheit
Wenn einige der Beiträge davon berichten, wie Neo-Nationalisten versuchen, zeitgeschichtlich relevante Institutionen wie das „Haus der Europäischen Gesichte“ für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren, dann manifestiert sich hier eine Farce, mit der noch einmal auf den ursprünglichen Zweck von historischen Museen verwiesen wird, der in der Konstruktion und Legitimation einer klar nachvollziehbaren nationalen Identität samt dazugehöriger patriotischer Gesinnung bestand. Zum Ausdruck kommt hier noch einmal die Hoffnung auf die Macht der Indoktrination derart gegängelter Institutionen, die durch andere weitgehend transnational organisierte Kommunikationskanäle längst unterlaufen wird.
Mit ihren Interventionen machen die politischen Akteure des nationalistischen Spektrums vor allem in den post-sowjetischen Ländern ein institutionelles Dilemma für eine junge Zeithistoriker*innen-Genration deutlich, das darin besteht, die ursprünglichen staatlichen Machtinteressen des Staates repräsentierenden Intentionen eines Museums trotz zunehmendem Gegenwind zu überwinden und ihm einen überzeugenden Entwurf entgegen zu setzen. Ein solcher ließe das Museum zu einem Ort der Begegnung mutieren, in dem einander alle Beteiligten (Gestalter*innen ebenso wie Nutzer*innen) auf Augenhöhe begegnen, um in gleichberechtigter Weise an der Wissens- und Bedeutungsproduktion mitzuwirken. Es versteht sich von selbst, dass ein solcher Anspruch nicht nur konservative Politiker*innen irritiert sondern auch eine große Herausforderung für das Kulturmanagement darstellt, das sich fortan nicht mehr damit begnügen kann, von professionellen Kräften aufbereitete Inszenierungen vorab definierten Zielgruppen verfügbar zu machen sondern partizipative und interaktive Prozesse zu starten und zu moderieren, der allen Beteiligten eine gehörige Stimme gibt.
„Es gehört zu den Strategien hegemonialer Institutionen, Kritik zu integrieren, ohne dabei die grundlegenden Machtverhältnisse aufzubrechen“ (Wonisch)
Wenn diese Satz der Historikerin und Germanistin Regina Wonisch wahr ist, dann stellen die an dieser Stelle nur andeutbaren Transformationsprozesse im Machtsystem Museum eine Herkulesaufgabe dar. Am Aspekt der Migration, der vielleicht wie kein anderer bestehende Machtungleichheiten in der Gesellschaft repräsentiert, macht sie sich dennoch auf die Suche. Und kommt in ihrem sehr grundsätzlichen Beitrag dennoch zur Schlüsselfrage, wie es gelingen kann, Einrichtungen, die prinzipiell auf ein „Wir-Gefühl“ appellieren, hinreichend in der Lage versetzt werden können, dem „Anderen“ den ihm gebührenden Platz einzuräumen. Nach Wonisch geht es um nicht mehr und nicht weniger als darum, den Anspruch an das Museum als Ort gemeinsamer Gedächtnisbeziehungen zu überwinden und ihm die Aufgabe zuzuweisen, konkurrierende Erinnerungs- und Gedächtnispolitiken unter einem Dach zu vereinen. Um alle Beteiligten an Lernprozessen zu beteiligen, die darauf hinauslaufen, die daraus resultierenden Unsicherheiten aushalten, irgendwann vielleicht sogar als besonderen Reichtum schätzen zu lernen.
Die besondere Herausforderung für das Kulturmanagement sieht Wonisch nicht in der fallweisen Organisation von Sonderausstellungen, die spezifisch migrantischen Phänomenen geschuldet sind, sondern die Rekrutierung eines Personals, das den Ansprüchen einer postmigrantischen Gesellschaft gerecht zu werden vermag. Sie fordert eine Belegschaft als ein Abbild der gesellschaftlichen Realitäten. Nur so könne es gelingen, zugunsten der Vielfalt möglicher Nutzer*innen neue Beziehungen zwischen denen, die drinnen und denen, die draußen sind zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang berichtet der Kunsthistoriker Georg Traska von einigen partizipativ gerichteten Projekten, im Rahmen derer marginalisierte Gruppen im Wiener Volkskundemuseum eingeladen wurden, an der Ausstellungsgestaltung aktiv mitzuwirken. Besonders beeindruckt hat den Rezensenten der Versuch junger Muslim*innen, im Rahmen eines Schulprojektes ihre Lebensumstände zu thematisieren. Besonders interessant sind die Beschreibungen Traskas, wie die Schüler*innen permanent die Erwartungen und Pläne der beteiligten Wissenschafter*innen in neue, unerwartete Richtung gelenkt hätten, um auf diese Weise zu ganz unerwarteten und doch äußerst produktiven Ergebnissen zu kommen. Sowohl Dekonstruktion als auch Sinnstiftung fanden hier ihren paradigmatischen Ort.
Zeitgeschichtliche Museen in Konkurrenz zu anderen medial vermittelten Anbietern
Alle in diesem Band gemachten Versuche, zeithistorischen Museen noch einmal die Bedeutung zuzuweisen, die sie zumindest aus der Sicht ihrer Betreiber*innen verdienen, sollte nicht vergessen machen, dass sie sich heute einer Vielzahl konkurrierender Medien zu stellen haben. Immer mehr Menschen beziehen ihr Wissen und damit auch ihre individuelle ebenso wie kollektive Sinnstiftung aus virtuellen Welten; nicht nur öffentlich-rechtliche Sender überbieten sich in der Ausstrahlung von zum Teil hervorragend aufbereiteten History-Sendungen, hinter denen die Erfahrungen, die in traditionellen Geschichtsmuseen gemacht werden, weit zurückfallen. Über diese Konkurrenzverhältnisse ist in dem Band ebenso wenig zu lesen wie über die Effekte einer Social-Media-Welt, in der zeitgeschichtliche Phänomene in Echtzeit verhandelt werden, ohne dass noch einmal eine zeithistorisch relevante Kraft in der Lage wäre, die damit verbundenen Erfahrungen zu strukturieren, einzuordnen und zu bewerten.
Für alle Kulturmanager*innen, die einen Einblick in die aktuelle Diskussion um die Weiterentwicklung zeitgeschichtlich relevanter Institutionen suchen, ist dieser Band eine Fundgrube an Erfahrungen aus dem Inneren des Museumsbetriebs. Naturgemäß konzentrieren sich die Beiträge auf inhaltliche Belange, während organisatorische Fragen, solche der künftig notwendigen personellen Ausstattung und der Neubestimmung des Verhältnisses von Kurator*innen, Vermittler*innen und Nutzer*innen eher am Rand verhandelt werden. Aber sowohl im Kapitel zum Migrationsaspekt wie dem Wiederaufleben politischer Einflussnahme wird deutlich, dass sich die in diesen Einrichtungen notwendigen Qualifikationen immer weniger auf spezifisches Fachwissen werden beschränken lassen. An ihre Seite treten gleichberechtigt strategisches Denken, das Wissen um gesellschaftliche Vielfalt, Kommunikationsfähigkeit und eine durchsetzungsfähige politische Haltung, die sich in den zuspitzenden Machtstrukturen zu bewähren weiß.
Es bleibt dahin gestellt, ob es mit der Veröffentlichung dieses Bandes gelingt, eine neue Dynamik in die Weiterentwicklung des hdgoe zu bringen. Dem Leser/der Leserin aber wird auf eindrückliche Weise für die Prekarität überkommener zeitgeschichtlicher, in Museen und Gedächtnisorte gefasster Konzepte sensibilisiert und im Zusammenwirken mit den Autor*innen eingeladen, diese neu zu denken.