Changiermasse Kulturpolitik: Ein traditionell unterentwickeltes Politikfeld in Zeiten von türkis-grün

Kürzlich erschien ein Kommentar des Feuilletonchefs des Standards Stephan Hilpold mit dem Titel „Stiefkind Kultur“. Ganz offensichtlich ist im Zuge der neuen Regierungsbildung in Sachen Kunst- und Kulturzuständigkeit nicht alles rund gelaufen. Die vormalige Rektorin der Akademie der bildenden Künste Eva Blimlinger galt lange Zeit als Favoritin zur Wahrnehmung kulturpolitischer Kompetenzen auf Bundesebene. Einige Zeit war sogar von einem eigenen Kulturministerium die Rede, das von Blimlinger geführt werden sollte. Groß war die Hoffnung, mit einer solchen Ressort- und Personalentscheidung die Relevanz des Kulturbetriebs in der österreichischen Gesellschaft nachhaltig zu erhöhen.

Gekommen ist alles anders. Während die resolute Mitverhandlerin des Kunst- und Kulturkapitels im Regierungsprogramms den Vorsitz des parlamentarischen Kulturausschusses übernimmt, zog Werner Kogler in der Zielgeraden noch einmal eine Überraschungskandidatin in Gestalt der Europa-Abgeordneten Ulrike Lunacek aus dem Hut und machte sie zu einer für Kunst und Kultur zuständigen Staatssekretärin. Nun stehen die politischen Meriten dieses grünen Urgesteins außer Frage; gut nachvollziehbar, dass Werner Kogler in der aktuellen ausgesetzten Lage als Juniorpartner in einer Koalition mit einer mit allen Wasser gewaschenen türkisen Truppe auf Lunaceks langjähriges politisches Knowhow nicht verzichten wollte. Wenig wahrscheinlich freilich ist es, dass die beiden Vertrauten sich im Vizekanzleramt in erster Linie über kulturpolitische Fragen austauschen werden.

Ulrike Lunacek ist kulturpolitisch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt; entsprechend tauchen Erinnerungen an ähnliche Konstellationen auf, als der vormalige Bürgermeister von Wiener Neustadt Peter Wittmann in der Regierung Viktor Klima erstmals ein Kunststaatssekretariat im Kanzleramt leitete und Klima sich rühmte, damit Kultur zur „Chefsache“ gemacht zu haben. Er hatte zuvor die Rolling Stones nach Wiener Neustadt gebracht und legte doch bereits in seinem ersten großen Fernsehinterview einen beeindruckenden Bauchfleck hin. Anhand der damaligen Erfahrungen ist es nicht ganz abwegig, Lunaceks Bestellung als einen Sieg der Parteistrategie über die Fachkompetenz zu interpretieren, mit dem einmal mehr kulturpolitische Fragen übergeordneten Machtinteressen geopfert worden sind. Wer dazu das hohe Ausmaß an Personalisierung innerhalb des Kulturbetriebs kennt, wird die, wenn es sein musste, auch penetrante Durchsetzungsfähigkeit der unbestrittenen Fachfrau Blimlinger vermissen.

Ein Appell an den Kulturbetrieb: Ächzen, Stöhnen und Klagen ist auf Dauer noch keine kulturpolitische Strategie

Ziemlich erwartbar und damit symptomatisch für den öffentlichen Diskurs waren im Vorfeld die mangelnden Klagen von Künstler*innen und Kulturschaffenden, der Kultur würde nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit zuteil. Ihre Anliegen würden ausschließlich als wenig attraktives Versatzstück im Machtpoker verhandelt, der (Eigen-)wert der Kultur nicht genügend wertgeschätzt. Diese fast schon rituelle Form des kollektiven Räsonnements kaschiert nach den vielfältigen Versuchen rechter Kräfte, die kulturelle Hegemonie zu übernehmen, nur mehr ungenügend, wie wenig der Kulturbetrieb – immer mit dem Hinweis auf seine Autonomieansprüche – getan hat, sein Standing in der Gesellschaft zu verbessern und so auch Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung zu nehmen.

Immerhin zeigt die Zusammensetzung der neuen Bundesregierung, dass der in die Jahre gekommene Deal zwischen Staat und Kulturbetrieb frei nach dem Motto: Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass nicht mehr funktioniert. Der Staat, der sich darauf beschränken soll, eine weitgehend hermetische Käseglocke aufrecht zu erhalten, unter der ein selbstreferentieller Kulturbetrieb sich weitgehend selbst genügt, ist an sein Ende gekommen. Entsprechend gefordert erscheint heute ein Kulturbetrieb (wie das bereits zu Beginn der 1970er Jahre Gerhard Fritsch mit dem Diktum, es gälte, die Fenster eines altdeutschen Wohnzimmers zu öffnen und frischen Wind hereinzulassen) sich stärker in die gesellschaftlichen Verhältnisse einzumischen und auf diese Weise selbst als (kultur-) politischer Akteur aufzutreten. Immerhin steht vieles dafür, dass die Erzeugung von politischem Druck die einzige Sprache ist, die politische Verantwortung welcher politischen Couleur auch immer, zu verstehen vermögen. Lamentieren inklusive des Erhebens der Moralkeule werden da wenig ausrichten.

Wenn in diesen Tagen erste Analysen zum Kapitel „Kunst und Kultur“ im aktuellen Regierungsprogramm versucht werden, dann steht bislang die Freude im Vordergrund, dass darin die prekäre soziale Lage von Künstler*innen angesprochen ist. Aus dem Papier ist unschwer die Handschrift Eva Blimlingers zu entnehmen, wenn sich gleich mehrere Punkte mit Reformmaßnahmen der Kunstuniversitäten beschäftigen, etwa wenn es um die Förderung inter- und transdisziplinärer Vorhaben und darüber hinaus um die Stärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit etwa zwischen Kultur- und Technikszene und Start-ups sowie Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen geht. Auch der Bereich der Kulturvermittlung findet entsprechend Berücksichtigung. Insgesamt aber zeigt sich einmal mehr das Fehlen einer kulturpolitischen Strategie; statt dessen findet sich ein bunt zusammengewürfelter Strauß an guten Absichten, die, jede für sich unvermittelt nebeneinander stehend, wenige gemeinsame Aussicht eröffnen, zu einer kulturpolitischen Offensive zu führen.

Weil sich in diesem Kapitel auch ein Hinweis auf die Schaffung einer Bundesmuseums-Holding findet, hagelt es auch schon erste Kritik. So wittert die Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Bundesmuseen Johanna Rachinger eine Verletzung der Autonomieansprüche der staatlichen Institutionen und macht damit einmal mehr den Wunsch ihrer führenden Vertreter*innen deutlich, mit Kulturpolitik möglichst wenig belästigt zu werden (jedenfalls so lange der Staat ausreichend Mittel zur Verfügung stellt).

Was hat das Kapitel „Kunst und Kultur“ der Vorgängerregierung eingelöst? Nichts

Sie aber können beruhigt werden. Es lohnt ein Blick in das Kapitel „Kunst und Kultur“ des 2017 verabschiedeten Regierungsübereinkommens. Bereits dort finden sich Passagen, die sich unter dem Begriff einer Bundesmuseums-Holding subsummieren lassen (dort heißt es „Nutzung von „Shared Services“). Geschehen ist fast nichts. Nicht nur im Bereich der staatlichen Kulturinstitutionen. Immerhin lesen wir bereits dort von der „weltweit einmalige Bedeutung von Kunst und Kultur für Österreich“ (als besondere Form des Goderlkratzens für eine marginalisierte Gruppe) und erfahren von geplanten Schwerpunktsetzungen und von einer damit verbundenen Erarbeitung eines Masterplans (von dem Dank eines fast schon ostentativen Desinteresses des vormaligen ressortzuständigen Ministers Gernot Blümel bald nichts mehr zu hören war).

Besonders schmerzlich erscheint heute der Umstand, dass sich das alte Programm für einen detailliert ausgearbeiteten Schwerpunkt in Sachen kultureller Bildung ausspricht (eine der vier zentralen Ziele führte die Überschrift „Kinder und Jugendliche für Kunst und Kultur begeistern“). Im Vergleich dazu fällt das aktuelle Programm ziemlich zurück, ein diesbezüglicher Maßnahmenkatalog mit Ausnahme der Absicht, die österreichischen Musikschulen nach dem Vorbild Tschechiens in gesamthafte Kunstschulen zu transformieren, fehlt (dass in diesem Zusammenhang Musikschulen einmal mehr auf Vorfeldorganisationen von Kunst- und Musikuniversitäten reduziert werden, um so den Künstler*innennachwuchs zu gewährleisten, erscheint als ein besonderer Wermutstropfen). Dass in diesem Zusammenhang wieder Heinz Fassmann das Bildungsressort übernimmt, der in der letzten Legislaturperiode keinerlei Initiative in Richtung kultureller Bildung gesetzt hat (stattdessen machte er sich zum Ausführungsorgan einer rechten, vorwiegend ethnisch und religiös gefassten Kulturpolitik, die auf eine zusätzliche Diskriminierung migranter Kinder und Jugendlicher hinauslief) sollte uns hellhörig machen.

In keinem anderen Politikfeld klaffen Absichtserklärungen und die Umsetzung konkreter Maßnahmen so weit auseinander wie im Bereich der Kulturpolitik

Wie ich schon anhand der Analyse früherer Regierungsprogramme gezeigt habe, gibt es kaum ein anderes Politikfeld, in dem niedergeschriebene programmatische Absichten so wenig Bedeutung für das (kultur-)politische Handeln wie im Bereich der Kulturpolitik haben. Entsprechend steht zu befürchten, dass es sich bei den vielen positiven wie negativen Projektionen, die sich auf den regierungsamtlichen Text zu „Kunst & Kultur“ beziehen, um reines Schattenboxen handelt. Schon in wenigen Wochen – so meine Vermutung – kräht kein Hahn mehr danach.

Und wir werden einmal mehr zurückgekehrt sein in die guten alten Zeiten, in der der Staat von Zeit zu Zeit ohne Substanz behauptet, ja eh Kulturpolitik zu betreiben und der Kulturbetrieb das Fehlen von Kulturpolitik kritisiert im Wissen (bei manch Privilegierten auch in der Hoffnung), dass diese ohnehin nicht stattfindet.

Was bleibt ist eine neue Staatssekretärin in der Person Ulrike Lunacek, deren erste Aufgabe als Vertraute Wender Koglers es sein wird, die prekäre Machtbalance zwischen einer dominierenden türkisen Fraktion (die zur Zeit damit auftritt, ihren Kurs beibehalten zu wollen) und einer so permanent unter Druck stehenden grünen Fraktion aufrecht zu erhalten.

Lackmustest Kommunikation mit der Szene

Schön, wenn sie sich darüber hinaus auch für Kunst und Kultur interessiert (ihr Vorgänger Gernot Blümel hat dies ostentativ – obwohl Minister – nicht getan). Als neugierige Gesprächspartnerin, die Künstler*innen auf Augenhöhe begegnet, kann sie wahrscheinlich mehr erreichen als Vollzugsorgan eines Programms, auf das sich im Ernstfall ohnehin niemand bezieht.

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