Corona machts möglich - Solidarisch in den Autoritarismus ?

In der letzten Ausgabe von Foreign Affairs mit dem Titel “The Future of Capitalism” hat Branko Milanovic den Artikel “The Clash of Capitalisms - The Real Fight for the Global Economy’s Future" veröffentlicht. Darin sieht Milanovic den Kapitalismus nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als alternativloses Prinzip wirtschaftlichen und damit gesellschaftlichen Handelns. Zugleich sieht er dessen liberale Variante, die seit 1989 ihren globalen Siegeszug angetreten hat, bedroht. Diese würde sich als zunehmend unfähig erweisen, auf die mannigfachen Verwerfungen adäquat zu reagieren. Zur selben Zeit gewönnen autoritäre Strategien selbst bei den Wähler*innen hochentwickelter Demokratien an Attraktivität, weil sie als scheinbar effizienter bei der Lösung anstehender Problemlagen eingeschätzt werden.

Wir alle haben in den letzten Jahren die Folgen der Alternativlosigkeit einer, auf Neoliberalismus und Globalisierung setzenden Hegemonie kapitalistischer Herrschaft erlebt. Sosehr uns die negativen Folgen, sei es in Form wachsender sozialer Ungleichheit und rasender Umweltzerstörung oder in Form autoritärer Bewegungen immer näher rücken, so wenig zeichnen sich am Horizont überzeugende politische Alternativen selbst innerhalb gefestigter Demokratien ab, die sich zynisch zum Satz verkürzen lassen: Ein Ende der Welt ist heute eher vorstellbar als das Ende des Kapitalismus.

Der weltweite Ausbruch der Corona-Pandemie mit ihren massiven Einschränkungen der Persönlichkeits- und Freiheitsrechte spitzt möglicherweise die These von Milanovic zu, wir könnten uns alsbald in postdemokratisch verfassten autoritären Regimen wieder zu finden. Ja, es gibt sie, die aktuellen Schönredner wie der Zukunftsforscher Matthias Horx, die uns suggerieren, die aktuelle Krise böte noch einmal die Chance, sich auf die wahren Werte zu konzentrieren und damit das gesellschaftliche Ruder in solidarischem Zusammenwirken herumreißen. Aber es gibt auch eine Reihe von Warnsignalen, die auch erahnen lassen, wohin der politische Weg abseits der einen oder anderen intellektuellen Spielwiese gehen könnte.

Wir brauchen nur die jüngsten Meldungen auf uns wirken lassen, in denen berichtet wird, wie Chinas diktatorische Politik seinen fürs Erste scheinbar erfolgreichen Kampf gegen das Corona-Virus nutzt, um sein internationales Standing zu verbessern. Während die meisten europäischen Staaten auf die nationale Karte setzen (und selbst besonders betroffene Nachbarstaaten wie Italien oder Spanien im Regen stehen lassen) entsendet China Ärzte und Medikamente in europäische Krisenregionen, um so auch gleich Vorteile seiner autoritären Herrschaftsform zu exportieren. Gleichzeitig macht sich die Gallionsfigur des europäischen Illiberalismus, Victor Órban daran, mit Hilfe von Corona-induzierten Notverordnungen das ungarische Parlament auf Dauer auszuschalten. Prononcierte Ungarn-Kenner sprechen von Maßnahmen zur Errichtung einer Diktatur.

Das soziale Europa erweist sich in der Krise als nackt - Die Nationalstaaten sind zurück

Der profunde bulgarische Gesellschaftsanalyst Ivan Krastev hat zuletzt im New Statesman sieben „Early Lessons“ verfasst, die sich aus dem bisherigen Umgang mit der Pandemie ergeben würden. Er prognostiziert u.a. die Rückkehr starker Nationalstaaten, die sich mit der Errichtung hoher Grenzmauern gegenseitig – wenn es sein muss, auch mit Gewaltmaßnahmen - abschotten, um ihren nationalen Bevölkerungen mit dem Argument umfassenden Schutzes ihr Regime aufzuzwingen. Ihr sozialstaatliches Monopol scheint heute mehr denn je ungebrochen. In Ermangelung europäischer Standards der Sozialpolitik, obliegt es ihnen, national zum Teil sehr unterschiedliche sozialpolitische Maßnahmen, sei es zur Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems oder gegen den Zusammenbruch ihrer Wirtschaften samt ausufernder Arbeitslosigkeit zu erlassen.

Dabei können sie auf ein, durch die Krise verschärftes Sicherheitsbedürfnis setzen, unter dessen Einfluss mühsam erkämpfte Freiheitsrechte immer mehr unter Druck geraten. Die Machthaber*innen der einzelnen Nationalstaaten werden sich die Chance, die die aktuelle Krise bietet, nicht nehmen lassen, „die“ Menschen auf weitere Krisen (Terror, Migration, Flüchtlinge, Knappheit, Unternehmenszusammenbrüche, massenhafte Präkarisierung,….) vorbereiten und eine dabei eine neue Bereitschaft zu Gehorsam abverlangen. Dabei wird die massenhafte Ausweitung sozialer Überwachung durch den Einsatz digitaler Medien – ohne hinreichende Kontrollinstanzen – den Charakter der nationalen Gesellschaften nachhaltig beeinflussen.

Die internationale Machtarchitektur ist im Umbruch

Global gesehen wird diese Entwicklung zu einer weiteren Verschärfung der internationalen Konkurrenzverhältnisse führen und wohl auch die internationale Machtarchitektur eines einseitigen Multilateralismus, der z.B. Europa gegenüber China, Indien, ganz Afrika, aber auch Lateinamerika eine privilegierte Position sichert, die schon bald so nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, nachhaltig verändern. Mithelfen wird dabei der Umstand, dass sich die Europäische Union in der aktuellen Krise innen- ebenso wie außenpolitisch nicht zu profilieren vermocht hat und es den einzelnen Mitgliedsstaaten mit ihren ganz unterschiedlich ausgestatteten wohlfahrtstaatlichen Prioritätensetzungen weitgehend selbständig überlässt, durch die Krise zu kommen, um so eine weitere Selbstschwächung herbeizuführen.

Positiv hingegen weiß Krastev zu vermelden, dass sich mit der Pandemie das Image der (Natur-)wissenschaften noch einmal ins Positive wenden könnte, wenn von dort im Augenblick verzweifelt Hilfe erwartet wird, um dank neuer Medikamente endlich wieder in die Normalität zurückkehren zu können. Und auch der aktuelle Jugendkult könnte einen Dämpfer erfahren, wenn im Augenblick vor allem ältere Menschen bedroht erscheinen, denen die größte Aufmerksamkeit gilt.

Auf uns warten neue Sparpakete

Noch viel zu wenig diskutiert werden im Moment nicht nur die wirtschaftlichen Folgen, gegen deren unmittelbare Folgen eine Reihe nationaler Regierungen beträchtliche Hilfspakete geschnürt haben. Selbst Länder wie Deutschland sind momentan bereit, ihre traditionelle Austeritätspolitik aufzugeben und für diese Hilfsprogramme eine Zunahme an Verschuldung der nationalen Haushalte zuzulassen. Dennoch zeigt allein der Fall Österreich, wo die Regierung in einem Gewaltakt 38 Mrd. zur Krisenbewältigung hat springen lassen, dass allein in einer Woche 100 000 Arbeitslose angemeldet wurden und viele Klein- und Kleinstbetriebe ihre Aktivitäten auf Dauer beenden werden müssen.

Die weitreichenden Folgen werden sich erst nach dem Abflauen der Pandemie zeigen, wenn es zu wirtschafts- und finanzpolitischen Aufräumarbeiten kommt und dafür umfangreiche Sparpakete notwendig sein werden. (der amtierende, von der FPÖ nominierte Nationalgouverneur Robert Holzmann freut sich schon jetzt über das aktuelle reinigende Gewitter, das schwache Unternehmen entsprechend Schumpeters Devise von der „Produktiven Zerstörung“ dorthin schicken wird, wo sie seiner Meinung nach hingehören, ins Out.

Es steht zu befürchten, dass diese Entwicklung das Leid und die Perspektivlosigkeit der davon unmittelbar Betroffenen weiter vertiefen wird.Da ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass sich gegen diese Maßnahmen beträchtlicher Widerstand formieren wird (der von einer schwachen Opposition nicht hinreichend wird aufgefangen und kanalisiert werden kann). Um diesen erfolgreich entgegen zu wirken, zeichnen sich die Umrisse eines repressiven Staates ab, dessen behauptete Alternativlosigkeit auch vor den Toren Österreichs – Grenzschließungen hin oder her – nicht haltmachen wird.

Österreich ist anders – Ist Österreich anders?

Dabei schien die Ausgangslage hierzulande eine ganz andere: Mit vielen anderen war ich beeindruckt, wie es Sebastian Kurz und seiner Entourage gelungen ist, mit seiner gut geölten Politmaschinerie den Eindruck des Entscheidungswillens und der Handlungsfähigkeit zugunsten aller Österreicher*innen zu vermitteln (Den Eiertanz, den vergleichsweise die umstrittene SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner mit Blick aufs Burgenland, Kärnten, Tirol, Wien, den Gewerkschaften,....mit all den Hin- und Rücksichtln aufgeführt hätte, mag ich mir erst gar nicht vorstellen). Es war mir für einen kurzen Augenblick, als hätte sich die türkise Partei (samt ihren Expert*innen für Message Control) angesichts der kollektiven Gefahren in den Dienst des Staates gestellt, um dessen Überleben zu sichern.

Aber schon wenige Tage später zeigten sich an dieser politischen Strategie Facetten, die den Eindruck einer politisch selbstlosen Kanzlerpartei („Jetzt gilt es, über die Parteigrenzen hinweg zusammenzustehen“), in ihr Gegenteil verkehrten. Spätestens mit der Inseratenaktion des Innenministers, die suggerierte, das gesamte Österreich hätte sich in den Farben der türkisen Partei zu einem Team zusammengefunden (siehe dazu: Armin Thurnher “Der Teamfalschspieler”, war klar, dass es sich Kurz nicht wird nehmen lassen wird – als gelehriger Schüler Machiavellis – die Krise für seine parteipolitischen Zwecke zu nutzen. Also machten sich die ÖVP-Strategen daran, die Krise für eine Generalumfärbung Österreichs zu nutzen, die Kurz fürs Erste ein Interpretationsmonopol beschert, gegen das jede Widerrede den Charakter des staatsgefährdenden Obskurantismus annimmt.

Da hört sich jede Widerrede auf

Das ließ sich zuletzt an den zahlreichen Pressekonferenz der Regierungsspitze hautnah ablesen: Sebastian Kurz definierte einmal mehr in bewährten Stehsätzen die Lage und dekretierte ein Set an neuen Vorkehrungen, voll des Dankes an die Österreicher*innen, die in ihrer großen Mehrheit die getroffenen Maßnahmen mittragen würden. Werner Kogler hingegen fand einmal mehr keine überzeugenden eigenen Worte, stammelte vor sich hin und hoffte, dabei nicht unter zu gehen.

Und jedem Bobachter wurde klar, dass es neben dem türkisen "Team Österreich", repräsentiert vom Spitzenmann der ÖVP - einfach kein Platz mehr für weitere Wortmeldungen gibt. Was soll er denn sagen, der arme Kogler, welche neue Position soll er denn entwickeln, die nicht einfach eine Wiederholung der gut eingeübten Kurz-Sager bildet. Kogler – und ja, er ist kein wirklich guter Redner – spürte wohl intuitiv, dass er in Zeiten der Krise die Schachfigur einer umfassenden ÖVP Strategie geworden ist. Und das wurmt ihn. Und deswegen stottert er. Und hofft, dass es bald vorbei ist.

Bleibt zur Zeit noch der Gesundheitsminister Rudi Anschober als Hoffnungsträger, dem zu wünschen ist, dass er bei Kräften bleibt und dass er sich dieser für die Grünen ("tödlichen" sollte ich jetzt vielleicht nicht schreiben) Gefahr der politischen Vereinnahmung zu entziehen weiß.

Die jüngste Maßnahme der Wiener Polizei, auf ihren Kontrollfahrten aus ihren Fahrzeugen „I am from Austria“ erschallen zu lassen, um so an das Wir-Gefühl der Bevölkerung zu appellieren, macht vor allem klar, dass wir drauf und dran ist, in einer Welle der Solidaritätsrhetorik, den kategorialen Unterschied zwischen Staat und Gesellschaft zu unterminieren. Während vor dem staatlichen Gesetz in der Tat alle Menschen gleich sind, trifft das auf die Mitglieder der davon betroffenen Gesellschaft in keiner Weise zu. Ganz im Gegenteil zeichnet sich eine solche – jedenfalls in demokratisch verfassten Regimen – dadurch aus, dass alle verschieden sind (und das auch sein dürfen), unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse haben und diese auch artikulieren und durchsetzen können. Dies gilt insbesondere in Zeiten der Krise, wenn sich hinter dem Appell an unbedingter Gemeinschaftlichkeit die Ansprüche auf Verschiedenheit zu verschwinden drohen. Und wir Gefahr laufen, mit der Gleichsetzung von Staat und Gesellschaft die demokratischen Prinzipien einer diskursiven Öffentlichkeit außer Kraft zu setzen. Stattdessen droht die Durchsetzung eines unbedingten Machtanspruches, der in der Lage ist, die öffentliche Meinung zu monopolisieren, um so alle anderen politischen Mitbewerber vom Markt zu verdrängen.

Die Ideologie der Ideologielosigkeit als Grundlage autoritärer Herrschaft

Die ungebrochene Faszination an Kurz politischer Praxis der Machtakkumulation liegt darin, dass er dabei von keinerlei ideologischen Vorgaben getrieben scheint, ihm geht es – jedenfalls in seiner Rhetorik - ausschließlich um das Wohl des ganzen Volkes. Ausgeblendet bleibt dabei, dass er dabei eine "Meta-Weltanschauung" verfolgt, deren Qualität gerade darin liegt, sich jeglicher weltanschaulichen Zuschreibung zu verweigern. Er unterscheidet sich in seiner Strategie damit vom bislang grassierenden Rechtspopulismus, der inhaltlich – so etwa entlang kultureller Grenzziehungen – auf die Spaltung der Gesellschaften setzt – und daher in der aktuellen Krise nur wenig zu melden hat.

Aus meiner Erinnerung taucht da noch einmal ein Sager Franz Vranitzkys bei seinem Amtsantritt 1987 auf, als er meinte, Österreich künftig wie ein Unternehmen führen zu wollen. Was da konkret politisch produziert (und konsumiert) werden sollte, darüber hat er sich freilich nicht näher ausgelassen. Mit Kurz wissen wir es jetzt: Das Machtmonopol der neuen ÖVP, um damit Österreich ein Stück näher an globale Entwicklungen zu bringen, die Branko Milanovic als autoritären Kapitalismus identifiziert hat.

Die Post-Pandemie-Zeit wird schon rasch zeigen, wie erfolgreich ihre Wortführer*innen bei ihren, durch die Krise begünstigten strukturellen Vorarbeiten bei der Renaissance eines autoritär verfassten Österreich gewesen sind.

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Don Quijote

Don Quijote bewertete diesen Eintrag 24.03.2020 12:40:18

nzerr

nzerr bewertete diesen Eintrag 24.03.2020 07:10:49

hagerhard

hagerhard bewertete diesen Eintrag 24.03.2020 00:18:14

Persephone

Persephone bewertete diesen Eintrag 23.03.2020 12:45:53

5 Kommentare

Mehr von Michael Wimmer