Die Angst geht um – Über ein Gefühl und seine politische Wirkung

„Ohne die Anderen kein Selbst, ohne Ambiguität keine Identität, ohne Verzweiflung keine Hoffnung, ohne Anfang kein Ende. Dazwischen ist die Angst.“ (Heinz Bude)

Bei wohl keiner anderen Wahl spielte das Thema Angst eine derart bedeutsame Rolle wie bei der zwischen Alexander van der Bellen und Norbert Hofer. In den Analysen wurde immer wieder auf die Angst als wichtigstes Entscheidungsmotiv hingewiesen: Die WählerInnen hätten Angst vor Wohlstands- und Arbeitsplatzverlust, vor der Europäischen Union, vor dem System, vor den Fremden, vor terroristischen Übergriffen, vor der Zukunft; diese Form der schleichenden Ausbreitung der Angst vor allem und jedem erkläre, warum Norbert Hofer so viele Stimmen bekommen habe. Dieser Grundstimmung musste sogar der neue Bundeskanzler Christian Kern in seiner Antrittsrede im Parlament Rechnung tragen, wenn er dort gemeint hat, er habe die Botschaft verstanden, man müsse die Angst der Menschen ernst nehmen und versuchen, ihr mit Zuversicht zu begegnen.

Bereits 1986 hat sich der Autor Josef Haslinger in seinem Buch „Politik der Gefühle“ rund um die Waldheim-Affäre mit der wachsenden Gefühlslastigkeit politischer Entscheidungen befasst. Für die aktuelle Hochkonjunktur des Gefühls der Angst lassen sich objektive Gründe ins Treffen führen, die vor allem in der wachsenden sozialen Ungleichheit liegen. Die etablierte Politik scheint zunehmend machtlos zu sein, gegen sie anzukämpfen. Das bereitet mehr und mehr Menschen Sorge, führt zu Verunsicherung und ja, das macht Angst.

Angst als politische Ressource

Offen dabei aber bleibt die Frage, wie wir mit dieser Angst umgehen wollen. Und da fällt auf, dass es den rechtspopulistischen Kräften gelungen ist, Angst als zentrale politische Ressource für sich nutzbar zu machen. Keine andere politische Bewegung schafft es so breitenwirksam, die Ängste von sich benachteiligt fühlenden Menschen zu schüren und sie für ihre politischen Zwecke zu nutzen. Die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak spricht in diesem Zusammenhang von einer „Politik mit der Angst“, die das öffentliche Gespräch um gesellschaftliche Werte und Normen zu dominieren beginnt. Damit sollen wir lernen, in Bildern und Texten zu denken und zu fühlen, die bei den Angsterfüllten „da unten“ Stimmung gegen die Schickeria „da oben“ macht oder „die drinnen“ gegen „die draußen“ in Stellung bringt.

Der Autor Robert Menasse hat mit seinem jüngsten Artikel im Kurier „Der nationale Weg führt ins Desaster“ noch einmal versucht, diese Form der Angstmache zu decouvrieren und es als das, was es ist, zu beschreiben, nämlich als Versuch einer gesellschaftlichen Spaltung und als Mittel der Machtergreifung. (Dass die bisherige Regierungspolitik viel dazu beigetragen hat, eine solche Politik überhaupt erst erfolgreich werden zu lassen, erklärt Robert Menasse in einem Beitrag für die ARD-Sendung Aspekte.)

Angesichts der aktuellen Erfolge der Rechtspopulisten sollten wir uns fragen, ob Norbert Hofer mit seinen WählerInnen die Angst für sich gepachtet hat. Oder ob wir nicht alle – wie Heinz Bude in seinem Buch zum Thema Angst meint – mittlerweile in einer „Gesellschaft der Angst“ leben, weil Angst ein Thema ist, das alle angeht (und da rede ich noch gar nicht von den sehr konkreten Ängsten derer, die konkrete Erfahrungen mit Krieg und Zerstörung gemacht haben). Entsprechend fragt Robert Menasse angesichts der aktuellen Angstmache der FPÖ: „Und was ist mit meiner Angst?“, die er freilich anders verhandelt wissen möchte, denn als Betriebsmittel zur Vertiefung gesellschaftlicher Gräben.

Wenn wir aber alle Ängste haben (dürfen bzw. müssen), dann erschöpft sich der Umgang mit ihnen nicht darin, falsche Schuldenböcke zu benennen und auf deren Rücken politische Profilierung zu betreiben. Immerhin werden durch diese Form der politischen Enteignung die Ängste nicht geringer; was aber steigt, ist der Aggressionspegel gegen diejenigen, die als vermeintliche Verursacher durch die politische Arena geschleift werden, ohne dass sich damit die Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern ließen.

Der zentrale Betrug dieses Geschäftes mit der Angst liegt im Schüren von Erwartungen auf (positive) Veränderungen, die von einem Rechtspopulismus im Aufwind suggeriert werden, wenn ihre VertreterInnen so tun, als wären sie die einzige Alternative, um noch einmal die Geschicke für und im Sinne ihrer WählerInnen in die Hand zu nehmen. So versprechen sie großmundig, sie seien just zu einem Zeitpunkt, wo die Erwartungen an umfassende Patronage durch die Regierungsparteien an ihr Ende kommen, noch einmal in der Lage, die grassierenden Ängste auf die Mühlen einer/ihrer Politik zu lenken, um auf diese Weise die Arbeits- und Lebensbedingungen ihrer Klientel noch einmal nachhaltig zu verbessern. Inzwischen bleibt den Verängstigten abzuwarten, dass sich die Dinge zum Besseren wenden.

Gegenüber diesen politisch immer dominanter werdenden falschen Versprechungen geraten alle Versuche, die Angst nicht an politische Geschäftsmacher zu veräußern, sondern sich ihr als Apriori moderner Gesellschaften zu stellen und ihr mittels Bildung zu begegnen, ins Hintertreffen. Sie aber ist und bleibt die unabdingbare Voraussetzung für das, was eine lebendige Demokratie ausmacht. Eine darauf basierende Regierungsform ist getragen von StaatsbürgerInnen, die sich nicht in Angst erschöpfen, sondern ihr in der Einsicht ihrer Lebensverhältnisse aktiv begegnen. Als solche nehmen sie eigenverantwortlich am Gemeinwesen teil und gestalten dieses aktiv mit. In Frankreich benutzt man für diese gesellschaftliche Figur den Begriff des Citoyen (lateinisch „civitas“: Bürgerschaft, Staat), der sich historisch auf die Werte der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit bezieht und bis heute die Grundlage für die Gestaltung jedes republikanischen Gemeinwesens bildet.

Wer ist das Volk? – Darf auch ich, und wenn ja, wann darf ich Teil davon sein?

Es gehört zur politischen Taktik der Rechtspopulisten, sich als einzige Repräsentanz des Volkes hochzustilisieren. Egal ob 4%, 25%, 32% für die FPÖ oder wie mit Norbert Hofer knapp 50% der Stimmen für den FPÖ-Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl, in jedem Fall wird eine Gesamtheit des Volkes für das rechtspopulistische Projekt vereinnahmt, dessen inhaltliche Bestimmung zuallererst darin besteht, sich gegenüber SystemerhalterInnen, den VertreterInnen der Altparteien, der Willkommenskultur oder einer Schickeria abzugrenzen. Zumindest indirekt wird damit schon jetzt jede/r Nicht-Hofer-WählerIn aus dieser politischen Konstruktion ausgeschlossen, ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns bevorsteht, wenn die FPÖ erst einmal die Regierungsmacht ergreift.

Gerne verweist die FPÖ in diesem Zusammenhang auf den in der Verfassung festgelegten Souveränitätsanspruch des Volkes, dem u.a. in Form von vermehrten Volksabstimmungen Rechnung zu tragen sei. Nur zu gut wissen ihre IdeologInnen um den Umstand, dass die aktuellen sozio-ökonomischen Entwicklungen für regressive und Angst basierte Massenbewegungen anfällig machen. Bereits 1954 hatte der deutsch-amerikanische Politikwissenschafter Franz L. Neumann in seinem wegweisenden Artikel „Angst und Politik“ darauf hingewiesen, dass der Fortgang der Moderne eine Entwicklung begünstigt, bei der „die Bereitschaft des Publikums, der falschen Konkretheit von Verschwörungstheorien zu folgen und Sündenböcken die Schuld dafür zu geben, dass alles schief läuft“ größer wird. Das Ergebnis dieser Form der Angstproduktion sei die Bereitschaft des Volkes, „alle nur denkbaren Scheußlichkeiten“ zu begehen. Dies gilt umso mehr, als es von seinen gewählten politischen RepräsentantInnen, denen selbst ein beträchtlicher Souveränitätsverlust anhaftet, immer weniger daran gehindert zu werden vermag.

Die Sache mit der Souveränität des Volkes – Rechtspositivismus versus Naturrecht

Die noch stark von der Massenbewegung des Nationalsozialismus geprägte Analyse Neumanns ist insofern von besonderer Brisanz, als es in der Interpretation der Souveränität des Volkes zumindest zwei verschiedene Ansätze gibt. Aus rechtspositivistischer Sicht gibt es kein Recht, das dem Zugriff des Souveräns – und damit des Volkes – entzogen wäre. Es ist das Volk, das die Staatsgewalt ausübt, in dem es Recht setzt und vollzieht. Punkt. Dieser Interpretation zufolge ist das Volk bei seinen Entscheidungen in keiner Weise gehindert, jegliche zivilisatorische Errungenschaften zurückzunehmen, sei es, Zwangsarbeit zu erlauben, die Todesstrafe wieder einzuführen, AusländerInnen zu diskriminieren, das Privateigentum abzuschaffen oder die Unverletzlichkeit der Wohnung aufzuheben. Im Anwendungsfall können sich Rechtspopulisten freuen, wenn ihre Vorschläge zur weiteren gesellschaftlichen Verungleichung die Zustimmung der Mehrheit des wählenden Volkes finden.

Demgegenüber vertritt eine am Naturrecht orientierte Rechtsphilosophie die Auffassung, auch in demokratischen Staaten sollte die Rechtssouveränität der Volkssouveränität vorangestellt werden. Das heißt, bestimmte Rechtsgrundsätze (wie z. B. die Menschenrechte) dürfen als Grundlage des politischen Lebens in einer Demokratie nicht verletzt werden. Die demokratische Anwendung des Volkssouveränitätsprinzips bestehe nicht in einer Durchsetzung des Willkürwillens der Mehrheit, sondern in der Achtung der Rechte einzelner und der gesellschaftlichen Minderheiten und Gruppen durch die demokratisch qualifizierte Mehrheit. In diesem Fall hätten es die Rechtspopulisten schwerer, ihre Macht mit Hilfe des Schürens von Ressentiments aller Art zu befestigen. In jedem Fall ist meine Vorstellung von Volk mehr als die Reduktion auf eine angsterfüllte Gruppe, der anhand simplifizierender Ja/Nein - Fragestellungen suggeriert wird, ihre Lebensverhältnisse aktiv mitbestimmen zu können.

Wie immer sich künftig die Handhabung der politischen Instrumente direkter Demokratie gestalten wird, fast alles spricht dafür, dass die Qualität diesbezüglicher Entscheidungen wesentlich von der Souveränität jedes einzelnen bestimmt sein wird, das eigene Leben sinnvoll zu gestalten. Alle historischen Erfahrungen deuten darauf hin, dass sich ein paternalistisches Politikverständnis, das darauf hinausläuft, die Lebensgestaltung aller einzelnen StaatsbürgerInnen sicher zu stellen, unter demokratischen Vorzeichen nicht aufrechterhalten lässt. Stattdessen verweisen diesbezügliche Behauptungen unmittelbar auf die Rückkehr autoritärer, wenn nicht totalitärer Herrschaftsformen, die sich zurzeit nicht nur in Europa ankündigen.

Keine Souveränität ohne Bildung

Entsprechend sehe ich die zentrale Aufgabe von Bildungseinrichtungen darin, für möglichst viele Menschen die Voraussetzungen für eine souveräne und selbstverantwortliche Lebensgestaltung zu schaffen (und sie so auch gegenüber allen regressiven Tendenzen des Angstschürens zu immunisieren). Kompetenzen wie Kritik-, aber auch Selbstgestaltungsfähigkeit und damit die Bereitschaft und das Vermögen, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen, werden ausschlaggebend sein, wenn es noch einmal darum geht, den Citoyen als gesellschaftliche Leitfigur für jegliche Souveränitätsansprüche zu seinem Recht zu verhelfen und als aufgeklärte BürgerInnen der Versuchung der Angstüberwindung durch manipulative Massenbeeinflussung zu widerstehen.

Bereits in den 1950er Jahren hat Neumann erkannt, dass jedes politische System auf der grundlegenden Angst der BürgerInnen beruht, allein da zu stehen. Gegen diese Angst setzt er die Ermöglichung formeller aber auch informeller politischer Vergemeinschaftung, die einer zunehmend in ganz unterschiedliche Teile aufgespaltenen Gesellschaft eine Form der Identifizierung ermöglicht, welche die vielen vereinzelten Individuen noch einmal zusammenbringt.

Die etablierten politischen Parteien haben sich bei der Erfüllung dieses Anspruchs zuletzt selbst aus dem Spiel genommen. Weitgehend auf unbedingten Machterhalt ihrer führenden Belegschaften konzentriert, haben sie sich gegenüber dem großen Rest der Bevölkerung abgeschottet und so wesentlich zu deren wachsender Verunsicherung beigetragen. Christian Kern hat auch dazu erklärt, die Botschaft verstanden zu haben und die Hermetik eines überkommenen Apparates überwinden zu wollen.

Wir brauchen neue Orte der politischen Begegnung

In mir ist in diesem Zusammenhang eine Erinnerung hochgekommen: Ende der 1970er Jahre habe ich mitgeholfen, in Wien einen politischen Veranstaltungsort „commune“ zu organisieren. Getragen von der Sozialistischen Jugend trafen sich dort VertreterInnen durchaus unterschiedlicher politischer Richtungen, der außerparlamentarischen Opposition, der Grün-Alternativen oder der damaligen Dritte-Welt-Bewegung. Dazu kamen AutorInnen, Liedermacher und andere KünstlerInnen. Sie alle trafen sich dort, weil sie das Gefühl hatten, bei aller Unterschiedlichkeit an einer gemeinsamen Entwicklung teilzuhaben und weil sie sich bei aller Konflikthaftigkeit gegenseitig Zuversicht vermitteln konnten. Wir bekamen regelmäßig Besuch vom politischen Establishment, allen voran von Bruno Kreisky, der bereit und willig war, sich mit den jungen Szenen auszutauschen, sich zu erklären, aber auch zuzuhören.

Jede Rückschau verklärt und doch würde ich mir wünschen, wenn solche – zumindest temporären – Allianzen zwischen einem runderneuerten politischen Establishment und den neuen sozialen Bewegungen noch einmal möglich wären. Ein besseres Mittel gegen die Angst, die zuallererst eine Angst vor Vereinsamung ist und uns da kollektiv nach rechts treibt, kann ich mir nicht vorstellen.

http://educult.at/blog/die-angst-geht-um/

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Margaretha G

Margaretha G bewertete diesen Eintrag 02.06.2016 01:05:21

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