In diesen Tagen berichtete mir ein Kollege aus einem staatsnahen Fond von Umstrukturierungsmaßnahmen. Ein externes Beratungsunternehmen habe den Mitarbeiter*innen eine stromlinienförmige Unternehmensstruktur aufgezwungen, mit dem Effekt, wesentliche Expertise zum Verschwinden zu bringen. Fortan ginge es nicht mehr um die zentralen Inhalte und Anliegen der Einrichtung sondern um Zuarbeit für die Geschäftsführung, der es gelingen muss, diejenigen Inhalte auszuwählen und so aufzubereiten, dass es den politischen Entscheidungsträger*innen gelingt, sich in der Öffentlichkeit zu profilieren. Auf die Frage, ob die Kolleg*innen sich nicht dagegen gewehrt hätten meinte mein Freund, sie hätten dafür keine Möglichkeit gesehen: Zu groß wäre die Angst vor Zurücksetzung und Arbeitsplatzverlust gewesen.
Diese Geschichte ist kein Einzelfall; sie steht für den Umbau moderner Betriebsstrukturen, die mittlerweile weit in den nicht-kommerziellen Sektor hineinreicht und wesentliche Veränderungen in der Wahrnehmung beruflicher Aufgaben mit sich bringt. Vorbereitet darauf werden die Beschäftigten in sich immer weiter ausdifferenzierenden Ausbildungsgängen, die sich darin überbieten, die Verwirklichung von Werten wie Kreativität, Mobilität, Selbstverwirklichung und Authentizität zu versprechen. Schaut man aber genauer hin, dann fordern diese Umstrukturierungen von den Mitarbeiter*innen die Preisgabe inhaltlichen Engagements, darüber hinaus Flexibilität und Adaptabilität, damit die Fähigkeit, sich in jede organisatorische Änderung „proaktiv“ einzufügen und Vorstellungen eines möglichen Widerstandes erst gar nicht aufkommen zu lassen. Sie wollen Teil der Siegergruppe bleiben.
Gefragt ist der ganze Mensch – Der Preis dafür ist seine Isolierung
Allzu deutlich wird hier ein neues Verkaufsverhalten der Ressource Arbeitskraft, die sich nicht mehr darauf beschränkt, ganz bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen (und alle anderen persönlichen Anteile in mehr oder weniger autonomer Selbstverwaltung für sich zu behalten). In dieser neuen Phase der Produktions- (und Konsumption)verhältnisse wird zunehmend der „ganze Mensch“ gefordert, der nicht mehr darauf bestehen mag, Arbeit und Freizeit voneinander zu trennen. Entsprechend den jeweiligen Bedingungen soll er flexibel sein gesamtes Repertoire auspacken, dieses aber ebenso schnell auch wieder schließen, wenn es nicht mehr gebraucht wird.
Die gesellschaftspolitische Pointe dieser umfassenden Vereinnahmung liegt nun darin, dass Beschäftigte des Industriezeitalters noch auf ein Eigenleben außerhalb des betrieblichen Geschehens bestehen und ihre Interessen in demokratischen Aushandlungsprozessen vertreten und durchsetzen konnten. Die neue Generation von Arbeitskräften in der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft wurde darauf getrimmt, sich als individuelles Subjekt mit Haut und Haaren zu verkaufen. Dieses wird von niemandem mehr vertreten und kann auf kollektive Verfahren der Konfliktregelung nicht mehr zurückgreifen. Getrieben von einem Hype der Individualisierung wird dem post-fordistischen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin in Gestalt einer Ich-AG suggeriert, er oder sie könne seine/ihre Interessen am besten selbst vertreten. Als solcher sei er/sie – so die pseudo-emanzipatorischen Erwartungen – für sein/ihr Schicksal selbst verantwortlich; die möglichst kreative und gerade deshalb smoothe Einpassung in die je herrschenden Verhältnisse wird zum Maßstab jeglichen Erfolgs. Und so werden – unter weitgehend sinnentleerter Nutzung eines zunehmend haltlos gewordenen Modernisierungvokabulars (Kreativität, Innovation, Flexibilität, Mobilität,…) sang und klanglos ursprünglich hart erkämpfte betriebliche und außerbetriebliche Mitbestimmungsrechte außer Kraft gesetzt werden.
Die negativen Konsequenzen dieser Form der Vereinzelung liegen dort auf der Hand, wo mehr und mehr Menschen diesem ambitionierten Anspruchskorsett nicht zu genügen vermögen bzw. auf Grund der verschärften Konkurrenzverhältnisse aus diesem herausfallen. Und wir können förmlich zuschauen, wie mehr und mehr Menschen, die selbst schuld sind, dass sie es nicht geschafft haben, in eine dauerhafte Präkarität entlassen werden, wo die solidarischen Auffangnetze immer rissiger werden.
Andere – vor allem junge Menschen aus der Erbengeneration - probieren erst gar nicht mehr den Marsch durch die modernen Institutionen, die für sich beanspruchen, Arbeit und Leben ihrer Mitarbeiter*innen auf eine Weise zu versöhnen, das ohne Murren adaptive Höchstleistungen im Sinne einer betrieblich als alternativlos vorgegebenen Allverfügbarkeit erwartet. Sie können es sich scheinbar leisten, ihre Individualitäten zu zelebrieren; die Eltern werden es schon richten.
Auf der Grundlage der dramatischen Veränderungen der gesellschaftlichen Verfassung kommt Cornelia Koppetsch in ihrer höchst lesenswerten Studie „Die Gesellschaft des Zorns“ (https://www.perlentaucher.de/buch/cornelia-koppetsch/die-gesellschaft-des-zorns.html) zu einem Erklärungsmodell wachsender gesellschaftlicher Polarisierung. Angetrieben durch die aktuelle Globalisierungsoffensive habe sich eine neue bürgerliche Existenz- und Arbeitsformen herausgebildet. Ihre Vertreter*innen rekurrierten nicht mehr auf konservative und konventionelle Wertvorstellungen. Sie sehen sich vielmehr als flexibel, kosmopolitisch und progressiv und damit als Träger eines umfassenden Wertewandels, der bisherige Selbstverständnisse des demokratischen Zusammenlebens, etwa in Form eines institutionalisierten Interessensausgleichs außer Kraft.
Entstanden aus einer durchaus unheiligen Allianz aus gegenkulturellen Kräften der 1970er Jahren (Alternativkultur, Subkultur,…) und den treibenden Kräften der zunehmend dominanten transnationalen Finanzwirtschaft sei laut Koppetsch der Grundstein für eine liberale Elite gelegt worden, die in all ihren unterschiedlichen individuellen Ausprägungen für sich kulturelle und politische Hegemonie beansprucht. Aufgebrochen als die großen Erneuerer sehen sie sich heute als Gralshüter der von ihnen mitgeschaffenen Herrschaftsverhältnisse; all diejenigen, die sich darin nicht wiederfinden, müssen mit ihrem Zorn alleine zurechtkommen.
Das große Wundern - Über Widerstandsformen, die es in liberal und demokratisch verfassten Regimen gar nicht geben dürfte
Weitgehend unberücksichtigt bleibt, dass diese soziale Gruppe, die sich in der Konkurrenzgesellschaft auf Sieg gepolt („The winner takes it all“) mit ihrem Handeln negative Folgen für all diejenigen schafft, die sich nicht dazu zählen (dürfen). Und doch formiert sich eine Form des Widerstands, den es aus Sicht des erfolgsverwöhnten Liberalen gar nicht geben dürfte, zumal er mit der Fratze antidemokratischer, illiberaler, re-nationalistischer oder ausländerfeindlicher Attitüde daherkommt. Seine Vertreter*innen stehen gegen all das, was liberale Eliten für sich als unhintergehbaren Fortschritt interpretieren, freilich ohne hinreichend zu antizipieren, welche Folgen ihre diesbezüglichen Ansprüche für alle anderen mit sich bringen.
Es ist die berechtigte Hoffnung auf Aufstieg, die die Qualität des Zusammenlebens unterschiedlich mächtiger sozialer Gruppen ausmacht
Mit der Methode der „theoretischen Empathie“, die in ihrem Forschungsanspruch mitbedenkt, dass sie als Sozialwissenschafterin selbst Teil der angesprochenen liberalen Elite ist, versucht Koppetsch den Gründen nachzugehen, warum mehr und mehr Menschen bereit sind, sich von den Errungenschaften der liberalen Demokratie zu verabschieden und dabei Anschluss an neue politische Repräsentationsformen suchen. Neben den – auch in anderen Zusammenhängen geäußerten Interpretationen einer vor allem von einer globalen Finanzwirtschaft getriebenen und außer Rand und Band geratenen Globalisierung, dem der/die Einzelne zunehmend ungeschützt ausgesetzt erscheint – verweist Koppetsch auf den ins Stocken geratenen „Prozess der Zivilisation“. Norbert Elias hatte in seiner wegweisenden Studie darauf hingewiesen, dass Konflikte zwischen unterschiedlichen Gruppen keine Neuigkeit darstellen.
Bewegungen auf der sozialen Hierarchieleiter wurden immer wieder dadurch gelöst, dass untere Schichten jeweils die Verhaltensweisen der oberen antizipiert und in ihre Lebensverhältnisse integriert hätten. Zustande gekommen sei damit ein stetiger (wenngleich immer wieder, zum Teil gewaltsam unterbrochener) gesellschaftlicher Aufwärtstrend, der a la longue zu einem breiten Mittelstandsverständnis (wie es zuletzt für die Sozialdemokratie der 1970er Jahre handlungsleitend war) geführt hat.
Das aber, was immer mehr Menschen zurzeit erfahren, das ist die Aufkündigung gesellschaftlichen Versprechens, das einmal zur umfassenden Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben eingeladen hatte. Koppetsch spricht stattdessen von einer neuen Phase der „Abstoßung“ und damit vom Anfang einer neuen Klassengesellschaft, die nicht mehr durch das Aufholen der unteren Schichten, sondern durch das wachsende Auseinanderdriften der unteren und oberen Schichten geprägt ist. Während ein postindustrielles Bürgertum bei ihrer aktuellen Affektmodellierung (siehe das Beispiel der Organisationsentwicklung zu Beginn) die Fahne der liberalen Demokratie hochhält, weiß sie sich nicht mehr im gesellschaftspolitischen Auftrag, die von ihnen repräsentierten Errungenschaften allen Mitgliedern der Gesellschaft in Aussicht zu stellen.
Dieser gesellschaftliche Bruch kann anhand des Niedergangs der Sozialdemokratie besonders deutlich nachgezeichnet werden. Ihre besondere politische Bedeutung bestand die längste Zeit darin, den Zivilisationsprozess dahingehend zu fördern und zu begleiten, dass es gelang, den erfolgreichen Mittelschichten die solidarische Verpflichtung aufzuerlegen, die ausgebeuteten und depravierten Unterschichten aus ihrem Elend zu befreien und ihnen so den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Angefangen von Viktor Adler (https://misik.at/2016/01/der-unbekannte-doktor-adler/), einem Arzt aus großbürgerlichem Haus über Bruno Kreisky, der aus einer Industriellen-Familie stammte, legten es die großen Arbeiterführer*innen darauf an, eine tragfähige Verbindung zwischen den ungleich vom Schicksal begünstigten sozialen Gruppen herzustellen und damit den sozialen Aufstieg der bislang Zu-Kurz-Gekommen zu ermöglichen. Sie waren die längste Zeit in der Lage, ein überzeugendes Versprechen auf eine bessere Zukunft vorzutragen und – einmal an die politische Macht gekommen – dieses mit entsprechenden politischen Maßnahmen zu begründen. Wenn der aus dem Amt geschiedene Parteivorsitzende Christian Kern in diesen Tagen die SPÖ als relevanten politischen Faktor verabschiedet (https://www.tt.com/politik/innenpolitik/15753932/kern-auf-distanz-zu-rendi-wagner-hoch-gewinnt-spoe-nimmer). Ihm zufolge wäre nicht in der Lage, sich als linksliberales Sammelbecken zu positionieren. Selbst Nutznießer politischer Aufstiegshilfen, der sich heute von seinen Ursprüngen distanziert bestätigt Kern mit seinem „abstoßenden“ Vorschlag einmal mehr, wie sehr die SPÖ drauf und dran ist, ihre zentralen Grundlagen zu untergraben. Dieses legte es darauf an, das Kern-Lager diejenigen, die von den Entartungen eines „progressiven Neoliberalismus“ (Nancy Fraser) beschädigt und damit ihres Glaubens an eine Demokratie, die mehr und mehr verspricht und weniger und weniger gibt, beraubt werden, mit überzeugenden Zukunftsperspektiven auszustatten. Ich weiß nicht, ob Christian Kern mit seiner Losung, sich „von den Arbeitern zu verabschieden“ bewusst war, welchen politischen Affront er damit gegenüber all denen gesetzt hat, die sich nicht als Seinesgleichen und damit einer liberalen Elite zugehörig wähnen. Und er liefert den Beweis, dass er längst den Kontakt zu denen verloren hat, die auf einen politischen Bündnispartner angewiesen sind, wenn es darum geht, sich dagegen zu wehren, vom Zivilisationszug abgehängt zu werden. Lang, lang ist es her, dass sich Kern als Pizza-Bote und damit als typischen Vertreter eines zunehmend wachsenden Prekariats medial inszeniert hat.
It’s not the economy, stupid! – Der aktuelle Rechtsruck macht Kulturpolitik zu dem, was sie seit den 1970er Jahren sein wollte: zu einem zentralen Politikfeld
Koppetsch liefert eine Reihe von Belegen, dass in der aktuellen finanzkapitalistischen Phase nicht nur die verschärften Auseinandersetzungen um materielle Ressourcen die gesellschaftliche Polarisierung vorantreiben. Sie sieht das Heraufdräuen eines kulturellen Back-Lash, der noch einmal weltanschauliche Fragen in den Blick rückt: Ihr zufolge wäre es nicht vorrangig die sozioökonomische Marginalisierung, von der immer mehr Menschen ohne hinreichende politische Vertretung ihrer Interessen durch die demokratischen Kräfte betroffen wären sondern die Renaissance geschlossener Gesellschaftsbilder und traditioneller Wertvorstellungen, die konträr zum hegemonialen Narrativ der linksliberalen Gesellschaft und ihren Werten der Vielfalt, Autonomie und Gleichheit stehen würden.
Der spezifisch kulturellen Spur folgend, ließen sich die wachsenden Gegensätze nicht auf ein simples Oben-Unten-Schema reduzieren. Vielmehr konstatiert Koppetsch einen umfassenden gesellschaftlichen Rechtsruck, der mittlerweile weite Teile der verschiedenen Mittelstandsmilieus erreicht hätte. Diese würden sich – auch wenn sie nicht unmittelbar von Abstieg bedroht sind - gegen weitere Verunsicherungen von Institutionen wehren, die bislang Halt geboten haben und die es gilt, wenn es sein muss auch mit aggressiven Mitteln zu verteidigen. Dazu gehört u.a. der Nationalstaat, den nach wie vor als die zentrale Instanz von Sozialstaatlichkeit erkannt wird. Als solcher ließe er sich nicht durch eine - vorrangig wirtschaftliche Interessen repräsentierende Europäische Union, die sich übrigens nur sehr unzureichend demokratisch zu legitimieren vermag - ersetzen (Wir erinnern uns an die vollmundigen Aussagen des ehemaligen Bundeskanzlers Alfred Gusenbauer, der ein soziales Europa propagiert hatte (https://www.allianz.com/de/presse/news/engagement/gesellschaft/news-2008-05-05.html), ohne dieses auch nur in Grundzügen realisieren zu können).
Einem solchen neuen ideologischen Anspruchsdenken kommt auch die wachsende Politikmüdigkeit entgegen. Weite Teile des politischen Establishments haben sich zuletzt mit Aussagen, es gäbe keine Alternative, selbst ins Out gebracht (Zum repressiven Charakter dieser Ansage hat sich zuletzt u.a. der Wirtschaftsforscher Wolfang Streek in seinem Beitrag „Die Wiederkehr des Verdrängten als Anfang vom Ende des neoliberalen Kapitalismus“ zu Wort gemeldet (http://www.diegrosseregression.de/die-wiederkehr-der-verdraengten-als-anfang-vom-ende-des-neoliberalen-kapitalismus/). Die Konsequenzen kann man im Moment am Hype der aktuellen Übergangsregierung aus Expert*innen in Österreich erkennen. Geht es nach weiten Teilen der liberalen Öffentlichkeit, dann wäre eine solche vordergründig entpolitisierte Form der Regierung wesentlich besser geeignet, das Staatsschiff in unruhigen Zeiten zu lenken als eine in mannigfache politische Konflikte involvierte. Nicht gerade ein Lebenszeichen für eine demokratische Kultur.
Die Schule als Vorfeldorganisation zur Entdemokratisierung der nächsten Generation: Kreativität schlägt Solidarität
Schon die letzte Regierung hat deutlich gemacht, dass sie bereit ist, dem zunehmenden Rechtstrend in der Gesellschaft auch bildungspolitisch Rechnung zu tragen. Die Wiedereinführung von Ziffernnoten (einer dieser vorgeblich traditionellen Werte) oder die spezifisch schulische Diskriminierung von migranten jungen Menschen in Form von segregierenden Sprachförderklassen zeugen davon. Das – jedenfalls für mich – eigentlich Verhängnisvolle besteht für mich in dem Umstand, dass auch die (links-)liberalen Kräfte, die die österreichische Bildungspolitik der letzten Jahre bestimmt haben, wesentlich zu diesem allgemeinen Rechtstrend beigetragen haben. Ausgehend von einem jegliches pädagogischen Handeln bestimmenden Anspruch auf Individualisierung haben all die oben genannten Vokabel wie Kreativität, Innovation, Mobilität oder Flexibilität in zumeist unreflektierter Weise Eingang in die Bildungspolitik gefunden. Ihre Apologet*innen bekannten sich damit zu einer besonders infamen (weil vordergründig emphatisch schülerzugewandten) Form der Zurichtung an die neoliberalen Erfordernisse zunehmend voneinander isolierter Subjekte einer sich zuspitzenden Konkurrenzgesellschaft. Mit der Weigerung, die unterschiedlichen sozialen Hintergründen hinlänglich zu berücksichtigen erweisen sich diesbezügliche Diskussionen als weitgehend konformistisch, weil sie die grassierende Polarisierung weitgehend unreflektiert einfach weitertreibt.
Über den eigentlichen Skandal einer Bildungsbildung, die es zulässt, das rund ein Drittel der jungen Menschen nicht sinnstiftend lesen und schreiben und auch nicht rechnen können.
In der Wirkung verschärft diese Entwicklung die Selektionsfunktion von Schule, die all diejenigen, die diesen progressiven Zuschreibungen nicht zu entsprechen vermögen, den ungezähmten Kräften des Arbeitsmarktes schutzlos ausliefert. Dementsprechend halte ich den Umstand, dass mittlerweile bis zu einem Drittel der jungen Menschen die Schule verlassen, ohne hinreichend über die elementaren Kulturtechniken zu verfügen, für den eigentlichen bildungspolitischen Skandal, hinter dem alle anderen organisatorischen und methodischen Fragen in den Hintergrund rücken. Versprechungen im Sinne der neuen Verschlagwortung a la Kreativität, Innovation,…aber auch Fragen der Durchlässigkeit in Richtung weiterführender Schulen gehen an diesen einfach spurlos vorbei. Statt dessen zeigen sich an ihnen unmittelbar die negativen Wirkungen des herrschenden Individualisierungstrend. Sie sind die Leittragenden einer neoliberalen Bildungspolitik, die jegliche Solidarisierung mit denjenigen, die den Anforderungen eines progressiven Liberalismus in und außerhalb der Schule nicht zu entsprechen vermögen, verhindert und sie mit ihrem Scheitern alleine lässt.
Schule als eine der letzten demokratisch legitimierten Instanzen des solidarischen Miteinanders erscheint heute nachhaltig geschwächt. Das Ergebnis zeigt sich in einer wachsenden Vereinzelung, in der überforderte Ichs das Ruder übernommen haben. Entsprechend schwierig ist es für die traditionellen Parteien geworden, sich als Solidargemeinschaften zu empfehlen. Das bedeutet aber nicht, dass damit der Wunsch nach Vergemeinschaftung aus der Welt wäre. Ganz im Gegenweil. Und so ist es angesichts neuer weltanschaulicher Erwartungshaltungen, die von niemandem sonst mehr bedient werden, eigentlich kein Wunder, dass die rechtspopulistischen Kräfte das "Wir" gekapert haben, innerhalb dessen sie ihre Vorstellungen gemeinsamen Kultur in Gestalt einer geschlossenen Gesellschaft zelebrieren (und so klare Grenzen gegenüber all jenen zu ziehen, die diesem „Wir“ nicht entsprechen.
Koppetsch sind mit ihrem Versuch, das Problem des wachsenden Rechtspopulismus nicht nur aus einer scheinbar überlegenen Warte der Bewahrerin der liberalen Demokratie zu verhandeln wertvolle Einsichten gelungen. Die zentrale Botschaft besteht für mich in der Analyse, dass die Repräsentant*innen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verfasstheit genau die Bedingungen für das Gedeihen einer rechtspopulistisch vereinnahmten „Gesellschaft des Zorns“ herstellen, die sie vorgeben zu bekämpfen. In dem diese den Anschluss an alldiejenigen gekappt haben, die sich in den aktuellen Verhältnissen nicht mehr zurecht finden, betreiben sie das Geschäft derer, die für jedes gesellschaftliches Problem sowohl einfache Antworten wie vorführbare Schuldige benennen können.
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Für die Herstellung neuer Verhältnisse bedarf es immer zumindest zweier Akteure: die, die sie als Nutznießer der alten verursachen und die, die daraus politisches Kapital schlagen
Angesichts dessen, was sich zur Zeit abspielt, kann man es sich Wortführer eine progressiven Neoliberalismus einfach machen und den Rechtspopulisten jegliche Existenzberechtigung absprechen (siehe etwa der Autor Daniel Kehlmann, der in diesem Zusammenhang abwerten von Neandertalerpsychen spricht: (https://derstandard.at/2000103800902/Daniel-Kehlmann-Mir-ist-das-Ansehen-Oesterreichs-egal)). Oder man kann jede neue Volte einer LGBTQ-bezogenen Identitätspolitik als einzig mögliches Elixier demokratischer Weiterentwicklung feiern und dabei außer Acht lassen, dass die AfD-Oppositionsführerin kein Problem damit hat, sich als Lesbe zu outen (https://www.youtube.com/watch?v=B8_ozwNIhW4) und gleichzeitig mit aller Verve gegen eine andere Form der Identität in Form des islamischen Glaubensbekenntnisses zu Felde zu ziehen. Angesichts solcher blinder Flecken könnte man mit dem Philosophen Robert Pfaller schon mal vermuten, hier würde eine pseudoprogressiven Elite, die die Sorge um ihre sexuellen Lebensstile für das Maximum einer fortschrittlichen Agenda hält, sich gar nicht vorstellen können, dass es noch ganz andere akute Sorgen geben könnte, die die Menschen real umtreibt – und die zur Zeit ausschließlich von rechtspopulistischen Kräften umworben werden. Dass zuletzt auch eine Reihe von konservativen Künstler*innen schwankend geworden ist, beweist eine gemeinsame Erklärung führender Kulturschaffender in Deutschland (https://www.erklaerung2018.de/index.html#letter_link).
In wenigen Monaten finden in Österreich wieder Nationalratswahlen statt. Geht es nach dem aktuellen Zustand der SPÖ dann erscheint eine progressive Politik zur Zeit nicht in der Lage, hinreichend überzeugende Zukunftsentwürfe einer „besseren Gesellschaft“ für all diejenigen zu schaffen, die von den aktuellen Entwicklungen benachteiligt und frustriert werden. Also wird es in erster Linie um die Verhandlung von Zukunftsängsten gehen, die von rechten Kräften allemal besser gemanagt werden als von denen, die ihren Auftrag darin sehen, für und mit den aktuell Benachteiligten einen motivierenden Blick in die Zukunft zu wagen. In der Zwischenzeit finden auch die Religionen wieder ihren Weg in die Politik und machen denjenigen, der ein vielfältige Gesellschaft wieder zu einer einfältigen Gemeinschaft zusammenführen möchte zu einem Gesalbten des Herrn (https://www.youtube.com/watch?v=Qp1XODO1Wtg&feature=youtu.be&fbclid=IwAR24gT28FdFhcLQ4JV4slHDOFEisrv4HKFpJlmVUfMMJobS3RqhkhecUPKE).
Bundeskanzler Dollfuss und Kardinal Innitzer lassen grüßen!