…meinte Christian Kircher, Geschäftsführer der Bundestheater Holding GmbH in einem jüngst im „KulturMontag“ ausgestrahlten Gespräch zu den Auswirkungen der aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf den Kulturbetrieb.
Zuvor hatte Stella Rollig im Beitrag bekannt gegeben, dass das Belvedere zuletzt 80% weniger Besucher*innen zu verzeichnen hat, entsprechend groß sind die Einnahmenverluste. Auch die Leitungen anderer Häuser sprechen von ähnlichen Größenordnungen bei den Einbußen an Besucher*innen und Einnahmen. Die Folgen könnten einschneidender nicht sein: Immer mehr Künstler*innen und Initiativen geben auf. Und selbst in etablierten Einrichtungen werden Überlegungen angestellt, sich entsprechend den Gegebenheiten neu zu aufzustellen. Und so könnten wir schon bald erleben, dass selbst traditionelle Theater sich dazu entschließen werden müssen, vom teuren Repertoire- zum billigeren Ensuite-Betrieb umzustellen. Zu den besonderen Leidtragenden zählt wieder einmal die Freie Szene, die (siehe kupf Oberösterreich) Verluste bei den Einnahmen aus dem Kartenverkauf in Höhe von fast 70% hinzunehmen hat.
Spätestens mit der Einführung der 2G-Regel und einem weiteren partiellen Lockdown in zumindest einigen Regionen brennt das Dach des Kulturbetriebs lichterloh. Da mögen die Rufe nach weiteren Tranchen an Überbrückungshilfen durch den Staat noch so laut erschallen, dem Kulturbetrieb steht – bei aller Unterschiedlichkeit – ein tiefgehender Transformationsprozess bevor, der nur mehr wenig Tabus kennen wird.
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Privilegiert fühlen können sich einmal mehr die großen Kultureinrichtungen, die mit gesetzlichen Bestandsgarantien abgesichert sind. Christian Kircher sprach sogar von einem vorsichtigen Trend zur Normalisierung. Sein euphemistischer Befund: Eine hohe Taktzahl an Neuproduktionen (man kann auch von einem Abbau eines Produktionsstaus während der diversen Lockdowns sprechen) würde das Interesse des Publikums schon bald wieder wecken, das erfahren wolle, was es Neues gibt.
Mit einer solchen Argumentation ist zu erwarten, dass die staatlichen Kultureirichtungen – jedenfalls fürs Erste – ihre, wenn auch etwas abgespeckten Programme – weiter fortsetzen werden, egal ob sich die Menschen mehr oder weniger Menschen dafür interessieren. Bei allen anderen aber, deren Existenz wesentlich von der Anzahl der Besucher*innen abhängt, könnten schon bald nicht mehr die Künstler*innen sondern die Organisationsentwickler*innen das Sagen haben.
Als oberster Chef der Bundestheater brach Christian Kircher noch einmal eine vehemente Lanze für die analoge Kunsterfahrung, die nur in den traditionellen Settings seiner Häuser möglich wäre. Geht es nach ihm, dann sollen auch weiterhin Menschen in prunkvollen Räumen des 19. Jahrhunderts Kunst des 19. Jahrhunderts als Maß aller (kulturellen) Dinge in physischer Präsenz erleben (und der Staat die dafür notwendigen Mittel bereitstellen). Der Leiter der oberösterreichischen Landesmuseen Alfred Weidinger argumentierte da schon wesentlich weitsichtiger, wenn er seinen Häusern einen umfassenden digitalen Transformationsprozess empfahl. Und der Erfolg scheint ihm Recht zu geben: seine Strategie wurde mit einer weitgehenden Kontinuität des Publikumsinteresses belohnt.
Interessant war auch die Analyse der Soziologin Barbara Rothmüller, die die Vermutung äußerte, mit den Lockdown-Maßnahmen wäre eine Reihe von „Weak Ties“ zerstört worden, damit lose Vergemeinschaftungen, die neben der Befriedigung ästhetischer Interessen traditionell eine wesentliche Motivation für Veranstaltungsbesuche darstellen würden. Nach eineinhalb Jahren Abstinenz hätte eine wachende Anzahl an potentiellen Besucher*innen auf die Befriedigung „pandemiebedingter häuslicher Lüste“ umgeschwenkt. In ihrem neu angelernten Kulturverhalten werde es längere Zeit dauern sie wieder hinter dem häuslichen Ofen hervorzuholen. Ob das mit der Fortsetzung des präpandemischen Programms in traditionellen Settings gelingen kann, wird täglich zweifelhafter.
Geht es nach Kircher so sei eine erste Phase der Pandemiefolgen, die die Konkurrenzverhältnisse zwischen dem etablierten und den freien Betrieb noch einmal massiv verschärft habe, nunmehr in eine zweite übergegangen. Diese sei entlang der Impfung geprägt durch eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung, die auch vor den Toren des Kulturbetriebs nicht halt machen würde. Mehr als dümmliche, weil politisch gefährliche Aussagen von Künstler*innen wie Nina Proll anlässlich der Einführung der 2G Regeln lassen eine Ahnung aufkommen, wie tief diese Spaltung mittlerweile bis tief in den Kulturbereich hinein reicht.
Die amtierende Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer zeigt bis bislang weitgehend abgeklärt. Sie verweist auf insgesamt gute Bedingungen, gibt sich aber offen, noch einmal an dem einen oder anderen Detail zu schrauben. Nicht eben ein Nachweis, dass Kulturpolitik die ganze Tragweite dessen erkannt hat, was da gerade vor sich geht. In ihrer Realitätsverweigerung tut sie sich scheinbar leicht, weil sie sich mit empirischen Evidenzen nicht lange aufhalten muss. Die standhafte Weigerung, eine systematische Publikumsforschung in Österreich zu implementieren öffnet dem Gespräch über Vermutungen Tür und Tor, die mal so und mal so interpretiert werden können. Genaueres wissen wir nicht – und wollen wir auch nicht wissen.
Der Bericht im KulturMontag hat die Dramatik der Lage gezeigt. Trotzdem steht zu befürchten, dass die Umstände vor Ort in einer Phase, in der die Pandemie weitgehend außer Kontrolle zu geraten droht, noch weit bedrohlicher sind.
Die Indizien werden täglich stärker, dass es für die Aussichten derjenigen, die glauben, früher oder später – und sei es mit noch so massiven staatlichen Unterstützungsmaßnahmen – zu einer alten Normalität zurückkehren zu können, keine Zukunft gibt. Stattdessen liegt die einzige Perspektive des Kulturbetriebs in all seiner Vielfalt in einem mutigen Experimentieren an der Schnittstelle analog/digital, das Abschied nimmt von traditionellen Publikumsbeziehungen und an ihre Stelle Kommunikation und Interaktion auf Augenhöhe an ihre Stelle treten lässt.
Diesbezügliche Versuche finden zurzeit allerorten statt. Es liegt an der Kulturpolitik, sie zu erkennen ihnen die Bedeutung zu geben, die sie verdienen.