Es sind die Störungen, die das Leben ausmachen

Gedanken zu Anna Lowenhaupt Tsing: „Der Pilz am Ende der Welt – Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus“

Längere Zeit habe ich mich gescheut, dieses Buch mit seinem seltsamen Titel aufzuschlagen: Warum soll ich mich über 400 Seiten auf eine Studie über einen seltsamen Pilz namens Matsutake einlassen, von dem ich bis bislang nur wusste, dass er in Japan als eine besondere Delikatesse geschätzt wird, für mein Leben aber völlig belanglos ist?

Und dann hat doch die Neugierde überwogen. Und war von der ersten Seite an von den Gedankengängen der US-amerikansischen Anthropologin gefesselt. Anna Lowenhaupt Tsing gelingt es auf eine fast schon „klammheimliche“ Weise, diesen Pilz zum Ausgangspunkt einer faszinierenden Suchbewegung zu machen. Ihr Geheimnis liegt darin, in der Beschäftigung mit etwas sehr Besonderem das Allgemeine deutlich zu machen. Und unversehens wird mit ihren Überlegungen ein unscheinbarer, unter der Erde versteckter Pilz zu einer einsichtigen Metapher zum Zustand der Welt von heute.

Ein Pilz, der dem Menschen die lange Nase zeigt

Der Pilz Matsutake ist auf der ganzen Nordhalbkugel verbreitet. Er wächst vorrangig auf von Industrialisierung und Monokulturalisierung verwüsteten und ruinierten Böden und ist nicht kultivierbar. Der Pilz war das erste Lebenszeichen, das sich nach der nuklearen Katastrophe in Hiroshima wieder regte. Die verseuchten Trümmer der verwüsteten Stadt dienten ihm offensichtlich als eine ausreichende Lebensgrundlage.

Der Grundgedanke des Buches von Lowenhaupt Tsing liegt darin, am konkreten Beispiel des Matsutake den Mythos der Machbarkeit von Welt als Essenz moderner Fortschrittsgeschichte zu destruieren. Das mag fürs Erste verwirrend erscheinen, ermöglicht im Lauf der Lektüre dennoch den Einblick in eine Weltsicht, die weder dystopisch die Apokalypse beschwört noch utopisch auf innovative Technologien verweist, um stattdessen die Beschäftigung mit Widersprüchen als den zentralen Voraussetzungen des Lebendigen wieder in das ihr zustehende Licht zu rücken.

Bei mir als Leser stellte sich zuallererst eine große Entlastung ein: Kann es sein, dass trotz der wachsenden Krisenerscheinungen samt all den Interventionsversuchen, die uns in einem medialen Dauerfeuer vermittelt werden, die Welt gar nicht gerettet werden will? Dass der Wunsch nach umfassender „Wiedergutmachung“ nur als ein, im Letzten vergeblicher Ausdruck der Hybris moderner Gesellschaften verstanden werden muss? Weil diese auf der falschen Annahme beruhen, mit allen Mitteln die Welt noch einmal in den Griff zu bekommen?

Im Gegensatz dazu macht die Beschäftigung mit diesem Pilz deutlich, dass die prekären Zeiten, in denen wir leben, sich nicht noch einmal werden in Ordnung bringen lassen. Stattdessen bilden sie die unumgängliche Voraussetzung für eine nicht von Menschen manipulierte Natur, die ein gemeinschaftliches Überleben überhaupt erst möglich macht. Kann es also sein, dass der Menschheit in der gegenwärtigen historischen Phase auferlegt ist, erst einmal voll und ganz in der Gegenwart zu leben und mit den jetzigen Gegebenheiten zu Rande zu kommen?

Es gibt ein Leben jenseits menschlicher Beherrschbarkeit

In Beantwortung dieser Fragen kommt die Autorin zur Vermutung, dass es Sinn machen könnte, statt unwiederbringlich vergangene Zustände wieder herstellen zu wollen, zuerst einmal die “Ruinen des Kapitalismus” auf ihr Potenzial abzuklopfen. Ganz so wie der Matsutake, den man hauptsächlich in Gegenden findet, wo kümmerliche Überbleibsel monokultureller Kiefernwälder den Schaden des Raubbaus der Menschen an der Natur überdeutlich machen. Und damit die Hoffnung am Leben erhalten, dass es unter scheinbar aussichtslosen Bedingungen immer noch Möglichkeiten des Überlebens, ja der Entwicklung gibt. Vor allem, wenn wir uns vom Anspruch der völligen Beherrschbarkeit der Natur durch den Menschen verabschieden und uns stattdessen mit den Möglichkeiten von Resilienz und Wendigkeit anfreunden.

Die beliebige Ausdifferenzierung des Wissenschaftsbetriebes als Irrweg, der den Menschen im Zeichen seiner Verwertbarkeit von seinen natürlichen Voraussetzungen entfernt

Auch wenn Anna Lowenhaupt Tsing über eine spezifische wissenschaftliche Kernkompetenz als Anthropologin verfügt, so hat sie für diese Studie einen Ansatz gewählt, der auf eine oft überraschende Weise ganz unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen zu verknüpfen weiß: Sie versteht es, in diesem „interdisziplinären Essay“ die komplexen Zusammenhänge rund um den Matsutake-Pilz auf vielfältigste Weise miteinander in Beziehung zu setzen. Ihre Bezugspunkte reichen von Anthropologie und Biologie über Ökonomie, Umwelt bis hin zu soziologischen Beobachtungen, die sie mit Einschätzungen der spezifisch kulturellen Zugänge der beteiligten Akteur*innen zu verbinden vermag. Sichtbar wird so ein vielfältiges Panorama aus unmittelbaren Hervorbringungen der Natur, Sammlern, Händlern, Wissenschaftler*innen, die ihr Leben rund um den Pilz und seine einzigartigen Lebensbedingungen organisieren. Das Buch lebt von sehr konkreten Schilderungen menschlicher Tätigkeiten und schafft doch scheinbar spielerisch den Übergang zu verallgemeinerbaren Weltinterpretationen.

Die eindimensionale Fortschrittsgeschichte der europäischen Aufklärung ist zuletzt als zerstörerischer Herrschaftsanspruch unter massiven Druck geraten. In seinem in diesen Tagen herausgekommenen Buch zur Geschichte der menschlichen Herrschaft über die Natur sprich Philipp Blom gar von „Unterwerfung“.

Auch Lowenhaupt Tsing rekurriert auf diese Fortschrittskritik, wenn sie den auf kapitalistische Verwertungsinteressen verengten Fortschrittsglauben als permanente Skalierungsversuche identifiziert, die darauf hinauslaufen, die Unauslotbarkeit der Natur in vergleich- und verhandelbare (und damit auch scheinbar voraussagbare) Größenordnungen zu verwandeln; ein Verfahren, das mit zunehmender Komplexität dazu angetan ist, den Menschen immer weiter von seinen natürlichen Voraussetzungen zu entfernen; damit eine Perversion aufklärerischen Denkens und Handelns, das sukzessive auf das Gegenteil der intendierten Absichten (die Natur, inklusive der eigenen immer besser verstehen und gestalten zu wollen) hinausläuft.

Im Ergebnis spricht sie von einem „Verwertungskapitalismus“, dessen einziges Ziel es ist, die Unermesslichkeit der Natur in eine messbare Warenform zu transformieren. Diese spezifisch menschliche Umgangsform mit der Natur stellt für sie ein ebenso grandioses wie zum Scheitern verurteiltes Experiment dar, um quantifizierbare Vorteile aus Hervorbringungen der Natur ziehen zu können, die ohne menschliches Zutun geschweige denn ohne kapitalistische Steuerung entstanden sind (Luft, Wasser, Öl, Gas, Hervorbringungen der menschlich unbeeinflussten Natur, ….).

Damit aber hinge der Fortschritt – jedenfalls im Zusammenhang mit der gegenwärtig dominierenden kapitalistischen Verwertungslogik – immer von, der Natur abgetrotzten Ressourcen ab. Ausgeblendet bleibt dabei der Umstand, dass gerade diese die Grundlage einer ökologische Diversität darstellen, ohne die kapitalistische Akkumulation nicht möglich wäre. In dem Maße aber, in dem die Menschheit sich davon abhängig gemacht hätte, die Natur zu beherrschen, zu zähmen bzw. unwiederbringlich auszubeuten, gefährde sie eben genau diesen ökologischen Reichtum, um so gerade den Ast der Vielfalt der Natur abzusägen, auf dem sich der gedeihliche Fortbestand der Menschheit entscheidet.

Das lässt sich am Beispiel des Matsutake sehr einleuchtend nachvollziehen, wenn der Pilz unter der Erde über einen, von Menschen in der Regel nicht wahrgenommenen und doch umfassenden Fungus bildenden Umtrieb verfügt, zugleich die private Entnahme einzelner Pilze zum Zweck ihrer Kommodifizierung zu einem permanenten Kappen dieser Verflechtungen führe, die am Ende zu seiner Vernichtung führt.

Arbeit als ein Weg, nach dem Glück zu streben

Besonders interessant habe ich den Arbeits-Begriff gefunden, den Lowenhaupt Tsing rund um das Sammeln des Pilzes verortet. Diese Tätigkeit würde weit über die verkümmerten Vorstellungen kapitalistisch verfasster Erwerbsarbeit hinausweisen. Aus ihrer Sicht als Anthropologin verweise das Matsutake-Sammeln zuallererst auf eine Suchbewegung. In den Augen der Sammler*innen ginge es darum, nach Glück zu streben und nicht (fremdbestimmte) Arbeit zu verrichten. Das hätte auch Auswirkungen auf unternehmerisches Handeln: Sie sieht darin die Tätigkeit autonomer Persönlichkeiten, die wiederum Ähnlichkeiten mit Matsutake-Pilzen aufweisen würden. Weil der Pilz nicht einfach gezüchtet und als kausales Ergebnis menschlicher Arbeit geerntet werden kann, wären Unternehmer*innen darauf verwiesen, sich auf die Suche nach der sichtbaren Frucht unerkannter, schwer zu fassender und flüchtiger Allmenden zu machen.

In lebhaften Farben schildert die Autorin auf immer neue Weise die Bestrebungen von Menschen, Natur für ihre Zwecke umzuwandeln und zu verwerten. Dabei kommt sie zur erstaunlichen Einsicht, dass sich der Matsutake dieser Logik zu entziehen vermag. Er kommt gerade dort zum Vorschein, wo der Mensch an die Grenzen der Naturbeherrschung gekommen ist und die Natur nach ihrer Zerstörung wieder sich selbst überlassen wird. Und wird so völlig unvermutet zu einem Vorbild menschlichen Handelns in unsicherer Zeit.

Lowenhaupt Tsing will verdeutlichen, dass die Lebensgrundlagen des Pilzes gerade nicht in der Kultivierung von Natur liegen, sondern das Ergebnis einer „Störung“ sind, die damit als die eigentliche Kraft des Lebendigen zu Tage tritt. Im Ergebnis skizziert die Autorin die Grundlagen einer störungsbasierten Ökologie, in denen zahlreiche Arten ohne Harmonie, aber auch ohne Eroberungsversuche zusammenzuleben vermögen. Eine solche ist mit der Einsicht verbunden, dass Menschen – selbst Hervorbringungen der Natur – dauerhaft von Naturprozessen abhängig bleiben werden. Zugleich will sie uns deutlich machen, dass diese Naturprozesse immer über das menschliche Erfassungs- und noch mehr Gestaltungsvermögen hinausweisen: Menschen können Natur nicht nach ihrem Belieben gestalten Und sie können auch nicht alles reparieren, auch das nicht, was wir kaputt gemacht haben.

Über die Wissenschaft und ihre kulturellen Besonderheiten

In dem Maß als der Pilz in verschiedenen Weltgegenden seine Lebensgrundlagen gefunden hat, ist er nicht nur Produkt des Glücksstrebens, des Sammelns, des Vertriebs und der Konsumption über nationale Grenzen hinweg. Er ist auch Gegenstand seiner wissenschaftlichen Befassung, die sich – geht es nach den Grundsätzen des modernen Wissenschaftsbetriebs – nationalen Grenzziehungen entziehen.

In diesem Zusammenhang fallen mir die vehementen Plädoyers von Bazon Brock ein, der immer wieder heftig in Abrede gestellt hat, dass im Zuge der Moderne nationale Grenzziehungen in der wissenschaftlichen Bearbeitung ausgewählter Themen bzw. Gegenstände beeinflussen könnten: „Im 14. Jahrhundert entstand der Gedanke der künstlerischen-wissenschaftlichen Arbeit, weil die Aussagen der Wissenschaftler und Künstler nicht mehr kulturell-religiös – in jeder Kultur steht die Religion im Mittelpunkt – legitimiert werden musste. Wer Chemie betreibt, tut das völlig unabhängig davon, ober er Jude ist oder Chinese, ob er Afrikanisch (!) spricht oder Englisch.“

Entgegen Brocks Behauptung müssen wir anhand der Lektüre des „Pilzes am Ende der Welt“ zur Kenntnis nehmen, dass das allenfalls für naturwissenschaftliche Disziplinen (und auch da nur bedingt) stimmt. Für den Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften hingegen macht Lowenhaupt Tsing (die in diesem Buch als eine Sprecherin einer weltweit vernetzten und damit sehr unterschiedlichen Ansätzen folgenden transnationalen Forscher*innen-Gruppe auftritt) klar, dass das Studium dieses Pilzes – je nach regionaler Verortung – ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen folgt und sich das auch in unterschiedlichen Erkenntnissen zeigt, die oft nur schwer zur Deckung zu bringen sind. Das hängt wohl auch mit einer spezifischen Wissenschaftspraxis im Rahmen dieses Forschungsverbundes zusammen, die auf das möglichst enge Zusammenwirken von Wissenschafter*innen und örtlichen Kräften und ihrem volkstümlichen Wissen setzt.

Als hätten wir es nicht gewusst: Es ist der Wohlfahrtsstaat, der Integration ermöglicht oder verhindert.

Genauer unter die soziologische Lupe nimmt die Autorin vor allem diejenigen, die konkret mit dem Sammeln und dem Vertrieb des Pilzes befasst sind. Sie entwickelt dabei ein Szenario unterschiedlicher Sammler-Fraktionen, die sich klar voneinander unterscheiden. Genauer angesehen hat sie sich die Szene im Norden der USA, die von verschiedenen migrantischen Gruppen dominiert wird. Dabei unterscheidet sie zwischen der Einwanderung von Japaner*innen in die USA nach dem Zweiten Weltkrieg und von aus Südostasien geflüchteten Menschen dreißig Jahre später.

Geht es nach ihrer Analyse, dann sind die “amerikanischen Japaner*innen” im Rahmen des New Deal von der Kulturpolitik des US-amerikanischen Wohlfahrtsstaates geformt worden. Mit seinen durchaus paternalistischen Konsequenzen fühlte sich der Staat nach 1945 ermächtigt, das Leben dieser Menschen mit Anreizen und Zwängen zu regulieren und sie so dem “Schmelztiegel” einzufügen (und damit auch ihre Vergangenheit weitgehend auszuradieren): „Die japanischen Amerikaner wurden sozusagen in Amerikas Schoß gedrängt und gestoßen.“

Die ihnen folgenden Südostasiat*innen hingegen wären mit einer tiefgehenden Erosion der staatlichen Wohlfahrt konfrontiert gewesen. Dementsprechend hätten sie eine ganz andere Beziehung zu ihrer neuen Staatsbürgerschaft entwickelt und wären sie auf ganz andere Strategien des Überlebens verwiesen gewesen: Ihr Antrieb war nicht mehr der “amerikanische Traum”, sondern das Hochhalten ihrer Herkunftskultur in “Parallelgesellschaften”, deren Mitglieder sich gezwungen sahen, sich vom US-amerikanischen Mainstream abzuschotten.

Die Botschaft, die die Leser*innen ausgerechnet in einem Text über einen exotischen Pilz zu ziehen vermag, ist eine Bestätigung dafür, dass Kulturpolitik bzw. Wohlfahrtsstaatlichkeit eine herausragende Funktion bei der Integration zugewanderter Menschen zukommt.

Jede Erkenntnis basiert auf Übersetzung

Insgesamt kann der Text als ein großes Plädoyer für die Fähigkeit des Übersetzens gelesen werden. In dem Maß, in dem der Umgang mit dem Pilz bestehende regionale, sprachliche, soziale, kulturelle und sonstige Grenzen überschreitet ist für Lowenhaupt Tsing das Übersetzen (engl: „interpretation“) die zentrale menschliche Leistung, um der Natur entsprungene ebenso wie kulturelle Andersheiten kennenlernen und miteinander in Beziehung setzen zu können. Es ist das Übersetzen, das den Brückenschlag zwischen den Kulturen ermöglicht und – dazu nur im scheinbaren Widerspruch – zugleich die Voraussetzung für deren Gewahren bildet.

In dem Maß, in dem für sie Übersetzung die Grundlage jeglicher Erkenntnis bildet, erweitert sie den Bedarf an Übersetzungsleistungen über den Bereich der menschlichen Kommunikation hinaus. Entlang ihrer Erörterungen entsteht ein Bild von Gesellschaft, das den Menschen nicht mehr kategorial von der Natur abzugrenzen versucht, sondern Menschen ebenso wie Nichtmenschen in gleicher Weise eine Stimme gibt, die es mehr denn je gilt, aufgegriffen und verstanden zu werden.

Kunst als eine menschliche Entsprechung des Matsutake

Es liegt auf der Hand, diese Einsichten auf den Kulturbetrieb zu beziehen. Vieles deutet darauf hin, dass dieser grade dabei ist, sich in Ruinen aufzulösen, auf dessen Versatzstücken sich ein Myzel neuer kultureller Gegebenheiten breit machen könnte. Die Hoffnung, die die Lektüre des Buches macht, verweist auf das Entstehen neuer, ganz unerwarteter kultureller Ausdrucksformen, die sich als Ergebnis von Störungen kulturpolitischer Planbarkeit entziehen. Angesprochen ist damit eine neue Ökologie auch im Bereich des kulturellen Lebens, die sich auf neuen Interaktionsformen zwischen Produzent*innen, Rezipient*innen und ihren künstlerischen Hervorbringungen begründet.

Und zumindest indirekt entsteht eine neu, Mensch und Natur verbindende Vorstellung von Kunst, die dem Matsutake dahingehend ähnelt, als sie gleichermaßen nicht beliebig „plan- und kultivierbar“ ist, ebenso auf Störungen als bestimmende Interventionsform setzt und vor allem dort auftritt, wo wir sie im wenigsten erwarten. Und sie doch der immer neuen Suche wert ist, weil sie gerade in ihrer Unauslotbarkeit das Leben selbst repräsentiert.

In scheinbar widersprüchlicher Weise macht dieses Buch Mut auf Zukunft, weil es die Leser*innen einlädt, sich auf neue Weise mit der Gegenwart auseinander zu setzen. Es macht uns vertraut mit einer offenen und neugierigen Lebenshaltung, die sich nicht an den Träumen weiterer Fortschrittserwartungen im Rahmen des Korsetts des globalen Kapitalismus orientiert. Sondern sich auf die Vielzahl von Widersprüchen einlässt, denen die menschliche Existenz hier und heute ausgesetzt ist und hinlängliches Vertrauen in die Kraft von Störungen legt, die den Fortbestand des Lebendigen überhaupt erst ermöglichen.

Eine solche Haltung zum Leben bedeutet freilich einen fundamentalen Bruch zur grassierenden Gestaltungswut, die das Ende der Eigenständigkeit der Natur (und damit auch der menschlichen Natur) zum Ziel hat.

Dem Anspruch umfassender „Unterwerfung der Natur unter dem Willen des Menschen“ etwas mehr Gelassenheit entgegenzusetzen, auf die Unvorhersehbarkeit des Lebendigen zu vertrauen, um – in einer symbolischen Metapher – beim Streifen durch die Natur irgendwann auf eine unscheinbare Bodenerhebung zu treffen, unter der sich ein Matsutake als Zeichen des Lebens nach der Zerstörung verbirgt, das wär schon was.

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

berridraun

berridraun bewertete diesen Eintrag 08.10.2022 10:40:56

3 Kommentare

Mehr von Michael Wimmer