Warum sich die Kulturpolitik so schwer tut mit Kunst- und Kulturvermittlung
Es war für viele ein denkwürdiges Ereignis, als sich 2018 in Halle an der Saale über 300 Orchestervertreter*innen im Rahmen der jährlichen Orchesterkonferenz erstmals mit dem Thema Musikvermittlung beschäftigt haben. Mit der heterogenen Zusammensetzung der Teilnehmer*innen hätten die bestehenden Differenzen innerhalb dieses Arbeitsfelds nicht symbolträchtiger dargestellt werden können. Während im plenaren Setting am Vormittag in die Jahre gekommene Männer in grauen Anzügen das Gespräch bestimmten über die Notwendigkeit, aus schieren Überlebensgründen neben dem Stammpublikum bei bisher vernachlässigten Gruppen aufzutreten, bot sich in den Arbeitsgruppen danach ein völlig anderes Bild. Dieses wurde Großteils von jüngeren Frauen beherrscht, die ihre konkreten Tätigkeiten als Vermittlerinnen zum Thema machten. Stoff dafür fand sich reichlich. EDUCULT hatte kurz zuvor für das Netzwerk Junge Ohren Recherchen zu den Arbeitsbedingungen von Musikvermittler*innen gemacht, die den prekären Charakter dieses neuen Berufsfeldes deutlich haben werden lassen.
Die Diskussion um die kulturpolitischen Möglichkeiten und Grenzen von Vermittlung beschäftigen den Kulturbetrieb seit nunmehr fast fünfzig Jahren. Geboren aus den kulturpolitischen Programmen der 1970er Jahren einer „Kultur für alle“ versucht seither eine sich gegen manche Widerstände etablierende Berufsgruppe gelingende Beziehungen zwischen Kunst, Künstler*innen und dem großen Rest der Gesellschaft zu stiften.
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Vorwurf I: Vermittlung ist ein parasitäres Unternehmen, das den Primat der Kunstproduktion irritiert
In ihrem Bemühen, vor allem die Relevanz des etablierten Kulturbetriebs bei den Menschen, die keine unmittelbare Affinität zu seinen Angeboten haben, zu erhöhen, sehen sich Vermittler*innen zumindest drei massiven Abwehrhaltungen gegenüber. Die erste kommt aus dem Kulturbetrieb selbst, wenn Künstler*innen mit der Implementierung von Vermittlungsprogrammen eine neue Konkurrenz wittern. Vermittler*innen würden für sich beanspruchen, bei der Interpretation ihrer Hervorbringungen mitreden zu wollen. In der Regel handle es sich bei ihnen um verkappte Künstler*innen, die es nicht geschafft hätten, sich künstlerisch zu realisieren. Also würden sie versuchen, trotz dieser Defizite, auf einem selbst geschaffenen Ersatzfeld doch noch die künstlerische Bühne zu betreten. Gute Kunst aber, so das Argument der Systemerhalter*innen, verstünde sich von selbst und bedürfe keiner Vermittlung. Diese laufe in ihrer Erklärungswut doch nur darauf hinaus, den eigentlichen künstlerischen Gehalt zu verwässern und damit seine Wirkung zu schmälern. Dazu komme der ganz pragmatische Umstand, dass die Vermittler*innen einen immer größeren Teil des Förderkuchens für sich beanspruchen würden. Damit würden Mittel, die für die eigentliche künstlerische Arbeit wesentlich besser eingesetzt wären, zweckentfremdet.
Vorwurf II: Die Pädagogik kann es besser
Kritik kommt aber auch von Seiten der Kunstpädagogik. Ihre Vertreter*innen argumentieren, dass dieser Berufsstand ja ohnehin über ein ausreichendes Methodenset verfügen würde, um junge Menschen in jahrelanger schulischer Einübung zu versierten Nutzer*innen des kulturbetrieblichen Angebots vorzubereiten. Im Vergleich dazu verfügten Vermittler*innen über kein ausreichendes methodisch-didaktisches Knowhow. Auch sie sehen in den Vermittler*innen eine unnötige Konkurrenz, die die Illusion nähren würde, die in der Schule systematisch erworbenen Fähigkeiten
zur Erfahrung mit Kunst ließe sich auf die eine oder andere Einmalaktionen von Vermittler*innen vor Ort reduzieren, ohne nachhaltige pädagogische Qualitätsverluste in Kauf zu nehmen. Dieser Unterstellung tut auch der Umstand nur wenig Abbruch, dass sich erstens ein systematisches Angebot der Kunstpädagogik im Wesentlichen auf rund ein Fünftel der Schüler*innen in gymnasialen Oberstufen beschränkt. Und zweitens, dass sich selbst dort die darauf bezogenen Lehrinhalte in den letzten Jahren nachhaltig verändert haben und auf Angebote der kreativen Selbsttätigkeit konzentrieren. Die Bezugnahme auf die aktuellen Entwicklungen des Kulturbetriebs wird somit immer zur Ausnahme. Auch diese Argumentation läuft darauf hinaus, mit dem Bedeutungszuwachs von Vermittlung eine neue Akteur*innengruppe in die Schranken weisen und die eigene Definitionsmacht nicht preisgeben zu wollen. Die Konsequenzen zeigen sich unschwer im bis dato sehr geringen Stellenwert der Vermittlung in der inhaltlichen Schwerpunktsetzung der Kunstuniversitäten, wo dieses Berufsfeld immer noch prekär zwischen künstlerischer und kunstpädagogischer Ausbildung nach einer adäquaten Verortung sucht.
Vorwurf III: Vermittlung stigmatisiert Menschen als dumm – jedenfalls als nicht selbst in der Lage, Kunst adäquat zu rezipieren
Ein dritter Einwand weist über die Durchsetzung fachspezifischer Interessenslagen hinaus. Er unterstellt vor allem denjenigen, die nicht zum kundigen, weil sozial privilegierten und gebildeten, Stammpublikum des Kulturbetriebs gehören, ein defizitäres Verhalten, das mit den Mitteln der Vermittlung kompensiert werden muss. Die diesbezüglichen Begründungen laufen darauf hinaus, dass weite Teile der Bevölkerung dem Angebot des etablierten Kulturbetriebs fremd gegenüberstehen würden. Daher wäre es die Aufgabe der Vermittlung, vor allem staatlich geförderte Einrichtungen nach allen Richtungen zu öffnen und dabei zu suggerieren, dieses Angebot wäre für alle da, egal mit welchen sozialen, ethnischen, religiösen, bildungsbezogenen oder sonstigen Charakteristika die potenziellen Nutzer*innen ausgestattet wären.
Und doch – so der Vorwurf – schwinge dabei ein missionarischer Auftrag durch, wenn es gilt, das angenommene Unverständnis weiter Teile der Bevölkerung gegenüber dem Kulturbetrieb zumindest zu relativieren. Mit der Behauptung, das Angebot wäre für alle da, soll es der Vermittlung gelingen, vergessen zu machen, dass es sich beim Kulturbetrieb um eine hochelaborierte Struktur mit höchst ausdifferenzierten Ein- und Ausschlussverfahren handelt. Dazu kommt, dass bei vielen Vermittlungsbemühungen weitgehend ausgeblendet wird, dass die Adressat*innen kulturell nicht unbeleckt sind, sondern durchaus über – ihrer sozialen Situation adäquaten – kulturelle Bildungen verfügen. Diese aber würden im Rahmen der Aktivitäten nur zu leicht abgewertet, in der Regel aber überhaupt nicht als relevant wahrgenommen werden. Dies erscheint umso wahrscheinlicher, als die meisten Vermittler*innen selbst über einen hohen Bildungsgrad verfügen bzw. aus privilegierten mittelständischen Milieus mit einer klar umrissenen kulturellen Prioritätensetzung stammen. Als solche können sie sich in das kulturelle Selbstverständnis anderer sozialer Gruppen nur schwer hineindenken bzw. hineinfühlen – und viele wollen das auch gar nicht. Dass sie mit damit aber genau an der kulturellen Stigmatisierung mitwirken, die sie vorgeblich zu überwinden trachten, bleibt gerne unreflektiert.
Ungeachtet dieser systemischen Abwehrhaltungen hat der Fachzusammenhang Vermittlung in den letzten Jahren ein breites Methodenset für vielfältige Aktivitäten entwickelt, ohne die der Kulturbetrieb von heute gar nicht mehr denkbar wäre. Sie reichen vom verlängerten Arm der Marketingabteilungen, über Führungen, Hintergrundgespräche mit Künstler*innen, Besuchen von und in Schulen, inszenierte Konzerte, bis hin zu einer Vielzahl von Begleitprogrammen vor allem für junge Menschen, die es ihnen erleichtern sollen, sich den Kulturbetrieb anzueignen.
Vermittlung steht für einen radikalen Blickwechsel – Vom Dienst an der Kunst zur Empathie für die Menschen
Aus meiner Sicht lässt sich keine Einschätzung über den Stellenwert von Vermittlung treffen, ohne dabei die Stellung der Kunst in der Gesellschaft und das darauf beruhende Beziehungsverhältnis zwischen Kunst und Menschen anzusprechen. Es gehört wohl zu den mitteleuropäischen Besonderheiten, der Kunst – jedenfalls in den meinungsbildenden Kreisen – eine herausragende, nahezu sakrale Position zuzuweisen. Dafür erscheint es ihren Apologet*innen notwendig, sie jedes sozialen, politischen oder sonstigen Kontextes zu entkleiden. Sie sehen sich dabei als würdige Nachfolger*innen eines aufstrebenden Bildungsbürgertums des 19. Jahrhunderts, zu dessen Selbstverständnis ein unbedingter Dienst an der Kunst gehört hat. Damit wurde die Kunst zum zentralen Vehikel, sich über die Widrigkeiten des Alltags zu erheben (und ihre Adorant*innen gleich mit).
Die Vorstellung, das künstlerische Schaffen einiger weniger, an das Priesteramt gemahnender Ausgewählter zum alleinigen Maßstab zu machen, hat sich seither dem Kulturbetrieb tief eingeschrieben. Alle anderen Akteur*innen wurden sukzessive zu einem notwendigen, aber in ihren profanen Ansprüchen eher störenden Beiwerk degradiert. Schon die Architektur der meisten Kultureinrichtungen macht die kategoriale Differenz zwischen der aktiven Produktionsseite und der passiven Rezeptionsseite überdeutlich. Diese völlige Einseitigkeit zugunsten der Produzent*innen zeigt sich bis heute in weiten Teilen der künstlerischen Ausbildung. In einer nahezu perfekten Form der selbstreferentiellen Rekrutierung über die Generationen hinweg stellen ihre Einrichtungen bis heute darauf ab, talentierte junge Menschen um fast jeden Preis auf ihren Dienst an der Kunst vorzubereiten, mögen sie dies mit auch noch so großer Weltfremdheit bezahlen.
Vermittlungsinstanzen als prägende Faktoren der Kunstrezeption gab es schon immer – geredet soll halt nicht darüber werden
Ungeachtet dieser Zurichtung sowohl der Künstler*innen als auch ihres Publikums, die idealiter in der Affirmation der Kunst zusammenfinden sollten, gab es immer schon die Notwendigkeit, das Kunstschaffen in die Gesellschaft zu vermitteln. Dafür wurde eine umfassende Infrastruktur entwickelt, die bis heute über die Existenz entsprechender Einrichtungen, Bildung und Ausbildung, Medien- und Verlagswesen, Kritik bis hin zu kunstwissenschaftlicher Beforschung reicht. Der Umstand, dass diese nicht nur über Zugangsschranken, sondern darüber hinaus auch über die Art und Weise der Produktion und Rezeption von Kunst entscheidet, wird – jedenfalls bei denjenigen, die sich als aktiv und passiv Mitwirkende verstehen – als weitgehend alternativlos vorausgesetzt und erscheint damit kaum der Diskussion Wert (All diejenigen, die nach dem Ende der Pandemie auf eine baldige Rückkehr zu den alten Produktions- und Rezeptionsformen, die um fast jeden Preis wieder herzustellen seien rufen, sind dafür ein beredtes Beispiel). Und doch wird daran deutlich, dass die Vermittlung von Kunst von Beginn an eine, den jeweiligen Machtverhältnissen konforme institutionelle Form gefunden hat, damit der Kulturbetrieb selbst eine Form der Vermittlung darstellt, ohne die die sozialen Gruppen, die sich in ihrem Bedürfnis nach ästhetisch überhöhtem Distinktionsgewinn angesprochen fühlen sollen, erst gar keine Kenntnis von Kunst hätte.
Relativ neu hingegen ist der Anspruch auf „personale Vermittlung“ und damit das Herausbilden einer neuen Berufsgruppe, die für sich beansprucht, mitreden zu wollen bei der Beantwortung der Frage, welche Bedeutung die Kunst für die Menschen hat bzw. im Rahmen einer besseren Welt zukommen könnte oder sollte. Ihre Vertreter*innen repräsentieren mit ihrem großen Idealismus – auch wenn vielen von ihnen das gar nicht bewusst ist – einen fundamentalen Blickwechsel auf den Kulturbetrieb. Sie stehen dafür, der Sicht auf die Kunst die Sicht auf die Menschen entgegenzusetzen und damit der Kunst die gesellschaftliche Relevanz zurückzugeben, die sie mit ihrer Sakralisierung verloren hat. Mit ihren Bemühungen heben sie die Kunst von ihrem schon längst nicht mehr zeitgemäßen Sockel und geben ihr den Kontext zurück, den ihr eine nach sozialer Hegemonie strebende soziale Gruppe in einer bestimmten historischen Phase genommen hat. Vereinfacht gesagt: Sie gibt die Kunst den Menschen zurück und macht sie zum Ausgangspunkt eines vielfältigen Kommunikationsprozesses, der – eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft – tunlichst alle Menschen samt den ihnen je spezifischen Lebensbedingungen einschließt.
Der seit mehr hundert Jahren von diversen künstlerischen Avantgarden vorbereitete Wechsel läuft darauf hinaus, Kunst als ein Kommunikationsmedium zu verstehen, an dem Künstler*innen und die an Kunst Interessierten in gleicher Weise teilhaben können. Dafür bedarf es der Vermittlung in Form von Moderation, Begleitung, allenfalls methodische Incentives. Dazu bedarf es bei allen Beteiligten ein Bewusstsein (das von Künstler*innen ebenso wie von allen anderen Beteiligten entgegen lang gehegten stereotypen Rollenzuschreibungen erarbeitet werden will), dass sie sich in einem – von ihnen mitgestaltbaren Kontext – befinden, der wesentlich darüber entscheidet, ob und wenn ja wie Kunst erfahren werden kann. Die Intentionen dafür können ganz unterschiedlich sein. Die Kunstvermittlerin Carmen Mörsch hat mit „Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen“ im Rahmen der Documenta einen erhellenden Strukturversuch unternommen. Sie versucht darin affirmative, reproduktive, dekonstruktive und transformative Herangehensweisen der Vermittlung entlang unterschiedlicher Wirkungsabsichten zu unterscheiden.
Vermittlung als Verfahren – Kunst als ein kommunikativer Prozess
Gemeinsam ist allen der Anspruch, einen auratischen, zumeist auch produkthaften Kunstbegriff hinter sich zu lassen und stattdessen die Menschen, die Kunst als einen kommunikativen Prozess erfahren, in den Mittelpunkt zu rücken. Damit gerät Vermittlung an die Grenzen des traditionellen kulturbetrieblichen Selbstverständnisses. Das Gros der Männer in den grauen Anzügen hofft bis heute, die Aufgabe der Vermittlung ließe sich darauf beschränken, ein von ihnen allein bestimmtes künstlerisches Programm an ein interessierbares Publikum heranzutragen. Und jetzt müssen sie sich mit den wachsenden Ansprüchen eines professionellen Vermittlungspersonals mit seiner anwaltschaftlichen Haltung im Dienst der potentiellen Nutzer*innen herumschlagen, das sich nicht mehr mit der Erfüllung von Zulieferdiensten zufriedengeben möchte.
Mehr und mehr Vermittler*innen drängen heute darauf, als ein essentieller Bestandteil des Betriebs angesehen zu werden, Mitsprache sowohl bei der organisatorischen wie inhaltlichen Gestaltung fordern, um damit den Betrieb an den Bedürfnissen aller Kommunikationswilligen nachhaltig neu auszurichten. Dies hat Auswirkungen auf die strategische Weiterentwicklung des gesamten Kulturbetriebs. Es reicht tief in das Selbstverständnis der darin tätigen Künstler*innen. Ihre gesellschaftliche Funktion beschränkt sich immer weniger auf die Hervorbringung ihrer Kunst. Auch sie sehen sich gefordert, diese auch zu vermitteln, um damit der Funktion als einer sozialen Figur mit Relevanz in der Gesellschaft gerecht zu werden. Und langsam beginnen die künstlerischen Ausbildungseinrichtungen, sich spartenspezifisch auf die neuen Anforderungen einzustellen (vgl. die Angewandte; vgl. KUG).
Vermittlung als Spezialfall im Bereich der staatlich privilegierten Hochkultur?
Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, das sich der Vermittlungsanspruch vor allem auf bestimmte künstlerische Ausdrucksformen beschränkt, die gerne mit dem Begriff der Hochkultur identifiziert werden. Der Verdacht liegt nahe, dass dieses Set an überhöhten und zugleich aus der Zeit gefallenen Artefakten in besonderer Weise der Vermittlung bedürfen. Immer größer die Sorge, diese könnten von den vielen Unkundigen ansonsten nicht adäquat wahrgenommen werden. Da mögen die Verteidiger*innen der herrschenden Strukturen in der Sorge, ihre Privilegien zu verlieren, noch so laut verkünden, das klassische Kulturgut verstünde sich von selbst („Klassische Musik ist eine Sprache, die jeder versteht“). Aus der Sicht einer stetig wachsenden Mehrheit der Bevölkerung handelt es sich dabei um eine Exaltiertheit einer kleinen privilegierten Minderheit, die mit den eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen wenn überhaupt dann nur sehr am Rande zu tun hat. Also müssen sich selbst die letzten Lordsiegelbewahrer*innen des alten Systems damit anfreunden, Vermittlungsprogramme aufzulegen, die darauf abstellen, diesen Befund zu falsifizieren. Und mit ihrer Implementierung die Behauptung verteidigen, doch ohnehin für alle da zu sein und sich zu bemühen, noch einmal möglichst alle Menschen – über die bestehenden sozialen Grenzziehungen hinweg – für das (hoch-)kulturelle Erbe zu interessieren und damit vertraut zu machen.
Vermittlung bedeutet auch am Zustand des Kulturbetriebs über bestehende ungerechte Machtverhältnisse zu lernen
Folgt man den kulturpolitischen Diskursen der letzten Jahre, dann ergibt sich neben der Aufrechterhaltung des schönen Scheins, hinter der sich die Exklusivität des Betriebs verbergen lassen soll, noch eine wesentlich brisantere Aufgabenstellung für die Vermittlung. Diese besteht in einer Rekontextualisierung nicht nur der Kunst, sondern auch des Kulturbetriebs, die auf eine Überprüfung im Lichte seiner Verortung im Rahmen einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassung hinausläuft. Immerhin wird immer deutlicher, wie sehr weite Teile des Kulturbetriebs Nutznießer*innen kolonialer Weltsichten und in der Aufrechterhaltung eines arroganten Eurozentrismus verstrickt sind, darüber hinaus in hierarchische Machtstrukturen inklusive einer grassierenden Gender-Diskriminierung, die bis heute strukturell mitwirken an sozialer Verungleichung und sich mit wenigen Ausnahmen weigern, in einer diversen Gesellschaft anzukommen.
Nur so ist zu verstehen, warum der bisherige Primat des führenden Personals, für ihr Unternehmen einen extraterritorialen Raum zu beanspruchen, in der eine teflonisierte Kunst verhandelt wird, zu beträchtlichen Fehlentwicklungen geführt hat, die ihn in dieser Form kaum mehr zeitgemäß erscheinen lassen. Für die Vermittlung öffnet sich gerade hier eine Chance, nicht nur die darin präsentierte Kunst in einem kommunikativen Zusammenhang zu stellen, sondern den Kulturbetrieb selbst als einen herausragenden Spiegel der Gesellschaft begreifen zu lernen, in denen sich die zentralen Problemstellungen der Gegenwart in exemplarischer Weise zeigen.
Obwohl ihr beim Gros der Gesellschaft weit größere Bedeutung zukommt, zeigt sich Bereich der Populärkultur bislang wenig Ambition zur (personalen) Vermittlung. Wobei die oft grandiose Inszenierung inklusive mediale Berichterstattung und Social Media Präsenz als Form der Vermittlung gerne ausgeblendet wird. Dies mag damit zusammenhängen, dass in ihren Hervorbringungen die Lebens- und Gefühlslagen in ihren ganz aktuellen Erscheinungsformen wesentlich unmittelbarer, wenn auch vereinfacht und in ökonomisierter Verfremdung zum Ausdruck kommen. Es mag aber auch darauf zurückzuführen sein, dass die meisten der im Hochkulturbetrieb verankerten Vermittler*innen keinen Draht zu den kulturellen Vorlieben der ihnen Anvertrauten haben, dafür keine Neugierde aufbringen und so für ihre Aktivitäten als irrelevant einschätzen. An ihrer Stelle sind es Vertreter*innen einer jüngeren Künstler*innen-Generation, die sich für die eigene Produktion populärkultureller Ressourcen bedienen und damit ihres ursprünglichen sozialen Kontextes berauben.
Vermittlung ist heute ein fixer, wenn auch randständiger Bestandteil des Kulturbetriebs
Die personale Kunstvermittlung, wie wir sie heute kennen stammt aus dem Geist der Museumspädagogik, die bereits in den 1970er Jahren versucht hat, nicht einschlägig versierten Menschen das zeitgenössische, als schwer verständlich eingeschätzte oder gar enigmatisch empfundene Kunstgeschehen näher zu bringen und sie darin auch aktiv zu involvieren. Mittlerweile haben alle größeren Kultureinrichtungen aller Sparten nachgezogen und betreiben ihre eigenen Bildungs- und Vermittlungsabteilungen. Unübersehbar ist dabei ein zunehmender Kampf um Einflussnahme, wobei die ursprünglich ganz am Rand des Betriebs angesiedelten Vermittler*innen auf ihrem Weg ins Zentrum des Geschehens um Einfluss auf die strategische Gesamtausrichtung ringen. Ihr Ziel: Nicht nur prekäre Beschäftigung am Rand des Programms finden, sondern Einfluss auf Ressourcenverteilung, Personalausstattung, Öffentlichkeitsarbeit sowie auf die inhaltliche Ausgestaltung nehmen.
Wachsende Legitimationsprobleme als Anlass für die Kulturpolitik, Vermittlung einen größeren Stellenwert einzuräumen
In den frühen 2000er Jahren wurden sie dabei unterstützt von einer Kulturpolitik, die sich in einem zunehmenden Widerspruchsverhältnis gefangen sah: Ein immer größerer Teil der öffentlichen Förderung ging an einige wenige Kulturinstitutionen, die – neben einem touristischen Publikum – nur von einem kleinen, ohnehin schon beträchtlich privilegierten Teil der Bevölkerung aktiv genutzt wurden. Das brachte ihre Vertreter*innen in erhebliche Legitimationsprobleme („Subvention von unten nach oben“), die sie mit einer Betonung des Vermittlungsgedankens hofften lösen zu können. Just zu dem Zeitpunkt, als Untersuchungen ergaben, dass sich immer weniger Menschen für eine öffentliche Kulturförderung zu erwärmen vermochten, sollte Vermittlung noch einmal als probates Mittel positioniert werden, das Angebot vor allem des staatlich geförderten Kulturbetriebs für alle Teile der Gesellschaft offen zu halten. Der Auftrag an die Vermittlung lautete demnach, sich vor allem auf die Suche nach denen zu machen, die ihr Angebot besonders notwendig hätten: Diese wurden in immer neuen Wortschöpfungen kategorisiert, um als Bildungsferne, sozial Benachteiligte, Kinder und junge Menschen, Migrante, körperlich und geistig Beeinträchtigte adressiert zu werden. Vermittlung solle sich um diese Gruppen in besonderer Weise kümmern.
Mit diesen kulturpolitischen Intentionen gelang es zwar, den Vermittlungsaspekt in den Zielvereinbarungen der großen Kultureinrichtungen festzuschreiben. Bei der konkreten Umsetzung blieb das Management hingegen weitgehend auf sich allein gestellt. Dieses machte schon aus alter Gewohnheit die Implementierung einschlägiger Vermittlungsprogramme von der Aquirierung von Drittmittel abhängig; hausinterne Umschichtungen materieller und personeller Ressourcen zum Nachteil der künstlerischen Produktion wurden in der Regel nicht in Betracht gezogen. Diese defensive Haltung paarte sich mit der Angst der Kulturbürokratie, allzu handlungsleitende Vorgaben zu machen, die als Beeinträchtigung der Kunstautonomie verstanden hätten werden können. Stattdessen hoffte man auf die Marktkräfte und damit verbunden auf die wachsenden Konkurrenzverhältnisse zwischen den Einrichtungen. Diese würden schon dafür sorgen, dass das Management eine wachende Sensibilität gegenüber neuen Nutzer*innen-Gruppen entwickeln würde und Vermittlung dafür die Voraussetzungen schaffen würde. Innerhalb der Struktur der Kulturbürokratie findet sich bis heute keine Schwerpunktsetzung zugunsten der Vermittlung, ein Umstand, der trotz mancher rhetorischer Floskeln defacto auf einen ungebrochenen Primat staatlicher Kulturpolitik auf den Aspekt der Kunstproduktion hindeutet. Wenn Kunst- und Kulturstaatsekretärin Andrea Mayer in diesen Tagen einen Strategieprozess zugunsten einer zeitgemäßen Kulturpolitik in Aussicht stellt so wird das Ergebnis wesentlich davon abhängen, inwieweit es gelingt, die Vermittlung als integrativen Bestandteil zu verankern und nicht – wie in früheren Programmen – als einen Spezialfall unter vielen anderen Problemstellungen zu verhandeln.
Vermittlung als ein deutschsprachiger Sonderfall?
Die Entwicklung im Bereich der Vermittlung weist auf eine kulturpolitische Besonderheit in den deutschsprachigen Ländern hin. So existiert z.B. in England, wo vor einigen Jahren der Kunstunterricht aus dem schulischen Bildungskanon eliminiert wurde, Begriff der Vermittlung erst gar nicht. Einschlägige Aktivitäten werden innerhalb des Kulturbetriebs unter education verhandelt, ein Begriff, der die deutsche Vorstellung von Bildung übersteigt. Mit diesem Begriff verbindet sich freilich ein umfassender kulturpolitischer Transformationsprozess, der seit zumindest 20 Jahren zuallererst auf diejenigen abstellt, die – politisch gewollt – mit Kunst etwas zu tun haben sollen. Die weitgehende Eliminierung der Kunstpädagogik an den englischen Schulen hat diesen Prozess wesentlich beschleunigt. Als Reaktion hat sich der English Arts Council als zentraler Förderstruktur bereits vor vielen Jahren dazu entschlossen, kulturpolitisch nicht nur die Kunstproduktion, sondern gleichermaßen die Bevölkerung in den Blick zu nehmen, um Kunst als (mit-)entscheidendes Medium bei der Auseinandersetzung um gesellschaftspolitische Fragen wie Stadt als Lebensraum, Diversität und soziale Inklusion oder Ökologie und Nachhaltigkeit zu verhandeln.
Von der Vermittelständigung unter einem gemeinsamen kulturellen Dach zu Diversifizierung entlang unterschiedlicher kultureller Szenen
Die österreichische Sozialdemokratie der 1970er Jahre hat als bislang letzte politische Bewegung die Verbürgerlichung ihrer, bislang als kulturfern apostrophierten Wähler*innen versucht. Ihre führenden Vertreter*innen gingen von der Hoffnung aus, den Zeitlosigkeitsanspruch des kulturellen Erbes über das konservative Elektorat hinaus für die Erreichung der eigenen politischen Ziele nutzen zu können. Politisches Ziel dieses kulturpolitischen Reformprozesses war es, früher oder später auch das eigene Elektorat unter einem gemeinsamen kulturellen Dach versammeln zu können. Eine Vielzahl kultureller Bildungsprogramme, viele von ihnen mit dem Ziel, das bürgerliche Kulturerbe in vermittelnder Weise zu popularisieren („Kulturpolitischer Maßnahmenkatalog“) sollten mithelfen, diesem Ziel näher zu kommen.
Heute haben sich diese Hoffnungen zerschlagen. Wir erleben heute statt kultureller Integration eine zunehmende Segmentierung und Fragmentierung der Gesellschaft. Die daraus resultierenden Diversitätsansprüche stellen die bestehenden kulturellen Hierarchien zunehmend in Frage. An ihre Stelle treten unterschiedliche kulturelle Szenen, die jeweils für sich Bedeutung beanspruchen und nur wenig Bedarf sehen, sich an einem überkommenen staatlich alimentierten Kulturbetrieb zu orientieren, der zunehmend sichtbar entlang seiner eigenen Widersprüche seine Weltfremdheit zelebriert. Diesem strukturellen Entfremdungsprozess hat – so meine Vermutung – Vermittlung nur mehr wenig entgegenzusetzen.
Umso wichtiger könnte sich aber der Bedarf erweisen, zwischen den verschiedenen Szenen zu vermitteln, die sich heute zunehmend beziehungslos gegenüberstehen. Ja es gibt sie, die paar Grenzgänger*innen, die als Omnivores Lust verspüren, die bestehenden, oft ziemlich hermetischen Szenegrenzen zu übersteigen. Aber es handelt sich dabei selbst um ein kleines, durchaus selbst elitäres Segment, das es sich leisten kann, die bestehenden Ein- und Ausschlusskriterien des Kulturbetriebs lustvoll zu unterlaufen. Ein größerer Teil der Bevölkerung tendiert – politisch in renationalisierender Absicht stimuliert – zurzeit in die genau entgegengesetzte Richtung, wenn er angesichts mannigfacher Verunsicherung zunehmend verzweifelt nach Haltegriffen der kulturellen Identität sucht.
Kultureinrichtungen als öffentliche Orte der Begegnung und Auseinandersetzung
In Zusammenhang mit einem wachsenden Auseinanderbrechen der Gesellschaft könnte der Auftrag der Vermittlung darin bestehen, Kultureinrichtungen als öffentliche (dritte) Orte zu positionieren, in denen unterschiedliche kulturelle Positionen aufeinandertreffen, sich einander zumuten, sich austauschen und Möglichkeiten des Zusammenwirkens ausloten. In denen es gleichermaßen möglich ist, Fremdes zu erfahren und Eigenes einzubringen. Um sich so als Teil einer kulturellen Demokratie zu begreifen, in der der Kunst nicht nur als selbstzweckhafte Artefakte für eine kleine Minderheit, sondern gleichermaßen als Medium der Kommunikation der vielen eine höchst relevante, weil stimulierende Funktion zukommt.
Wesentliche Voraussetzung dafür erscheint mir die institutionelle Fähigkeit des Entlernens und damit die Bereitschaft, sich von alten Selbstverständnissen verabschieden, etwa wenn der Kulturbetrieb für sich beansprucht, rigide Vorgaben machen zu müssen, wer wie Kunst erfahren kann. Und stattdessen lernt, anhand zeitgemäßer Vermittlungsmethoden neugierig auf die Menschen in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit zuzugehen und sie mitentscheiden lässt, welche die für sie adäquateste Form der Auseinandersetzung mit künstlerischen Phänomenen darstellt.
Konkret würde das darauf hinauslaufen, dass künftig die mit Vermittlung befassten jungen Vermittler*innen das Erscheinungsbild der nächsten Orchesterkonferenz prägen. Für die Herren in den grauen Anzügen kann ja dann noch ein nachmittäglicher Workshop organisiert werden, um sich an die guten alten Zeiten zurückzuerinnern.