Nachgedanken zur ORF- Sendung „Punkt Eins“ zur Forderung nach moralischer Eindeutigkeit in der Kunst

Auf Wunsch des ukrainischen Botschafters wurde kurzfristig ein Benefiz-Konzert zugunsten Geflüchteter aus der Ukraine unter Leitung von Teodor Currentzis und seiner MusicAeterna abgesagt. Currentzis wird unterstellt, sich von einer Bank finanzieren zu lassen, die sich zu 60% in staatlich-russischem Eigentum befindet, darüber hinaus als „Putins Hausbank“ gilt und als solche den Sanktionen des Westens unterliegt. Currentzis betreibe seit 2019 ein Kulturzentrum in St. Petersburg und bilde damit einen wichtigen Baustein in Putins „Klassiknetzwerk“.

Trotz der Überzeugung, dass „Musik die Menschen zusammenbringen kann“, hat das Konzerthaus die politische Brisanz von Currentzis Weigerung, sich öffentlich zu positionieren, erkannt und Dirigent und Ensemble für diesen Termin wieder ausgeladen (die regulären Konzerte haben hingegen stattgefunden).

Insgesamt findet sich Kulturbetrieb mit dem Ausbruch des russischen Angriffskrieges in einem politisch-moralischen Spannungsverhältnis, von dem er längst meinte, es hinter sich gelassen zu haben. So wichtig Theater oder Oper einmal als moralische Instanz zumindest für bestimmte soziale Gruppen gewesen sein mögen, die marktwirtschaftliche Dynamik der letzten 30 Jahre hat ihnen das kulturelle Gewissen sukzessive ausgetrieben und sie in der Vielfalt der Ereignisgesellschaft zu einem unter vielen anderen Akteur*innen gemacht. Was zählt, ist nicht mehr die moralische Aussagekraft des Programms, sondern der Erfolg, vor allem in der Währung der öffentlichen Aufmerksamkeit. Da kann in Sonntagsreden noch so sehr auf die von Kultureinrichtungen repräsentierten Werte zur Gesellschaftsverbesserung hingewiesen werden, die die Gesellschaft angeblich zusammenhalten würden. In der Realität bestimmen längst Angebot und Nachfrage, wer bzw. was auf die Bühne kommt. An dieser strukturellen Amoralisierung vermochte auch staatliche Kulturpolitik zuletzt nicht mehr zu rütteln. In solchen Settings werden Hinweise auf moralische Ansprüche der Beteiligten bestenfalls zu Assets des Kulturmarketing.

Und doch scheint seit dem 24. Februar dieses Jahres noch einmal alles ganz anders. Vor allem prominente Künstler*innen werden inquisitorisch nach ihrer politischen Haltung befragt; unverblümt werden Loyalitäten eingefordert, sie bestimmen über Engagement oder Nicht-Engagement. Politiker*innen profilieren sich mit Vertragskündigungen ideologisch verdächtiger Künstler*innen; ihre wirkliche oder vermutete Nähe zur russischen Politik bzw. politiknahen Unternehmen macht sie präsentabel oder nicht; zunehmend genügt die nationale Herkunft als Maßstab ihrer Vertragsfähigkeit; selbst kulturelle Güter werden mittlerweile entlang ihrer Herkunft bewertet. Es scheint, als wäre der Kalte Krieg samt seiner Logik des rigiden Ein-bzw. Ausschlusses von einem Tag auf den anderen wieder in den Kulturbetrieb eingebrochen, der sich in weiten Teilen ebenso unvorbereitet zeigt wie der große Rest der Gesellschaft.

Die „Freiheit der Kunst“ ist unantastbar – oder doch nicht?

Im Prinzip haben Kulturmanager*innen die Wahl, gerade jetzt die Freiheit der Kunst zu verteidigen und damit die Entscheidung über die Programmgestaltung nicht von den persönlichen Profilen der beteiligten Künstler*innen abhängig zu machen, sondern von ihren künstlerischen Fähigkeiten. In diesem Sinn hat sich zuletzt der Intendant der Salzburger Osterfestspiele Klaus Bachler sehr eindeutig geäußert. Aber auch der Gesellschaftskritiker Alexander Kluge hat gerade ein vehementes Plädoyer für die „Freiheit der Kunst“ über die ideologischen Gräben hinweg gerade in Kriegszeiten veröffentlicht, wonach es nicht den Künstler*innen sondern den Betrachter*innen auferlegt ist, die „richtigen“ Schlüsse zu ziehen.

Zurzeit aber gewinnen diejenigen Kräfte die Oberhand, die meinen, der wachsenden Erwartung zur einseitigen Parteinahme auch im Bereich der Kunst entsprechen und damit diejenigen Künstler*innen, die sich nicht auf Linie bringen lassen, zensieren zu müssen. Während sich Erstere in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft der Gefahr aussetzen, als Russland-Freund*innen an den Pranger gestellt zu werden, erschöpfen sich Zweitere in einer neuen Volte eines marktgerechten Opportunismus, der es erfolgsträchtiger erscheinen lässt, im Moment auf Künstler*innen mit Russland-Nähe zu verzichten.

Sind wir drauf und dran, die Wertvorstellungen des Aggressors zu übernehmen?

Weitgehend unreflektiert stoßen wir mit diesem Entscheidungszwang an die Grundfesten der liberal-demokratischen Verfasstheit weiter Teile der europäischen Gesellschaften. Diese lebt von der Vielfalt von Einstellungen, Haltungen und Positionen, die – solange sie nicht gegen das Strafgesetz verstoßen – in gleichberechtigter Weise nebeneinander bestehen dürfen. Mit der Forderung nach unbedingter Parteinahme gegen den russischen Aggressor wird gegen ein Konstitutiv jedweder liberalen Gesellschaftsordnung verstoßen. Stattdessen werden Wertevorstellungen autoritärer Regime übernommen, deren Grundlage u.a. darin besteht, jegliche abweichende Meinung mundtot zu machen. Kurz, mit der Diskriminierung nicht offensichtlich linientreuer Künstler*innen sind drauf und dran, die Wertvorstellungen des Gegners, die wir vorgeben zu bekämpfen, spiegelbildlich zu übernehmen und ihm damit immer ähnlicher zu werden.

Der Ausbruch des Krieges hat die eklatante Differenz zwischen (gesellschafts-)politischem Anspruch und Wirklichkeit weiter Teile des Kulturbetriebs noch einmal in aller Drastik in die Öffentlichkeit gespült. Immerhin war die Putin-Nähe einer Reihe von prominenten russisch-stämmigen Künstler*innen seit vielen Jahren bekannt. Das betraf aber auch Kulturinstitutionen selbst, die wie das Linzer Bruckner-Haus die Kontakte ihres langjährigen Intendanten Hans Joachim Frey zu Bütteln des Regimes Putin dafür nutzte, um die oberösterreichische Wirtschaft Russland affin zu stimmen. Bei näherem Hinsehen nichts wirklich Neues, wenn wir uns an die Zeit erinnern, in denen führende Orchester wie die Wiener Philharmoniker mitten im Kalten Krieg zu Tourneen in den Ostblock aufbrachen, um politisches, vor allem aber um ökonomisches Eis zu brechen.

Als dem Kulturbetrieb die Diskriminierung von Künstler*innen in autoritären Regimen herzlich egal war

Viel entscheidender aber erscheint der Umstand, dass der österreichische Kulturbetrieb nur zu gern weggesehen hat, wenn Künstler*innen in Russland und anderswo aufgrund ihrer politischen Haltung diskriminiert bzw. an ihrer künstlerischen Tätigkeit gehindert worden sind. Diese ignorante Haltung überwog selbst innerhalb der EU, wenn etwa im Nachbarland Ungarn der gesamte Kulturbetrieb in den letzten Jahren politische unter Kuratel gestellt wurde oder prominente Regisseur*innen wie Arpad Schilling und sein Kretakör-Projekt die künstlerischen Existenzgrundlagen entzogen werden, weil sich Ungarn unter Orbán von den demokratischen Grundwerten verabschiedet hat.

Und auch mit Ausbruch des Krieges fanden regimekritische Künstler*innen in Russland, denen es bereits zuvor nahezu verunmöglicht wurde, sich zu artikulieren, weit weniger Aufmerksamkeit als die seit langem bekannten politischen Haltungen der Publikumslieblinge Valerie Gergiev oder Anna Netrebko. Als Reaktion auf diverse Einschüchterungsversuche hat zuletzt der Chefdirigent des Bolschoi Theaters Tugan Sokhiev seine Demission bekannt gegeben. Er sah sich außerstande, eine hinreichende Ergebenheitsadresse an den russischen Machthaber zu richten. Und auch die künstlerische Leiterin des Moskauer Theaterzentrums Vsevolod Meyerhold, Elena Kovalskaya, hat – wie noch eine Reihe weiterer im Kunstbereich Tätiger – ihr Amt aus Protest gegenüber dem von Russland angezettelten Krieg in der Ukraine niedergelegt. Zuletzt hat sich dazu auch der seit Jahren in seiner Heimat verfemte Regisseur Kirill Sebrennikov geäußert und sich dabei strikt gegen einen Boykott gegen seine – und seien es Putin treue –Kolleg*innen gewendet. Die Reaktionen „westlicher“ Vertreter*innen des Kulturbetriebs blieben bestenfalls verhalten.

Künstler*innen als Spielbälle des Propaganda-Krieges

Untersucht man die öffentliche Diskussion um Positionierung des Kulturbetriebs angesichts des Krieges in der Ukraine etwas tiefergehender, dann – siehe die Intervention des ukrainischen Botschafters beim Konzerthaus – könnte man schon auf die Idee kommen, Künstler*innen und ihre Einrichtungen würden zunehmend zu einem Spielball bei der ideologischen (und natürlich militärischen) Aufrüstung des aktuellen Konflikts.

In diesem Zusammenhang bin ich nochmals auf Wolf Lepenies‘ großen Essay „Kultur und Politik“ gestoßen, der eindrücklich das prekäre Verhältnis von deutschen Künstler*innen und Intellektuellen gegenüber der Sphäre der politischem Macht seit dem ersten deutschen Einigungsprozess beschreibt. Darin macht er deutlich, wie sehr die meisten Entscheidungsträger*innen nachgerade besessen waren von der Einzigartigkeit „ihrer“ Kultur im Vergleich zur minderen Bedeutung der westlichen Zivilisation. Zugleich firmierte Kultur als ein Kompensat für vorenthaltene politische Partizipation. Lepenies zitiert in diesem Zusammenhang u.a. den US-amerikanischen Historiker Fritz Stern, der den Deutschen in ihrer traditionellen Distanz zur Politik bei gleichzeitiger Überschätzung der Kultur einen Hang zu einem kulturellen „Illiberalismus“ mit fatalen Wirkungen zuschreibt. Dieser hätte Kultur zu einer „Arena des Absoluten“ gemacht, in der kein Kompromiss gefunden werden könne. Mit einer damit verbundenen Überschätzung und Überhöhung verstünde sich Kultur die „bessere“ Politik, die jeden Kampf gegen die Verflachung westlicher Zivilisation rechtfertige. Und in der Tat hat dieser Kampf stattgefunden und ist – nicht nur für Deutschland – in die große Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gemündet.

Lepenies schildert eindrucksvoll den umfassenden ideologischen Transformationsprozess, dem sich Deutschland vor allem nach 1945 unterzogen hat. Und dabei von seiner kulturell bestimmten Sonderstellung sukzessive hat Abschied nehmen lassen, um sich spätestens mit dem europäischen Einigungsprozess als Bestandteil der westlichen Zivilisation einzureihen. Mit durchaus frustrierenden Folgen für den Kulturbetrieb, der sich mit dem Verlust seiner Suprematieansprüche über die Politik einfügen musste in die Verkehrsformen einer liberalen Demokratie.

Vor dem Hintergrund dieser Lektüre fällt auf, dass bei der Verfolgung der ideologischen Begründung der russischen Okkupationsbestrebungen über die Ukraine die Argumente nur allzu bekannt scheinen. Als hätten Putins Ideologen direkte Anleihe bei den Wortführern des deutschen Sonderweges genommen, zeigen sich die Umrisse eines kulturell (und religiös) bestimmten Eurasischen Russland-Projekts, das um jeden Preis verteidigt werden will. Dies umso mehr, als sich Putin und Co auf spiegelbildliche Traditionen beziehen können, wonach deutsche Kultur und deutscher Militarismus durchaus zusammengehört hätten: Ohne den deutschen Militarismus, so der damalige Mainstream der öffentlichen Meinung, wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. Als Beleg mag ein gemeinsamer Aufruf einer Reihe von deutschen Wissenschaftern, Künstlern und Schriftstellern (es waren damals alles Männer) bald nach Beginn des Ersten Weltkriegs dienen, der von der Behauptung geprägt war, Deutschland sei bis zum Kriegsausbruch ein rundum friedliches Land gewesen, der Krieg sei aufgezwungen worden. Daher habe es bei der Okkupation Belgiens auch nicht gegen das Völkerrecht verstoßen, es litte stattdessen unter den Verbrechen und Grausamkeiten seiner Gegner*innen in Ost und West. Das Schicksal der deutschen, ja der europäischen Kultur hinge vom Sieg des deutschen Militarismus über die dekadenten Kräfte der westlichen, liberal demokratisch verfassten Zivilisation ab. Könnte uns bekannt vorkommen…..

Offenbar gehörten bereits 1914 ideologisch gefärbte Fake-News, auch aus den Reihen der Kultur, durchaus zum Instrumentarium eines umfassenden Propaganda-Kriegs abseits des Schlachtfeldes. Genau dieser Praxis der Kulturalisierung dieses Krieges bedient sich jetzt auch das russische autoritäre Regime bei der Legitimation des Überfalls auf die Ukraine, die droht, ins Lager des – aus russischer Herrschaftssicht – dekadenten Westens überzulaufen.

Wider die Kulturalisierung des Krieges – der historische Auftrag lautet, gerade in politisch schwierigen Zeiten nicht in die Kultur zu flüchten

Angesichts der von Russland ausgehenden „Kulturalisierung“ der Ukraine-Aggression – ausgestattet mit den oben angedeuteten Erfahrungen ihrer Militarisierung – spricht vieles dafür, nicht in die Falle einer kulturellen Überhöhung zu gehen und damit in der Einschätzung dieses Krieges die Kultur möglichst außen vor zu lassen. Wenn es eine Lehre aus dem verhängnisvollen kulturellen Sonderweg Deutschlands gibt, dann die, bei politischen Schwierigkeiten nicht in die Kultur zu flüchten. Den deutschen Soziologen Helmut Plessner zitierend, wirbt Lepenies für eine Politik, die für Interessen steht und nicht für Ideale: Nur als sich Deutschland – wie andere Nationen – zu seinen Interessen bekannt hat und sich nicht als stolzer Alleingänger auf Ideale und damit verbundene Moralvorstellungen zurückgezogen hat, konnten Kompromisse in der Ausverhandlung von Interessensgegensätzen gefunden werden.

Wenn in den europäischen Öffentlichkeiten im Zusammenhang mit russischen Militärplänen die Angst vor einem Dritten Weltkrieg (samt atomarer Eskalation) auftaucht, dann wohl auch deshalb, weil eine solche Form der „Kulturalisierung“ von unterschiedlichen Interessenslagen nur zu leicht die Gefahr imperialer Gegensätze heraufbeschwört. Und der sogenannte freie Westen sich eingestehen müsste, dass nicht die derzeitige russische Führung zu alter imperialer Größe zurückfinden möchte, sondern dies auch eine Gegenreaktion imperialer, nach Globalisierung vor allem des ökonomischen Dominanzstrebens der freien Welt (noch) unter US-amerikanischer Führung interpretiert werden muss. Da mag es vor allem für Kulturaffine bis heute frustrierende wirken, dass in dieser weltweiten Auseinandersetzung um Macht- und Einflusssphären (kulturelle) Wertvorstellungen bestenfalls ein kleiner Teil der Verhandlungsmasse darstellen (siehe den jüngsten Abzug der USA aus Afghanistan).

Dabei hilft die Einsicht, dass eindeutige nationale Zuschreibungen im Zuge wachsender Ausdifferenzierungen der Gesellschaften immer weniger gut funktionieren. Persönlich ist mir in diesem Zusammenhang das EDUCULT-Projekt „Young Innovators Network“ unvergesslich. Dabei fanden sich eine Reihe von jungen Kulturarbeiter*innen, in der Regel aus autoritär regierten Ländern zusammen, die mit einer Vehemenz und Leidenschaft die Werte der liberalen Demokratie, darüber hinaus des Rechtsstaates und der Menschenrechte verteidigt haben, die ich mir zumindest ansatzweise auch in den europäischen Gesellschaften wünschen würde. Aber auch der Umstand, dass autoritäre Kräfte in liberal-demokratisch verfassten Gesellschaften gemeinsame (kulturelle) Wertvorstellungen zu untergraben suchen, gehört in dieses Bild.

Unsere kulturellen Werte lassen sich nicht in der Ukraine verteidigen

Daher erhärtet sich der Eindruck, dass eine kulturelle Kriegsdeutung auch für heute handlungsleitend und somit eine Gefahr sein könnte. Da können die ukrainischen Wortführer*innen aus noch so verständlichen Gründen vermehrt (militärische) Hilfslieferungen des Westens damit begründen, in ihrem Land würden gerade die (kulturellen) Werte des freien Westens verteidigt (Dass bis vor Ausbruch des Krieges auch in der Ukraine sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Gesellschaft organisiert sein sollte, zum Teil im heftigen Kampf gegeneinander existiert haben, bleibt da gerne ausgeklammert). Und doch spricht die historische Erfahrung dafür, sich nicht an dieser kulturellen Aufrüstung zu beteiligen, sondern mit der Identifizierung von gegensätzlichen Interessenslagen den Weg frei zu machen für politische Lösungen, die als einzige den Krieg zu einem Ende bringen können.

Auch wenn die Zeichen der Heroisierung der ukrainischen Seite unübersehbar sind, der Volkskrieg in diesem, von Ost und West immer wieder geschundenen Land eignet sich nicht dazu, die kulturellen Werte Europas zu verteidigen. Den Ukrainer*innen geht es angesichts der militärischen Übermacht darum, den Aggressor zu bekämpfen, vor allem aber ihr Leben zu retten.

Die kulturellen Werte verteidigen, da sollten sich die europäischen Gesellschaften nicht auf die militärischen Kräfte der Ukraine verlassen. Das sollten sie schon selbst tun. Nicht erst die jüngsten Wahlen in Ungarn, aber auch in Frankreich haben gezeigt, wieviel es da zu tun gibt. Immerhin finden sich die autoritären Kräfte, die auf ihre kulturelle Sonderstellung pochen, nicht nur in der Sowjetunion. Sie sind mitten unter uns und drauf und dran, durchaus in enger Übereinstimmung mit den autoritären Führern Russlands die Errungenschaften liberaler Demokratien zu unterminieren.

Wie ich bereits zuletzt beschrieben habe tendiert eine nicht unbeträchtliche Anzahl ukrainischer Künstler*innen dazu, Bleistift und Pinsel aus der Hand zu legen und dafür die Waffe zu bedienen. Das ist als Beitrag zur solidarischen Verteidigungsbereitschaft nachvollziehbar. Und doch ist vor dem Hintergrund einer kriegsbegeisterten Claque aus den Reihen der europäischen Intelligenz, die sich noch bis gestern in ihrer macht- und militärkritischen Haltung überboten hat zu fürchten, dass wir uns mitten in einer Phase der Ästhetisierung auch des Krieges befinden mit dem Ergebnis, dass schlecht ausgebildete junge Menschen als Kanonenfutter herhalten müssen.

Und dann sind da viele andere, die zurzeit in den freien Westen flüchten, weil sie in der Ukraine keine Zukunft sehen, um hier ein Ende des Krieges abzuwarten. Ihnen – so ist zu vermuten – ist nur wenig geholfen, wenn der freie Westen zunehmend ähnlich rigide Loyalitätserklärungen einfordert wie der Aggressor. Sie flüchten nach Europa, weil sie nach Möglichkeiten des zumindest temporären Schutzes zum Überleben suchen. Und weil sie hoffen können, mit ihren ganz unterschiedlichen Haltungen und Wertvorstellungen willkommen zu werden, ohne gezwungen zu werden, vor allem anderen für diese oder jene Seite Partei zu ergreifen.

Für österreichisch-ukrainisch-russische Kooperationsprojekte im Kunstbereich

Um einen solchen Diversitätsanspruch glaubwürdig aufrecht zu erhalten (und damit als eine Antwort auf die politische Forderung der Ukraine, russische Künstler*innen zu diskriminieren), plädiere ich gerade jetzt für die Lancierung für österreichisch-ukrainisch-russische Kooperationsprojekte im Kunstbereich. Dies umso mehr, als wachsende Ausgrenzungstendenzen vor allem gegenüber russisch-stämmigen Menschen unübersehbar sind. Sie werden scheel angesehen, wenn sie ihre Sprache sprechen und stehen undifferenziert unter Verdacht, das russische Herrschaftssystem zu unterstützen. Und doch haben auch sie – gerade jetzt – Anspruch auf Solidarität, egal ob sie sich gegen ihre autoritären Führer wenden oder nicht. Auch das gehört zu den Grundwerten einer freien Gesellschaft

Um dieser kollektiven Ausgrenzungstendenzen entgegenzuwirken, schlage ich das Auflegen eines kulturpolitischen Förderprogramms vor, dass sich speziell an Kollektive aus österreichischen, ukrainischen und russischen Künstler*innen richtet, die ihr künstlerisches Tun nicht an nationalistischen Zugehörigkeiten bemessen. Sondern am Willen, etwas gegen den spaltenden Mainstream miteinander zu tun zu bekommen, und ihrem Wunsch nach Antidiskriminierung auch in schwierigen politischen Zeiten künstlerisch Ausdruck zu geben.

Als Besucher*innen von Benefiz-Veranstaltungen sollten wir in diesen Projekten involvierte Künstler*innen ohne politischen Einspruch willkommen heißen.

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Iris123

Iris123 bewertete diesen Eintrag 15.04.2022 17:58:58

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