Vor einigen Tagen lud die Klasse „transarts“ an der Angewandten den Kunstheoretiker Wolfgang Ullrich zu einem öffentlichen Gespräch mit dem Philosophen Franz Schuh. Ihr Thema war das Verhältnis von Kunst, die auf Märkten ge- und der, die im öffentlichen Museum verhandelt wird.
Ullrich hat 2016 den Band „Siegerkunst – Neuer Adel, teure Lust“ herausgebracht, in dem er in pointiert zugespitzter Manier die ästhetische Moderne zu Grabe trägt. Anhand der Analyse konkreter Beispiele nachmoderner Künstler*innen-Strategien kommt Ullrich zum Schluss, dass wir nicht darum herum kommen werden, uns von liebgewordenen Vorstellungen über Kunst zu verabschieden. Angesichts der aktuellen Entwicklungen am Kunstmarkt hätte Kunst als Instanz der Aufklärung ihre kritische und damit die Gesellschaft (im Positiven) verändernde Funktion verloren. Künstler*innen würden sich vom Auftrag, am gesellschaftlichen Fortschritt mitzuwirken, verabschieden und im Zuge der sich immer weiter verschärfenden Konkurrenzkämpfen neue Allianzen mit den Gewinnern der aktuellen Krisenerscheinungen (vulgo den „Superreichen“) eingehen. Damit würden alle bisherigen, nicht marktbezogenen künstlerischen Qualitätsvorstellungen über Bord geworfen; was bliebe, das wäre der schiere Besitz. Dieser erlaube es den Begünstigten, über den (in den meisten Fällen rational nicht nachvollziehbaren) Preis des erworbenen Kunstwerkes nicht nur materiellen sondern auch sozialen Distinktionsgewinn zu maximieren.
In dieser neuen Phase der individuellen Reichtumsrepräsentation durch Kunst würde der kunsttheoretische Diskurs weitgehend obsolet: Künftig über Kunst reden bedeutet für Ullrich über den Preis reden; allenfalls noch über die Beweggründe des- bzw. derjenigen, die die zum Teil irrwitzigen Preise für die Kunst bezahlt haben, um sie zu besitzen. Dass eine solche Refeudalisierung des Verhältnisses zu Kunst beträchtliche Auswirkungen auf den Kulturbetrieb im Allgemeinen und seinen Vermittlungsbemühungen hat, stellte bei der Diskussion nur ein Randthema dar. Deswegen möchte ich mich hier etwas intensiver damit beschäftigen.
Schenk uns bitte ein Like auf Facebook! #meinungsfreiheit #pressefreiheit
Danke!
Als der Künstler wieder in den Schoß der Kultur zurückkehrte
Ein anderer Kunsttheoretiker und selbst gerne provozierende Künstlerfigur, Bazon Brock hat im Rahmen einer ORF-Veranstaltung noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich beim Künstler um eine historische Rolle handelt, der erst im späten 13. Jhdt. – ausschließlich in Europa - eine eigenständige Funktion zukommt. Bislang ausschließlich den handwerklichen Tätigkeiten zugeordnet, emanzipierte sich seit damals – zusammen mit dem Wissenschaftler (Naturphilosoph) – die neue gesellschaftliche Figur des Künstlers, der für sich eine radikale Individualität beansprucht: Seine „Autorität durch Autorschaft“ erfüllte sich nicht im Nachvollzug der jeweiligen kulturellen Gegebenheiten. Ganz im Gegenteil beanspruche er für sich, den kulturellen Kontext, aus dem heraus er agiert, zu überwinden und sich mit seiner Kunst in ein zumindest distanziertes Verhältnis zudem zu begeben, was ihn umgibt. Es blieb jeweils künftigen Generationen vorbehalten, diese künstlerischen Hervorbringungen in die kulturellen Gegebenheiten zu integrieren und damit ein prekäres Verhältnis von Kunst und Kultur zu begründen, das wir bis heute nicht gelöst haben.
Nun war dieser frühe Künstlertyp nicht völlig autonom. Er war in der Regel angewiesen auf kundige Auftraggeber, mit dem zusammen die jeweiligen künstlerischen Äußerungen ausverhandelt wurden. Dazu kamen zum Teil umfangreiche Werkstätten, in denen weiterhin kundige Handwerker das umsetzten, was zwischen Künstler und Auftraggeber in allen Details vertraglich vereinbart wurde. Daraus ergab sich eine spezifische Wahrnehmungsweise von Kunst, die jedenfalls im Bereich der bildenden Künste, eng an die Besitzverhältnisse geknüpft war. Aristokraten und wohlhabende Bürger konnten es sich leisten, Kunst auf kundige Weise zu beauftragen. Mit dem Besitz von derart zustande gekommener Kunst definierte sich der soziale Status; entsprechend war die Rezeption unmittelbar an das Bemühen um Distinktionsgewinn geknüpft. Michael Baxandall hat die engen Verbindungen von Kunstproduktion und –rezeption der frühen Moderne in seiner Studie „Die Wirklichkeit der Bilder“ im Detail analysiert.
Die Aufklärung versprach, Kunst aus ihren Besitzverhältnissen zu befreien. Künstler*innen sollten sich als Reinigungskräfte bewähren.
Mit den Versuchen, das „Ancien Regime“ und seinen selektiven, an Besitz geknüpften Zugang zu Kunst zu überwinden, deutet sich eine neue Funktion von Kunst und damit eine neue Aufgabenstellung für Künstler*innen in der Gesellschaft an. Wolfgang Ullrich führt dafür Immanuel Kants Prinzip des „interesselosen Wohlgefallens“ an, demzufolge die Anschauung von Kunst – ähnlich der Natur – unparteiisch sein sollte. Dies aber war gleichbedeutend mit der Bemühung, Kunst aus den Zwängen der Besitzverhältnisse zu befreien. Nur so könnte der ästhetische Gehalt jeglicher künstlerischer Äußerung adäquat beurteilt werden. Auf dieser Basis entwickelte sich ein modernes Kunstverständnis, das - abseits unmittelbarer Marktinteressen von Händlern, Käufern oder Sammlern - einen reflexiv-kontemplativen Umgang erlaubte. Nicht zufällig bildete dieser Zugang den Ausgangspunkt öffentlicher Kunsteinrichtungen, in die alle Menschen – ungeachtet ihrer Finanzkraft am Kunstmarkt – eingeladen waren, eine von jeglichem Besitzdenken befreite Kunst zu genießen.
Richtete sich Kants „interesseloses Wohlgefallen“ noch auf das Schöne, so sollten die revolutionären Versuche eines an die politische Macht strebenden Bürgertums die Kunst schon wieder bald auf neue Weise kontextualisieren. Wenn Friedrich Schiller in seinen „Briefen zur ästhetischen Erziehung“ 1793 – 1795 fordert, der Künstler habe sich von seiner Zeit (und damit auch von seinen Auftraggebern) radikal zu emanzipieren, dann erhoffte er sich damit eine besondere „Reinigungskraft“ von Kunst als einer Voraussetzung zur Verbesserung der Gesellschaft. Schillers Erwartungen an die Kunst entsprangen einerseits dem Freiheits-Pathos der ersten Generation der europäischen Aufklärung und war andererseits eng verbunden mit dem Schock über die weitere Entwicklung der zunächst durchaus sympathisierend beobachteten Französischen Revolution. Der deutsche Erziehungswissenschafter Johann Bilstein hat in einem Vortrag an der Universität Bamberg zuletzt mit einigem Recht darauf hingewiesen, dass die Vorstellungen Schillers und seiner Zeitgenossen über das moderne Künstlertum auf das Engste verknüpft waren mit den Erschütterungen der nachrevolutionären Restaurationszeit: Schiller spricht von Kunst; worum es ihm aber eigentlich geht, das sind die auf der Strecke gebliebenen Freiheitsansprüche, die ihm angsichts der restaurativen Tendenzen der 1790er Jahre politisch wieder weit in die Ferne gerückt schienen. Also soll die Kunst einspringen und eine ästhetische Erziehung das leisten, was einer politischen Erziehung verwehrt bleiben musste.
Die öffentliche Kunsteinrichtung als Ort, in dem sich die Kunst nicht mehr von selbst versteht.
Aus dieser idealistischen Aufladung eines Kunstverständnisses zum Beginn des aufgeklärten Zeitalters ergeben sich meines Erachtens zwei Konsequenzen. Sie bestimmen alle Bemühungen um Bildung und Vermittlung bis heute: Da ist zum einen der Anspruch auf allgemein zugängliche öffentliche Räume, in denen Kunst abseits individueller Besitzverhältnisse wahrgenommen und verhandelt werden kann. Anhand der musealen Prachtbauten des 19. und ihren Nachfolgern im 20.Jahrhundert lässt sich anschaulich nachvollziehen, dass diese im Zuge der Entwicklung Moderne sukzessive ihrer eigenen gestalterischen Ansprüchen beraubt wurden, um schließlich im „White Cube“ eine völlig ablenkungsfreie Konzentration auf die Kunst zu ermöglichen.
Die anhaltende Idee, an diesen Orten Kants interesseloses Wohlgefallen zu zelebrieren, wurde mittlerweile freilich durch eine wachsende Zwischeninstanz von Expert*innen relativiert, die die Betrachter*innen ganz unterschiedliche Brillen verpasst haben, um ihnen die aus ihrer Warte richtige Anschauung zu ermöglichen. Ihren Mitgliedern kam die weithin unhinterfragte Aufgabe zu, ein dem Kunstmarkt enthobenes Qualitätsverständnis weiter zu entwickeln, das für alle an Kunst Interessierte Verbindlichkeit beansprucht. Ullrich spricht im Kontext zunehmender Musealisierung von Kunst von einer besonderen Erklärungs- und Vermittlungsbedürftigkeit, ohne die Kunst nicht (mehr) verstanden werden könne.
Der zweite Anspruch bezieht sich auf die von Schiller behauptete reinigende Kraft von Kunst. Daher rühren wohl bis heute alle Hoffnungen, der Kunst käme eine besondere Funktion bei der gesellschaftlichen Weiterentwicklung zu. Sie agiere gleichsam als eine bessere Alternative zur Politik, deren Freiheits- bzw. Autonomieansprüche nicht nur dem Kunstbeflissenen mit dem Backlash der Französischen Revolution desavouiert erscheinen mussten. In einem solchen Kontext verweist Vermittlung notwendig auf eine kathartische Wirkung von Kunst, die es erlaube, bei den Betrachter*innen Potentiale freizusetzen, die unter den gegebenen politischen Verhältnissen sonst keinen adäquaten Ausdruck finden würden (darauf beruhen übrigens bis heute die wesentlichen Legitimationsgrundlagen eines öffentlichen Engagements zur Finanzierung und Aufrechterhaltung des Kulturbetriebs).
Anhand einer Reihe von Beispielen weist Ullrich nach, dass es nicht allzu weit her ist mit der Kraft der Kunst zur Lösung gesellschaftlicher Problemlagen. Statt dessen vermittelt er eine Ahnung von den Paradoxien eines Kunstmarktes, der es mittlerweile virtuos gelernt hat, auch noch so kritische Kunstströmungen in einen Mainstream zu integrieren und damit in Bezug auf die Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse zu neutralisieren.
Wird im Kunstbetrieb gerade das Rad der Geschichte zurückgedreht?
Die eigentliche Volte von Ullrichs Überlegungen aber besteht darin, das gerade skizzierte Kunstverständnis einer der Aufklärung verpflichteten Moderne noch einmal grundsätzlich in Frage zu stellen: Der Stand der aktuellen sozialen Verungleichung habe dazu geführt, dass eine kleine Anzahl von Superreichen, die ansonsten nicht mehr wüssten, was sie mit ihrem Reichtum anfangen sollten, eine neue Allianz mit dem Kunstbetrieb eingegangen sei. Damit würden sie versuchen, ihr Standing symbolisch zu verbessern. Dort wo Künstler*innen als Celebrities nicht nur sagenhafte Preise erzielen würden, begännen diese, ihre Werke aus den öffentlichen Einrichtungen abzuziehen und sich ausschließlich auf die Marktkräfte zu beziehen. Unter Druck gerieten damit öffentliche Kunsteinrichtungen, die sich bisher als entscheidende Kräfte bei der Aufrechterhaltung eines „besitzlosen“ Qualitätsverständnisses und dessen Vermittlung gesehen hatten und nun zusehen müssten, wie sie zunehmend von Besitzansprüchen einer neu entstehenden feudalen Kaste dominiert werden.
Ein daraus resultierender neuer Umgang mit Kunst erinnere stark an vormoderne Zeiten, in denen die Beschäftigung mit Kunst weitgehend ihrem Besitz geschuldet war und keiner weiteren Bildungs- oder Vermittlungspraxis bedurft hatte. Zu den Besonderheiten eines solchen neuen Kunstbegriffs gehört auch die Rückkehr zu alten Auftragsverhältnissen inklusive von Werkstätten, in denen all die neue Kunst bzw. Design produziert wird, das in den neuen Allianzen zwischen Künstler*innen und reichen Auftraggeber*innen konzipiert wurde. Kurz, es könnte sein, dass sich das Zeitalter einer Kunst der Moderne dem Ende zuneigt und damit – jedenfalls fürs Erste – all die Hoffnungen auf die Kraft der gesellschaftlichen Veränderung durch Kunst an der Logik des Kunstmarktes zerschellen. Immerhin konzediert Ullrich, dass sich ein solch fundamentaler Wandel nicht auf alle, nicht auf individuellen Besitz reduzierbaren Kunstsparten umlegen ließe. Immerhin deuten sich im Bemühen um mehr Exklusivität auch hier Individualisierungsstrategien an, die in eine ganz ähnliche Richtung umfassender Vermarktwirtschaftlichung weisen.
Die Verheißungen der emanzipatorischen Kräfte des Marktes: Alle sollen mitreden können; aber nur wenige können gewinnen
Es trifft sich, dass just zum Zeitpunkt der Diskussion zwischen Ullrich und Schuh im deutschen Feuilleton ein Diskurs um eine überfällige „Demokratisierung von Kunst“ entbrannt ist. In einem Gastbeitrag in der Zeit hatten Stefan Heidenreich und Magnus Resch gefordert „Schluss mit dem Kult der Exklusivität! - Die Kunstwelt muss endlich demokratisch werden. Ein Aufruf zum Neuanfang – für Künstler und Betrachter“. Erwidert wurde diese Position von Christian Kaspar Schwarm der mit „Kunst für alle? Ja, aber nicht so!. Zuletzt schaltete sich auch noch der Feuilletonchef der Zeit Hanno Rauterberg ein, der in seinem Kommentar von einem unauflöslichen „Teufelskreis demokratischer Kunst“ spricht.
Im Grunde bestätigen Heidenreich und Resch Ullrichs Befund, wonach sich außerpreisliche Qualitätsurteile für Kunst nicht mehr finden ließen. „Gute Kunst“ existiere nicht, meinen die beiden und reduzieren diesbezügliche Ansprüche auf eine Marketingphrase, mit dessen Hilfe Exklusivität hergestellt werden soll. Zum Unterschied zu Ullrich aber wollen sie das, was Kunst heute ausmacht, weder der kleinen Gruppe von Superreichen am Markt noch einem Expert*innen-Klüngel in öffentlichen Kunsteinrichtungen überlassen. Dabei feuern die Autoren auch gleich eine Breitseite gegen Vermittlung, die ihrer Meinung nach eher dazu angetan wäre, die Schranke zwischen Betrachter*innen und Künstler*innen zu zementieren. Mit ihrem Aufruf nach Demokratisierung nehmen sie sich vor, beide Seiten so unmittelbar wie möglich zusammen zu bringen: Künstler*innen sollen sich verstärkt den Betrachter*innen zuwenden und „kundenfreundlicher“ agieren. Mit solchen Haltungen würde es gelingen, Kunst günstiger zu machen und die Märkte transparenter, um so den Kunstbetrieb von seiner elitären Aura zu befreien. Nicht weniger sondern mehr Menschen sollen künftig kaufen und sich damit als Besitzende auseinandersetzen. Darüber hinaus sollen sie sich - mit all ihren Diversitäten - darüber hinaus auch aktiv an der Programmierung des öffentlichen Kunstbetriebs beteiligen: Geht es nach Heidenreich und Resch dann wird künftig das Publikum darüber entscheiden, was in öffentlichen Kunsteinrichtungen gezeigt wird. Kurator*innen werden sich darauf beschränken müssen, das zu realisieren, was das Publikum bestimmt hat.
Gibt es noch eine spezifische Qualität von Kunst, die sich allen Menschen gleichermaßen ohne Mühe zu erkennen gibt?
Kein Wunder, dass ihnen seitens Schwarms und wohl noch vieler anderer Beobachter*innen Quotenhörigkeit vorgeworfen wird. Darauf bezogene Modelle der Publikumsbeteiligung hätten im Medienbereich vor allem zu einer Verflachung und Verbeliebigung der Inhalte geführt. Darüber hinaus würde eine „volksnähere“ Kunst die allseits grassierenden Konsumgewohnheiten verfestigen und bestehende Ungleichheiten nur noch weiter vertiefen. Im Gegensatz dazu müsse es gelingen, mehr Menschen dafür zu gewinnen, sich auch mit anspruchsvolleren Inhalten auseinander zu setzen (in diesem Zusammenhang hat sich der Journalist Holger Noltze bereits vor einiger Zeit mit einer von ihm vermuteten „Leichtigkeitslüge“ im Vermittlungsbereich auseinander gesetzt. In enger Anlehnung an die oben skizzierten Ansprüche an moderne Kunst postuliert Schwarm im Geist eine Katharsis evozierenden Aufklärung nochmals, dass es gerade „das Neue, das Unbekannte und das noch Ungelernte der Kunst“ sei, das uns Menschen in zum Teil mühsamen und schmerzhaften Veränderungsprozessen wachsen lasse, um uns auf diese Weise einen ungeahnten Raum ihres Seelenlebens zu eröffnen, der uns ohne (von einem kundigen Betrieb vorgeschlagene) Kunst verschlossen bliebe.
Was wir vom Journalismus als ordnete Kraft in der Informationsflut lernen können
In einer Diskussion mit Studierenden des Instituts für kulturelles Management fanden wir in dieser Kontroverse bald Parallelitäten mit dem Medienbetrieb: Immerhin sah es der Qualitätsjournalismus die längste Zeit als seine zentrale Aufgabe, aus der unüberschaubaren Fülle an Informationen diejenigen auszuwählen und für ein Publikum aufzubereiten, das diesem Orientierung bieten konnte. Es galt, Wesentliches von weniger Wesentlichem zu unterscheiden und damit die Erfahrung von Welt vorzustrukturieren. Eine ganz ähnliche Aufgabe könnte man einem Kulturbetrieb zuschreiben, der es einem Publikum erleichtert, sich einen Weg durch das Dickicht einer umfassend ästhetisierten Welt zu bahnen, der man ansonsten haltlos ausgeliefert wäre. Mit dem Aufkommen der sozialen Medien, die einen unmittelbaren Kontakt zwischen Produzent*innen und Rezipient*innen erlauben, stehen die genannten Türhüter aber unter dem Generalverdacht, umfassenden Demokratisierungsansprüchen entgegen zu wirken.
Kunst im Teufelskreis autonomer Kunstansprüche und demokratischer Mitwirkung
Darauf beziehen sich vor allem die Überlegungen von Hanno Rauterberg. Ihm zufolge wäre es in all den Jahren nicht gelungen, diesen Zwischeninstanzen eine hinreichende gesellschaftliche Repräsentanz zu verleihen: Nach wie vor würde der Kunstbetrieb von einem weißen Old-Boys-Network dominiert, dass mit der vielfältigen Zusammensetzung moderner Gesellschaften nur wenig gemein hat. Darüber hinaus sieht er diese Kunstnomenklatura zunehmend anfällig, wenn es darum geht, sich dem Druck diverser gesellschaftlicher Gruppen zu beugen und damit genau das zu verraten, wofür sie vorgeblich existiert: Für die unbedingte Verteidigung der Freiheit einer - wenn es sein muss - auch unbequemen, kritischen, provokativen und damit radikalen Kunst. Rauterberg konzediert, dass sich diese zu einer Idee unter vielen relativiert hätte; mehr, die Idee der unbedingten Autonomie moderner Kunst ziehe zunehmend den Vorwurf auf sich, einem alten autoritären Weltbild anzuhängen und die Kränkung marginalisierter Gruppen billigend in Kauf zu nehmen.
Der Teufelskreis ergäbe sich aus dem Widerspruch des Kunstbetriebs, einerseits auf Grund besonderer Expertise weiterhin als Gralshüter moderner Kunst gelten zu wollen und sich andererseits der Idee einer Gerechtigkeit verpflichtet zu wissen, mit der alle gleichermaßen eingeladen sind, mitzuwirken und mitzugestalten und niemand zurückgelassen wird: Also müsse die Kunst ebenso divers sein wie das Publikum. Alle Menschen, ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe oder Herkunft sollten sich in ihr wiedererkennen können. Ein solcher Anspruch ist notwendig ein Angriff auf die Autonomie der Kunst und kann auch nur durch noch so gut gemeinte Vermittlungsbemühungen nur unzulänglich kompensiert werden.
Und so sehen wir heute die Ansprüche moderner Kunst und seine Vermittlung von zwei Seiten unter massiven Druck gesetzt: Nach Ullrich sind es die Superreichen, die drauf und dran sind, das Geschäft der Kunst zu übernehmen und als sie so als prestigeträchtige Bestätigerin der herrschenden Verhältnisse zu vereinnahmen. Bildung und Vermittlung scheinen ihm in einem Setting, in der ausschließlich der Besitz zählt und nicht Theorie, Reflexion oder Bekenntnis nicht mehr notwendig.
Und da sind zum anderen radikale Demokratisierungsansprüche, die die Menschen dazu einladen, ihre ästhetischen Vorlieben ungeachtet ihrer Bildungsvoraussetzungen auszuleben inklusive dem Anspruch, diese in öffentlichen Kunsteinrichtungen zu finden. Ob es dem Kunstbetrieb und da vor allem den Vermittler*innen, die in ihrer Existenz gefordert sind, noch einmal gelingt, ein solches Spannungsverhältnis produktiv zu machen, bleibt abzuwarten. Rauterberg ist optimistisch: So wie ausgewählte Künstler*innen wieder genauer hinhören müssen, was ihre Auftraggeber erwarten, so muss sich wohl auch der öffentliche Kunstbetrieb genauer mit den Erwartungen seines Publikums beschäftigen. Nur so wird er in der Lage sein, noch einmal eine von ästhetischen Ansprüchen getragene Antwort auf die wachsenden ethischen Erwartungen an Demokratisierung und Beteiligung zu geben. Es wäre dies eine mögliche Wiedergewinnung eines Profils von Kunsteinrichtungen als Orte der Politik mit ästhetischen Mitteln. Womit wir wieder bei Schiller und seiner Aufklärungseuphorie mit ästhetischen Mitteln wären...
Bleibt noch die Kunst als radikaler Selbstentwurf
P.S.: In diesen Tagen ist der Film „Lara“ von Jan Ole Gerster in die Kinos gekommen. Erzählt wird die Geschichte einer alternden Frau, die ihr eigenes künstlerisches Scheitern auch im Leben ihres Sohnes zu sehen scheint. Am Ende eines ereignisreichen Tages, an dem ihr Sohn einen öffentlichen Auftritt als Pianist und Komponist absolviert – ein Ereignis, das die Heldin (dargestellt von der grandiosen Corinne Harfouch) nicht verkraftet - setzt sie sich nach vierzig Jahren Abstinenz an ein Pianino und spielt die unspielbare Toccata von Robert Schumann. Sie spielt nicht für die Superreichen, sie spielt auch nicht, um Demokratisierungsansprüchen gerecht zu werden. Nein, sie spielt um ihr Leben. Und führt uns zurück zu Bazon Brock, der der Kunst den Charakter eines geistigen Lebensmittels zuschreibt. Wenn der Tod auch zum Leben gehört, dann hat er Recht.