Schule in Zeiten eines gesundheitspolitischen Verwirrspiels

Das Ende der Kulturellen Bildung ist das Ende der Schulentwicklung

In diesen Tagen beginnt das neue Schuljahr. Die Schüler*innen kehren nach eineinhalb Jahren Ausnahmezustand wieder in ihre Klassenzimmer zurück. Die verantwortlichen Bildungspolitiker*innen überbieten sich in Versprechungen, dass es in den nächsten Monaten zu keinen Schließungen bzw. Home-Schooling mehr kommen wird; dafür werden umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen in Aussicht gestellt. Dass sich die in den Sommermonaten angeblich sorgfältig vorbereiteten Maßnahmen alle paar Tage ändern, bewirken freilich das schiere Gegenteil. Heillose Verwirrung bei Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern macht sich breit, sodass zuletzt sogar Bildungsminister Fassmann persönlich ausrücken musste, um die Eltern dahingehend zu beruhigen, dass die Last der regelmäßigen Testungen nicht auf sie abgeladen werden soll. Ein verbales Placebo aus oberstem Mund, das freilich in der täglichen Schulpraxis mit der Forderung, die Kinder sollten tunlichst getestet in die Schule kommen, konterkariert wird.

Fassmann als Exponent einer schwarzen Pädagogik

Dazu am Rande: Mit den jüngsten Entscheidungen von Fassmann und Co zugunsten von Maßnahmen, die vorsehen, dass nur die unmittelbaren Sitznachbar*innen eines*r an COVID-19 erkrankten Schülers*in in Quarantäne geschickt werden sollen, weil alle anderen keine Ansteckung zu befürchten hätten, erweist sich der Bildungsminister einmal mehr als schwarzer Pädagoge. Ihn und seine türkisen Berater*innen leiten offenbar ungebrochen die Idee von Schule, in der die Schüler*innen in Reih und Glied in ihren Bänken in Ruhe verharren, sich tunlichst nicht bewegen und nicht miteinander zu tun haben sollen. Auf diese Weise, so hoffen sie, könne nichts passieren. Dass wir da schon viel weiter waren bei der Ausrichtung eines zeitgemäßen Unterrichts, in dem sich die Schüler*innen in immer neuen Lerngruppen zusammenfinden, sich bewegen, in unterschiedlichen Konstellationen etwas zu tun haben und damit den Klassenraum zu einem lebendigen Lern- und Erfahrungsraum machen. Und sich so auch gegenseitig über die – die in einem solchen Setting gar nicht mehr in militärischer Ordnung aufgestellten – Bankreihen hinweg anstecken können. Wie wär‘s also damit, Impfungen einfach auch in der Schule anzubieten?

Es ist, als würde sich die öffentliche Aufmerksamkeit rund um Schule ganz auf den Aspekt des Impfens und Testens beschränken. Ja, ob es ausreichend Luftfilter gibt, ist auch noch ein Thema. Und ganz am Rand darf sich Christoph Wiederkehr mit den Grünen darüber streiten, ob der neue Verteilungsschlüssel für Lehrer*innen an Wiener Schulen ein Fortschritt oder ein Rückschritt ist.

Im Vergleich geraten Fragen einer stärker inhaltlich gerichteten Schulentwicklung völlig aus dem Blick. Als hätte die Pandemie nicht eine umfassende Krise des Schulsystems zum Ausdruck gebracht, die von einer inferioren technologischen Ausstattung bis zur eklatanten Verschärfung sozialer Ungleichheit innerhalb und außerhalb von Schule reicht.

Besonders alarmierend könnte in diesem Zusammenhang der Befund namhafter Mediziner*innen sein, die allesamt auf eine massenhafte Beschädigung und Traumatisierung junger Menschen durch die getroffenen Corona-Maßnahmen hindeuten, ohne dass dies ein hinreichendes öffentliches Interesse finden würde. Eigentlich könnte man annehmen, dass die geänderten Befindlichkeiten der Schüler*innen einen zentralen Unterrichtsinhalt darstellen sollten, immerhin entscheiden diese essentiell über die erwarteten Lernerfolge. Aber ganz offensichtlich ist da nichts vorgesehen. Stattdessen soll in möglichst kurzer Zeit der liegengebliebene Stoff nachgeholt werden. Dass für diesen Furor der ungebrochenen Stoffvermittlung mittlerweile fast 40% der Schüler*innen externe Nachhilfe benötigen, bildet die Voraussetzung, um die bereits bestehende soziale Schere noch weiter auseinander gehen zu lassen.

Besonders bedrückend finde ich in diesem Zusammenhang, dass sich die Vertreter*innen der Kulturellen Bildung von den gegenwärtigen Realitäten völlig abgekoppelt haben. Ein Blick auf die Website des OeAD Kulturvermittlung für Schulen zeigt, dass bei den dort Verantwortlichen das Thema Pandemie und die Folgen für Schule und Schüler*innen überhaupt nicht zu existieren scheint (Daran ändert auch der Umstand wenig, dass die Marketing-Abteilung des OEAD gerade dabei ist, Einsparungen bei seit Jahrzehnten bestehenden Programmen mit einem neuen Titel „Bildung: Kultur“ zu verbrämen). Also bleibt es privaten Initiativen wie dem Projekt des Standards „Wie geht es Dir“ vorbehalten, mit der Einladung, von sich zu erzählen einen empathischen Blick auf das Schicksal junger Menschen zu werfen und ihnen zumindest zu suggerieren, dass sie mit den zum Teil verheerenden Auswirkungen der Pandemie nicht ganz allein sind.

Schule als letzter verbliebener Ort der sozialen Interaktion

In den letzten anderthalb Jahren haben Schüler*innen immer wieder davon berichtet, wie sehr sie sich auf die Schule freuen würden. Wohl nicht so sehr darüber, endlich die vielen liegengebliebenen Wissenspakete in Empfang zu nehmen. Sondern darüber, ihren Schulfreund*innen wieder unmittelbar begegnen und sich nach den langen Monaten der Isolation wieder mit ihnen austauschen zu können. Sie sehnen Schule herbei als einen Ort der sozialen Interaktion, in dem sie darüber sprechen können, dass Großvater an COVID-19 gestorben ist, der Vater seinen Arbeitsplatz verloren hat, die Eltern über die Enge der Wohnverhältnisse im gewalttätigen Streit verzweifelt sind oder die Geschwister ihnen immer wieder den PC streitig gemacht haben, um sich so gegenseitig zu stützen. Und dabei zu spüren, dass es Schule als einen gemeinsamen Ort gibt, wo sie ihren traumatisierenden Lebensumständen nicht völlig ausgeliefert sind.

Das alles, so ist zu vermuten, wird nur in Ausnahmefällen passieren. Stattdessen wird schon bald wieder das mittlerweile flächendeckende Regime der Standardisierung den Platz ergreifen und die auf sich gestellten Schüler*innen in den Konkurrenzkampf um gute Noten schicken. In diesem Zusammenhang war für mich bemerkenswert, dass einer der führenden Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann in einem Interview mit der Kleinen Zeitung von einem Destaster der Standardisierung gesprochen hat, die mitverantwortlich für die tiefe Krise sei, in die Schule – verschärft durch die Pandemie – geschlittert sei. Bei der Lektüre könnte man den Eindruck gewinnen, als hätte da ein einsamer Rufer in der Wüste noch einmal den Anspruch erhoben, gegen den Mainstream einer gewaltsamen Rückkehr in die alte Normalität Schule neu zu denken (Hartmut von Hentig). Für Hopmann ist die Zeit endgültig vorbei, in der Schule sich damit begnügen konnte, „unbegrenzte Mengen an Wissen durch die Gegend zu schleudern.“ Sein Plädoyer für eine Neubegründung der Aufgabenstellung von Schule läuft darauf hinaus, den Schüler*innen den gemeinsamen Raum zu geben, sich über Sachverhalte zu verständigen, und zwar mit Leuten, die sie sich nicht ausgesucht haben, über Themen, die sie sich nicht unbedingt gewünscht haben, und auf Ziele hin, die vorgegeben sind. Und dass sie dabei trotzdem lernen, etwas Vernünftiges mit den anderen zu leisten. Als entscheidende Grundlage nicht nur für das individuelle Wohlbefinden, sondern auch für ein gelingendes Zusammenleben auf demokratischer Grundlage.

Denkt man Hopmanns inhaltliche Begründung von Schule als einen sozialen Ort durch, an dem Interaktion von empathischen Lehrer*innen motiviert und begleitet werden, dann wird der enge Bezug von Schulentwicklung mit den Intentionen Kultureller Bildung ganz evident. Und es ist wohl kein Zufall, dass die gegenwärtige Bildungspolitik gleichermaßen geprägt ist vom Ende der Ambitionen, sich in den Schulen vorrangig mit dem zu beschäftigen, was für die Schüler*innen von Relevanz ist, und dem Zusammenbruch jeglicher Ansprüche Kultureller Bildung an eine zeitgemäße Schulentwicklung.

Als das Angebot Kultureller Bildung kollabierte

Vieles ist den unmittelbaren Auswirkungen der gesundheitspolitischen Maßnahmen der Pandemie geschuldet: Schüler*innen konnten keine Kultureinrichtungen besuchen, Künstler*innen war es nicht möglich, an Unterrichtsaktivitäten teilzunehmen, gemeinsame Kulturaktivitäten konnten nicht stattfinden und Kulturprojekte mussten abgesagt werden. Auffallend war, dass diese Restriktionen weitgehend sang- und klanglos vonstattengingen. Weit und breit kein Widerspruch, bis auf einige unerschütterliche Kolleg*innen, die erfolgreich versucht haben, die schulische Kulturarbeit in den digitalen Raum zu verlegen bzw. hybrid zu gestalten. Während man sich in den Home-Schooling-Programmen weitgehend auf die Vermittlung von Lehrinhalten der sogenannten Hauptfächer konzentrierte, fanden sich nur wenige Stimmen, die sich dafür aussprachen, gerade in dieser Extremsituation nicht eine falsche Normalität zu suggerieren, sondern die Möglichkeiten der Kulturellen Bildung dafür zu nutzen, um die Schüler*innen nicht völlig vereinzeln zu lassen bzw. der wachsenden Gefahr ihrer Traumatisierung auszusetzen.

Der Kulturbetrieb hat andere Sorgen

Auch der Kulturbetrieb erwies sich als nur wenig hilfreich. Er war im Wesentlichen damit beschäftigt, die Frustration über die mangelnde politische Anerkennung zu verdauen. Viele seiner Akteur*innen fanden sich von einem Tag auf den anderen am gesellschaftlichen Rand wieder, vor allem viele freischaffende Künstler*innen, deren Arbeitssituation bereits vor der Pandemie prekär war, gerieten zudem in existentielle Notlagen. Der Verlust des Publikums machte vielen schmerzlich den Mangel an Relevanz in bedrohlicher Ausnahmesituation bewusst; kaum Stimmen aus dem künstlerischen Feld, die über Hilferufe hinauswiesen, um einen signifikanten Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Krisensituation zu leisten.

Mit dieser defensiven Haltung vermochte der Kulturbetrieb dem Zusammenbruch Kultureller Bildung an den Schulen wenig entgegenzusetzen (wenn er dies überhaupt noch als ein Problem wahrzunehmen vermochte). Und auch jetzt, wenn die Kultureinrichtungen wieder geöffnet wurden und sich das Publikum, wenn auch in eher spärlicher Zahl, wieder einfindet, zeigen sich keine Akteur*innen aus dem Kunstfeld, die sich für eine rasche Wiederbelebung schulischer Kultureller Bildung aussprechen würde. Es ist, als wäre das Thema nach einem kurzen Hype ad acta gelegt. Es sind Fragen der Organisation, mehr noch der Diversität und allenfalls einer, vor den Toren des Kulturbetriebs nicht Halt machenden technologischen Transformation, die die sehr rudimentäre kulturpolitische Diskussion bestimmen.

Der Kampf der herrschenden Beharrungskräfte gegen die Reformwilligen tritt in eine neue Phase

In einer solchen Verfassung wissen sich die verbleibenden Akteur*innen Kultureller Bildung mit dem Beginn des Schuljahres eingezwängt in ein brisantes bildungspolitisches Spannungsverhältnis. An dessen einem Ende ziehen die Traditionalist*innen, die vom Ziel geleitet sind, möglichst rasch in einen Zustand von vor dem Ausbruch der Pandemie zurückzukehren. Im Versuch, möglichst schnell und möglichst umfassend zur alten Lehrer*innen-Schule zurückzukehren, in denen der Takt der zunehmend weltfremden Wissensvermittlung entlang unvermittelter Fachgrenzen dominieren soll und die Schüler*innen noch einmal auf ihre Rolle als regelmäßig zu überprüfende Wissensempfänger*innen reduziert werden. Dass in einem solchen Regime Kulturelle Bildung als Ausdruck offener, schüler*innenzentrierter, kooperativer und prozesshafter Lehr- und Lernprozesse bestenfalls eine Alibi-Funktion zukommt, wissen wir aus vieljähriger Praxis.

Und am anderen Ende dieser Polarisierung stehen all diejenigen, die von der Notwendigkeit wissen, Schule des 21. Jahrhunderts von Grund auf neu zu gestalten zu sollen und dabei alle Schulpartner*innen in ihnen gemäßer Weise miteinbeziehen wollen. Ihr Nachteil besteht darin, dass ihre Betreiber*innen über keine fertigen Konzepte verfügen. Stattdessen müssen sie sich auf eine experimentelle Reise mit ungewissem Ausgang begeben. Und doch brauchen sie nicht bei Null beginnen, sondern können sich – seit dem Beginn der Reformpädagogik – auf einen mehr als einhundertjährigen Erfahrungsschatz als treibende Kraft jeglicher Schulentwicklung beziehen, den es zu nutzen gilt. Dabei ist all diesen Experimenten gemeinsam, dass sie in besonderer Weise die Möglichkeiten der Kulturellen Bildung genutzt haben, um Schule zu einem umfassenden Schonraum im erprobenden Umgang mit den gesellschaftlichen Dynamiken werden zu lassen.

Während die eine Seite auf dem unbedingten Primat von Schule als Institution zur unbedingten Verteidigung des Bestehenden inklusive aller Einübungen in die Zwänge des Arbeitsmarkts und seiner Wertvorstellungen beharrt, macht sich die andere Seite auf die Suche nach Inhalten zur Begründung eines zeitgemäßen Bildungsbegriffs, der auf ein sinnstiftendes Leben im 21. Jahrhundert mit all seinen schon jetzt deutlich hervortretenden Problemlagen aber auch Möglichkeiten vorzubereiten vermag.

Methodisch spricht alles dafür, dabei in eine stärker projektorientierte, schüler*innenzentrierte, fachübergreifende, vor allem aber kooperative und damit ganzheitlich verstandene Richtung zu gehen. Entlang solcher Ansätze könnte auch eine Renaissance Kultureller Bildung in der Schule ansetzen, um sich als eine Querschnittsmaterie zu empfehlen, die über die engen Fachgrenzen am Rande des Curriculums hinausweist und das Profil der gesamten Schule prägt. Dabei hat sie freilich zu berücksichtigen, das Schule ihre Monopolstellung bei der Einübung des kulturellen Verhaltens längst eingebüßt hat, sich vielmehr in beträchtlicher Konkurrenz mit außerschulischen Anbieter*innen weiß, die mit der Schaffung neuer ungeahnter kultureller Räume ihren Nutzer*innen in weit attraktiverer Weise entgegentreten und auch im Umgang wesentlich unmittelbarer, involvierender, interaktiver und auf die Nutzer*innen maßgeschneiderter auftreten kann, als es Schule auch nur zu denken vermag.

Österreichs Kulturelle Bildungslandschaft scheint heute wieder weitgehend auf ihren Status in den frühen 1970er Jahren zurückgefallen. Das hat wohl auch damit zu tun, dass sich die bisherigen Versprechungen, die ihre Wortführer*innen bei der Legitimation einschlägiger Maßnahmen vorgebracht haben, nicht haben einlösen lassen. Die Menschen wissen heute, dass Kulturelle Bildung nicht alles besser macht, sich als Betriebsmittel kapitalistischer Wachstumsgesellschaften nur sehr bescheiden eignet und auch nicht in der Lage ist, ein Bollwerk gegen antidemokratische Kräfte zu bilden. Entsprechend wird es notwendig sein, sich noch einmal auf ein zeitgemäßes Gespräch über Möglichkeiten und Grenzen Kultureller Bildung einzulassen und eine interessierte Öffentlichkeit einzubeziehen. Der Umstand, dass die Ausgestaltung der Welt immer ästhetischer wird, wir also unser Zusammenleben immer weniger gut verstehen können, wenn wir nicht in der Lage sind, die damit verbundenen ästhetischen Zeichen zu lesen und zu interpretieren, könnte das inspirierende Moment für eine Schule als Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse sein, um Kulturelle Bildung noch einmal den Stellenwert einzuräumen, der ihr bei jeglicher Schulentwicklung zukommt.

Leitlinien zur Wiedergewinnung der Bedeutung von Kultureller Bildung für die Schulentwicklung

Um diesem Ziel noch einmal näher zu kommen, möchte ich einige – zuletzt in einem internationalen Seminar zur Zukunft der Kulturellen Bildung in Barcelona verhandelte – Leitlinien vorschlagen.

Nichts geht über Kooperation

Die erste betrifft die Fähigkeit zur Kooperation. Wir alle sind über viele Jahre hinweg im streng hierarchischen Zusammenhang von Schule darauf getrimmt worden, die individuelle Befähigung zum Maß aller Dinge zu nehmen. Nur wenige Lehrer*innen sind bis jetzt bereit, sich mit anderen zusammen zu tun, Unterricht gemeinsam auszurichten und damit die bestehenden Fachgrenzen zu überwinden. Und doch berichten diejenigen, die Unterricht als Form der permanenten Interaktion sowohl unter den Kolleg*innen als auch den Schüler*innen verstehen, dass diese Arbeitsform als wesentlich befriedigender empfunden wird, Und darüber hinaus den Lebensrealitäten der Schüler*innen wesentlich eher entspricht und folglich zu einem komplexeren Weltverständnis der Lernenden führt. Dies betrifft freilich auch das Eingeständnis, von vorneherein nicht alles besser zu wissen. Stattdessen die Stärke zu entwickeln, in vielfältiger Weise nach innen ebenso wie nach außen zu kooperieren, externe Ressourcen zu nutzen, Gäste einzuladen, außerschulische Lernorte zu besuchen und damit Schule als ein offenes Lernzentrum neu auszurichten. Genau hier setzen alle Konzepte von „Kulturschule“ an, die die schulische Kulturarbeit nicht nur zur Profilbildung nutzen, sondern als zentrale Betriebsmittel zur Gestaltung eines zeitgemäßen Unterrichts ().

Die Last nicht alleine tragen – Vernetzung ist angesagt, um Resonanz zu erfahren

Die Verengung schulischen Unterrichts auf erzwungene individuelle Leistungsbereitschaft (die nicht mehr reflektiert wird, als Ausdruck eines bestimmten sozialen Gefüges) hat zur beträchtlichen Vereinzelung aller Schulpartner*innen geführt. Vor allem die verbliebenen Akteur*innen Kultureller Bildung wähnen sich oft sehr allein in ihren Ambitionen, die sie versuchen, gegen viel Widerstand der herrschenden Strukturen so lange durchzusetzen, bis sie vor Erschöpfung aufgeben. Diesem Trend widerspricht das Wissen um die Bedeutung von Resonanz. Damit aber ist das sich wertschätzende Wiedererkennen im anderen vielleicht die wichtigste Voraussetzung jeglicher Entwicklungsperspektive. Das wussten auch die Betreiber*innen der großen Programme und Projekte Kultureller Bildung, die in den letzten Jahren mit Hilfe deutscher Stiftungen realisiert werden konnten („Kultur.Forscher!, Kulturagenten, Kunst und Spiele, Kultur macht stark,…..). Sie legten ganz besonderen Wert auf eine enge Vernetzung der Akteur*innen, die die Gelegenheit erhielten, sich über die Fachgrenzen hinweg regelmäßig zu treffen, sich auszutauschen und weiterzubilden. Auf einer solchen Grundlage ließen sich gemeinsame Anliegen formulieren und als eine kritische Masse auch durchsetzen, eine Grundlage, auf der gemeinsame Stärke erfahren werden konnte.

Die Bedeutung von Unterstützungsstrukturen

Als entscheidend für den Erfolg haben sich immer wieder verlässliche Unterstützungsstrukturen erwiesen. Als langjähriger Leiter des Österreichischen Kultur-Service konnte ich die Bedeutung persönlich in dem Maß wahrnehmen, in dem sich die Institution als ein Netzwerkknoten positionieren konnte, der sich für alle Akteur*innengruppen als nutzenbringend erwies. Dazu kamen die Bemühungen, die vielfältige Praxis Kultureller Bildung so öffentlichkeitswirksam vorzutragen, dass die kultur- und bildungspolitischen Entscheidungsträger*innen sie nicht mehr ignorieren konnten. Dass Minister Fassmann die zuletzt im Rahmen von KulturKontakt Austria organisierte ministerielle Servicestelle im Moloch de OeAD nahezu zum Verschwinden gebracht hat, zeugt von der gegenwärtig herrschenden staatlichen Ignoranz.

Was Begleitforschung zu leisten vermag

Eine wesentliche Leitlinie scheint mir auch eine stärkere Nutzung von Begleitforschung zu sein. Immerhin – wieder können wir aus einer Vielzahl internationaler Beispiele lernen – lassen sich damit nicht nur relevante Daten zum notwendigen Wissenstransfer und zur künftigen Entscheidungsfindung generieren. Die Forschungsprozesse selbst leisten auch gute Dienste bei einer evidenzbasierten Diskussion rund um eine Qualitätsentwicklung. Und sie liefert in der Kombination von Theorie und Praxis nachvollziehbare Argumentationsgrundlagen zur Begründung der Beiträge Kultureller Bildung für die Schulentwicklung in einer breiteren Öffentlichkeit.

Alle Akteur*innengruppen haben eine Stimme

Und schließlich gilt es, die überkommenen hierarchischen Entscheidungsstrukturen noch einmal zu überprüfen. Immerhin hat der bisherige Verlauf der Pandemie noch einmal in besonderer Weise aufgezeigt, dass die bewährten Top-down-Verfahren sehr rasch an ihr Ende kommen können, wenn die Entscheidungsträger*innen keine Ahnung von der Praxis haben. Umso wichtiger scheint es, im Rahmen neuer Governance-Modelle die Expertise der Praktiker*innen stärker zu berücksichtigen und damit Partizipation auf allen Ebenen sowohl in Bezug auf Konzeption als auch Implementation zu einem handlungsleitenden Prinzip zu machen.

Im Moment überlagern gesundheitspolitische Fragen jegliche bildungspolitische Ambition. Übersehen wird dabei nur zu leicht, dass diese Fremdbestimmung still und leise einhergeht mit der Restauration einer schon überwunden geglaubten Schulstruktur, zumal diese – und seien es noch so abgegriffene – Haltegriffe in der Krise verspricht. Damit aber trägt Schule mehr denn je bei zur Verschärfung gesellschaftlicher Widersprüche, gegen die einst Schulentwicklung im Verbund mit einem Teil der Kulturellen Bildungsszene angetreten ist.

Tatenlos zuzuwarten, bis die Pandemie ausgestanden ist, könne sich als gefährlich erweisen.

Michael Wimmer schreibt regelmäßig Blogs zu relevanten Themen im und rund um den Kulturbereich.

Anhand persönlicher Erfahrungen widmet er sich tagesaktuellen Geschehnissen sowie Grundsatzfragen in Kultur, Bildung und Politik.

Weitere Blogs, Publikationen und Aktivitäten sind auf Wimmers Kultur-Service zu finden. Hier geht's auf die Website.

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