Obwohl eher anarchistisch, in Wahrheit bloß individualistisch gestrickt, suchte ich bereits während meines Studiums Kontakt mit der Österreichischen Kulturpolitischen Gesellschaft. Sehr im Unterschied zu heute gingen damals von dieser SPÖ-dominierten Vereinigung von führenden Politiker*innen, Künstler*innen und an Kunst und Kultur Interessierten wichtige Impulse zur Stimulierung des kulturpolitischen Diskurses aus. Kaum ein führender Politiker, egal aus welchem Politikfeld, kam damals darum herum, sich an der kulturpolitischen Diskussion zu beteiligen (So sprach sich Bruno Kreisky immer wieder für eine „durchaus radikale Kulturpolitik“ aus). Kulturpolitik als umfassende Gesellschaftspolitik, das war die Losung, in der Hoffnung, auch und gerade mit künstlerischen Mitteln einen umfassenden Reformprozess in der österreichischen Gesellschaft auslösen zu können.
Die österreichische Kulturpolitische Gesellschaft steht bis heute in enger Beziehung zu ihrer Deutschen Schwesternorganisation, die über ein eigenes Forschungsinstitut verfügt und so – im Unterschied zu Österreich – wesentliche empirische Evidenzen zur kulturpolitischen Entscheidungsfindung beizutragen vermag.
Eine Ministerin in einem schrottreifen Auto auf dem Weg zu einer kulturpolitischen Diskussion
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Zumindest einmal im Jahr trafen sich die deutschen und österreichischen Kolleg*innen zum Erfahrungsaustausch. So auch 1986, als eine kleine Abordnung aus Österreich nach Memmingen in Bayern aufbrach. Ich hatte die Ehre, mit meinem schrottreifen Volvo die damals amtierende Ministerin für Unterricht und Kunst Hilde Hawlicek zum Veranstaltungsort und wieder zurück zu kutschieren. Auch meine damalige Freundin war mit von der Partie. Sie muss Hilde Hawlicek gesteckt haben, dass ich – gerade mit dem Studium fertig geworden – auf Arbeitssuche bin. Und so fand ich mich bereits wenige Wochen nach dem Treffen in Memmingen in den fürstlichen Amtsräumen ihres Kabinettchefs Josef Kirchberger im Palais Starhemberg wieder, der mich fragte, ob ich nicht eine kleine Studie zu privatem Kunstsponsoring verfertigen wolle.
Es war das just in der Zeit als z.B. der damalige Wiener Bürgermeister (und frühere Kulturstadtrat) Helmut Zilk den Unternehmer Michael Erben dazu motivierte, als Sponsor für das Wiener Schauspielhaus aufzutreten, um so eine breitere Diskussion um privates Kunst- und Kulturförderengagement auszulösen (1987 gab Finanzminister Ferdinand Lacina dazu einen „Sponsorerlass“ heraus, der bis heute die Grundlage der steuerlichen Behandlung privaten Engagements bildet.)
Ich fühlte mich geehrt und sagte zu. Als mich Kirchberger fragte, wieviel das kosten würde, antwortete ich – vom Ambiente offensichtlich etwas eingeschüchtert zögernd: Tausend Schilling? Na, etwas mehr darf es schon sein, meinte er daraufhin. Wir einigten uns auf dreitausend und ich trug erstmals Informationen aus einer Reihe europäischer Länder zusammen, um so Entscheidungsgrundlagen für eine spezifisch österreichische Lösung zu schaffen.
Kurz nach der Abgabe der kleinen Studie erreichte mich der schon im letzten Blogbeitrag erwähnte Anruf von Wolfgang Unger, dem Leiter der Literaturabteilung des Unterrichts- und Kunstministers. Als Vertreter der Kunstsektion war er auch mit den laufenden Aktivitäten rund um den Kulturpolitischen Maßnahmenkatalog befasst. Er fragte mich rundheraus, ob ich nicht die Leitung des Österreichischen Kultur-Service übernehmen wolle.
Ich hatte von dieser Einrichtung zuvor noch wenig gehört. Vage erinnerte ich mich noch an einen Besuch beim Gründer Herbert Gras, bei dem ich mich als junger Lehrer über die Möglichkeiten des Zusammenwirkens erkundigt habe.
Mein Beginn als Geschäftsführer des ÖKS: Na, dann probieren wir es halt noch einmal
Nachdem er mir auch noch das attraktive Gehalt genannt hatte, sagte ich einfach: Ja. Was sich im Nachhinein als ein Fehler herausstellen sollte. Denn erst als ich meine Tätigkeit als Geschäftsführers begonnen hatte, sollte mir klar werden, dass ich aus der Sicht des Ministeriums in erster Linie einen Job als Masseverwalter eines maroden Unternehmens antreten sollte.
Dazu eine kurze Vorgeschichte: Im Rahmen der schon mehrfach angesprochene kulturpolitische Hochzeit entlang der Schwerpunkte Demokratisierung, Transparenz und Objektivierung (vor allem der Fördervergaben) wurde 1974 erstmals das ifes-Institut damit beauftragt, das kulturelle Verhalten der Österreicher*innen zu erheben (Ifes (1975): Grundlagenforschung im kulturellen Bereich, Wien). Die fertige Studie konstatierte weitreichende Defizite im kulturellen Verhalten (das traute man sich damals noch zu konstatieren). Diese ernüchternden Befunde brachten den amtierenden Unterrichts- und Kunstminister Fred Sinowatz zusammen mit seiner Entourage dazu, einen Kulturpolitischen Maßnahmenkataloges zu entwickeln (erstmals veröffentlicht im Kulturbericht 1975).
Als eine der zentralen Maßnahmen sollte sich die Gründung des Österreichischen Kultur-Service erweisen. Vorrangiges Ziel dieser ausgelagerten Initiative sollte es sein, auf flexible und unbürokratische Weise Schüler*innen mit dem zeitgenössischen Kunstschaffen vertraut zu machen, auch in der Hoffnung, das antiquierte Schulsystem zum Tanzen zu bringen. Im Rahmen von sogenannten „Dialogveranstaltungen“ sollten Künstler*innen ständige Gäste in der Schule sein und so einen Beitrag dazu leisten, den schulischen Unterricht zu verlebendigen und den Schüler*innen auf vielfältige Weise neue ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen. Dazu entwickelte der junge ÖKS eine Reihe von ambitionierten Kulturprojekten wie Schreibwerkstätten, Schülergalerien oder Musik- und Theaterproduktionen, an denen Schüler*innen und Lehrer*innen gleichermaßen eingeladen waren, daran mitzuwirken.
Als Gründungsgeschäftsführer fungierte der Galerist Herbert Gras, enger Vertrauter des Kabinettchefs von Fred Sinowatz Hans Pusch; der Minister selbst übernahm den Vorstandsvorsitz des neue gegründeten Vereins. Zusammen mit dem Schmuckkünstler Manfred Niesslmüller verortete Gras den frühen ÖKS ganz eindeutig als einen verlängerten Arm der staatlichen Kunstförderung. Die Auftritte von Künstler*innen in der Schule sollte diesen zumindest eine kleine Aufbesserung ihres Einkommens ermöglichen und damit insgesamt zur einer Verbesserung ihrer sozialen Lage von Künstler*innen führen (Kunststaatssekretärin Lunacek, die sich die Verbesserung der sozialen Lage auf ihre kulturpolitischen Fahnen geschrieben hat, wäre gut beraten, sich an diese Strategien von damals zu erinnern).
Der ewige Widerspruch zwischen Kunst und Pädagogik
Das aber hieß auch, dass das Leitungsteam wenig Ambition verspürte, sich in die Niederungen methodisch-didaktischer Details schulischen Unterrichts zu begeben. Eher schon liefen ihre Initiativen darauf hinaus, die bestehende Schule als solche in Frage stellen und – zusammen mit einer Auswahl von Lehrer*innen, die auf ihre Weise Schule zu entkommen trachteten – Kunsterfahrung als zentrale Lernerfahrung dagegen zu setzen. Daraus ergab sich notwendig eine Abwertung von Schule und Pädagogik, die vor allem konservativen Bildungspolitikern (und diese bildeten in den 1970er Jahren innerhalb des Ministeriums eine breite Mehrheit) nicht nur Freude bereitete. Symbolischen Ausdruck fand diese Haltung in der Produktion einer ÖKS-Zeitung in einem New-York-Times-Überformat, die sich selbst als ein periodisch erscheinendes Kunstwerk begriff und sich in ihrer Ästhetik absichtsvoll von den gängigen Unterrichtsmaterialen abzugrenzen suchte.
Ermüdet von den zahlreichen politischen, aber auch institutionellen Kämpfen schienen Mitte der 1980er Jahre (die 13jährige Alleinregierung der SPÖ war 1983 an ihr Ende gekommen) die Kräfte zur überfälligen Weiterentwicklung des ÖKS weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein. Der Kurzeit-Unterrichts- und Kulturminister Herbert Moritz verstand sich als gestandener Föderalist aus Salzburg. Als solcher wollte er den ÖKS in seine engere Heimat verlegen, schließlich gab er sich damit zufrieden, den ÖKS einem verdienten Betreiber einer Kulturinitiative in St. Johann in Pongau zu überantworten. Dieser aber sah sich schon nach kurzer Zeit auf dem glatten Parkett der Wiener Hochbürokratie überfordert und warf bereits neun Monate nach seiner Bestellung das Handtuch. Als Hilde Hawlicek 1987 ihr Amt als Unterrichts- und Kunstministerin antrat, übernahm sie auch einen überfälligen Torso namens Österreichischer Kultur-Service, um sich mit meiner Bestellung zu einer pragmatischen Lösung zu entschließen, die da hieß: Also probieren wir es halt noch einmal.
Der holprige Start: Weniger Förderung, weniger Personal, Übersiedlung ins Souterrain
Und so saß ich mit einigen wenig übergebliebene Kolleg*innen im Büro in einem oberen Stockwerk Taborstrasse 20 zusammen, um den Laden noch einmal flott zu kriegen. Dabei waren die Startauflagen alles andere als günstig: Seitens des Ministeriums lauteten die Auflagen: Kürzung des Budgets, Kündigung zweier Mitarbeiter, Übersiedlung des Büros in ein Einraumbüro im Souterrain des Hauses Wipplingerstrasse 28.
Es half wenig, gegen diese Vorgaben noch einmal aufzubegehren, auch mir fehlte weitgehend der Durchblick in den bürokratischen Entscheidungsfindungen. Also fanden wir uns wieder am Mittagstisch, um gemeinsam die Post zu bearbeiten, die im Wesentlichen darin bestand, die unterzeichneten Wertscheine der Schulen für die Dialogveranstaltungen mit den Honorarnoten der Künstler*innen zusammen zu führen, um danach das Geld an die Künstler*innen zu überweisen. Daneben ratterte ein Atari-Computer der ersten Generation, der in einem 12-Stunden-Act tausend Etiketten für das Zeitungsabo ausdruckte.
Formal wurde der ÖKS als ein Verein konstituiert, dem zuerst der amtierende Unterrichtsminister, später der Sektionsleiter der Kunstsektion vorstand. Dazu kamen mehrere, inhaltlich mehr oder weniger befasste Ministerialbeamte, Vertreter*innen der Bundesländer sowie der Zivilgesellschaft, im Fall des ÖKS hieß das: die Bildungsabteilung des ÖGB und die Musikalische Jugend Österreich.
Daraus ergab sich ein schillernder Charakter unterschiedlicher Interessenslagen, einerseits konnte die Einrichtung als eine ausgelagerte Verwaltungseinheit des Ministeriums gesehen werden. Andererseits aber auch als eine Zwischeninstanz („intermediary body“), die in der Lage ist, zwischen den ministeriellen Absichten auf der einen und den Erfordernissen der im Feld Tätigen auf der anderen Seite zu vermitteln. Und dann waren da noch die Länder, allen voran Tirol, die im föderal verfassten Österreich die Existenz einer zentralen Stelle der Kunst- und Kulturförderung gleich überhaupt in Frage stellten (nur zu gut kann ich mich erinnern, wie mich der damalige Tiroler Landesschulratspräsident Fritz Prior bei einem Abendessen in Innsbruck vor versammelter Mannschaft zur Schnecke machte, weil ich mich weigerte, ÖKS-Mittel voraussetzungslos an den Tiroler Kulturservice weiter zu geben).
Zum ersten Mal Kulturelle und Politische Bildung zusammen denken
Für die Neuausrichtung des ÖKS sollte sich das „Bedenkjahr 1988“ zur 50sten Wiederkehr des Beginns des Zweiten Weltkriegs ausgerechnet auf dem Höhepunkt der „Waldheim-Affäre“ als besonders wichtig erweisen. Dank der damals im Ministerium für Politische Bildung zuständigen Elisabeth Morawek gelang es nicht nur, eine umfängliche Publikation zur Theorie und Praxis zeitgeschichtlicher Projekte an und rund um Schulen herauszugeben. Sie ermöglichte darüber hinaus auch eine produktive Auseinandersetzung zu einem möglichen produktiven Verhältnis zwischen Politischer und Kultureller Bildung, die damals noch stark unter Affirmationsverdacht für einige wenige Privilegierte stand.
Die Ministertätigkeit des sehr kunstaffinen Rudolf Scholten (Bildungs- und Kunstminister 1990 – 1994) gab mir und dem mittlerweile wieder beträchtlich ausgeweiteten ÖKS-Team die Gelegenheit, vielfältige Initiativen zu entfalten, um so die Angebotspalette des ÖKS auszuweiten und den Verein in breiteren Teilen der Fachöffentlichkeit zu positionieren. Mit dem Ausscheiden von Fred Sinowatz aus dem Amt des Unterrichts- und Kunstministers übergab er den Vorstandsvorsitz an den Leiter der Kunstsektion. Diese wurde viele Jahre von dem parteilosen Hans Temnitschka geführt. Als solcher sorgte er in all den Jahren im Hintergrund für eine administrative Umsetzung vieler ÖKS-Pläne; und auch Wolfgang Unger machte viel Unmögliches am Ende doch möglich.
Gleichzeitig spitzte sich mit seiner, für Kunstfragen zuständigen Sekretärin Gertraud Auer noch einmal das Problem einer fehlenden Verknüpfung von Kultur- und Bildungspolitik zu. Mangels klarer Zuständigkeiten ergaben sich die Beamten, die entweder für Kunst oder für Bildung zuständig waren, in ein beliebtes Spiel, in der mir die Rolle zugewiesen war, doch „rüber“ zu gehen, und damit zum jeweiligen Kollegen/Kollegin, der/die für die jeweils andere Facette Kultureller Bildung zuständig war.
Hinter diesen ungeklärten Zuständigkeiten verbarg sich einmal mehr eine unterschiedliche Einschätzung künstlerischer Initiativen in der Schule. Die einen rund um Gertraud Auer setzten entlang der ÖKS- Ursprungsidee ungebrochen darauf, dass Künstler*innen ungeachtet des Fehlens jeglicher methodisch-didaktischer Kompetenzen mit ihren Interventionen das überkommene Schulsystem zum Tanzen bringen würden, um so positive Effekte zu erzielen. Darüber hinaus war jede Art der „Kunstvermittlung“ noch stark mit einem Beigeschmack des Parasitären ausgestattet, das der freien Entfaltung künstlerischer Ambitionen entgegenstehen würde.
Die anderen setzten dieser ästhetischen Naivität den Befund entgegen, dass jede Form der Intervention, auch der künstlerischen, gewollt oder ungewollt der Logik von Schule folgt („Alles, was in der Schule passiert, wird zur Schule“); damit würde auch intendierte Anti-Pädagogik zu Pädagogik. Dazu folgten sie der Einsicht, dass Lehrkräfte in aller Regel einen wesentlich nachhaltigeren Einfluss auf die jungen Menschen auszuüben vermögen als punktuelle Auftritte von Künstler*innen und es daher gut wäre, bei jeder künstlerischen Intervention das Einvernehmen, besser die Kooperation mit den beteiligten Lehrkräften zu suchen.
Als sich der ÖKS seine Anbindung an die Kunstförderung verlor und sich als Teil der Bildungsverwaltung wiederfand
Der Streit endete mit der Verlagerung der ministeriellen Zuständigkeit für den ÖKS weg von der Kunstförderung hin zur Bildungsverwaltung, die traditionell zwar über wesentlich größere finanzielle Spielräume verfügt, dafür aber bis heute wesentlich näher an einer Vielzahl an Regel- und Formvorschriften zu agieren hat.
Die Notwendigkeit eines vermehrten Argumentationsaufwandes zur Daseinsberechtigung des ÖKS sollte sich spätestens mit der Bestellung von Erhard Busek als Bildungsminister 1994 zeigen. Mit seiner liberal-konservativen Grundausrichtung (und seiner Zuständigkeit für die Bundesmuseen und Archive) setzte er neue Schwerpunkte in der Vermittlung des kulturellen Erbes, während er der Präsenz zeitgenössischer Kunst in der Schule weniger Bedeutung einräumte. Die reservierte Haltung der nunmehrigen Leitung des Ministeriums gegenüber dem ÖKS sollte sich mit der Amtsübernahme durch Elisabeth Gehrer 1995 noch einmal verschärfen. Wesentlich enger an die ministerielle Kandare genommen, stiegen für den ÖKS die Anforderungen, sich als eine ministerielle Agentur neu zu positionieren und dabei jeglichen Eindruck der Eigeninitiative zu vermeiden. Das bedeutete auch, der mühsam erworbenen Rolle als Vermittler zwischen ministeriellen Vorgaben und praktischen Notwendigkeiten der Praktiker*innen vor Ort verlustig zu gehen, was dem ÖKS in der Folge viel an Glaubwürdigkeit kosten würde.
Die wesentliche Ressource des ÖKS: Lehrer*innen und Künstler*innen, die sich für Kulturelle Bildung engagieren
Dies erschien bereits in den 1990er Jahren umso bedauerlicher, als es mittlerweile gelungen war, eine Reihe von Stakeholdern unter Lehrer*innen in ganz Österreich, aber auch Künstler*innen zu bilden, die sich im Rahmen der Mitwirkung an ÖKS-Projekten vor Ort zu profilieren vermochten , um sich so gegen die oft widrigen Umstände des schulischen Alltags zu stemmen. Viele dieser Lehrer*innen konnten dadurch ihren Aktionsradius nachhaltig erweitern, in dem sie Vermittler*innen das lokale Kulturleben nachhaltig bereicherten (Schulgalerien, Theater-, Musik- oder Filmvorführungen, Kulturinitiativen,….). Einzelnen Ministerialbeamten waren diese Qualitäten durchaus bewusst. Mehr und mehr „undercover“ erwiesen sich Unterstützer wie Sektionschef Anton Dobart und sein für Kulturelle Bildung zuständiger Abteilungsleiter Alfred Fischl mit seinem Team als wichtige Haltegriffe für das Fortbestehen des ÖKS. Als Insider gelang es ihnen, oft an den vielen Juristen innerhalb des Ministeriums vorbei, parteipolitische Vorgaben zugunsten eines zunehmenden Konservativismus zumindest zu relativieren.
Ungeachtet all dieser parteipolitischen Implikationen gelang es mit Ihrer Hilfe eine Reihe von Programmen wie das Design-Projekt „Das Ding“ (Ausstellungen von Schüler*innen-Arbeiten führten uns bis ins Hauptgebäude des Europarates in Brüssel), das Schülerfilmfestival, das von Wels seinen Ausgang nahm oder – als begleitende Maßnahme erster schulischer Autonomieversuche – seit den 1990er Jahren das Programm „Kulturbudgets für Bundesschulen“, das es zumindest den Höheren Schulen erlaubte, auch größere Kulturprojekte in Eigenverantwortung zu konzipieren und umzusetzen. Das Programm existiert ebenso wie die „Dialogveranstaltungen“ bis heute, auch wenn es heute kaum mehr in der Lage ist, den ursprünglichen Absichten etwa zur Ermöglichung von signifikanten Zusatzeinkommen von Künstler*innen zu dienen und so seit der jüngsten Zusammenlegung von KulturKontakt Austria mit dem OeAD (diesbezügliche Hinweise auf der OeAD-Website fehlen zur Zeit) zunehmend bedroht erscheint.
Das Rad immer wieder neu erfinden müssen : Ohne Verankerung im öffentlichen Diskurs gibt es keine nachhaltige Wirkung
Als Geschäftsführer einer mit öffentlichen Mitteln geförderten Initiative war es mir immer besonders wichtig, am öffentlichen Gespräch mitzuwirken und so auch die diskursiven Grundlagen zur Behandlung des ÖKS-Auftrags gleichermaßen zu vertiefen wie zu erweitern. Dazu gehört die regelmäßige Herausgabe der Zeitschrift „Kulturell“, die Ausrichtung vielfältiger Diskussionsveranstaltungen sowie Qualifizierungsprogramme für Künstler*innen und Lehrer*innen. Mit ihnen sollte es gelingen, a la longue an möglichst vielen Schulstandorten sogenannte „Kultur-Kontakt-Personen“ zu implementieren, deren Aufgabe es wäre, die schulische Kulturarbeit vor Ort zu koordinieren und damit dessen Stellenwert zu erhöhen.
Uns schien damals eine öffentliche Präsenz als Voraussetzung, den kultur- und bildungspolitischen Diskurs zugunsten Kultureller Bildung bzw. Kunst- und Kulturvermittlung nachhaltig zu beeinflussen, eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass alle vom ÖKS getroffenen Maßnahmen eine nachhaltige Wirkung zu entfalten vermögen, weil damit zumindest mittelfristig nicht nur die eine oder andere Praxis sondern darüber hinaus die Haltungen der beteiligten Akteure verändert werden (In diesem Zusammenhang habe ich es nie verstanden, dass die Auffangorganisation KulturKontakt Austria auf diese Form der Einflussnahme des öffentlichen Bewusstseins weitgehend verzichtet hat. Mit ihrer mächtigen personellen Zusammensetzung (vergleichbar mit der gesamten Kunstsektion) zeigte sich diese ministerielle Agentur seit 2003 als ein schlafender Riese, der mit keiner Faser mehr zu erkennen gab, sich inhaltlich positionieren und damit am kultur- und bildungspolitischen Diskurs beteiligen zu wollen).
Die stetige Ausweitung der Nachfrage nach ÖKS-Leistungen, wachsende Internationalisierung sowie die Durchführung einer Vielzahl von Projekten ergab in den 1990er Jahren eine sukzessive Expansion des Unternehmens, dessen Team in der Hochzeit rund 35 Kolleg*innen umfasste. Das erforderte neue Organisationsstrukturen, zu deren Entwicklung wir uns in diversen mehrtägigen Klausuren zur jeweiligen Positionsbestimmung und Strategieentwicklung externer Hilfe, etwa von Königswieser und Partner bedienen konnten. Dazu gehörte auch eine stärkere Berücksichtigung des Marketing-Aspekts, um den ÖKS bestmöglich in den diversen Fachöffentlichkeiten zu positionieren. So gründeten wir den ÖKS-Club, im Rahmen dessen Kultureinrichtungen vor allem Lehrer*innen (als den eigentlichen Träger*innen schulischer Kulturarbeit) einen privilegierten Zugang zu ihrem Programmangebot schaffen konnten.
Mitte der 1990er Jahre übersiedelte der ÖKS in das Filmhaus Stiftgasse 6 und fand sich in enger Nachbarschaft mit einer Reihe von Filmförder-Initiativen, vor allem dem Österreichischen Filminstitut ÖFI und dem Wiener Filmfonds und seiner Schwesterorganisation KulturKontakt Austria. Diese Initiative war unter der Leitung von Ingrid Kapsch (damals Latzer) rund um die Beschlussfassung des „Sponsorerlasses“ 1987 entstanden, vor allem, um verstärkt Sponsormittel für den Kunstbereich zu generieren, später auch um Bildungskooperationen mit den Balkanländern zu befördern.
Damit ergaben sich nochmals neue Optionen, den ÖKS und KulturKontakt Austria zu einer kritischen Masse zu verdichten und bei der Gelegenheit gleich auch das in den 1970er Jahren entstandene und damit in die Jahre gekommene Kunstfördersystem einem grundlegenden Revirement zu unterziehen. Dazu gehörte auch der Versuch, mit Rudolf Scholten noch einmal eine kulturpolitische
Aufbruchsstimmung zu erzeugen, in der sich der ÖKS als eine Drehpunktinstanz zwischen Politik, staatlicher Verwaltung, Kunst- und Kulturbetrieb und Schule bewähren wollte.
Dazu gehörte auch die Positionierung als eine Plattform im Vorfeld kultur- und bildungspolitischer Entscheidungsfindung. Im ÖKS trafen sich regelmäßig Vertreter*innen von Interessensverbänden mit Expert*innen und Ministerialbeamten, um neue Initiativen, etwa zugunsten einer Musikerziehungsoffensive (der Rektor der Musikakademie Michael Frischenschlager hatte Befürchtungen um den Streichernachwuchs bei den Philharmonikern geäußert (und sich zugleich beharrlich geweigert, Frauen ins Ensemble aufzunehmen), einer größeren Präsenz des österreichischen Filmschaffens an den Schulen oder eine Sensibilisierung für Raum und Architektur als entscheidende Bedingungen für den Erfolg schulischen Lernens. Auch hier gingen die Meinungen oft diametral auseinander. Auf der einen Seite forderten die Standesvertretung der Musikerziehung und der Bildnerischen Erziehung eine Aufwertung ihre Stellung in den schulischen Curricula während auf der anderen Seite – als prononcierter Wortführer sollte sich der Vorstand des Instituts für Kultur- und Geistesgeschichte an der Angewandten Manfred Wagner erweisen – plädiert wurde, Kunstlehrer*innen gleich ganz aus der Schule zu weisen und an ihre Stelle zwei Wochenstunden zur Begegnung mit Künstler*innen vorzusehen.
Es wird ernst: Das „linke Gsindl“ (Andreas Khohl) muss endlich vertrieben werden
Wie schon erwähnt verbarg sich hinter den Entscheidungsfindungen zur Wirkmächtigkeit des ÖKS immer ein (partei-)politischer Unterton. Entstanden aus dem sozialdemokratischen Geist der 1970er Jahre witterten vor allem konservative Kreise in den 17 Jahren meiner Geschäftsführer-Tätigkeit auf immer neue Weise Unterwanderungsversuche, denen zur Aufrechterhaltung der tradierten Unterrichtsordnung unter allen Umständen Einhalt geboten werden musste.
Die Situation spitzte sich zu, als sich Wolfgang Schüssel Ende 1999 in einer Nacht- und Nebel-Aktion dazu entschloss, eine schwarz-blaue Koalition zu bilden. Die bereits seit 1995 amtierende Elisabeth Gehrer blieb zwar als Bildungsministerin im Amt. Dennoch verschärfte sich sukzessive der Umgangston, sah sich doch die als Vorarlberger Landesrätin äußerst joviale und liberal gesinnte Elisabeth Gehrer zunehmend unter Druck, ihren Wähler*innen, zu beweisen, dass es ihr Ernst ist mit der Eliminierung aller Initiativen, die an eine Machtbeteiligung der Sozialdemokraten erinnern konnten. Die Gefechte zogen sich eine Weile hin, spätestens mit der Neuwahl 2002 und dem Erdrutschsieg von Wolfgang Schüssel war die Entscheidung gefallen, mich aus meiner Funktion als Geschäftsführer des ÖKS zu entfernen und bei der Gelegenheit den gesamten ÖKS in KulturKontakt Austria aufgehen zu lassen. Diese Initiative wurde zu diesem Zeitpunkt bereits von einem ehemaligen Ministersekretär Gehrers geleitet und damit auf Linie gebracht.
Also durfte ich noch ein paar Wochen an meinem Arbeitsplatz Daumen drehen, um mich nach 17 Jahren ÖKS in ein neues berufliches Abenteuer zu stürzen. Aber das ist eine andere Geschichte….