Vieles im Leben ist Zufall. Und doch spielt die soziale/familiäre Herkunft eine große Rolle in der Ausgestaltung unserer Lebensentwürfe. Dazu kommen all die Erfahrungen, die wir im Laufe des Lebens machen und uns prägen. Um uns irgendwann auf ein Thema festzulegen, das zu einem Teil von uns wird. In meinem Fall ist es die Kulturpolitik, auf die ich irgendwann gestoßen bin und die mich danach nicht mehr losgelassen hat. In einer persönlichen Spurensuche möchte ich besser draufkommen, was die Gründe dafür sein mögen und warum ich bis heute damit zu keinem Ende gekommen bin.
Ich bin mit Musik groß geworden. Mein Vater war Musiker. Schon früh machte er mich mit der Trompete vertraut. Weil aber im Wohnzimmer ein Pianino stand, machte ich mich bald auf den langen Weg durch eine, mein Ungenügen bestätigende und fremde Klavierliteratur; viel lieber hörte ich bei meinen Großeltern im Schrebergarten die Stimmen von Caterina Valente und Peter Alexander, die aus dem Radio kamen. Alle anderen Kunstformen kamen nur ganz am Rande vor. Es schien mir, als würde es in meiner Familie zum guten Ton gehören, n i c h t zeichnen zu können; jedenfalls kann ich mich an keine Besuche in Museen, Ausstellungen, Konzerten oder Theatern mit meinen Eltern erinnern.
Zu dieser selektiven Wahrnehmung des kulturellen Angebots gehörte auch ein fast schon ostentatives Desinteresse an Politik. Als Nutznießer*innen des Wirtschaftswunders verspürten meine Eltern wenig Bedarf, sich gesellschaftlich zu verorten. Daran änderte auch der Umstand kaum etwas, dass meine Stiefmutter unmittelbar nach dem Ende des Krieges eine Stelle als Sekretärin bei der Staatspolizei fand, die mit Oswald Peterlunger an der Spitze als “Tummelplatz für die Kommunisten” (Innenminister Oskar Helmer) eingeschätzt wurde. Über Politik wurde zu Hause nicht gesprochen. Hängengeblieben sind bei mir allenfalls Fernseh-Auftritte des am Stock gehenden Bundeskanzlers Alfons Gorbach (1961 – 1964), von dem ich mich als eine strenge und doch wegen seiner Behinderung bemitleidenswerte Vaterfigur angesprochen fühlte. Als derart unpolitisch Erzogener bekam ich auch von den Kulturkämpfen rund um 1968 kaum etwas mit. Der einzige Anknüpfungspunkt war ein mir äußerst verwegen erscheinender Schulkollege, den ich einmal fragte, ob er mir LSD besorgen könnte. In der Zwischenzeit verzog ich mich in die religiöse Ecke, beschäftigte mich mit Orgelspiel in der Kirche und trat in einen Ashram ein, der von der Frau des Malers Rudolf Raimund Ballabene betrieben wurde. Weltflucht als Lebensprinzip. Als mich aber Frau Ballabene fälschlicherweise eines Vergehens beschuldigte, konnte ich meine anti-autoritäre Grundhaltung nicht mehr zurückhalten und verließ die Gruppe im Zorn.
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Die Schulgesetze der 1970er Jahre haben das demokratische Bewusstsein in und rund um Schule verändert
Mit dieser naiv-individualistischen Einstellung bin ich Lehrer geworden. Von einem Tag zum anderen stand ich als junger Musikerzieher mehr als 600 Schüler*innen einer (damals noch) Höheren und Mittleren Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe gegenüber. Die Erwartung erschöpfte sich darin, die jungen Frauen auf ihr künftiges Leben als gute Ehefrau vorzubereiten und ihnen neben allen hauswirtschaftlichen Belangen ein Mindestmaß an Kunstsinn mitzugeben. Eher intuitiv weigerte ich mich, meine Tätigkeit auf die Vermittlung eines Kanons klassischer Musik zu beschränken (meine Vorgängerin war berühmt dafür, die Schüler*innen ein Jahr lang mit der „Entführung aus dem Serail“ zu traktieren). Mich interessierte ihr eigener musikalischer Geschmack und war dann doch enttäuscht, wenn sich ihrer Präsentation auf aktuelle Bravo-Berichte über die gerade angesagten Bands wie den „Bay City Rollers“ beschränkten. Besonders stolz war ich, wenn ich zum bewährten alpenländischen Liedgut wie „Und da gang i an Peters Brünnele“ auch internationale Hadern wie „Let it be“, „Kalkinka“, „Hava Nagila“, „Bella ciao“ oder gar ein zeitgenössisches Chorwerk meines Lehrers an der Musikakademie Heinz Kratochvil vorschlug. Eine musikalische Unerhörtheit in Wiener Neustadt der 1970er Jahre.
In den 1970er Jahren lag der Wunsch nach mehr Demokratie in der Luft. Die Verabschiedung der neuen Schulgesetze bot mir eine gute Gelegenheit, Machtfragen auch innerhalb des Systems Schule zu verhandeln und die Schüler*innen einzuladen, sich nicht mehr mit ihrer Rolle als weibliche Zöglinge zufrieden zu geben, sondern auf ihre Rechte zur Mitsprache und Mitwirkung zu pochen. So richtig (partei-)politisch aber wurde es erst, als die Direktorin ziemlich unverblümt die Verlängerung meines Vertrages an den Beitritt zur SPÖ knüpfte. Ein solches Zugeständnis erschien mir in der Rolle des bunten Vogels als völlig unmöglicher Verrat an meiner noch wenig entwickelten Persönlichkeit.
Und doch sollte diese Weigerung den Ausgangspunkt für eine umfassende Einführung in politische Bildung bilden: Viele der Schüler*innen solidarisierten sich mit mir, gemeinsam starteten wir eine Medienkampagne (im profil erschien ein Artikel von Othmar Lahodinsky „Lieber tot als rot“), besuchten den Wiener Neustädter Bürgermeister und den amtierenden Unterrichtsminister Fred Sinowatz, die wir aufforderten, sich für uns einzusetzen und strengten in der Folge sogar Gerichtsurteile an. Das Ergebnis war ein Patt. Die Direktorin wurde wegen diverser Malversationen entlassen; meine Nichtverlängerung an der Schule blieb aufrecht, dafür erhielt ich das Angebot, in einer „schwarzen“ Vorzeigeschule in Klosterneuburg weiter zu unterrichten. Entscheidend aber war, dass sowohl ich als auch die beteiligten Schüler*innen mit ihrem Engagement einen Schnellkurs in politischer Bewusstseinsbildung durchmachten, dass wir den politischen Betrieb hautnah kennenlernten, Entscheidungen bessereinzuschätzen, uns mit der Ausrichtung einer viele Wochen währenden Kampagne aktiv einzubringen und gemeinsam den Mut aufzubringen wussten, gegen die bestehenden Machtverhältnisse anzukämpfen. Noch viele Jahre später bestätigen mir ehemalige Schüler*innen, dass dieses Ereignis ihre Lebensentwürfe weit über die schulischen Konsequenzen nachhaltig beeinflusst hat.
Mit der Forderung der Direktorin, Mitglied einer Partei zu werden, wurde mir das Politische quasi aufgezwungen. Ich war über Nacht zu einem politischen Menschen geworden, der seither versucht, sich gegenüber etablierten Machtstrukturen eine kritische Haltung zu finden. Ein gutes Betätigungsfeld dafür erschien mir die Entwicklungspolitik im Rahmen des „Österreichischen Jugendrates für Entwicklungshilfe“. Immerhin konnte ich mich in diesem Politikfeld mit sozialer Ungleichheit samt den damit verbundenen ungerechten Abhängigkeitsverhältnissen auf exemplarische Weise auseinandersetzen und dabei Bezüge zu den eigenen Lebens- und Arbeitsverhältnissen herstellen. Anlass zu einem konkreten politischen Engagement bot mir auch die Anti-Atom-Bewegung, die mich noch einmal in Gegensatz zur Pro-Zwentendorf-Partei SPÖ brachte.
Als Politik und Kultur noch etwas miteinander zu tun haben wollten
Wohl noch mehr beeinflusst hat mich das Aufkommen einer alternativen Kulturszene, die sich als eine Gegenbewegung gegen den etablierten konservativen Kulturbetrieb sah und als solche den Anspruch stellte, sich aus der Abhängigkeit staatlicher Kulturpolitik zu befreien. Es ging um nicht mehr und nicht weniger als um einen umfassenden Versöhnungsversuch von Leben, Politik und Kultur, der in der Arena in St. Marx seinen emblematischen Ausdruck fand. Und für mich eine möglicherweise entscheidende kulturpolitische Erfahrung, mit künstlerischen Mitteln (gesellschafts-) politisch etwas bewirken zu wollen. Unvergesslich die Aufführung der „Proleten-Passion“ der Schmetterlinge. Das war einfach gute Musik, die unmittelbar ein Lebensgefühl traf, von dem viele junge Menschen erfüllt waren. Dazu gehörte auch die Verabschiedung eines obrigkeitlichen Denkens, das der klassische Kulturbetrieb mit der ewigen Repetition eines ausgewählten Kanons aus dem 19. Jahrhundert nicht müde wurde zu bestätigen. Folgerichtig endete die Revue mit dem musikalischen Aufruf: Das letzte Lied, das letzte Lied müsst ihr euch selber singen!“
Ein weiterer entscheidender Lernort in Sachen politischer Bildung war für mich das Experiment „Commune“, eine Initiative der Sozialistischen Jugend in den frühen 1980er Jahre, in der Hoffnung, damit ihr verstaubtes Image als Kaderschmiede der SPÖ ablegen zu können und stattdessen neue Allianzen mit den damaligen sozialen Bewegungen („Burggarten-Bewegung“) eingehen zu können. Bei uns als betriebswirtschaftlich völlig unbedarfte Betreiber*innen herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass Politik und Kultur aufs Engste miteinander verknüpft sind, mehr sogar, einander bedingen. Entsprechend lief die Programmierung darauf hinaus, kulturelle und politische Begegnungen in eins zu setzen. Die „Commune“ sollte als eine kulturelle Öffentlichkeit firmieren, in der Politiker*innen und Künstler*innen aufeinandertreffen, sich austauschen, einander provozieren, in Streit geraten und doch (oder gerade deshalb) etwas miteinander zu tun haben wollen. Für uns ideale Bedingungen, um eine Atmosphäre eines breiten kultur-politisches Engagements zu schaffen.
Meine Tätigkeit bei den Jugendzentren der Stadt Wien, wo ich danach für einige Jahre als Hausleiter tätig war, brachte mich wieder auf den Boden der kulturpolitischen Realitäten zurück. Hier wehte ungebrochen der paternalistische Geist einer in Wien regierenden Kaderpartei, der den jungen Menschen am Stadtrand nur wenig Fähigkeit zur Mitgestaltung zumutete. Als deklassierte Außenseiter*innen erschienen sie – trotz aller Analyseversuche von Herbert Marcuse und Co, die Revolution würde als nächstes von den Rändern der Gesellschaft ausgehen – politisch weitgehend irrelevant, wenn nicht gefährlich. Und auch ihr kulturelles Verhalten bot – etwa im Rahmen der freitätigen Disco, in der die Jugendlichen den kommerziellen Mainstream affirmierten – wenig Anknüpfungspunkte für gesellschaftliche Veränderungen. Wenn in Einzelfällen Instrumentalunterricht angeboten wurde, dann konnte man schon mal den Eindruck gewinnen, dass den Stadtverantwortlichen die schlechtesten Methoden mit der Plastik-Melodica gerade gut genug waren, um für diese benachteiligte Gruppe Alibiaktionen der kulturellen Bildung zu setzen.
Und doch war ich als Kind eines Kleinbürgerhaushaltes immer wieder fasziniert von der kulturellen Welt, in der unsere jungen Besucher*innen verkehrten, ihren Kommunikationsformen, ihren musikalischen Vorlieben, vor allem aber vom Erfindungsreichtum wenn es darum ging, ihren mannigfachen Benachteiligungen ein Schnippchen zu schlagen und in eine große Story zu packen.
Jetzt will ich es genauer wissen – Der Beginn meiner ewigen Geschichte von Systematisierungsversuchen von Kulturpolitik
Nach den „anarchistischen“ Erfahrungen in der „Commune“ kam ich mit der Rigidität dieser Form der städtischen Jugendarbeit nicht zurecht. Dazu kam der wachsende Eindruck, mit meinem dilettantischen Zugang immer wieder an Grenzen zu stoßen, der mich dazu drängte, mich noch einmal grundsätzlicher mit Fragen der Kulturpolitik zu beschäftigen. Ohne konkrete berufliche Aussichten versprach ich mir davon nicht nur die Befähigung zu einer professionellen Praxis, sondern auch ein solch begründendes theoretisches Gerüst schaffen. Dazu bot sich erst einmal der Besuch des Lehrgangs des Instituts für kulturelles Management (IKM) an der Wiener Musikakademie an. Geleitet von den beiden Größen des österreichischen Kulturbetriebs Marcel Prawy und Ernst Haeussermann erhoffte ich mir von diesem Studium einen nachhaltigen kulturpolitischen Erkenntnisgewinn. Den erhielt ich auch, freilich ex negativo, wenn die beiden Grandseigneurs sich fast schon exemplarisch als Repräsentanten eines konservativen Regimes einer – zugegeben äußerst erfolgreichen – restaurativen Nachkriegskulturpolitik erweisen, in dem Informalität und Personalisierung regierten. Während Marcel Pravy nach Vorstellung seiner Gäste, der über seine Tätigkeit berichten sollte, schon einmal ein Schläfchen einlegte war es vor allem Ernst Hauussermann ein sehr konkretes Anliegen, den Studierenden den Anschluss ans kulturelle Establishment zu ermöglichen, in dem er uns an seinem Stammtisch im Glacis-Beisl mit seinen Kolleg*innen bekannt machte.
Kulturpolitik – Ein Studium auf eigene Faust
Ein weitergehendes kulturpolitisches Engagement mussten sich die Studierenden selbst organisieren, die Initiative „Künstler für den Frieden“ bot dafür eine gute Grundlage. Aber insgesamt blieb ich mit meinen kulturpolitischen Ambitionen unbefriedigt. Also entschloss ich mich, der Sache auf den Grund zu gehen und mit 33 Jahren noch einmal ein Studium der Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Kulturpolitik zu beginnen. Für mich ein großes Glück, dass der Universitätsbetrieb damals noch weit weniger als heute verschult war. So konnte ich mir im Rahmen eines „Studiums irregulare“ Lehrveranstaltungen aus den verschiedensten Disziplinen, die jede für sich einen spezifischen Beitrag zu meinem kulturpolitischen Erkenntnisinteresse versprachen selbst wählen.
Zu meinem großen Erstaunen musste ich dabei feststellen, dass ich, und mit mir die meisten meiner Mitstudierenden, über keinen handbaren Politik-Begriff verfügten, damit nur sehr peripher darüber Aussagen treffen konnten, was wir als Studierende der Politikwissenschaften unter Politik verstanden. Ein Problem, das mich die längste Zeit des Studiums beschäftigt hat. Das galt aber noch mehr für eine nähere Bestimmung eines handhabbaren Kulturbegriffs, der mehr sein wollte als die Idealisierung eines kulturellen Erbes. Und so habe ich im Laufe des Studiums vor allem gelernt, dass im Begriff Kulturpolitik zwei höchst schwammige Vorstellungen verbunden werden wollen, um daraus völlig unterschiedliche Annahmen, Behauptungen oder Schlussfolgerungen zu treffen. Immerhin habe ich versucht, im Rahmen einer abschließenden Masterarbeit erstmals die Grundzüge staatlicher Kulturpolitik in der Zeit sozialdemokratischer Alleinregierung darzustellen und zu analysieren.
Kulturpolitik war einmal ein Thema, das eine breite Öffentlichkeit interessierte
Sehr zum Unterschied zu heute gab es in dieser Zeit ein angeregtes und die damaligen gesellschaftlichen Konfliktlinien aufgreifendes öffentliches Gespräch zu Kulturpolitik. Initiativen wie die Österreichische Gesellschaft für Kulturpolitik organisierten in regelmäßigen Abständen hochkarätig besetzte Veranstaltungen, die sich zum Ziel setzten, „Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik“ zu positionieren. Und auch die zentralen politischen Akteur*innen wie Bundeskanzler Kreisky und Unterrichtsminister Fred Sinowatz nehmen immer wieder kulturpolitisch Stellung (so meinte etwa Bruno Kreisky 1977 im Zeitdokument des Renner-Instituts „Die Kultur soll die Welt verändern“ „Wir brauchen eine durchaus radikale Kulturpolitik“). Mit meinem Studium wusste ich mich als Teil dieser Auseinandersetzungen und empfand es doch als einen besonderen Glücksfall, als mich ein Anruf des für den „Kulturpolitischen Maßnahmenkatalog“ zuständigen Abteilungsleiters Wolfgang Unger erreichte, um mich zu fragen, ob ich die Leitung des Österreichischen Kultur-Service (ÖKS) übernehmen wolle. Die kulturpolitische Aufgabe dieser 1977 gegründeten ministeriellen Vorfeldorganisation bestand zum einen darin, mehr, vor allem junge Menschen mit dem kulturellen Leben vertraut zu machen und andererseits darin, mit Hilfe einer Berufsfelderweiterung in Richtung Schule die Arbeitsbedingungen vor allem von freischaffenden Künstler*innen zu verbessern.
In der Rückschau repräsentiert der ÖKS die erstmalige institutionelle Infragestellung einer produktionsorientierten Kulturpolitik, die bislang ausschließlich darauf gesetzt hatte, die künstlerische Produktion von Künstler*innen und Kunstinstitutionen zu fördern, in der Hoffnung, diese würden mit ihren Hervorbringungen schon irgendwie gesellschaftliche Wirkkraft entfalten. Zumindest ansatzweise war mit dem ÖKS ein emanzipatorischer Anspruch verbunden, wonach nicht nur Künstler*innen, sondern im Prinzip allen Menschen das Recht zustehen würde, das kulturelle Leben aktiv mitzugestalten. Darüber hinaus wollte sich die Institution als eine Art „Intermediary Body“ also als eine Art Broker verstanden wissen, der zwischen der kulturpolitischen Entscheidungsfindung einerseits und den Notwendigkeiten der Praxis andererseits zu vermitteln trachtete, um so zumindest ansatzweise neue kulturpolitische Beteiligungsmodelle zu erproben. Dieser rezeptionsorientierte Ansatz machte sich nicht nur Freunde, wenn selbst so fortschrittliche Künstler*innen wie der langjährige Geschäftsführer der IG Autor*innen Gerhard Ruiss dem Anliegen skeptisch gegenüberstanden und die ausgeschütteten Fördermittel lieber für eine Ausweitung der Produktionsförderung gewidmet wissen wollten. Auf dieser Welle schwamm dann auch das Büro des ansonsten hochgelobten, weil dezidiert kunstaffinen Ministers Rudolf Scholten in den 1990er Jahren, das im Versuch, einen guten Draht selbst zu kritischen Künstler*innen herzustellen, mit einer rezeptionsorientierten Kulturpolitik nichts anzufangen wusste und diesbezügliche Initiativen an das konservativ regierte Unterrichtsressort verwies.
Und noch einmal wurde Kulturpolitik – diesmal von rechts – politisch verhandelt
Mit der schwarz-blauen Übernahme der Regierung 2000 wurde noch einmal die unmittelbare parteipolitische Dimension von Kulturpolitik überdeutlich. Elisabeth Gehrer und ihrer Entourage war es schier unerträglich, dass mit dem ÖKS ein Überbleibsel eines sozialdemokratischen kulturpolitischen Reformanspruches weiter bestehen sollte. Und das just zu einem Zeitpunkt, als sich die Sozialdemokratie von ihren kulturpolitischen Ansprüchen der Gesellschaftsveränderung durch Kultur bereits weitgehend verabschiedet hatte. Während der konservative Teil der Regierung noch einmal – etwa im Rahmen des Mozart-Jahres 2006 – an die identitätsstiftende Funktion von Kultur (Stichwort „Kulturnation“) zu appellieren versuchte, übten sich Gusenbauer und Co längst in einer umfassenden Neoliberalisierung des Kulturbetriebs, um hinter der Behauptung der Alternativlosigkeit der Marktkräfte das eigene kulturpolitische Desinteresse zu kaschieren. Und machten damit – wider besseres Wissen – den Kulturbetrieb noch einmal einer konservativen, weil die bestehenden Verhältnisse bestätigenden gesellschaftlichen Agentur, die noch in seinen radikalsten künstlerischen Ausformungen die hegemonial gewordene Alternativlosigkeit der herrschenden Verkehrsformen suggeriert.
Während die Kunst- und Kulturministerin Claudia Schmied zwischen 2007 und 2013 noch einmal den Versuch startete, einen kulturpolitischen Schwerpunkt in Sachen Vermittlung zu implementieren (und sei es in der Absicht, mit der Förderung kulturspezifischer Kompetenzen bei den Schüler*innen den Hoffnungssektor Cultural and Creative Industries zu stärken) wurde der weitgehende Zusammenbruch einer kulturpolitischen Öffentlichkeit immer deutlicher. Während die großen Tanker zunehmend auf die Vorgaben einer internationalen Tourismusindustrie verwiesen wurden, fanden sich weite Teile einer zunehmend Freien Szene außerhalb der Hörweite der Politik und damit zunehmend am Rand der Gesellschaft wieder ohne jede Chance, in ihrer prekären Situation noch einmal eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen.
In dieser Situation des weitgehenden Verstummens des kulturpolitischen Gesprächs in Österreich erwies es sich für mich als ein Glücksfall, mit EDUCULT über ein transnational agierendes kultur- und bildungspolitisches Forschungsinstitut zu verfügen, um mit internationalen Partner*innen kulturpolitisches Neuland zu betreten. Mit ihrer Hilfe gelang es uns, sich dem sich breit machenden kulturpolitischen Defätismus im vermeintlichen „Kulturland Österreich“ zu verweigern und nach neuen Perspektiven Ausschau zu halten. Persönlich sehr geholfen hat mir dabei die Verwirklichung eines langgehegten Wunsches, einen Versuch einer Systematik des bis lang nur schwach definierten Politikfeldes Kulturpolitik vorzunehmen, um ihm künftig mehr Bedeutung zu geben. Dieses Bemühen ist immerhin mit einer Dozentur an der Angewandten anerkannt worden; dem allgemeinen Niedergang des kulturpolitischen Diskurses – das muss ich zugeben – konnten diese Bemühungen nur wenig entgegensetzen.
Die möglichen Zukünfte der Kulturpolitik bestehen in der Bereitschaft, den Kulturbetrieb von den Menschen aus zu denken
Bei aller Unterschiedlichkeit der internationalen kulturpolitischen Szene (und mit ihr weiter Teile des Kulturbetriebs) ist immer mehr Akteur*innen das Wissen gemeinsam, dass es höchst an der Zeit ist, einen durchaus schmerzhaften Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik vorzunehmen, um vor allem dem staatlich alimentierten Kulturbetrieb noch einmal gesellschaftliche Relevanz zu geben. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Kunst und die Menschen samt ihren konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen in ein neues Verhältnis zu bringen. Ansonsten, so der allgemeine Tenor, droht dem Kulturbetrieb eine zunehmende Marginalisierung und Musealisierung. In einer Zeit wachsender Demokratiemüdigkeit und allerorten spürbarer Versuchungen eines Reautoritarismus sehen wir im Zustand des Kulturbetriebs einen Lackmustest demokratischer Entwicklung. Er ist somit ein Ausweis von Liberalität, mit dem sich Künstler*innen als handlungsleitende Vorbilder gegen bestehende Machtverhältnisse wenden können ohne dabei Kopf und Kragen zu riskieren.
Spätestens mit dem Ausbruch der Pandemie kommen wir um die Erkenntnis nicht herum, dass die überkommenen kulturpolitischen Begründungszusammenhänge („Kulturnation“) an ihr Ende gekommen sind. Digitalisierung und Diversifizierung sind nur die wichtigsten Schlagwörter für einen möglichen weiteren Bedeutungsverlust, wenn es dem Kulturbetrieb nicht gelingt, anhand dessen, was die Menschen beschäftigt, eine neue Beziehungskultur mit den verschiedenen Teilen der Gesellschaft aufzubauen.
Die allgemein als abwertend empfundene Zuschreibung „Kulturliebhaber*innen“ durch den Bundeskanzler Sebastian Kurz könnte nicht deutlicher machen, dass sich weite Teile des politischen Betriebs aus ihrer kulturpolitischen Verantwortung zurückgezogen haben; bei den meisten Repräsentant*innen ist zu vermuten, dass sie überhaupt nicht mehr wissen, wovon die Rede ist, wenn jemand das Wort Kulturpolitik in den Mund nimmt. Für ihr politisches Handeln scheint es jedenfalls von keinerlei Bedeutung. Den Rest sollen pragmatische Verwalter*innen vom Schlag Andrea Mayer erledigen, denen ansonsten keinerlei Einfluss auf das politische Geschehen zugesprochen wird.
Diese Haltung schließt den Kreis zum Beginn meiner kulturpolitischen Reise. Auch ich hatte zu Beginn meiner Liaison mit der Kulturpolitik keine Ahnung, was da eigentlich Sache ist. Und doch schien mir, dass es Wert sei, so viel Energie in möglichen Beantwortungen zu stecken, dass ich seither nicht mehr losgekommen bin (das unterscheidet mich von Kurz, Blümel und Co). In dem Maß, in dem es sich bei Kulturpolitik immer schon um ein Minderheitenprojekt gehandelt hat, gehört zur Grundausstattung wohl ein gerütteltes Maß an Bereitschaft, sich „trotzdem“ zu engagieren. Geht es nach meinen Erfahrungen, dann hatte die Neugierde an kulturpolitischen Fragestellungen immer wieder mit der Bereitschaft, Unsicherheiten auszuhalten bzw. mit der Lust an der Überwindung von Widerständen zu tun, die der Durchsetzung einer breitenwirksamen Durchsetzung dieses Politikfeldes entgegenstehen.
Kulturpolitik war, ist und wird wohl auch in Zukunft ein schillernder, im besten Fall kontrovers diskutierter Begriff bleiben. Aber gerade das macht – jedenfalls für mich – einen Gutteil seiner Attraktivität aus, zumal die Beschäftigung mit ihn betreffenden Fragen nie an ein Ende gerät.
Der Kulturbetrieb steht heute vor der größten Herausforderung seit der Nachkriegszeit. Mit ihm steht und fällt das Fortbestehen einer der letzten Orte einer möglichen Öffentlichkeit, in der Differenzerfahrungen einer heterogenen Gesellschaft kulturell produktiv gemacht werden können.
Auf in den Kampf zwischen einer mächtigen Arrièregarde und einer mutig-kreativen Avantgarde
Vor allem die großen Player werden auf Teufel komm raus noch einmal versuchen – und sei es auf Kosten der übrigen Akteur*innen – zu den alten produktionsbestimmten Verhältnissen zurückzukehren. Und damit schon bald an ihre Grenzen stoßen (selbst führende Vertreter*innen von Kultureinrichtungen und ihnen verbundene Kulturpolitiker*innen gehen mit einer solchen Grundannahme von einem weiteren Bedeutungsverlust des Kulturbetriebs aus). Hinter diesem Mainstream aber verbergen sich vielfältige Kräfte, die zum Teil noch unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit neue Settings und Formate erproben, sich damit auf neue Kommunikations- und Interaktionsformen einstellen und sich so innerhalb ihrer lokalen und regionalen Umgebungen neu verorten.
Ob diesen am Ende ein Erfolg beschieden wird, entscheidet nicht zuletzt eine Kulturpolitik, die bereit ist, nicht nur Bewährtes aufrechtzuerhalten, sondern gerade in dieser Phase Experimente zu begünstigen, Neues mit ungewissem Ausgang zu erproben und damit der Kulturpolitik das wieder zu geben, was mich an ihr vom Beginn meiner Beschäftigung mit ihr fasziniert hat: die Schaffung von Möglichkeitsräumen, in denen wir Bestehendes spielerisch in Frage stellen können und in denen wir uns also als kulturelle Wesen lebendig fühlen dürfen. Da würde ich noch gerne eine Weile daran bleiben.
Michael Wimmer schreibt regelmäßig Blogs zu relevanten Themen im und rund um den Kulturbereich.
Anhand persönlicher Erfahrungen widmet er sich tagesaktuellen Geschehnissen sowie Grundsatzfragen in Kultur, Bildung und Politik.
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