Vielleicht wird ja in Zukunft alles anders (http://www.heute.at/life/reisen/story/72--wollen-Donauwalzer-in-AUA-Fliegern-behalten-24768922). Aber alle, die bisher mit einer AUA-Maschine geflogen sind, werden sie kennen, den Anfang der Großen g-Moll Sinfonie von Wolfgang A. Mozart. Zumeist wird sie bereits nach den ersten paar Takten unterbrochen und vom beliebtesten Werk Johann-Strauß‘, dem Donauwalzer abgelöst. Dazu gehört auch die freundliche Einladung des/der Chef/in de Cabine, der/die dazu einädt, es sich doch an Bord gemütlich zu machen. Typisch österreichisch also, wie es falscher nicht sein kann.
Entstanden ist das Werk im Sommer 1788 zusammen mit zwei anderen Sinfonien, die den Dirigenten Nikolaus Harnoncourt 2014 die These hat aufstellen lassen, dieses Triptychon (http://www.zeit.de/2014/41/nikolaus-harnoncourt-mozart-sinfonien) sei von Mozart als ein die Werke verbindendes Instrumental-Oratorium konzipiert worden, das eine zusammenhängende Aufführung sinnvoll, ja notwendig mache.
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Mozart kann sich zum Entstehungszeitpunkt noch nicht vorgestellt haben, dass ausgerechnet der Eröffnungssatz dieses Werks, das mit seiner Moll-Tönung die anderen beiden Sinfonien in Es- und in C-Dur (Jupiter) zusammenhält, dazu herhalten wird müssen, für Entspannung bei den gestressten Fluggästen zu sorgen.
Wahrscheinlicher ist da schon, dass er selbst unter beträchtlichem innerlich oder äußerlich verursachten Stress gestanden ist, wenn er alle drei dieser kolossalen Werke in nur sechs Wochen verfasst hat, um in den verbleibenden drei Lebensjahren kein sinfonisches Werk mehr seinem Oevre hinzuzufügen.
Etwas von diesem Stress wurde in der jüngsten Aufführung des Werkes durch das Mozarteumorchester Salzburg unter dem Dirigenten Constantinos Carydis (http://diepresse.com/home/kultur/klassik/5272309/Salzburg_Mozart-in-der-Luft-zerrissen ) deutlich, die im Rahmen der diesjährigen Salzburger Festspiele zustande kam. Da peitschte einer das Orchester an die Grenzen seiner Möglichkeiten und folgte damit einem neuen Aufführungstrend, der Schnelligkeit zu einem zentralen Stellenwert erklärt.
Wir können heute nicht mehr nachvollziehen, wie das Werk bei seiner Uraufführung (wahrscheinlich 1791 unter Antonio Salieri) geklungen haben mag. Statt dessen sind wir geprägt durch eine lange Interpretationsgeschichte, die heute abgelöst wird durch eine junge Dirigenten-Generation, die uns die klassischen Werke auf zum Teil ganz neue, bislang unerhörte Weise erfahren lassen. Als diesbezügliche erste Referenzfigur gilt ein ebenfalls griechisch-stämmiger Dirigent Teodor Currentzis (http://www.teodor-currentzis.com/), der ausgerechnet in der russischen Provinz, in Perm mit seinem Ensemble MusicAeterna neue Maßstäbe für die Aufführungspraxis klassischer Musik gesetzt hat und als solcher mittlerweile die internationalen Konzertsäle erobert hat (https://konzerthaus.at/konzert/eventid/54544). Wie wohl kein anderer weiß er und sein Ensemble ein hohes Ausmaß an Virtuosität, Klarheit und Durchsichtigkeit, Lebendigkeit und eben Schnelligkeit miteinander zu verbinden.
Ich kann nicht umhin, diese neue Aufführungspraxis in Beziehung zu setzen mit den aktuellen gesellschaftlichen Verkehrsformen, die allesamt auf Beschleunigung der Verhältnisse ausgerichtet sind. Immerhin erleben wir zur Zeit eine kaum mehr beherrschbare Dynamik der Veränderung, die drauf und dran ist, alle bisherigen Sicherheiten zu sprengen und der immer weniger Menschen gewachsen erscheinen. Und die klassische Musik spielt mit, koste es was es wolle und wird damit unversehens zum affirmativen Ausdruck eines Lebensstils, dessen einzige Sicherheit darin besteht, dass Morgen nichts mehr so sein wird, wie es heute scheint.
Vergessen alle Versuche, das Prinzip der Entschleunigung auf eine breitenwirksame Basis zu stellen (http://www.zeitverein.com/). Eine solche muss man sich heute leisten können, will man vermeiden, schon morgen weg vom Fenster zu sein. In uns allen also möglicher Weise das gespannte Gefühl Mozarts im Sommer 1788, dem es in seinem vergleichsweise kurzen Leben gelang, Meisterschaft und Schnelligkeit der Produktionsweise auf eine bis heute unerklärbare Weise miteinander zu verbinden.
Ludwig van Beethoven war 1788 erst 18 Jahre alt, gerade auf dem Weg nach Wien, wo er das klassische Musikrepertoire revolutionieren sollte. Auch von ihm gibt es drei letzte Werke aus der Zeit 1820 - 1822, die Klaviersonaten 109, 110 und 111, auch sie ursprünglich als ein gemeinsamer Komplex gedacht. Zum Unterschied zur scheinbar leichtfüßig daherkommenden g-Moll Sinfonie käme aber niemand auf die Idee, auch nur kleine Teile dieser Werke dem Ab- oder Anflug ihrer Maschine erwartenden Publikum zuzumuten.
Dabei steht gerade die allerletzte Klaviersonate für eine markante Änderung der Interpretationspraxis. Es war der „Grenzgänger“ Friedrich Gulda, der in den 1960er Jahren als einer der großen Pianisten der Nachkriegszeit (http://www.irenesuchy.org/joomlafile/Publikationen/GuldaVerlag001(1).pdf) damit begann, die bislang hermetischen Grenzen zwischen klassischer Musik und dem Jazz, in der Folge der Pop-Musik einzureißen. Mir sind in diesem Zusammenhang noch die Erzählungen meines Vaters in den Ohren, der – selbst Unterhaltungsmusiker – davon erzählt hat, dass Gulda nach einem klassischen Konzert im Konzerthaus noch in eine innerstädtische Bar vorbei gekommen ist, um mit den dortigen Musikern zu jammen. Er irritierte mit seiner Mehrfachbegabung die Rezeptionsweisen des klassischen Publikums nachhaltig, sei es, dass er dazu überging, in seinen Konzerten unterschiedliche Musikstile miteinander zu verbinden, sei es, sein vom Jazz geprägtes Musikfeeling in die Interpretation klassischer Werke selbst einfließen zu lassen. Besonders beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang seine Deutung des zweiten langsamen Satzes der letzten Beethoven-Sonate. Überschrieben mit „Adagio molto semplice e cantabile“ begann dieser Variationensatz bei ihm bald in einer Weise zu grooven (https://www.youtube.com/watch?v=hm2OHmszHs4), die Beethoven als unmittelbaren Wegweiser in die Jazzmusik des 20. Jahrhunderts erscheinen ließ – und jedenfalls mir bei der Gelegenheit alle meine bisherigen Vorstellungen über klassische Musik über den Haufen hat werfen lassen.
Ebenfalls im Rahmen der diesjährigen Salzburger Festspiele gab der russische Ausnahmepianist Grigori Sololov ein Solistenkonzert. Locker zusammengehalten von den Tonarten C-Dur und c-Moll entwickelte Sokolov einen stringenten musikalischen Handlungsfaden zwischen Mozarts „Sonata facile“ am Beginn und Beethovens op. 111 am Ende des Programms. Und wieder gab es eine Überraschung. Seine Interpretation des zweiten Satzes hatte nichts zu tun mit dem Versuch, das Werk irgendwie heutig erscheinen zu lassen. Stattdessen verweigerte da einer der größten Virtuosen unserer Zeit jegliches Zugeständnis an eine swingende Erwartungshaltung und beharrte auf eine nahezu unerträgliche Langsamkeit, fast Note für Note, scheinbar ohne Ende, um auf diese Weise eine Abgründigkeit zu erzeugen, die all das hinter sich ließ, was wir gelernt haben, als gegeben hinzunehmen (https://www.youtube.com/watch?v=xdhkclFGTNg). Und es blieb ein existentielles Erschrecken, das nochmals eine Ahnung aufkommen ließ von der Radikalität, die sich der späte Beethoven da ohne jede Hoffnung auf Trost musikalisch herausgenommen hat.
Und so erscheint anhand von Carydis einerseits und Sokolov andererseits nochmals durch, was unterschiedliche Interpretationen klassischer Musik zu leisten vermögen. Da die Antizipation der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die Übernahme des Prinzips der Rasanz; dort die verstörende Verweigerung, dieses uns alle durchdringende Lebensgefühl in die Interpretation einfließen zu lassen und damit – jedenfalls bei mir – einen kathartischen Effekt auszulösen, der die Behauptung offen lässt, dass das ganz andere möglich ist. Wahrscheinlich nicht im Flugzeug, sehr wohl aber in der Erfahrung mit Kunst.