Samuel Koch spielt Theater, hat ein Buch geschrieben und liest, mit musikalischer Untermalung seines Freundes Thomas A. Beck, daraus. Alle kennen ihn, und doch kennt ihn niemand wirklich. Eine Vorwarnung: Hier werden Sie ihn auch nicht kennenlernen
Ich nehme an, Sie erwarten sich jetzt ein Interview mit Samuel Koch. Und ein paar Fragen an Thomas A. Beck, der mit ihm gemeinsam auftritt und bei seinen Lesungen musiziert. Ich muss Sie enttäuschen. Seit es das Inklusionsmagazin VALIDleben gibt, hat man mir schon oft gesagt: »Du musst Samuel Koch interviewen! Den, der bei >Wetten, dass...?< über das Auto gesprungen ist.« Und jedes Mal hat sich keine Frage in meinem Bauch breit gemacht. So viele Interviews habe ich schon geführt und immer brannte etwas auf meiner Zunge, was mich interessiert hat. Aber was fragt man jemanden, bei dessen Unfall Millionen live dabei waren? Warum haben Sie das damals getan? Wie fühlt es sich an, nichts zu fühlen? Wie geht es Ihnen jetzt?
Es gibt keine Frage an Samuel Koch, die nicht schon gestellt wurde. Hundertfach. Keine Frage, die mir nicht dumm erscheint. Eigenartigerweise begegnet mir Samuel Koch dann innerhalb weniger Wochen drei Mal. Und jedes Mal davon beeindruckt er mich, jedes Mal auf eine neue Art und Weise. Im Rahmen der »Nacht des Sports« wird er auf die Bühne gerufen um die Laudatio für unsere Behindertensportler zu halten. Man kündigt ihn als »Vorbild« an, einen der das Leben gemeistert hat. Samuel Koch antwortet auf die einleitenden Worte: »Ich bin kein Vorbild. Man kann kein Vorbild für junge Menschen sein, wenn man mit Sprungschuhen gegen ein Auto knallt.« Ich bin beeindruckt, Herr Koch, von dieser selbstreflektierten und großen Aussage eines Mannes im Rollstuhl.
Am nächsten Abend sehe ich ihn wieder. Eine kleine Bühne in Mödling. Der Saal ist voll. Es soll eine Lesung mit musikalischer Untermalung werden. Und dann wird es etwas ganz anderes. Ein Abend, an dem Freunde gemeinsam auf der Bühne sitzen, sich gegenseitig bei dem, was das Ihre ist, beobachten und achten. Ja, da ist ganz viel Achtsamkeit. Und gemeinsames Entspannen. Chillen sagt man heute. Der Humor ist schwarz, und doch sanft und versöhnend. »Ich flehte meine Mutter an: »Mama, hol bitte den Tierarzt, denn wenn Tiere so leiden, erlöst man sie.« Aber sie hat ihn nicht geholt. Sie hört nie auf mich.«, erzählt Koch und lacht. Oder: »Diese Schuhe sind noch nie gelaufen. Warum trägt ein Querschnittsgelähmter überhaupt Schuhe?« Dazwischen arbeitet Thomas Beck musikalisch mit »Große Mutter« seine persönliche Geschichte auf, und erinnert das Publikum mit jeder Note, jedem Ton, jedem Wort an das eigene Leben, das man doch zu Hause lassen wollte. Irgendwie ist es eine schwarzhumorige und doch berührende Therapiestunde. So muss es sich anfühlen, wenn man darauf wartet, ob man für den Himmel, die Hölle oder das Fegefeuer bestimmt ist und mit den Mitwartenden ins Gespräch kommt.
Mit denen, die nicht auskönnen, so wie man selbst. »Huis Clos – Geschlossene Gesellschaft« von Jean-Paul Sartre kommt mir in den Sinn. Dort fällt der Satz »Die Hölle, das sind die anderen.« Eigentlich soll Samuel Koch aus seinem Buch lesen. Das tut er, aber dann doch irgendwie nicht. Vielmehr erzählt er, und beantwortet Fragen, die ihm sein Bühnenpartner stellt. Oder stellt sie selbst. Sich selbst, Thomas Beck, dem Publikum. Ein junges Mädchen wird auf die Bühne geholt. Anna. Sie ist ein großer Fan von Koch. Besonders als Schauspieler in »Sturm der Liebe« hat sie ihn bewundert. Auch dafür, dass er seine Rollstuhlrolle dort so gut spielte. »Die Rolle meines Lebens«, sagt er. Samuel Koch ist vom Hals abwärts gelähmt, doch sein Gesicht ist übervoll von Mimik. Sein Gesicht ist ein großer Schauspieler. Seine Blicke erzählen das, was der Körper nicht mehr kann. Augensprache statt Körpersprache. Ich denke, Samuel Koch wäre ein wunderbarer Jedermann. Oder der Tod. Egal. Er würde beeindrucken. Er hat so viel mehr Leben in sich, als so mancher Mensch, der seine Sprünge nur mit den Beinen, aber nicht mit seiner Fantasie machen kann. Und die Liebe ist auch in seinen Augen. Und Müdigkeit. Und dann singt Samuel Koch mit Thomas Beck das »Lied vom Mond« und meine Augen werden feucht. Er beeindruckt nicht durch eine Jahrhundertstimme, sondern das Gefühl, das in ihr liegt.
Ich treffe ihn ein drittes Mal. Er bekommt einen Special Award. Standing Ovations. Die Kamerateams und Fotografen streiten sich um das beste Bild. Jeder will ein Foto mit ihm, jeder will ihm Fragen stellen. Wie geht es weiter, was planen Sie? Wie fühlen Sie sich? Wie machen Sie das mit Ihrer Freundin? Als sie alles gefragt haben, was ich nie fragen wollte, steht er plötzlich allein auf der Bühne. Keiner kümmert sich darum, wie er sie wieder verlassen kann. Und da ist der Mensch Samuel Koch. Er schaut mir in die Augen und sagt: »Kannst Du mir helfen, hier herunter zu kommen?« Ich bin stolz ihn getroffen, und keine Fragen gehabt zu haben.