Europäischer Gerichtshof hat entschieden:
PRESSEMITTEILUNG Nr. 138/22
Luxemburg, den 1. August 2022:
Seenotrettung in Mittelmeer ist erlaubt und es ist Pflicht in der Seefahrt.
https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2022-08/cp220138de.pdf
Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-14/21 und C-15/21| Sea Watch Schiffe humanitärer Organisation, die eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen auf See ausüben, können vom Hafenstaat einer Kontrolle unterzogen werden
Festhaltemaßnahmen kann der Hafenstaat jedoch nur im Fall einer eindeutigen Gefahr für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt treffen
Sea Watch ist eine humanitäre Organisation mit Sitz in Berlin (Deutschland). Sie übt eine systematische Tätigkeit der Suche und Rettung von Personen im Mittelmeer mit Schiffen durch, die in ihrem Eigentum stehen und von ihr betrieben werden. Zu diesen Schiffen gehören die Sea Watch 3 und die Sea Watch 4, die unter deutscher Flagge fahren und als Frachtschiffe zertifiziert wurden.
Im Sommer 2020 führten diese beiden Schiffe Rettungseinsätze durch und schifften aus Seenot gerettete Personen in den Häfen von Palermo und Porto Empedocle (Italien) aus. Anschließend wurden die Schiffe von den Hafenbehörden dieser Häfen mit der Begründung Überprüfungen unterzogen, dass sie für eine Tätigkeit der Suche und Rettung auf See nicht zertifiziert seien und eine weitaus höhere Anzahl von Personen an Bord aufgenommen hätten als zulässig sei. Diese Hafenbehörden waren außerdem der Ansicht, dass technische und operative Mängel vorlägen, die eindeutig eine Gefahr für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt begründeten und das Festhalten dieser Schiffe erforderten.
Sea Watch erhob beim Regionalen Verwaltungsgericht Sizilien (Italien) zwei Klagen auf Nichtigerklärung dieser Maßnahmen. In diesem Rahmen machte Sea Watch geltend, dass die Hafenbehörden die den Behörden des Hafenstaats zustehenden Befugnisse – wie sie sich aus der Richtlinie 2009/161, ausgelegt im Licht des Völkerrechts, ergäben – überschritten hätten.
Das Regionale Verwaltungsgericht Sizilien hat dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, um den Umfang der Kontroll- und Festhaltebefugnisse des Hafenstaats in Bezug auf Schiffe zu klären, die von humanitären Organisationen betrieben werden.
In seinem Urteil vom heutigen Tag entscheidet der Gerichtshof (Große Kammer) erstens, dass die Richtlinie 2009/16 grundsätzlich auf alle Schiffe2 anwendbar ist, die sich in einem Hafen oder in den Hoheitsgewässern eines Mitgliedstaats befinden und die Flagge eines anderen Mitgliedstaats führen, einschließlich der von humanitären Organisationen betriebenen Schiffe.